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»Überlassen Sie das uns, Euer Gnaden«, sagte der Butler.
Er wollte die Frau fortführen, aber sie rief: »Bitte... bitte... man hat mir gesagt... es sei Lord Julius Westrys Kutsche... aber ich bin sicher... das war eine Lüge!«
Der Herzog blickte über die Schulter zurück und fragte scharf: »Wer, sagten Sie?«
»Bitte helfen Sie mir... helfen Sie mir...«
Die Frau begann zu weinen.
»Laßt sie los«, befahl der Herzog.
Als der Butler und der Diener ihm gehorchten, lief die Frau sofort zum Herzog zurück und sagte schluchzend: »Sie wollten... mich... einsperren!«
Der Herzog sah in einiger Entfernung zwei Männer unschlüssig dastehen. Sie hatten die Verfolgung ihres Opfers eingestellt, als sie sahen, mit wem sie sprach.
»Sie haben eben einen Namen erwähnt«, sagte der Herzog ruhig. »Würden Sie ihn bitte noch einmal wiederholen?«
»Lord Julius... Westry... sagte mir, er hätte... eine Arbeit für mich.«
Der Herzog sah sie prüfend an, als wolle er sich überzeugen, daß sie die Wahrheit sagte.
»Kommen Sie mit mir ins Haus. Dort können Sie mir ausführlich erklären, was passiert ist.«
Die junge Frau blickte ängstlich über die Schulter zurück, und als sie die Männer in der Ferne sah, schauderte sie und lief rasch hinter dem Herzog, der bereits die Eingangshalle betreten hatte, die Stufen hoch.
Er legte seinen Mantel, Stock und Zylinder ab und ging durch die Halle.
Sie folgte ihm. Ein Diener öffnete eine Tür, und sie betraten die Bibliothek.
Es war ein großer, eindrucksvoller Raum, dessen Fenster zum Garten hinauslagen.
Die Vorhänge waren geschlossen. Im Kerzenlicht sah sie Bücher in hohen Chippendaleregalen, einen großen Schreibtisch mitten im Raum unter einer gemalten Decke, ein Sofa, sowie zwei Sessel vor dem Kamin.
Der Herzog stellte sich mit dem Rücken zum Kamin, wie es seine Gewohnheit war, und betrachtete seine Besucherin.
Sie war zierlich und sehr jung, und wie er überrascht feststellte, unerwartet reizvoll.
Sie hatte große Augen in einem herzförmigen Gesicht, und ihr Haar unter ihrer unmodernen Haube hatte die Farbe reifen Korns. Die Augen waren nicht blau, sondern, wenn er sich nicht täuschte, grau wie ein Wintersee.
Sie sah ihn ängstlich an, und ihre Miene drückte immer noch Entsetzen aus. Er sah, daß sie zitterte.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte er ruhig.
Als ob seine Stimme ihr Sicherheit geben würde, ging sie anmutig zu einem Sessel und setzte sich auf dessen Rand. Sie faltete die Hände im Schoß.
Ihre Kleidung war altmodisch und aus billigem Stoff, aber geschmackvoll.
Nach dem, was er bisher von ihr gehört hatte, war er sicher, daß sie gebildet war, und sie war charmant.
Er ging zum Getränketablett hinüber, das in einer Ecke stand.
»Sie brauchen nach diesem unangenehmen Erlebnis eine Stärkung«, sagte er. »Trinken Sie lieber Champagner oder Limonade?«
»Ich hätte gern... ein Glas Limonade, wenn es Ihnen recht ist.«
Als der Herzog die Limonade einschenkte, dachte er, daß er dieses Getränk bisher noch keiner Frau in diesem Raum angeboten hatte.
Das Mädchen aber war so jung, daß er annahm, sie würde keinen Alkohol trinken.
»Danke«, sagte sie, als er ihr das Glas reichte.
Er bemerkte, wie ihre Hand zitterte, und bewunderte ihre Selbstbeherrschung.
Da er glaubte, er würde sitzend weniger furchterregend wirken, nahm er ihr gegenüber Platz.
»Nun erzählen Sie mir, was Sie so in Furcht versetzt hat«, sagte er. »Außerdem würde ich gern erfahren, was Lord Julius Westry mit der ganzen Affäre zu tun hat.«
Das Mädchen stellte ihr Glas auf einen Beistelltisch neben ihrem Sessel und faltete die Hände, ehe sie antwortete: »Ich glaube, Sir... ich muß mich zuerst dafür entschuldigen, daß ich mich Ihnen aufgedrängt habe. Aber ich hatte solche Angst, ... und ich konnte an nichts anderes denken als daran, zu fliehen und von der Kutsche wegzulaufen... in die ich an der Poststation in Islington eingestiegen war...«
Der Herzog wußte, daß dort die Postkutschen aus dem Norden eintrafen.
»Ich bin froh, daß ich Ihnen helfen konnte«, erwiderte er ruhig. »Erzählen Sie mir nun genau, was geschehen ist, damit ich sicher sein kann, daß man Sie nicht weiter verfolgt, wenn Sie dieses Haus verlassen.«
Der Herzog sah, wie das Mädchen vor Angst den Atem anhielt.
»Glauben Sie... man wartet auf mich?«
»Wer sind sie?«
»Zwei Männer, ... einer saß auf dem Kutschbock, und der andere war, glaube ich, ein Diener des Hauses, ... in das man mich bringen wollte.«
»Was war das für ein Haus?«
»Ich... ich glaube, es war Hay Hill Nummer 27.«
Der Herzog sah sie scharf an.
»Sind Sie sicher?«
»Als Lord Julius mir schrieb, teilte er mir mit,... daß... eine Kutsche mich in Islington abholen würde... Aber er schrieb mir nicht, ... wohin man mich bringen würde... Erst als ich das Blatt Papier in der Kutsche las, schöpfte ich Verdacht, ...und ich fürchtete mich sehr.«
Der Herzog lächelte.
»Das klingt alles sehr kompliziert. Fangen wir doch von vorne an. Nennen Sie mir zuerst Ihren Namen.«
»Udela Hayward.«
»Und wo wohnten sie bisher, Miss Hayward?«
»Außerhalb von Huntingdon. Mein Vater war der Pfarrer von Little Storton.«
»Sie sagen ,war'. Ist er tot?«
Udela nickte.
»Ja, er ist vor drei Wochen gestorben.«
Tränen traten ihr in die Augen, aber dann fuhr sie tapfer fort: »Nach seinem Tod wurde mir klar, daß ich eine Arbeit finden mußte. Da traf ich zufällig Lord Eldridge.«
»Wo?«
Während sie sprach, sah Udela deutlich den Pfarrhausgarten vor sich, in dem sie fast jede Blume gepflückt hatte, um sie auf den Friedhof zu bringen.
Ihr Vater hatte Blumen geliebt, und sie redete sich ein, daß er und ihre Mutter vielleicht vom Himmel herabblickten und zusahen, wie sie die Blumen auf ihren Gräbern verteilte.
Sie pflückte auch die Rosenknospen vom Lieblingsstrauch ihrer Mutter und sagte sich, sie würden einen leuchtend rosaroten Fleck bilden, der sie immer an ihre Mutter erinnerte.
Es war die Farbe des Glücks, dachte Udela, des Glücks, das entschwunden war, als zuerst ihre Mutter starb, und nun auch ihr Vater sie verlassen hatte.
Als sie die staubige Straße entlangging, die vom Pfarrhaus zum Friedhof führte, sah sie zwei Reiter auf sich zukommen. Ihr fiel auf, daß die Pferde besonders edel waren. Ihr Vater hatte sie gelehrt, die Vorzüge eines Pferdes richtig einzuschätzen. Und er hatte ihr auch das Reiten beigebracht.
Udela hatte niemals die Möglichkeit gehabt, so edle Pferde zu reiten, wie die des Herzogs.
Erst als sie auf gleicher Höhe mit ihnen war, bemerkte sie, daß einer der Reiter der junge Lord Eldridge war, den ihr Vater verachtet hatte.
Sie machte einen höflichen Knicks, und er hielt sein Pferd an und sagte: »Guten Morgen, Miss Hayward. Es tut mir leid, daß Ihr Vater gestorben ist.«
»Es geschah ganz plötzlich, Mylord.«
»Mein Verwalter sagt, daß ich einen Ersatz für ihn brauche«, fuhr Lord Eldridge fort, »aber Sie können sich ruhig Zeit lassen und vorläufig noch im Pfarrhaus wohnen bleiben.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wo ich hingehen könnte.«
»Sie haben doch sicher Verwandte, nehme ich an?« fragte Lord Eldridge leichthin.
Er hatte ein unangenehmes rotes Gesicht.
Er hatte seinen Vater enttäuscht, denn man hatte ihn aus Oxford hinausgeworfen. Sein einziger Ehrgeiz schien es zu sein, Geld für ein ausschweifendes Leben auszugeben.
Sobald er den Titel geerbt hatte, hatten seine Vergnügungen im Eldridge Park das ganze Dorf schockiert. Und Udela war nicht überrascht gewesen, daß der Kirchenstuhl der Eldridges Sonntag um Sonntag leer blieb.
Aber jetzt war Lord Eldridge freundlich zu ihr, und sie sagte dankbar: »Nein, ich habe keine Verwandten, zu denen ich gehen könnte. Aber ich werde mir so rasch wie möglich eine Arbeit suchen, wenn ich das Pfarrhaus in Ordnung gebracht habe.«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte er.
Lord Eldridge wollte weiterreiten, aber sein Begleiter sagte: »Stelle mich der jungen, hübschen Dame vor, Edward. Vielleicht kann ich ihr helfen.«
Lord Eldridge sah ihn überrascht an und sagte dann: »Miss Hayward, darf ich Ihnen Lord Julius Westry vorstellen, der Ihre Bekanntschaft zu machen wünscht.«
Udela machte wieder einen Knicks, und Lord Julius stieg zur Überraschung seines Freundes vom Pferd und ging zu Udela hinüber.
»Ich habe Sie sagen hören, daß Sie eine Arbeit suchen, Miss Hayward. Haben Sie etwas Besonderes im Sinn?«
»Nein, Mylord«, erwiderte Udela. »Vielleicht könnte ich als Gouvernante tätig sein, ... ich habe Kinder sehr gern...«
»Sie sind für so einen Posten viel zu jung«, bemerkte Lord Julius. »Wie alt sind Sie?«
»Ich bin achtzehn Jahre alt, Mylord.«
Als sie sprach, sah sie ihn an und fand, daß er ihr nicht gefiel.
Er war groß und breitschultrig, aber seine Augen standen zu dicht beieinander und waren hart. Das gab seinem Gesicht einen furchterregenden Ausdruck.
»Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, sagte er. »Nehmen Sie keine feste Stellung an, bis Sie von mir hören.«
Er musterte sie kurz, und zwar nicht nur ihr Gesicht, sondern ihren ganzen Körper, was sie unbehaglich bemerkte.
Ihr wurde plötzlich bewußt, daß ihr Baumwollkleid, das sie schon seit einigen Jahren trug, ihre Figur abzeichnete, und während Lord Julius sie musterte, spürte sie, wie ihr die Farbe in die Wangen stieg.
»Vielen Dank, Mylord«, sagte sie.
»Warten Sie auf eine Nachricht von mir«, sagte er, und es klang wie ein Befehl.
Udela machte einen Knicks vor ihm, und dann noch einen vor Lord Eldridge.
Als sie mit ihren Blumen den Weg zum Friedhof entlangging, empfand sie plötzlich ein unerklärliches Bedürfnis zu laufen und immer weiter wegzulaufen, das sie sich nicht erklären konnte.
Da Lord Julius ihr befohlen hatte, auf seine Nachricht zu warten, hatte sie nicht, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte, an ein Arbeitsvermittlungsbüro geschrieben, das es ihres Wissens in Huntingdon gab.
Sie war sich nicht im Klaren darüber, was sie hätte schreiben sollen oder in welcher Eigenschaft sie sich hätte bewerben können.
Wie sie nur zu gut wußte, gab es für sie zwei Beschäftigungen, entweder als Gouvernante oder als Gesellschaftsdame tätig zu sein, und sie hatte das unbehagliche Gefühl, daß Lord Julius recht gehabt hatte, als er sagte, sie wäre für die Arbeit als Gouvernante viel zu jung.
Ich könnte ganz kleine Kinder betreuen, dachte Udela.
Als sie sich im Spiegel betrachtete, wünschte sie, sie würde älter aussehen.
Sie hatte Angst vor der Zukunft, aber sie hätte sich noch mehr gefürchtet, wenn sie das Gespräch zwischen Lord Julius und Lord Eldridge mitangehört hätte.
»Ich hätte nie gedacht, Edward, eine solche Schönheit hier in deinem Dorf zu finden«, sagte Lord Julius, als sie die staubige Straße entlangritten.
»Sie ist sehr hübsch«, gab Lord Eldridge zu.
»Hübsch!« rief Lord Julius. »Wenn sie gut gekleidet ist, und Mutter Crawley weiß, wie man die Mädchen anzieht, wird sie eine Sensation in London sein!«
»Das hast du also mit ihr vor!« rief Lord Eldridge.
»Natürlich!« erwiderte Lord Julius. »Ich bin immer auf der Suche nach geeignetem Material, aber ich ziehe nicht oft das große Los, wie ich es heute morgen getan habe.«
Sie ritten einige Minuten schweigend weiter.
Dann sagte Lord Eldridge: »Das arme kleine Ding! Sie tut mir leid. Aber ich glaube, es gibt keine andere Beschäftigung für sie.«
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