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Der transzendentalen Analytik
Z W E I T E SH A U P T S T Ü C K
Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe

E R S T E RA B S C H N I T T
§ 13
Von den Prinzipien einer transzendentalen Deduktion überhaupt
Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was rechtens ist (quid juris), von der, die die Tatsache angeht (quid facti), und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den ersteren, der die Befugnis oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, dieD e d u k t i o n.Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Widerrede und halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir jederzeit die Erfahrung bei der Hand haben, ihre objektive Realität zu beweisen. Es gibt indessen auch usurpierte Begriffe, wie etwaG l ü c k,S c h i c k s a l,die zwar mit fast allgemeiner Nachsicht herumlaufen, aber doch bisweilen durch die Frage: quid juris, in Anspruch genommen werden, da man alsdann wegen der Deduktion derselben in nicht geringe Verlegenheit gerät, indem man keinen deutlichen Rechtsgrund weder aus der Erfahrung noch der Vernunft anführen kann, dadurch die Befugnis ihres Gebrauchs deutlich würde.
Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind, und dieser ihre Befugnis bedarf jederzeit einer Deduktion; weil zu der Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wissen muss, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können, diet r a n s z e n d e n t a l eD e d u k t i o nderselben und unterscheide sie von dere m p i r i s c h e nD e d u k t i o n,welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben worden und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern das Faktum betrifft, wodurch der Besitz entsprungen.
Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, die doch darin miteinander übereinkommen, dass sie beiderseits völlig a priori sich auf Gegenstände beziehen, nämlich die Begriffe des Raumes und der Zeit, als Formen der Sinnlichkeit und die Kategorien, als Begriffe des Verstandes. Von ihnen eine empirische Deduktion versuchen wollen, würde ganz vergebliche Arbeit sein; weil oben darin das Unterscheidende ihrer Natur liegt, dass sie sich auf ihre Gegenstände beziehen, ohne etwas zu deren Vorstellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn also eine Deduktion derselben nötig ist, so wird sie jederzeit transzendental sein müssen.
Indessen kann man von diesen Begriffen, wie von allem Erkenntnis, wo nicht das Prinzipium ihrer Möglichkeit, doch die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen, wo alsdann die Eindrücke der Sinne den ersten Anlass geben, die ganze Erkenntniskraft in Ansehung ihrer zu eröffnen und Erfahrung zustande zu bringen, die zwei sehr ungleichartige Elemente enthält, nämlich eineM a t e r i ezur Erkenntnis aus den Sinnen und eine gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem inneren Quell des reinen Anschauens und Denkens, die, bei Gelegenheit der ersteren, zuerst in Ausübung gebracht werden und Begriffe hervorbringen. Ein solches Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Begriffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen, und man hat es dem berühmtenL o c k ezu verdanken, dass er dazu zuerst den Weg eröffnet hat. Allein eineD e d u k t i o nder reinen Begriffe a priori kommt dadurch niemals zustande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf diesem Wege, weil in Ansehung ihres künftigen Gebrauchs, der von der Erfahrung gänzlich unabhängig sein soll, sie einen ganz anderen Geburtsbrief, als den der Abstimmung von Erfahrungen, müssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte physiologische Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduktion heißen kann, weil sie eine quaestionem facti betrifft, will ich daher die Erklärung desB e s i t z e seiner reinen Erkenntnis nennen. Es ist also klar, dass von diesen allein es eine transzendentale Deduktion und keineswegs eine empirische geben könne, und dass letztere, in Ansehung der reinen Begriffe a priori, nichts als eitle Versuche sind, womit sich nur derjenige beschäftigen kann, welcher die ganz eigentümliche Natur dieser Erkenntnisse nicht begriffen hat.
Ob nun aber gleich die einzige Art einer möglichen Deduktion der reinen Erkenntnis a priori, nämlich die auf dem transzendentalen Wege, eingeräumt wird, so erhellt dadurch doch eben nicht, dass sie so unumgänglich notwendig sei. Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der Zeit vermittelst einer transzendentalen Deduktion zu ihren Quellen verfolgt und ihre objektive Gültigkeit a priori erklärt und bestimmt. Gleichwohl geht die Geometrie ihren sicheren Schritt durch lauter Erkenntnisse a priori, ohne dass sie sich, wegen der reinen und gesetzmäßigen Abkunft ihres Grundbegriffs vom Raume, von der Philosophie einen Beglaubigungsschein erbitten darf. Allein der Gebrauch des Begriffs geht in dieser Wissenschaft auch nur auf die äußere Sinnenwelt, von welcher der Raum die reine Form ihrer Anschauung ist, in welcher also alle geometrische Erkenntnis, weil sie sich auf Anschauung a priori gründet, unmittelbare Evidenz hat, und die Gegenstände durch die Erkenntnis selbst, a priori (der Form nach) in der Anschauung, gegeben werden. Dagegen fängt mit denr e i n e nV e r s t a n d e s b e g r i ff e ndas unumgängliche Bedürfnis an, nicht allein von ihnen selbst, sondern auch vom Raum die transzendentale Deduktion zu suchen, weil, da sie von Gegenständen nicht durch Prädikate der Anschauung und Sinnlichkeit, sondern des reinen Denkens a priori reden, sie sich auf Gegenstände ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit allgemein beziehen, und, sie da sie nicht auf Erfahrung gegründet sind, auch in der Anschauung a priori kein Objekt vorzeigen können, worauf sie vor aller Erfahrung ihre Synthesis gründeten, und daher nicht allein wegen der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht erregen, sondern auch jenenB e g r i f fd e sR a u m e szweideutig machen, dadurch, dass sie ihn über die Bedingungen der sinnlichen Anschauung zu gebrauchen geneigt sind; weshalb auch oben von ihm eine transzendentale Deduktion vonnöten war. So muss denn der Leser von der unumgänglichen Notwendigkeit einer solchen transzendentalen Deduktion, ehe er einen einzigen Schritt im Felde der reinen Vernunft getan hat, überzeugt werden; weil er sonst blind verfährt und nachdem er mannigfaltig umhergeirrt hat, doch wieder zu der Unwissenheit zurückkehren muss, von der er ausgegangen war. Er muss aber auch die unvermeidliche Schwierigkeit zum Voraus deutlich einsehen, damit er nicht über Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief eingehüllt ist, oder über die Wegräumung der Hindernisse zu früh verdrossen werde, weil es darauf ankommt, entweder alle Ansprüche zu Einsichten der reinen Vernunft, als das beliebteste Feld, nämlich dasjenige über die Grenzen aller möglichen Erfahrung hinaus, völlig aufzugeben oder diese kritische Untersuchung zur Vollkommenheit zu bringen.
Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter Mühe begreiflich machen können, wie diese als Erkenntnisse a priori sich gleichwohl auf Gegenstände notwendig beziehen müssen und eine synthetische Erkenntnis derselben, unabhängig von aller Erfahrung, möglich machten. Denn da nur vermittelst solcher reinen Formen der Sinnlichkeit uns ein Gegenstand erscheinen, d. i. ein Objekt der empirischen Anschauung sein kann, so sind Raum und Zeit reine Anschauungen, welche die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände als Erscheinungen a priori enthalten, und die Synthesis in denselben hat objektive Gültigkeit.
Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden, mithin können uns allerdings Gegenstände erscheinen, ohne dass sie sich notwendig auf Funktionen des Verstandes beziehen müssen, und dieser also die Bedingungen derselben a priori enthielte. Daher zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde der Sinnlichkeit nicht antrafen, wie nämlichs u b j e k t i v eB e d i n g u n g e nd e sD e n k e n ssollteno b j e k t i v eG ü l t i g k e i thaben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben; denn ohne Funktionen des Verstandes können allerdings Erscheinungen in der Anschauung gegeben werden. Ich nehme z. B. den Begriff der Ursache, welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf etwas A was ganz verschiedenes B nach einer Regel gesetzt wird. Es ist a priori nicht klar, warum Erscheinungen etwas dergleichen enthalten sollten (denn Erfahrungen kann man nicht zum Beweise anführen, weil die objektive Gültigkeit dieses Begriffs a priori muss dargetan werden können), und es ist daher a priori zweifelhaft, ob ein solcher Begriff nicht etwa gar leer sei und überall unter den Erscheinungen keinen Gegenstand antreffe. Denn dass Gegenstände der sinnlichen Anschauung den im Gemüt a priori liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit gemäß sein müssen, ist daraus klar, weil sie sonst nicht Gegenstände für uns sein würden; dass sie aber auch überdem den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einheit des Denkens bedarf, gemäß sein müssen, davon ist die Schlussfolge nicht so leicht einzusehen. Denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, dass der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände und alles so in Verwirrung läge, dass z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe und also dem Begriffe der Ursache und Wirkung entspräche; so dass dieser Begriff also ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung wäre. Erscheinungen würden nichts desto weniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten, denn die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise.
Gedächte man sich von der Mühsamkeit dieser Untersuchungen dadurch loszuwickeln, dass man sagte: Die Erfahrung böte unablässig Beispiele einer solchen Regelmäßigkeit der Erscheinungen dar, die genügsam Anlass geben, den Begriff der Ursache davon abzusondern, und dadurch zugleich die objektive Gültigkeit eines solchen Begriffs zu bewähren, so bemerkt man nicht, dass auf diese Weise der Begriff der Ursache gar nicht entspringen kann, sondern dass er entweder völlig a priori im Verstande müsse gegründet sein oder als ein bloßes Hirngespinst gänzlich aufgegeben werden müsse. Denn dieser Begriff erfordert durchaus, dass etwas A von der Art sei, dass ein anderes B darausn o t w e n d i gund nach einers c h l e c h t h i na l l g e m e i n e nR e g e lfolge. Erscheinungen geben gar wohl Fälle an die Hand, aus denen eine Regel möglich ist, nach der etwas gewöhnlichermaßen geschieht, aber niemals, dass der Erfolgn o t w e n d i gsei; daher der Synthesis der Ursache und Wirkung auch eine Dignität anhängt, die man gar nicht empirisch ausdrücken kann, nämlich dass die Wirkung nicht bloß zu der Ursache hinzu komme, sondern durch dieselbe gesetzt sei und aus ihr erfolge. Die strenge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induktion keine andere als komparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete Brauchbarkeit bekommen können. Nun würde sich aber der Gebrauch der reinen Verstandsbegriffe gänzlich ändern, wenn man sie nur als empirische Produkte behandeln wollte.
§ 14
Übergang zur transz. Deduktion der Kategorien
Es sind nur zwei Fälle möglich, unter denen synthetische Vorstellungen und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich aufeinander notwendigerweise beziehen, Und gleichsam einander begegnen können. Entweder wenn der Gegenstand die Vorstellung oder diese den Gegenstand allein möglich macht. Ist das erstere, so ist diese Beziehung nur empirisch und die Vorstellung niemals a priori möglich. Und dies ist der Fall mit Erscheinungen in Ansehung dessen, was an ihnen zur Empfindung gehört. Ist aber das zweite, weil Vorstellung an sich selbst (denn von deren Kausalität, vermittelst des Willens, ist hier gar nicht die Rede) ihren Gegenstand demD a s e i nn a c hnicht hervorbringt, so ist doch die Vorstellung in Ansehung des Gegenstandes alsdann a priori bestimmend, wenn durch sie allein es möglich ist, etwasa l se i n e nG e g e n s t a n dz ue r k e n n e n.Es sind aber zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntnis eines Gegenstandes möglich ist, erstlich Anschauung, dadurch derselbe aber nur als Erscheinung, gegeben wird, zweitensB e g r i f f,dadurch ein Gegenstand gedacht wird, der dieser Anschauung entspricht. Es ist aber aus dem Obigen klar, dass die erste Bedingung, nämlich die, unter der allein Gegenstände angeschaut werden können, in der Tat den Objekten der Form nach a priori im Gemüt zum Grunde liege. Mit dieser formalen Bedingung der Sinnlichkeit stimmen also alle Erscheinungen notwendig überein, weil sie nur durch dieselbe erscheinen, d. i. empirisch angeschaut und gegeben werden können. Nun fragt es sich, ob nicht auch Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenngleich nicht angeschaut, dennoch als Gegenstand überhaupt gedacht wird; denn alsdann ist alle empirische Erkenntnis der Gegenstände solchen Begriffen notwendigerweise gemäß, weil ohne deren Voraussetzung nichts alsO b j e k td e rE r f a h r u n gmöglich ist. Nun enthält aber alle Erfahrung außer der Anschauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einenB e g r i f fvon einem Gegenstande, der in der Anschauung gegeben wird oder erscheint: demnach werden Begriffe von Gegenständen überhaupt, als Bedingungen a priori, aller Erfahrungserkenntnis zum Grunde liegen; folglich wird die objektive Gültigkeit der Kategorien, als Begriffe a priori, darauf beruhen, dass durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendiger Weise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann.
Die transz. Deduktion aller Begriffe a priori hat also ein Prinzipium, worauf die ganze Nachforschung gerichtet werden muss, nämlich dieses: dass sie als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrungen erkannt werden müssen (es sei der Anschauung, die in ihr angetroffen wird, oder des Denkens). Begriffe, die den objektiven Grund der Möglichkeit der Erfahrung abgeben, sind eben darum notwendig. Die Entwicklung der Erfahrung aber, worin sie angetroffen werden, ist nicht ihre Deduktion (sondern Illustration), weil sie dabei doch nur zufällig sein würden. Ohne diese ursprüngliche Beziehung auf mögliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstände der Erkenntnis vorkommen, würde die Beziehung derselben auf irgendein Objekt gar nicht begriffen werden können.
Der berühmteL o c k ehatte, aus Ermanglung dieser Betrachtung und weil er reine Begriffe des Verstandes in der Erfahrung antraf, sie auch von der Erfahrung abgeleitet und verfuhr doch soi n k o n s e q u e n t,dass er damit Versuche zu Erkenntnissen wagte, die weit über alle Erfahrungsgrenze hinausgehen.D a v i dH u m eerkannte, um das letztere tun zu können, sei es notwendig, dass diese Begriffe ihren Ursprung a priori haben müssten. Da er sich aber gar nicht erklären konnte, wie es möglich sei, dass der Verstand Begriffe, die an sich im Verstande nicht verbunden sind, doch als im Gegenstande notwendig verbunden denken müsse, und darauf nicht verfiel, dass vielleicht der Verstand durch diese Begriffe selbst Urheber der Erfahrung, worin seine Gegenstände angetroffen werden, sein könne, so leitete er sie, durch Not gedrungen, von der Erfahrung ab (nämlich von einer durch öftere Assoziation in der Erfahrung entsprungenen subjektiven Notwendigkeit, welche zuletzt fälschlich für objektiv gehalten wird, d. i. derG e w o h n h e i t,verfuhr aber hernach sehr konsequent darin, dass er es für unmöglich erklärte, mit diesen Begriffen und den Grundsätzen, die sie veranlassen, über die Erfahrungsgrenze hinauszugehen. Die empirische Ableitung aber, worauf beide verfielen, lässt sich mit der Wirklichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse a priori, die wir haben, nämlich derr e i n e nM a t h e m a t i kunda l l g e m e i n e nN a t u r w i s s e n s c h a f t,nicht vereinigen und wird also durch das Faktum widerlegt.
Der erste dieser beiden berühmten Männer öffnete derS c h w ä r m e r e iTür und Tor, weil die Vernunft, wenn sie einmal Befugnisse auf ihrer Seite hat, sich nicht mehr durch unbestimmte Anpreisungen der Mäßigung in Schranken halten lässt; der zweite ergab sich gänzlich demS k e p t i z i s m u s,da er einmal eine so allgemeine, für Vernunft gehaltene Täuschung unseres Erkenntnisvermögens glaubte entdeckt zu haben. – Wir sind jetzt im Begriffe, einen Versuch zu machen, ob man nicht die menschliche Vernunft zwischen diesen beiden Klippen glücklich durchbringen, ihr bestimmte Grenzen anweisen und dennoch das ganze Feld ihrer zweckmäßigen Tätigkeit für sie geöffnet erhalten könne.
Vorher will ich nur noch dieE r k l ä r u n gder Kategorien voranschikken. Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer derl o g i s c h e nF u n k t i o n e nzu Urteilen als bestimmt angesehen wird. So war die Funktion desk a t e g o r i s c h e nUrteils die des Verhältnisses des Subjekts zum Prädikat, z. B. alle Körper sind teilbar. Allein in Ansehung des bloß logischen Gebrauchs des Verstandes blieb es unbestimmt, welchem von beiden Begriffen die Funktion des Subjekts und welchem die des Prädikats man geben wolle. Denn man kann auch sagen: Einiges Teilbare ist ein Körper. Durch die Kategorie der Substanz aber, wenn ich den Begriff eines Körpers darunter bringe, wird es bestimmt: dass seine empirische Anschauung in der Erfahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse; und so in allen übrigen Kategorien.
Der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Z W E I T E RA B S C H N I T T
Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
§ 15
Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt
Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich, d. i. nichts als Empfänglichkeit ist, und die Form dieser Anschauung kann a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne jedoch etwas anderes als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird. Allein dieV e r b i n d u n g(conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft, und da man diese, zum Unterschiede von der Sinnlichkeit, Verstand nennen muss, so ist alle Verbindung, wir mögen uns ihrer bewusst werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen oder nichtsinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen BenennungS y n t h e s i sbelegen werden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, dass wir uns nichts, als im Objekte verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen dieV e r b i n d u n gdie Einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist. Man wird hier leicht gewahr, dass diese Handlung ursprünglich einig und für alle Verbindung gleichgeltend sein müsse und dass die Auflösung (A n a l y s i s), die ihr Gegenteil zu sein scheint, sie doch jederzeit voraussetze; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nurd u r c hi h nals verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können.
Aber der Begriff der Verbindung führt außer dem Begriffe des Mannigfaltigen und der Synthesis desselben noch den der Einheit desselben bei sich. Verbindung ist Vorstellung ders y n t h e t i s c h e nEinheit des Mannigfaltigen.14 Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, dass sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich. Diese Einheit, die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht, ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit (§ 10); denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen; in diesen aber ist schon Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus. Also müssen wir diese Einheit (als qualitative § 12.) noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält.
§ 16
Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption
Das:I c hd e n k e,muss alle meine Vorstellungen begleitenk ö n n e n;denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebenso viel heißt als: die Vorstellung würde entweder unmöglich oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißtA n s c h a u u n g.Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Aktus derS p o n t a n e i t ä t,d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reineA p p e r z e p t i o n,um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch dieu r s p r ü n g l i c h eA p p e r z e p t i o n,weil sie dasjenige Selbstbewusstsein ist, was, indem es die VorstellungI c hd e n k ehervorbringt, die alle anderen muss begleiten können und in allem Bewusstsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter abgeleitet werden kann. Ich nenne auch die Einheit derselben diet r a n s z e n d e n t a l eEinheit des Selbstbewusstseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewusstsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mir, ihrer gleich nicht als solcher bewusst bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewusstsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. Aus dieser ursprünglichen Verbindung lässt sich vieles folgern.
Nämlich diese durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen und ist nur durch das Bewusstsein dieser Synthesis möglich. Denn das empirische Bewusstsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, dass ich jede Vorstellung mit Bewusstsein begleite, sondern dass ich eine zu der anderenh i n z u s e t z eund mir der Synthesis derselben bewusst bin. Also nur dadurch, dass ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einemB e w u s s t s e i nverbinden kann, ist es möglich, dass ich mir dieI d e n t i t ä td e sB e w u s s t s e i n si nd i e s e nV o r s t e l l u n g e nselbst vorstelle, d. i. diea n a l y t i s c h eEinheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiners y n t h e t i s c h e nmöglich.15 Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebenen Vorstellungen gehören mir insgesamt zu, heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewusstsein oder kann sie wenigstens darin vereinigen; und ob er gleich selbst noch nicht das Bewusstsein derS y n t h e s i sder Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus, d. i. nur dadurch, dass ich das Mannigfaltige derselben in einem Bewusstsein begreifen kann, nenne ich dieselben insgesamt meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewusst bin. Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht. Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntnis ist.