Denken wagen

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Endlich kann ich diesen Begriff noch mehr erweitern, da er denn in dem Vermögen bestände, sich nicht bloß im Raume, d. i. mathematisch, sondern überhaupt im Denken, d. i. logisch, zu orientieren. Man kann nach der Analogie leicht erraten, dass dieses ein Geschäft der reinen Vernunft sein werde, ihren Gebrauch zu lenken, wenn sie, von bekannten Gegenständen (der Erfahrung) ausgehend, sich über alle Grenzen der Erfahrung erweitern will und ganz und gar kein Objekt der Anschauung, sondern bloß Raum für dieselbe findet; da sie alsdann gar nicht mehr im Stande ist, nach objektiven Gründen der Erkenntnis, sondern lediglich nach einem subjektiven Unterscheidungsgrunde in der Bestimmung ihres eigenen Urteilsvermögens ihre Urteile unter eine bestimmte Maxime zu bringen{3}. Dies subjektive Mittel, das alsdann noch übrig bleibt, ist kein anderes, als das Gefühl des der Vernunft eigenen Bedürfnisses. Man kann vor allem Irrtum gesichert bleiben, wenn man sich da nicht unterfängt[20] zu urteilen, wo man nicht so viel weiß, als zu einem bestimmenden Urteile erforderlich ist. Also ist Unwissenheit an sich die Ursache zwar der Schranken, aber nicht der Irrtümer in unserer Erkenntnis. Aber wo es nicht so willkürlich ist, ob man über etwas bestimmt urteilen wolle oder nicht, wo ein wirkliches Bedürfnis und wohl gar ein solches, welches der Vernunft an sich selbst anhängt, das Urteilen notwendig macht, und gleichwohl Mangel des Wissens in Ansehung der zum Urteil erforderlichen Stücke uns einschränkt: da ist eine Maxime nötig, wornach wir unser Urteil fällen; denn die Vernunft will einmal befriedigt sein. Wenn denn vorher schon ausgemacht ist, dass es hier keine Anschauung vom Objekte, nicht einmal etwas mit diesem Gleichartiges geben könne, wodurch wir unseren erweiterten Begriffen den ihnen angemessenen Gegenstand darstellen und diese also ihrer realen Möglichkeit wegen sichern könnten: so wird für uns nichts weiter zu tun übrig sein, als zuerst den Begriff, mit welchem wir uns über alle mögliche Erfahrung hinaus wagen wollen, wohl zu prüfen, ob er auch von Widersprüchen frei sei; und dann wenigstens das Verhältnis des Gegenstandes zu den Gegenständen der Erfahrung unter reine Verstandesbegriffe zu bringen, wodurch wir ihn noch gar nicht versinnlichen, aber doch etwas Übersinnliches wenigstens tauglich zum Erfahrungsgebrauche unserer Vernunft denken; denn ohne diese Vorsicht würden wir von einem solchen Begriffe gar keinen Gebrauch machen können, sondern schwärmen, anstatt zu denken.
Allein hiedurch, nämlich durch den bloßen Begriff, ist doch noch nichts in Ansehung der Existenz dieses Gegenstandes und der wirklichen Verknüpfung desselben mit der Welt (dem Inbegriffe aller Gegenstände möglicher Erfahrung) ausgerichtet. Nun aber tritt das Recht des Bedürfnisses der Vernunft ein, als eines subjektiven Grundes etwas vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objektive Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im unermesslichen und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Übersinnlichen, lediglich durch ihr eigenes Bedürfnis zu orientieren.
Es lässt sich manches Übersinnliche denken (denn Gegenstände der Sinne füllen doch nicht das ganze Feld aller Möglichkeit aus), wo die Vernunft gleichwohl kein Bedürfnis fühlt, sich bis zu demselben zu erweitern, viel weniger dessen Dasein anzunehmen. Die Vernunft findet an den Ursachen in der Welt, welche sich den Sinnen offenbaren (oder wenigstens von derselben Art sind, als die, so sich ihnen offenbaren), Beschäftigung genug, um nicht den Einfluss reiner geistiger Naturwesen zu deren Behuf nötig zu haben, deren Annehmung vielmehr ihrem Gebrauche nachteilig sein würde. Denn da wir von den Gesetzen, nach welchen solche Wesen wirken mögen, nichts, von jenen aber, nämlich den Gegenständen der Sinne, vieles wissen, wenigstens noch zu erfahren hoffen können: so würde durch solche Voraussetzung dem Gebrauche der Vernunft vielmehr Abbruch geschehen. Es ist also gar kein Bedürfnis, es ist vielmehr bloßer Vorwitz, der auf nichts als Träumerei ausläuft[21], darnach zu forschen, oder mit Hirngespinsten der Art zu spielen. Ganz anders ist es mit dem Begriffe von einem ersten Urwesen, als oberster Intelligenz und zugleich als dem höchsten Gute, bewandt. Denn nicht allein, dass unsere Vernunft schon ein Bedürfnis fühlt, den Begriff des Uneingeschränkten dem Begriffe alles Eingeschränkten, mithin aller anderen Dinge{4} zum Grunde zu legen; so geht dieses Bedürfnis auch auf die Voraussetzung des Daseins desselben, ohne welche sie sich von der Zufälligkeit der Existenz der Dinge in der Welt, am wenigsten aber von der Zweckmäßigkeit und Ordnung, die man in so bewunderungswürdigem Grade (im Kleinen, weil es uns nahe ist, noch mehr wie im Großen) allenthalben antrifft, gar keinen befriedigenden Grund angeben kann. Ohne einen verständigen Urheber anzunehmen, lässt sich, ohne in lauter Ungereimtheiten zu verfallen, wenigstens kein verständlicher Grund davon angeben; und ob wir gleich die Unmöglichkeit einer solchen Zweckmäßigkeit ohne eine erste verständige Ursache nicht beweisen können (denn alsdann hätten wir hinreichende objektive Gründe dieser Behauptung und bedürften es nicht, uns auf den subjektiven zu berufen): so bleibt bei diesem Mangel der Einsicht doch ein genugsamer subjektiver Grund der Annehmung derselben darin, dass die Vernunft es bedarf: etwas, was ihr verständlich ist, voraus zu setzen, um diese gegebene Erscheinung daraus zu erklären, da alles, womit sie sonst nur einen Begriff verbinden kann, diesem Bedürfnisse nicht abhilft.
Man kann aber das Bedürfnis der Vernunft als zwiefach ansehen: erstlich in ihrem theoretischen, zweitens in ihrem praktischen Gebrauch. Das erste Bedürfnis habe ich eben angeführt; aber man sieht wohl, dass es nur bedingt sei, d. i. wir müssen die Existenz Gottes annehmen, wenn wir über die ersten Ursachen alles Zufälligen vornehmlich in der Ordnung der wirklich in der Welt gelegten Zwecke urteilen wollen. Weit wichtiger ist das Bedürfnis der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche, weil es unbedingt ist, und wir die Existenz Gottes voraus zu setzen nicht bloß alsdann genötigt werden, wenn wir urteilen wollen, sondern weil wir urteilen müssen. Denn der reine praktische Gebrauch der Vernunft besteht in der Vorschrift der moralischen Gesetze. Sie führen aber alle auf die Idee des höchsten Gutes, was in der Welt möglich ist, so fern es allein durch Freiheit möglich ist: die Sittlichkeit; von der anderen Seite auch auf das, was nicht bloß auf menschliche Freiheit, sondern auch auf die Natur ankommt, nämlich auf die größte Glückseligkeit, so fern sie in Proportion[22] der ersten ausgeteilt ist. Nun bedarf die Vernunft, ein solches abhängiges höchste Gut und zum Behuf desselben eine oberste Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut anzunehmen: zwar nicht um davon das verbindende Ansehen der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung abzuleiten (denn sie würden keinen moralischen Wert haben, wenn ihr Bewegungsgrund von etwas anderem, als von dem Gesetz allein, das für sich apodiktisch[23] gewiss ist, abgeleitet würde); sondern nur um dem Begriffe vom höchsten Gut objektive Realität zu geben, d. i. zu verhindern, dass es zusammt[24] der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet.
Es ist also nicht Erkenntnis, sondern gefühltes{5} Bedürfnis der Vernunft, wodurch sich Mendelssohn (ohne sein Wissen) im spekulativen Denken orientierte. Und da dieses Leitungsmittel nicht ein objektives Prinzip der Vernunft, ein Grundsatz der Einsichten, sondern ein bloß subjektives (d. i. eine Maxime) des ihr durch ihre Schranken allein erlaubten Gebrauchs, ein Folgesatz des Bedürfnisses, ist und für sich allein den ganzen Bestimmungsgrund unsers Urteils über das Dasein des höchsten Wesens ausmacht, von dem es nur ein zufälliger Gebrauch ist sich in den spekulativen Versuchen über denselben Gegenstand zu orientieren: so fehlte[25] er hierin allerdings, dass er dieser Spekulation dennoch so viel Vermögen zutraute, für sich allein auf dem Wege der Demonstration alles auszurichten. Die Notwendigkeit des ersteren Mittels konnte nur Statt finden, wenn die Unzulänglichkeit des letzteren völlig zugestanden war: ein Geständnis, zu welchem ihn seine Scharfsinnigkeit doch zuletzt würde gebracht haben, wenn mit einer längeren Lebensdauer ihm auch die den Jugendjahren mehr eigene Gewandtheit des Geistes, alte, gewohnte Denkungsart nach Veränderung des Zustandes der Wissenschaften leicht umzuändern, wäre vergönnt gewesen. Indessen bleibt ihm doch das Verdienst, dass er darauf bestand: den letzten Probierstein[26] der Zulässigkeit eines Urteils hier wie allerwärts nirgend, als allein in der Vernunft zu suchen, sie mochte nun durch Einsicht oder bloßes Bedürfnis und die Maxime ihrer eigenen Zuträglichkeit in der Wahl ihrer Sätze geleitet werden. Er nannte die Vernunft in ihrem letzteren Gebrauche die gemeine Menschenvernunft; denn dieser ist ihr eigenes Interesse jederzeit zuerst vor Augen, indes man aus dem natürlichen Geleise schon muss getreten sein, um jenes zu vergessen und müßig unter Begriffen in objektiver Rücksicht zu spähen, um bloß sein Wissen, es mag nötig sein oder nicht, zu erweitern.
Da aber der Ausdruck: Ausspruch der gesunden Vernunft, in vorliegender Frage immer noch zweideutig ist und entweder, wie ihn selbst Mendelssohn missverstand, für ein Urteil aus Vernunfteinsicht, oder, wie ihn der Verfasser der Resultate zu nehmen scheint, ein Urteil aus Vernunfteingebung genommen werden kann: so wird nötig sein, dieser Quelle der Beurteilung eine andere Benennung zu geben, und keine ist ihr angemessener, als die eines Vernunftglaubens. Ein jeder Glaube, selbst der historische muss zwar vernünftig sein (denn der letzte Probierstein der Wahrheit ist immer die Vernunft); allein ein Vernunftglaube ist der, welcher sich auf keine andere Data gründet als die, so in der reinen Vernunft enthalten sind. Aller Glaube ist nun ein subjektiv zureichendes, objektiv aber mit Bewusstsein unzureichendes Fürwahrhalten; also wird er dem Wissen entgegengesetzt. Andrerseits, wenn aus objektiven, obzwar mit Bewusstsein unzureichenden, Gründen etwas für wahr gehalten, mithin bloß gemeint wird: so kann dieses Meinen doch durch allmählige Ergänzung in derselben Art von Gründen endlich ein Wissen werden. Dagegen wenn die Gründe des Fürwahrhaltens ihrer Art nach gar nicht objektiv gültig sind, so kann der Glaube durch keinen Gebrauch der Vernunft jemals ein Wissen werden. Der historische Glaube z. B. von dem Tode eines großen Mannes, den einige Briefe berichten, kann ein Wissen werden, wenn die Obrigkeit des Orts denselben, sein Begräbnis, Testament u. s. w. meldet. Dass daher etwas historisch bloß auf Zeugnisse für wahr gehalten, d. i. geglaubt wird, z. B. dass eine Stadt Rom in der Welt sei, und doch derjenige, der niemals da gewesen, sagen kann: ich weiß, und nicht bloß: ich glaube, es existiere ein Rom, das steht ganz wohl beisammen. Dagegen kann der reine Vernunftglaube durch alle natürliche Data der Vernunft und Erfahrung niemals in ein Wissen verwandelt werden, weil der Grund des Fürwahrhaltens hier bloß subjektiv, nämlich ein notwendiges Bedürfnis der Vernunft, ist (und, so lange wir Menschen sind, immer bleiben wird), das Dasein eines höchsten Wesens nur vorauszusetzen, nicht zu demonstrieren. Dieses Bedürfnis der Vernunft zu ihrem sie befriedigenden theoretischen Gebrauche würde nichts anders als reine Vernunfthypothese sein, d. i. eine Meinung, die aus subjektiven Gründen zum Fürwahrhalten zureichend wäre: darum, weil man gegebene Wirkungen zu erklären niemals einen andern als diesen Grund erwarten kann, und die Vernunft doch einen Erklärungsgrund bedarf. Dagegen der Vernunftglaube, der auf dem Bedürfnis ihres Gebrauchs in praktischer Absicht beruht, ein Postulat der Vernunft heißen könnte: nicht als ob es eine Einsicht wäre, welche aller logischen Forderung zur Gewissheit Genüge täte, sondern weil dieses Fürwahrhalten (wenn in dem Menschen alles nur moralisch gut bestellt ist) dem Grade nach keinem Wissen nachsteht{6}, ob es gleich der Art nach davon völlig unterschieden ist.
Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Kompass, wodurch der spekulative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientieren, der Mensch von gemeiner, doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg sowohl in theoretischer als praktischer Absicht dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann; und dieser Vernunftglaube ist es auch, der jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung zum Grunde gelegt werden muss.
Der Begriff von Gott und selbst die Überzeugung von seinem Dasein kann nur allein in der Vernunft angetroffen werden, von ihr allein ausgehen und weder durch Eingebung, noch durch eine erteilte Nachricht von noch so großer Autorität zuerst in uns kommen. Widerfährt mir eine unmittelbare Anschauung von einer solchen Art, als sie mir die Natur, so weit ich sie kenne, gar nicht liefern kann: so muss doch ein Begriff von Gott zur Richtschnur dienen, ob diese Erscheinung auch mit allem dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit erforderlich ist. Ob ich gleich nun gar nicht einsehe, wie es möglich sei, dass irgend eine Erscheinung dasjenige auch nur der Qualität nach darstelle, was sich immer nur denken, niemals aber anschauen lässt: so ist doch wenigstens so viel klar, dass, um nur zu urteilen, ob das Gott sei, was mir erscheint, was auf mein Gefühl innerlich oder äußerlich wirkt, ich ihn an meinen Vernunftbegriff von Gott halten und darnach prüfen müsse, nicht ob er diesem adäquat sei, sondern bloß ob er ihm nicht widerspreche. Eben so: wenn auch bei allem, wodurch er sich mir unmittelbar entdeckte, nichts angetroffen würde, was jenem Begriffe widerspräche: so würde dennoch diese Erscheinung, Anschauung, unmittelbare Offenbarung, oder wie man sonst eine solche Darstellung nennen will, das Dasein eines Wesens niemals beweisen, dessen Begriff (wenn er nicht unsicher bestimmt und daher der Beimischung alles möglichen Wahnes unterworfen werden soll) Unendlichkeit der Größe nach zur Unterscheidung von allem Geschöpfe fordert, welchem Begriffe aber gar keine Erfahrung oder Anschauung adäquat sein, mithin auch niemals das Dasein eines solchen Wesens unzweideutig beweisen kann. Vom Dasein des höchsten Wesens kann also niemand durch irgend eine Anschauung zuerst überzeugt werden; der Vernunftglaube muss vorhergehen, und alsdann könnten allenfalls gewisse Erscheinungen oder Eröffnungen Anlass zur Untersuchung geben, ob wir das, was zu uns spricht oder sich uns darstellt, wohl befugt sind für eine Gottheit zu halten, und nach Befinden jenen Glauben bestätigen.
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Fußnoten
1
»von Natur aus mündig«.
2
d. h. alle Frauen.
3
Despotismus.
4
vernünftig reden, Schlüsse ziehen.
5
gemeint ist Friedrich der Große (vgl. Anm. 11).
6
Mechanismus.
7
lediglich so tun, als ob man vernünftig nachdenkt.
8
eigtl. ein Stein, an dem sich durch Reiben die Güte von Metall (etwa von Gold) bestimmen lässt; hier: die Probe aufs Exempel.
9
auferlegt ist.
10
»Cäsar steht nicht über den Grammatikern« (d. h. er darf diesen nichts vorschreiben).
11
gemeint ist Friedrich der Große (1712–1786), der sich selbst als den ersten Diener seines Staates bezeichnete und Religionsfreiheit verordnete.
12
später.
13
Heuristik: Lehre von den Verfahren zur Problemlösung.
14
Moses Mendelssohn (1729–1786), berühmter Aufklärer und Begründer der Haskala, d. i. eine Bewegung der jüdischen Aufklärung aus den 1770er und 1780er Jahren, die sich bis nach Russland ausbreitete.
15
der sogenannte »Pantheismusstreit« (Pantheismus, zusammengesetzt aus altgr. pān, ›alles‹, und theós, ›Gott‹; nicht der personale christliche Gott als Figur, sondern die Welt als solche wird als Gottheit verehrt). Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) wurde nach seinem Tod im Jahr 1781 von Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) als »Spinozist« bezeichnet, ein Vorwurf, der damals ebenso schwer wog wie der des Atheismus. Im Anschluss kam es zu einem erhitzten Briefwechsel zwischen Jacobi und Mendelssohn. Jacobi veröffentlichte diesen Briefwechsel (in eigener Auswahl) 1785 unter dem Titel Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Die Auseinandersetzung wurde bekannt als »Pantheismusstreit«. Mendelssohn Erwiderung, d. h. seine letzte Schrift bzw. ein kurzer Aufsatz unter dem Titel »An die Freunde Lessings«, wurde 1786 nach dessen Tod publiziert (er hatte das Manuskript am 31. Dezember 1785 noch persönlich zur Druckerei gebracht).
16
wörtl. »Beweisrede in Bezug oder zu dem Menschen«: Argument, das nicht durch Tatsachen, sondern durch Einbeziehung persönlicher Eigenschaften des Gegners sich durchsetzen will.
17
wie etwa in der Obstbaumveredelung, in der Äste qualitativ höherwertiger Pflanzen auf qualitativ minderwertigere Pflanzen aufgepfropft werden, die dann bessere Früchte tragen sollen.
18
Zweck.
19
nach lat. datum, ›das Gegebene‹.
20
etwas auf sich nimmt, auch: sich erdreistet, etwas zu tun.
21
hinausläuft.
22
im Verhältnis zu.
23
unumstößlich, keinen Widerspruch duldend.
24
samt, gemeinsam mit.
25
machte er den Fehler.
26
Stein, um die Güte etwa von Gold oder anderen Metallen zu bestimmen.
Kommentare
1
In den Büsching’schen wöchentlichen Nachrichten vom 13. Sept. lese ich heute den 30sten eben dess. die Anzeige der Berlinischen Monatsschrift von diesem Monat, worin des Herrn Mendelssohn Beantwortung eben derselben Frage angeführt wird. Mir ist sie noch nicht zu Händen gekommen; sonst würde sie die gegenwärtige zurückgehalten haben, die jetzt nur zum Versuche da stehen mag, wiefern der Zufall Einstimmigkeit der Gedanken zuwege bringen könne.
2
Jacobi, Briefe über die Lehre des Spinoza. Breslau 1785. – Jacobi wider Mendelssohns Beschuldigung betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza. Leipzig 1786. – Die Resultate der Jacobischen und Mendelssohnschen Philosophie, kritisch untersucht von einem Freiwilligen. Ebendas.
3
Sich im Denken überhaupt orientieren, heißt also: sich bei der Unzulänglichkeit der objektiven Prinzipien der Vernunft im Fürwahrhalten nach einem subjektiven Prinzip derselben bestimmen.
4
Da die Vernunft zur Möglichkeit aller Dinge Realität als gegeben vorauszusetzen bedarf und die Verschiedenheit der Dinge durch ihnen anhängende Negationen nur als Schranken betrachtet: so sieht sie sich genötigt, eine einzige Möglichkeit, nämlich die des uneingeschränkten Wesens, als ursprünglich zum Grunde zu legen, alle anderen aber als abgeleitet zu betrachten. Da auch die durchgängige Möglichkeit eines jeden Dinges durchaus im Ganzen aller Existenz angetroffen werden muss, wenigstens der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung die Unterscheidung des Möglichen vom Wirklichen unserer Vernunft nur auf solche Art möglich macht: so finden wir einen subjektiven Grund der Notwendigkeit, d. i. ein Bedürfnis unserer Vernunft selbst, aller Möglichkeit das Dasein eines allerrealsten (höchsten) Wesens zum Grunde zu legen. So entspringt nun der Cartesianische Beweis vom Dasein Gottes [der sogenannte ontologische Gottesbeweis, der vom Begriff bzw. der Begriffsbedeutung auf die Existenz Gottes schließt], indem subjektive Gründe etwas für den Gebrauch der Vernunft (der im Grunde immer nur ein Erfahrungsgebrauch bleibt) voraus zu setzen für objektiv – mithin Bedürfnis für Einsicht – gehalten werden. So ist es mit diesem, so ist es mit allen Beweisen des würdigen Mendelssohn in seinen Morgenstunden bewandt. Sie leisten nichts zum Behuf einer Demonstration. Darum sind sie aber keinesweges unnütz. Denn nicht zu erwähnen, welchen schönen Anlass diese überaus scharfsinnigen Entwickelungen der subjektiven Bedingungen des Gebrauchs unserer Vernunft zu der vollständigen Erkenntnis dieses unsers Vermögens geben, als zu welchem Behuf sie bleibende Beispiele sind: so ist das Fürwahrhalten aus subjektiven Gründen des Gebrauchs der Vernunft, wenn uns objektive mangeln und wir dennoch zu urteilen genötigt sind, immer noch von großer Wichtigkeit; nur müssen wir das, was nur abgenötigte Voraussetzung ist, nicht für freie Einsicht ausgeben, um dem Gegner, mit dem wir uns aufs Dogmatisieren eingelassen haben, nicht ohne Not Schwächen darzubieten, deren er sich zu unserem Nachteil bedienen kann. Mendelssohn dachte wohl nicht daran, dass das Dogmatisieren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der gerade Weg zur philosophischen Schwärmerei sei, und dass nur Kritik eben desselben Vernunftvermögens diesem Übel gründlich abhelfen könne. Zwar kann die Disziplin der scholastischen Methode (der Wolffischen [gemeint ist der berühmte Logiker Christian Wolff, 1679–1754] z. B., die er darum auch anriet), da alle Begriffe durch Definitionen bestimmt und alle Schritte durch Grundsätze gerechtfertigt werden müssen, diesen Unfug wirklich eine Zeit lang hemmen, aber keinesweges gänzlich abhalten. Denn mit welchem Rechte will man der Vernunft, der es einmal in jenem Felde seinem eigenen Geständnisse nach so wohl gelungen ist, verwehren, in eben demselben noch weiter zu gehen? und wo ist dann die Grenze, wo sie stehen bleiben muss?
5
Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein und wirkt durch den Erkenntnistrieb das Gefühl des Bedürfnisses. Es ist hiemit, wie mit dem moralischen Gefühl bewandt, welches kein moralisches Gesetz verursacht, denn dieses entspringt gänzlich aus der Vernunft; sondern durch moralische Gesetze, mithin durch die Vernunft verursacht oder gewirkt wird, indem der rege und doch freie Wille bestimmter Gründe bedarf.
6
Zur Festigkeit des Glaubens gehört das Bewusstsein seiner Unveränderlichkeit. Nun kann ich völlig gewiss sein, dass mir niemand den Satz: Es ist ein Gott, werde widerlegen können; denn wo will er diese Einsicht hernehmen? Also ist es mit dem Vernunftglauben nicht so, wie mit dem historischen bewandt, bei dem es immer noch möglich ist, dass Beweise zum Gegenteil aufgefunden würden, und wo man sich immer noch vorbehalten muss, seine Meinung zu ändern, wenn sich unsere Kenntnis der Sachen erweitern sollte.










