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Es klingt wie ein Knurren, das langsam in ein Fauchen übergeht – ein Geräusch, das mir Schauer über den Rücken jagt!
Ich halte abrupt inne und schaue mich um. Hinter mir stehen nur die geparkten Autos, Stoßstange an Stoßstange, und der Wind wirbelt ein paar Papierschnipsel in die Luft. Trotz der Straßenbeleuchtung ist es recht dunkel, da es hier so gut wie keine Geschäfte gibt, die durch Neonreklame erleuchtet werden.
Wieder dieses Knurren, das dieses Mal in ein Zischen übergeht – und es klingt näher!
Noch nie in meinem Leben habe ich solche Geräusche gehört. Mein erster Gedanke sind herrenlose Hunde, aber so klingen keine Hunde. So klingt einfach gar nichts, was ich kenne.
Als ich meine Schritte in Richtung Parkhaus beschleunige, wird das Knurren lauter, aggressiver. Vor Schreck bleibe ich wieder stehen und blicke mich ängstlich um.
Zu meiner Linken erkenne ich einen großen Parkplatz, auf dem etliche Autos stehen. Er wird nur von einer Straßenlaterne beleuchtet, da die anderen außer Betrieb sind. Hinter jedem dieser Autos könnte sich etwas oder jemand verstecken.
Starr vor Angst versuche ich in der Dunkelheit etwas zu erkennen, da höre ich wieder dieses schaurige Geräusch – grollender, wütender und gefährlicher. Eine eisige Kälte erfasst mich, die nichts mit den Temperaturen zu tun hat, und zieht langsam an meinen Beinen hoch, als wollte sie mich lähmen.
Ich nehme ein Geräusch hinter mir wahr und drehe vorsichtig den Kopf. Mein Atem wird immer flacher. Im Augenwinkel sehe ich einen dunklen Schatten hinter einem der parkenden Autos hervorschleichen, nur um sofort wieder hinter einem Mauervorsprung zu verschwinden.
Das ist definitiv kein Hund, Hunde können nicht aufrecht gehen.
Aber es ist kein richtiges Aufrechtgehen, eher eine gebückte Haltung mit nach vorne hängenden Armen, wie bei Schimpansen. Frei herumlaufende Affen in der Kölner Innenstadt? Noch absurder!
Vom dunklen Parkplatz weht wieder ein Knurren herüber, das in ein schauriges Kreischen übergeht. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, obwohl ich friere, da sehe ich plötzlich ein gelb funkelndes Augenpaar, das sich langsam auf mich zubewegt. Ein Schrei bleibt irgendwo auf dem Weg zu meiner Kehle stecken und meine Beine gehorchen mir nicht mehr.
Paralysiert starre ich auf dieses unheimliche Ding, das immer näher kommt.
Wie viele Meter sind noch zwischen uns? Zwanzig? Fünfzehn?
Ich habe jegliches Gefühl für Zeit oder Entfernung verloren. Dann taucht ein weiteres gelbes Augenpaar auf sowie ein drittes. Es sind keine Schritte zu hören, nur ein seltsames, leises Klackern.
Lauf!, schreit nur noch eine Stimme in mir und endlich reagiert auch mein Körper. Aber als ich mich rühre, registriere ich ein Geräusch hinter mir.
Verdammt! Das Ding hinter dem Mauervorsprung habe ich fast vergessen. Ich schiele zu dem blauen Neonschild des Parkhauses. Es ist eigentlich gar nicht mehr so weit, vielleicht zehn, fünfzehn Meter? Vorsichtig und sehr langsam beginne ich einen Fuß vor den anderen zu setzen, darauf bedacht, keine ruckartigen Bewegungen zu machen. Die Augen dieser Wesen, was auch immer sie sind, folgen mir stetig. Es ist alles so surreal. Panisch krame ich in meiner Handtasche nach der Parkkarte. Es sind jetzt nur noch wenige Schritte bis zur Eingangstür, aber ich höre, wie auch sie näher kommen.
Als ich das Parkhaus endlich erreiche, schiebe ich mit zitternden Händen die Karte durch das Lesegerät und warte, dass das grüne Lämpchen angeht. Aber ich muss sie nicht ordnungsgemäß durchgezogen haben, denn es passiert nichts.
Anja, konzentrier dich, verdammt noch mal!
Nächster Versuch. Das Klackern hinter mir wird lauter.
Das grüne Lämpchen blinkt auf und mit einem leisen Klick geht die schwere Metalltür auf.
Ein wütendes Kreischen erhebt sich hinter mir, und als ich mich umdrehe, schießen vier gelbe Augenpaare aus der Dunkelheit auf mich zu.
Ich schlüpfe durch die Öffnung und reiße panisch an der Klinke, aber es handelt sich um eine Brandschutztür mit einem Dämpfer, der die zufallende Tür abbremst. Etwas Schweres knallt von außen dagegen und erschüttert sie in ihren Grundfesten.
… noch zwanzig Zentimeter …
Vier riesige Krallen schieben sich um den Türrahmen, da fällt sie endlich mit einem dumpfen Knall ins Schloss.
Ein schrilles Kreischen ertönt und ich halte mir taumelnd die Ohren zu. Meine Beine sind kurz davor, zu versagen, als mein Blick auf den Boden fällt.
So etwas passiert nicht im realen Leben! Das ist nur ein Albtraum und ich wache gleich auf!
Vier abgetrennte klauenartige Finger liegen dort und zucken noch. In meinem Kopf beginnt sich alles zu drehen und ich stütze mich an der Wand ab, als mir plötzlich auffällt, dass es wieder still ist. Aber warum? Keine Schmerzensschreie mehr?
Egal, bloß weg hier!
Ich drehe mich um und haste zur Treppe. Taumelnd nehme ich zwei Stufen auf einmal und muss aufpassen, nicht wegzurutschen. Trotz meiner Panik registriere ich, wie muffig es in diesem Gebäude riecht. Die Wände sind mit Graffiti beschmiert und das Licht spärlich, da fast die Hälfte der Neonröhren kaputt ist. Mein kleiner Fiat steht im untersten Parkdeck, auf Ebene drei, und ist vermutlich das letzte Auto um diese Uhrzeit.
Ich überlege fieberhaft, was ich jetzt tun soll.
… noch zwei Parkdecks …
Polizei rufen! Ja, das ist naheliegend, aber was soll ich ihnen sagen? Ich werde von gelben Augen verfolgt? Lächerlich!
… noch ein Parkdeck …
Plötzlich schießt mir durch den Kopf, dass ich die Treppe für die Fußgänger genommen habe. Ob sich bei diesem Parkhaus ein Rollgitter über Nacht senkt?Sind diese Wesen eventuell schon im Gebäude?
Ich versuche meine Gedanken zu ordnen und reiße die Tür zu Parkdeck drei auf – und stolpere direkt auf ein wütendes gelbes Augenpaar zu.
Die hässlichste Fratze, die mir je begegnet ist, blickt mir entgegen, da durchfährt mich auch schon ein stechender Schmerz. Das Ding hat seine Krallen tief in meine Schulter gejagt, reißt mich herum und schleudert mich gegen die Betonwand gegenüber. Schreiend fliege ich durch die Luft und pralle mit einem dumpfen Knall gegen die Mauer. Irgendetwas knackt und für einen kurzen Augenblick wird mir die komplette Luft aus meinen Lungen gepresst. Ich japse wie ein Fisch an Land, dann beginnen sich meine Lungenflügel wieder langsam mit Sauerstoff zu füllen. Vorsichtig setze ich mich auf und lehne mich gegen die Wand. Die Schmerzen sind fast unerträglich, mindestens eine Rippe dürfte gebrochen sein.
Das Licht hier unten ist genauso spärlich wie im Treppenhaus, aber ich sehe genug – und was ich sehe, kann nur einem Albtraum entsprungen sein.
Die vier Wesen haben die aufrechte Haltung aufgegeben und schleichen knurrend auf mich zu. Sie sind groß und ihre grauen Körper sind schwer und massig, trotzdem bewegen sie sich mit einer erstaunlich agilen Eleganz. Ihre Haut wirkt ledern, fast schon panzerartig wie die Haut einer Schildkröte, und sie haben klauenartige Hände und Füße mit immens langen Krallen. Sie sind kahlköpfig und haben lange gelbe Zähne. Ihre Augen glühen vor Hass.
Die Panikattacke, die mich erfasst, lässt sogar die Schmerzen vergessen. In meinem Körper funktioniert nichts mehr, ich kann mich weder bewegen noch schreien.
Drei von ihnen bleiben abrupt stehen, während die größte Bestie, wohl das Alphatier, weiter auf mich zuschleicht. Es sind keine Geräusche zu hören, bis auf die mächtigen Krallen, die auf dem asphaltierten Boden klackern. Das war also das Klackern vorhin gewesen. Nur wenige Zentimeter vor mir bleibt es stehen und fixiert mich mit stechenden Augen. Ein Geruch von Fäulnis weht mir entgegen und ich muss unwillkürlich würgen. Da zischt es plötzlich: „Súrrr.“
Sein Atem stinkt bestialisch. Wieder zischt es mich an: „beszéjj súrrr“, und sein hässlicher Kopf kommt immer näher. Es bleckt seine langen Eckzähne und sein Speichel tropft auf meine Hose. Trotz meiner Panik begreife ich, dass dieses Tier gerade gesprochen hat, und obwohl es beim Reden die Lippen nicht bewegt, kann ich es hören. Es wiederholt diese seltsamen Worte immer wieder, aber ich starre es nur mit offenem Mund an.
Meine Reglosigkeit und mein Unverständnis scheinen es nur wütender zu machen, und es beginnt die Worte regelrecht zu brüllen, zumindest nehme ich es in meinem Kopf so wahr. Heftig atmend drücke ich mich gegen die Wand, als es plötzlich seine Klaue hebt und mit enormer Wucht in die Wand hinter mir niederfahren lässt. Seine Krallen fräsen sich durch die Betonwand wie durch Butter und hinterlassen tiefe Krater. Es schüttelt wild seinen großen, kahlen Kopf, sodass der Speichel nur so in alle Richtungen spritzt, dann nimmt es mich wieder ins Visier. Es flüstert etwas Unverständliches, und obwohl ich es nicht verstehe, weiß ich, dass es etwas Bedrohliches ist. Da bäumt es sich auf und gibt ein widerliches Kreischen von sich. An seinem Blick erkenne ich, dass der Small Talk hiermit beendet ist.
Als es seine riesige Klaue zum zweiten Mal hebt, schließe ich die Augen und bete, es möge nur schnell vorbei sein.
3
Plötzlich ertönt ein röhrender Motor auf einem der oberen Parkdecks und kommt rasch näher.
Ich öffne vorsichtig meine Augen und versuche zu begreifen, warum meine Eingeweide noch nicht verstreut auf dem Boden liegen. Die vier Wesen ducken sich fauchend und wirken für einen Augenblick verwirrt. Der Anführer zischt etwas in dieser seltsamen Sprache und sie verändern ihre Position. Knurrend gehen sie in eine Angriffsformation über und starren in die Richtung, wo der Motor röhrt.
Eine schwarze Harley-Davidson schießt um die Ecke und bleibt mit quietschenden Reifen stehen. Der Fahrer scheint in keinster Weise überrascht zu sein, vier zähnefletschende, gelbäugige Monster anzutreffen. Lauernd steigt er von seinem Motorrad und greift hinter sich, wo er zwei lange, glänzende Schwerter hervorzieht. Surrend dreht er sie in seinen Handgelenken und so etwas wie ein Knurren kommt tief aus seiner Kehle, nur dass es bei ihm fast menschlich klingt. Er ist groß, mit einem athletischen Körperbau, und er trägt eine dieser typischen Motorradlederhosen und die dazu passenden Stiefel. Ansonsten passt aber nichts in das Bild eines typischen Bikers – oder eines normalen Menschen. Er hat lange, dunkle Haare, die teilweise am Hinterkopf verflochten sind, aber auch Stränge seitlich am Kopf. Seine Haut ist etwas dunkler als meine, zumindest sieht es bei diesem Licht so aus, dadurch erinnert er mich ein wenig an einen Indianer auf Büffeljagd. Er trägt eine Art Lederwams und einen Gürtel, der mit Krallen und Zähnen – genau wie die der Bestien – verziert ist.
Trophäen! Ich erschaudere.
Der Fremde stößt einen Kampfschrei aus und springt auf die vier Bestien zu, die nun ebenfalls zum Angriff übergehen. Noch während des Sprungs zieht er seine Schwerter mit unglaublicher Geschwindigkeit durch und landet direkt hinter seinen Gegnern. Ich habe noch nie gesehen, dass jemand – beinahe aus dem Stand – so hoch und weit springen kann, noch nicht einmal bei den Olympischen Spielen.
Er hat zwei von ihnen enthauptet und einer der Köpfe rollt mir direkt vor die Füße. Zwei leere Augen starren mir entgegen und ich bin so gebannt von diesem Anblick, dass ich das restliche Kampfgeschehen nur noch am Rande mitbekomme. Ich höre im Hintergrund das Zischen des Anführers und wie Knochen zerschmettert werden sowie ein paar tierische Laute im Todeskampf. Wenige Sekunden später ist alles vorbei.
Als ich hochblicke, sehe ich, dass eine der Bestien buchstäblich in der Mitte zerteilt ist und zähes, fast schwarzes Blut langsam über den Asphalt fließt.
Der mysteriöse Fremde wischt seine Schwerter an einem der Körper ab und steckt sie wieder zurück in die Lederscheiden. Ich halte die Luft an, als er sich umdreht und mit langen Schritten auf mich zukommt. Er kniet sich zu mir und schaut mich durchdringend an. Trotz der spärlichen Lichtverhältnisse erkenne ich, dass seine Augen tiefgrün sind – die schönsten Augen, die ich je gesehen habe –, aber sein Blick ist hart, beinahe aggressiv.
„Név et hang?“, fragt er mich mit wütender Stimme in einer seltsamen Sprache. Als ich nicht reagiere, wiederholt er seine Frage ungeduldig.
„Bitte – ich verstehe nicht“, wispere ich und traue mich kaum, einen Muskel zu bewegen.
Überrascht zieht er eine Augenbraue hoch und runzelt die Stirn. Dann beugt er sich vor und beginnt an mir zu schnüffeln. Ich blicke ihn irritiert an.
Er betrachtet mich kopfschüttelnd. „Du bist ein Mensch?! … ich meine, ein Erden-Mensch?“, sagt er mit leichtem Akzent und reibt sich verwundert das Kinn. Die Aggressivität ist urplötzlich aus seiner Stimme gewichen, was dazu führt, dass auch seine Gesichtszüge weicher werden.
„Ähm, ja“, antworte ich leise und versuche aus dieser Feststellung schlau zu werden.
Er legt seinen Kopf schief, sodass eine seiner Haarsträhnen verrutscht, da fällt es mir urplötzlich auf. Wie konnte ich das nur übersehen?
Er hat lange, spitze Ohren!
Wie bei Mr. Spock!
Verabschiedet sich mein Verstand jetzt ins Lala-Land?
Seine Frage holt mich wieder zurück.
„Was wollten sie? Haben sie zu dir gesprochen?“
Er schaut mir mit einer Intensität in die Augen, dass ich einen trockenen Mund bekomme.
„Haben sie etwa dich gejagt?“, fragt er stirnrunzelnd, und obwohl seine Stimme ruhig bleibt, ist das Misstrauen klar herauszuhören.
Hatten sie mich gejagt? Offensichtlich! Mein Verstand versucht immer noch die jüngsten Ereignisse zu sortieren und zu verarbeiten.
„Wenn ja, wüsste ich nicht, warum“, antworte ich leise.
„Sie greifen normalerweise keine Erden-Menschen an, das ist ungewöhnlich“, sagt er nachdenklich. „Haben sie etwas zu dir gesagt?“
„Nur unverständliche Worte“, antworte ich wahrheitsgemäß und spüre, wie meine verletzte Schulter zu pochen beginnt. Langsam werde ich der Schmerzen bewusst. Außerdem sitze ich auf dem eiskalten Boden, und vor Kälte sind meine Gelenke schon ganz steif.
„Wie lauteten die Worte?“ Seine Stimme ist nicht laut, aber bedrohlich. Da packt er mich an den Schultern und sagt mit Nachdruck: „Versuche, dich an die Worte zu erinnern!“
„Aaauuu“, schreie ich, als ich den bohrenden Schmerz spüre. Erschrocken lässt er mich los und blickt irritiert auf meine Verletzung. Er stößt geräuschvoll die Luft aus.
„Ich dachte, es wären nur oberflächliche Verletzungen. Bitte vergib mir meine Ignoranz.“
Die Wut und Anspannung, die ich die ganze Zeit in seinen Augen gesehen habe, weichen Mitgefühl und Wärme. Er überlegt kurz, dann zieht er plötzlich ein Messer aus seinem Stiefel und zerschneidet meine Strickjacke in breite Streifen. Ich bin versucht zu protestieren, aber im Grunde weiß ich, was er vorhat.
„Du hast viel Blut verloren“, sagt er in einem milden Tonfall, da packt er den rechten Ärmel meiner Bluse und reißt ihn mit einem Ruck runter.
„Was –“, setze ich an, aber bevor ich weitersprechen kann, höre ich ein weiteres Ratsch, und der andere Ärmel ist ebenfalls abgerissen. Mit ein paar geschickten Handgriffen legt er mir aus den Stofffetzen einen Notverband an. „Du musst dringend in ein Koraláss!“, murmelt er leise.
„Ein was?“
„Ein – wie heißt das in deiner Sprache? Der Ort, wo Menschen Heilung erfahren?“
„Ein Krankenhaus?“
„Ja, ein Krankenhaus“, sagt der Fremde und schaut mich entschuldigend an. „Die Wunde muss gereinigt und genäht werden. Meinst du, dass du fahren kannst?“
Ich nicke benommen. Autofahren – sitzen – ja, das werde ich hinbekommen.
„Kannst du aufstehen?“, fragt er und zum ersten Mal sehe ich so etwas wie echte Besorgnis in seinen Augen.
„Ich denke schon“, antworte ich und will meine Beine anwinkeln, aber sie gehorchen mir nicht. Sie sind in den letzten Minuten eingeschlafen.
„Ich brauche einen Augenblick, meine Beine wollen nicht“, sage ich und versuche, so etwas wie ein entschuldigendes Lächeln hinzubekommen, bringe aber nur eine Grimasse zustande.
Er fährt sich nachdenklich durch die Haare, dann streckt er seine Arme nach mir aus. „Halte dich an mir fest.“ Ich umklammere mit meinem gesunden Arm seinen Hals, während er seine Hände um meine Taille legt und mich vorsichtig hochzieht. Es fühlt sich an wie tausend kleine Nadelstiche, als das Blut wieder in meinen Beinen zu zirkulieren beginnt, aber aus eigener Kraft stehen funktioniert nicht, da sie sofort wieder wegknicken. Sein Griff um meine Taille wird sofort fester und ich werde gegen seine Brust gepresst. Die Schmerzen, die in diesem Augenblick durch meine Schulter jagen, sind so höllisch, dass ich laut aufschreie. Ich spüre deutlich, wie warmes Blut langsam meine Bluse tränkt. Habe ich wirklich gesagt, ich könne fahren? Welcher Teufel hat mich da nur geritten?
Verkrampft halte ich mich an diesem seltsamen Mann fest und kämpfe gegen die Tränen, die sich langsam einen Weg in meine Augen bahnen. Aber ich will aus irgendeinem Grund vor ihm nicht ganz so jämmerlich wirken und beiße die Zähne zusammen.
„Ich nehme an, das dort ist dein Gefährt?“, sagt er plötzlich und deutet auf etwas hinter mir.
„J-ja, das ist meiner“, stammele ich unbeholfen und blicke zu dem kleinen Auto, das einsam und verlassen auf diesem Parkdeck auf mich wartet. Da verliere ich plötzlich den Boden unter den Füßen. Er hat mich auf die Arme gehoben und trägt mich zu meinem Wagen. Behutsam stellt er mich wieder auf die Beine und schaut besorgt an mir herunter. „Kannst du stehen?“, fragt er stirnrunzelnd, als er langsam meine Taille loslässt. Sehr langsam, falls ich doch wieder umkippen sollte. Aber ich bleibe wacklig stehen.
„Danke“, flüstere ich und lehne mich an meinen Wagen. Das Pochen in der Schulter wird immer schlimmer.
„Es wäre vielleicht besser, wir rufen nach einem … Krankenwagen. Du kannst dieses Gefährt in deinem Zustand nicht mehr fahren. Hast du eines dieser mobilen Telefone?“, fragt er und blickt besorgt auf meine Schulter.
„Ja, habe ich, aber ich will keinen Krankenwagen!“, sage ich entschlossen.
Er schaut mich fragend an und ich deute mit meinem Kopf auf die toten Körper.
„Ich habe keine Ahnung, wie ich das erklären soll.“
„Um die musst du dich nicht sorgen, sie werden gleich verschwinden.“
„Was meinst du damit, sie verschwinden?“
„Sie werden wieder zurückgeholt – warte, es geht gleich los, dann wirst du verstehen.“
Er lehnt sich neben mir gegen den Wagen und wir starren eine Weile auf die Leichen, aber es passiert gar nichts.
„Also, ich weiß nicht …“, sage ich skeptisch, da flimmert plötzlich die Luft wie an heißen Sommertagen. Ein mattes Leuchten erscheint aus dem Inneren der Körper und beginnt sie komplett zu umhüllen. Ein Rauschen ist zu hören, das in einem leisen Plopp endet – wie ein Vakuum, das wieder mit Luft gefüllt wird. Dann tritt Stille ein.
Völlig perplex starre ich auf die Stelle, wo die Leiber gerade noch gelegen haben, aber da ist nichts mehr – nicht mal mehr ein Blutfleck ist zu sehen.
„Das ist ja unheimlich! Wo sind sie hin?“, frage ich ungläubig.
„Sie sind zurückgeholt worden“, antwortet der Fremde.
„Wohin zurückgeholt? Wo sind sie denn überhaupt hergekommen? Und wer bist du?“
Er dreht sich zu mir und schaut mich mit einem sonderbaren Blick an. „Du solltest über all das hier mit niemandem sprechen. Was deine Wunde angeht … sag, du bist von einem Hund angefallen worden.“
„Von einem Hund? Ich sehe eher aus …“
Plötzlich hören wir Stimmen auf einem der oberen Parkdecks und mein Retter blickt sich nervös um. „Es wird Zeit für mich zu gehen. Wo sind die Schlüssel deines Gefährts?“
Verwirrt deute ich auf meine Handtasche, die noch an der Betonwand liegt, gegen die ich geprallt bin. Er hebt sie auf und holt die Schlüssel heraus, dann schließt er meinen Wagen auf. In meinem Kopf sprudeln die Fragen fast über, aber mir ist auch schwindelig und ich will mich nur noch hinsetzen. Vorsichtig hilft er mir auf den Fahrersitz. Bei jeder Bewegung habe ich das Gefühl, von Pfeilen durchbohrt zu werden.
„Kann ich dich wirklich so fahren lassen?“, fragt er mit gerunzelter Stirn, als er mir die Schlüssel hinhält.
„Ja, ich schaffe das“, antworte ich und bekomme sogar irgendwie ein krampfhaftes Lächeln zustande.
Er bedenkt mich mit einem seltsamen langen Blick, bevor er mir zunickt und leise weiterspricht: „Ich würde dich gerne selbst in ein Koraláss bringen, aber aus … nun ja, gewissen Gründen ist es besser, wenn ich mit den hiesigen Behörden nicht in Kontakt komme.“
Ich nicke nur stumm.
„Gut! Bitte fahr vorsichtig“, sagt er mit einem so fürsorglichen Lächeln, dass ich erröte. Mit einem leisen Seufzer dreht er sich um und läuft zu seiner Harley. Er schwingt sein Bein darüber und dreht sich noch mal zu mir um. Sein Blick ist eindringlich und auch in seinen Augen stehen Fragen, aber dann gibt er nur noch wortlos Gas und verschwindet innerhalb von Sekunden aus meinem Blickfeld.
Ich blicke auf die Stelle, an der er gerade noch gestanden hat, dann schließe ich meine Augen und lehne mich in meinem Auto zurück.
Alles beginnt sich zu drehen.
Die Fahrertür meines Fiats steht noch offen – ich lehne mich raus und übergebe mich.
4
Die Sonne blendet, als ich meine bleischweren Augenlider öffne. Mein Schädel brummt wie nach einer durchzechten Nacht. Ich reibe mir die schmerzenden Schläfen und versuche mich zu orientieren. Es ist ein heller Raum, mit weißen Gardinen und einem Monet-Druck an der Wand. Ich erkenne einen Infusionsschlauch, der irgendwo in meinem Handgelenk endet. Ich will mich aufrichten, aber ein stechender Schmerz schießt durch meine Schulter und ich sacke zurück ins Kissen. Mein Hals ist trocken und ich habe einen bitteren Geschmack im Mund. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf und blicke mich in meinem Krankenzimmer um. Links von mir steht ein leeres Bett, rechts, auf einem Nachttisch, eine Flasche Wasser und frische Blumen. Unter nicht unerheblichen Schmerzen gieße ich mir ein Glas ein und betrachte stirnrunzelnd die Blumen. Wie lange ich wohl schon hier bin?
Meine Gedanken beginnen zu kreisen und die Erinnerung kommt stückweise zurück.
Ich erinnere mich an das ältere Pärchen, das mich im Wagen fand und den Notdienst alarmierte. Keine zwanzig Minuten später lag ich bereits auf einem dieser fahrbaren Betten und wurde in einen OP geschoben. Ich faselte noch etwas von einem Hundeangriff, da verpasste mir bereits jemand eine Spritze und ich fiel augenblicklich in einen ruhigen und schmerzlosen Schlaf.
Irgendwie versuche ich das Erlebte zu begreifen und lasse alles noch mal Revue passieren. Es begann mit einem harmlosen Essen und endete in einem Albtraum! Grauenvolle Bestien mit gelben Augen haben mich angegriffen – aber solche Tiere gibt es nicht! Im Amazonasgebiet vermutet man noch unentdeckte Tierarten, ebenso in den Tiefen der Ozeane, aber ich lebe in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Wo sind sie so plötzlich hergekommen? Irgendjemandem hätte ihr Auftauchen doch auffallen müssen?
Außerdem löst sich nichts einfach in einem Licht auf. Das widerspricht allen gängigen physikalischen Gesetzen!
Und wer war mein seltsamer Retter? Auf den ersten Blick wirkte er menschlich, aber auf den zweiten Blick konnte er auch sonst was sein. Ich schließe die Augen, um mir sein Gesicht nochmals ins Gedächtnis zu rufen. In meinem Leben habe ich schon einige schöne Männer gesehen, aber ich bin noch nie jemandem begegnet, der eine fast überirdische Ausstrahlung hat.
In meinem Kopf sprudeln die Fragen fast über, und keine Antworten zu erhalten, ist sehr frustrierend.
Die Tür geht auf und eine rundliche Schwester, um die fünfzig, kommt herein. Überrascht schaut sie mich über ihren Brillenrand hinweg an. „Guten Morgen, Frau Horvath“, sagt sie freundlich und tritt an mein Bett.
„Guten Morgen“, antworte ich heiser und will mich aufsetzen. Vorsichtig, aber bestimmt drückt sie mich wieder ins Kissen zurück. „Sie haben schwere Verletzungen erlitten, also bleiben Sie bitte liegen. Dr. Wacek, Ihr behandelnder Arzt, wird im Laufe des Vormittags noch nach Ihnen sehen. Ich bin übrigens Schwester Claudia“, sagt sie lächelnd und schiebt meinen Ärmel hoch, um meinen Blutdruck zu messen.