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Rahmenbedingungen einer neuen Arbeitswelt
Wandel und Veränderungen im Unternehmen erfordern, dass Mitarbeitende über immer wieder neue Kompetenzen verfügen. Dazu kommt, dass zunehmend unabhängig von Zeit und Ort gearbeitet wird. Dies ermöglicht es, Arbeit und Freizeit flexibel einzuteilen. Die neue Beweglichkeit nimmt zu und kann sehr motivierend sein. Auch neue Arbeitsmethoden schaffen Abwechslung im Arbeitsleben. Der Trend geht zurzeit in Richtung einer Zunahme von temporärer und projektbezogener Arbeit, die manchmal auf virtuellen Jobbörsen angeboten wird. Dies führt zu mehr «Patchwork»-Tätigkeitsprofilen, die herausfordernd sind, aber auch neue Entwicklungschancen bieten. Die Sharing Economy hält Einzug in Unternehmen, das heißt, verschiedene Arbeitsbereiche «teilen» sich ihre Mitarbeitenden. Und immer öfter werden Mitarbeitende, die über gesuchte spezifische Kompetenzen verfügen, auf internen oder externen Marktplätzen gefunden. Als zukunftssichere Kompetenzen gelten Kreativität und soziale Fähigkeiten. Dies zum einen, weil sie für die Ausübung vieler Aufgaben der Zukunft notwendig sein werden, und zum anderen, weil kreative Menschen mit sozialen Fähigkeiten gegenüber Maschinen im Vorteil sind beziehungsweise weil ihre Arbeit durch die zunehmende Automation nicht bedroht ist.
Die durch die Digitalisierung geforderte Flexibilität und Geschwindigkeit bezieht sich nicht nur auf technologische Entwicklungen, sie bedingt auch ein Umdenken in der Führungs- und Unternehmenskultur. Technische Neuerungen im Unternehmen allein nützen wenig, wenn nicht ein konkreter Bedarf damit verbunden ist. Technischer Fortschritt, der nur zu Spielereien führt, wird von Mitarbeitenden häufig kaum akzeptiert. Für sie zählt, wie sie sich selbst einbringen können, und dies muss in einer offenen, transparenten und partizipativen Unternehmenskultur kommuniziert werden.
Flexibles Arbeiten ist bei Swisscom ein großes Thema; Arbeitsformen wie Work-Anywhere, Homeoffice oder Teilzeitpensen sind weit verbreitet, und Mitarbeitende haben Anspruch auf bis zu fünf Weiterbildungstage im Jahr. Die flexible Arbeitszeitregelung ermöglicht es, die Bereiche Arbeit, Haushalt und Familie, Freizeit und Bildung besser zu kombinieren. Mutter- und Vaterschaftsurlaub sind familienfreundliche Angebote, die für viele das Weiterlernen und Weiterarbeiten vereinfachen oder überhaupt erst möglich machen.
Aus- und Weiterbildungen haben grundsätzlich einen hohen Stellenwert im Unternehmen und werden von vielen Mitarbeitenden in Anspruch genommen, wobei sowohl in formalen als auch in nonformalen und informellen Zusammenhängen gelernt wird. Sich kontinuierlich weiterzubilden, ist eine wichtige Voraussetzung, um im Denken und Handeln beweglich zu bleiben.
Ein Mehr an Bewegungsspielraum – agile Transformation
Agilität ist nicht nur ein aktuelles Schlagwort, sie ist auch gelebte Realität bei Swisscom. Denn hier wird schon seit einiger Zeit in unterschiedlichen Bereichen mit sogenannten agilen Arbeitsmethoden wie zum Beispiel Holokratie[9] oder Scaled Agile Framework (SAFe) gearbeitet.[10] Ganz einfach war und ist das allerdings nicht. Vorwissen dazu, was Agilität meint, führt noch nicht zu einer neuen Beweglichkeit in der Organisation. Auch die reine Einführung agiler Prozesse oder agiler Methoden bedeuten noch lange keine agile Transformation. Diese braucht vor allem eine Veränderung von Einstellungen und Überzeugungen; dem Mindset sozusagen, und das fängt beim Management an:
«Agile processes and agile transformation are not the same thing. Agile processes are the ‹doing› side of the equation. Agile transformation has to do with mindsets, the ‹being› side of the equation. Agile transformation only takes root if the managers embody agile values in their own conduct.»[11]
Wenn ein Unternehmen eine agile Transformation starten will, muss unbedingt eine Veränderung auf der Werteebene passieren. Dies betrifft alle Mitarbeitenden auf allen Funktionsstufen und bedeutet einen Paradigmenwechsel, der grundlegende Konsequenzen in der Aufbau- und Ablauforganisation haben kann. Die Führungskräfte übernehmen in einer agilen Transformation eine besonders wichtige Rolle, da ihre Entscheidungen ausschlaggebend dafür sind, ob die Transformation erfolgreich verläuft oder nicht. Die Vision des Unternehmens weist in die gewünschte Richtung und leitet es in seiner Entwicklung. Sie muss von allen oder zumindest einer Mehrheit der Führungskräfte und Mitarbeitenden geteilt werden. Mangelnde Klarheit in der Kommunikation und im Vorleben dieser Vision kann zu einer gescheiterten Transformation innerhalb einer Organisation beitragen.[12]
Die Fähigkeit zur Agilität ist besonders in einem dynamischen und komplexen Umfeld wichtig und wirksam. Sie ist notwendig, weil die Entwicklungen auf den Märkten, beispielsweise hinsichtlich neuer Softwarelösungen, nicht vorhersehbar sind. Eine hohe Flexibilität im Umgang mit Neuerungen und Veränderungen ist die beste Antwort auf die zunehmende Komplexität. Umfangreich aufgebautes Wissen ist in vielen Situationen weniger nützlich als die Offenheit für Neues und eine entsprechende Anpassung des eigenen Handelns. Das fordert viel ein, ist aber auch bereichernd. Die Zeiten eng gesetzter Grenzen hinsichtlich der Art und Weise, wie gearbeitet und gelernt wird, sind vorbei. Vieles ist offen, kann ausprobiert und neu ausgehandelt werden. Veränderung heißt, Gegebenes nicht als gesetzt zu betrachten, sondern kritisch zu hinterfragen; so hört das Lernen nie auf. Auch Lernende können neue Dinge ausprobieren, neue Wege gehen und sich auf diese Weise weiterentwickeln, wobei sie jedoch auch Unterstützung und angemessenes Feedback brauchen.
Die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Serviceleistungen führt zu verkürzten Produkt- und Technologie-Lebenszyklen. Neue Mitbewerberinnen und -bewerber fordern im heutigen komplexen und zunehmend globalisierten Markt große Unternehmen wie Swisscom heraus. Häufig sind gerade kleine Start-ups mit einer anderen Kostenstruktur besonders flexibel und hoch innovativ. Für Swisscom stellt sich deshalb aktuell die Frage, wie das bisher bewährte Organisationsmodell und vorherrschende Arbeitsweisen weiterentwickelt und angepasst werden müssen. Die klassische Aufteilung in fachlich spezialisierte Bereiche war für sich langsamer verändernde Märkte und eine hohe Stabilität des Umfelds gut geeignet. Mit den Disruptionen der heutigen Zeit werden agile Arbeitsmethoden und eine an Veränderungen anpassbare Unternehmensstruktur wichtig. Bei Swisscom gehören zur Agilität immer zwei Betrachtungsweisen – Being Agile und Doing Agile.
Agilität bei Swisscom
• «Being Agile ist eine Haltung und Denkweise, die jeder Einzelne von uns einnehmen kann. Dies basiert vor allem auf Werten und Prinzipien, die das Handeln leiten.»
• «Doing Agile ist die praktische Anwendung von bestimmten Arbeitsweisen, Methoden oder Organisationsformen, die für den jeweiligen Kontext passend gestaltet werden müssen.»[13]
Nur eine Kombination beider Komponenten maximiert die unternehmerische Wirkung von Agilität, die isolierte Betrachtung eines Bereichs genügt nicht. Vielmehr wirkt Agilität ganzheitlich und in aller Regel auf das gesamte Ökosystem des Unternehmens, auch auf Schnittstellen und Querschnittsfunktionen wie Controlling oder Human Resource Management (HRM).
Fit bleiben – für das Unternehmen und den Arbeitsmarkt
Wir haben bisher beschrieben, wie Swisscom mit der Digitalisierung und der generell rasanten technologischen Entwicklung herausgefordert ist. Wechselnde Kundenerwartungen und ein verschärfter Wettbewerb in gesättigten Märkten fordern das Unternehmen besonders heraus. Wachstum ist unter diesen Bedingungen nur noch sehr eingeschränkt möglich und erfordert vor allem eine kooperative Zusammenarbeit aller Abteilungen. Ein Silodenken, innerhalb einzelner Abteilungen oder Teams ist da nicht förderlich und kann mit den richtigen Organisationsformen und Arbeitsweisen überwunden werden (Doing Agile). Wichtig ist, über den Tellerrand dessen, womit man gerade beschäftigt ist, hinauszuschauen. Denn Swisscom hat nur als gesamtes Unternehmen Erfolg, und genau deshalb ist es so wichtig, eine Unternehmenskultur der vernetzten Zusammenarbeit zu fördern.
Being Agile symbolisiert das Selbstverständnis, dass alle Mitarbeitenden sich regelmäßig mit ihrer Employability auseinandersetzen und ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung eigeninitiativ und eigenverantwortlich vorantreiben. Employability heißt lebenslange Arbeitsmarktfitness, also der Erhalt der eigenen Leistungsfähigkeit, was regelmäßiges Weiterlernen erfordert. Wichtig ist, selbst herauszufinden, was in Zukunft gebraucht wird und wie das zu den eigenen Fähigkeiten und Interessen passt. Dazu gehört eine kritische Prüfung dessen, was man noch nicht kann, und der Anforderungen im eigenen und auch in anderen Unternehmen. Lerne und bilde dich weiter; jeden Tag; ein Leben lang!
Aber was können Mitarbeitende tun, wenn sich Lernen nicht so einfach in den komplexen und schnelllebigen Swisscom-Alltag integrieren lässt? Die 2019 neu geschaffene One Swisscom Academy unterstützt die Mitarbeitenden dabei. Gemäß ihrer Vision «Gemeinsam besser werden – jeden Tag!» hat sie sich zum Ziel gesetzt, die Idee der lernenden Organisation kontinuierlich weiterzuentwickeln, damit das Weiterlernen im Beruf zur Selbstverständlichkeit wird. Mit individueller Beratung und Unterstützung zu den Themen «interne und externe Aus- und Weiterbildung», «berufliche Weiterentwicklung» und «neue Lernformate» (z. B. Tutorials, Webinare usw.) unterstützt sie die eigenverantwortliche Entwicklung der Mitarbeitenden.
Mitarbeitende lernen grundsätzlich jeden Tag, im Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen, on the job und heute oft mit dem Einsatz von digitalen Tools. In diesem Zusammenhang wird bereits deutlich, dass eine der wichtigsten Fähigkeiten in der digitalen Welt darin besteht, sich die notwendigen Ressourcen (Wissen, Erfahrungen, Kompetenzen) anzueignen; sei es auf Plattformen wie LinkedIn Learning, Google oder Speexx, sei es bei der Kollegin im Büro nebenan oder in einer Online-Community. Das ist modernes Lernen im Sinne einer «Hilfe zur Selbsthilfe» und eine der originären Grundüberzeugungen im Berufsbildungsmodell von Swisscom.
2 Berufsbildung bei Swisscom
Berufsbildung unter neuen Bedingungen – die richtigen Skills sind gefragt
Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung verändert die Arbeitswelt grundlegend. Neue Berufe entstehen, bestehende verändern sich oder verschwinden. Das Tempo der Veränderungen verlangt von Unternehmen einen flexibleren Umgang mit Kompetenzen; agile und flexible Arbeitsformen nehmen zu. Um die richtigen Mitarbeitenden mit den richtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten (Skills) für die richtigen Positionen zu gewinnen, setzen immer mehr Unternehmen auf eine strategische Personalplanung. So können sie künftig relevante Skills rechtzeitig eruieren. Jede und jeder Einzelne muss lernen, mit der Unsicherheit, der Geschwindigkeit der Veränderungen und dem Druck, der aus der Notwendigkeit zur Anpassung entsteht, konstruktiv umzugehen. Persönliche und berufliche Flexibilität, Offenheit für Neues, initiatives und eigenverantwortliches, lebenslanges Lernen, Weiterentwicklung und das Investieren in die eigene Employability werden überlebenswichtig. Während in einigen Bereichen, beispielsweise im Verkauf, künftig voraussichtlich weniger Mitarbeitende benötigt werden, zeichnet sich insbesondere im ICT-Bereich ein deutlicher Fachkräftemangel ab. Hochbegehrte Spezialisten und Spezialistinnen können sich dementsprechend zunehmend ihre Arbeitgebenden aussuchen und hohe Ansprüche an Gehalt und Arbeitsbedingungen stellen.
Diese Ausgangslage hat unmittelbare Auswirkungen auf die Berufsbildung. Gerade junge Menschen sind oft selbstbestimmt und suchen sich ihre Arbeitgeberin oder ihren Arbeitgeber entlang ihrer subjektiven Vorteile aus, wie etwa Spaß an der Arbeit, angenehmes Arbeitsumfeld, sinnvolle Tätigkeiten, flexible Arbeitszeiten sowie mögliche Weiterbildungs- und Entwicklungspfade. Nur wer sich in Bezug auf diese Kriterien als attraktiver Arbeitgeber oder innovative Arbeitgeberin positionieren kann, wird die «besten» Mitarbeitenden der Zukunft gewinnen. In Anbetracht der demografischen Entwicklung und des zunehmend globalen Wettbewerbs tun Unternehmen gut daran, sich attraktiv auf dem Markt für talentierte Mitarbeitende zu positionieren. Wohl noch entscheidender als früher ist dabei, dass die Selbstdarstellung der Unternehmen stets authentisch und wahrheitsgetreu ist. Falls nämlich die im Rahmen des Employer-Branding (Arbeitgebermarkenbildung) angepriesenen und versprochenen Voraussetzungen mit der effektiven Realität im Unternehmen nicht übereinstimmen, wird dieser Mismatch von jungen Leuten schnell erkannt. Für die Zukunftssicherung der Unternehmen ist es entscheidend, früh zu rekrutieren und attraktiv zu werben, um die richtigen Mitarbeitenden in der heranwachsenden «Next Generation» zu begeistern und für eine Ausbildung zu gewinnen. Der frühe Fokus auf talentierte junge Leute ist zudem wichtig, weil sie künftig zum Unternehmenserfolg beitragen werden, und dies beginnt häufig schon im Rahmen ihrer Berufsausbildung.[14]
Vor allem die Bereitschaft, sich vielfältig weiterzuentwickeln, weist oft auf Lernende hin, die flexibel und erfolgreich mit Veränderungen umgehen können. Nicht alle Potenziale der Lernenden sind von Anfang an erkennbar. Bereits im Bewerbungsgespräch kann jedoch herausgefunden werden, für welche Themen oder welche Art von Arbeit Interesse besteht und «wo das Herz besonders schlägt». Herzblut, Engagement, Neugier und ein echtes Commitment zum Lernen sind dabei oft viel entscheidender als (Fach-)Kompetenzen; ganz im Sinne von «Hire mindset, develop skills!».
Die Neupositionierung der Berufsbildung – ein Rückblick
In den 1980er- und 90er-Jahren funktionierte die Berufsbildung bei Swisscom noch ziemlich anders. Lehrlinge wurden entsprechend ihrem gewählten Beruf einem Einsatzplatz zugewiesen und von dem zuständigen Lehrmeister oder der zuständigen Lehrmeisterin ausgebildet. Unter den neuen, oben beschriebenen Entwicklungen wurde um die Jahrhundertwende klar, dass die Berufsbildung sich verändern musste Im Jahr 2001 setzten sich wichtige Akteure zusammen, darunter das damalige Führungsteam der Berufsbildung Swisscom, und entwickelten ihr Konzept für die Aus- und Weiterbildung neu.
Diese Treiber waren ausschlaggebend für die Neupositionierung von Swisscom
• Die Entwicklung der Unternehmung in Richtung einer lernenden Organisation.
• Die Wahrnehmung der Bedeutung des Wissensmanagements.
• Die Ausrichtung der Mitarbeiterqualifikation auf die sogenannte Employability, das heißt die Verbesserung der Fähigkeit eines Individuums, sich autonom und chancenreich auf dem Arbeitsmarkt zu bewegen.
Eine zentrale Schlussfolgerung dieser Analyse war, dass die Neuausrichtung der Berufsbildung Swisscom sich nicht auf die Optimierung des bestehenden Systems beschränken konnte. Das neue Grundkonzept sollte gleichsam von einer Vision der künftigen Berufsausbildung geprägt sein und eine Wegweiserfunktion haben. Im Kern dieser Vision standen einerseits das Individuum als «lernender Mensch» mit einer weitgehenden Selbstständigkeit und Selbstverantwortung und andererseits die pädagogische Sichtweise auf das Lernen als aktiven und konstruktiven Vorgang. Die Machbarkeit und Praxistauglichkeit eines neuen, innovativen und Erfolg versprechenden Modells musste erprobt und nachgewiesen werden. Deshalb wurde ein Pilotversuch für das künftige System durchgeführt, bei dem besonders drei grundlegende Ansätze verfolgt werden sollten.
Zentrale Elemente des neuen Ausbildungsmodells
• Individualisierung der Ausbildung
• Lernbegleitung
• Projektlernen
Vom 21. März 2003 bis zum 26. März 2004 wurde ein Pilotversuch mit 45 freiwilligen Lernenden durchgeführt, der von der Università della Svizzera italiana wissenschaftlich begleitet wurde. Nach der positiven Einschätzung im Schlussbericht sprach sich die Konzernleitung auf Antrag der Berufsbildung Swisscom für das vorgeschlagene Ausbildungssystem und für dessen flächendeckende Einführung per August 2004 aus. Nach dem Entscheid wurden ab Sommer 2004 die bereits erlangten sowie alle neuen Erkenntnisse aus der praktischen Umsetzung kontinuierlich festgehalten, reflektiert und weiterentwickelt.[15]
Welche Werte, Einstellungen und Überzeugungen dem neuen Berufsbildungsmodell zugrunde liegen und wie sich das Modell praktisch umsetzen lässt, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.
Ich will! – Intrinsische Motivation als Grundlage
Eine lebenslange Anstellung wird seltener werden, ebenso wie das Verweilen im einmal gelernten Beruf. Berufsbilder verändern sich. Entwicklungen der Technologien und Märkte lassen Berufe verschwinden und schaffen gleichzeitig andere, neue berufliche Möglichkeiten. An die Stelle der rein fachlich ausgerichteten Berufslehre tritt ein ganzheitlicher Ansatz der Persönlichkeitsentwicklung. Dies bedingt ein völlig neues Rollenverständnis der am Berufsbildungsprozess Beteiligten. Die Lernenden planen und steuern ihren Ausbildungsplan weitgehend selbst. Dabei erwerben sie auch die Fähigkeit, ein Ziel zu beschreiben, dieses zu kommunizieren und die Handlungsweisen danach auszurichten. Die Berufsbildung Swisscom spricht dementsprechend junge initiative Menschen an, die bereits während der Schulzeit ein gewisses Maß an Selbstständigkeit entwickelt haben. Der Gedanke der Eigenverantwortung ist ihnen nicht fremd, weil sie ihr Leben und damit auch ihre berufliche Entwicklung nach eigenen Vorstellungen gestalten möchten. Sie sind offen, engagiert, neugierig und kommunikativ. Und sie möchten bei der Festlegung ihrer Ziele mitreden, können aber auch zuhören und sind in der Lage, sich anzupassen und in ein Team einzufügen. Ihr Credo ist nicht «Ich muss», sondern «Ich will». Aus dieser Einstellung schöpfen sie die Motivation, ihr Bestes zu geben.
Wie wir lernen, was wir können – Kompetenzentwicklung und Lernbegleitung
Der Wissenschaftstheoretiker John Erpenbeck und der Psychologe Lutz von Rosenstiel vertreten die Auffassung, dass es kein einheitliches Begriffsverständnis von Kompetenz gibt.[16] Gemäß den Autoren wäre es aber auch verfehlt, auf ein einheitliches Verständnis im Sinne verbindlicher Charakterisierungen und Messverfahren zu hoffen, da die Phänomene, auf die der Begriff verweist, zu komplex und die Gebiete, in denen er Bedeutung gewinnt, zu vielfältig sind. Wenn wir Menschen zum Beispiel bei der Programmierung einer Website oder bei der Präsentation einer Auswertungsstatistik beobachten, sehen wir nicht die Kompetenz. Es ist das Agieren und Zeigen von Kompetenz in der Situation, die Performanz. Damit ein Individuum seine «Performance» überhaupt erbringen kann, muss es aber auf Ressourcen zurückgreifen können. Kompetenzen werden aus Ressourcen entwickelt und in konkreten Situationen als Performanz unter Beweis gestellt. Dabei ist Kompetenz aber nicht einfach die Ansammlung von Ressourcen, sondern deren Kombination in der jeweiligen Situation. Es kommt nicht nur darauf an, ob ein Mensch auf seine Ressourcen zurückgreifen kann, sondern ob er auch darauf zurückgreifen will. Dementsprechend sind Ziele, persönliche Bedürfnisse, Werthaltungen oder persönliche Einstellungen (z. B. motivationale Faktoren) entscheidende Aspekte bei der Entwicklung von Kompetenzen.
Bei der Berufsbildung Swisscom gestalten die Lernenden ihren Ausbildungsplan und somit ihre Lehre selbst. Anhand von berufsspezifischen Bildungsverordnungen und Bildungsplänen legen sie ein Soll-Profil an Kompetenzen fest, die sie in der Praxis, das heißt in den unterschiedlichen Projekten, erarbeiten werden. Zum Schluss ihrer Lehrzeit entspricht ihr Ist-Kompetenz-Profil dem Soll-Profil. Bei dieser spannenden und auch anspruchsvollen Aufgabe werden sie durch eine Lernbegleiterin oder einen Lernbegleiter unterstützt. Im Gegensatz zu den wechselnden Fachverantwortlichen in ihren Projekten bleibt die Lernbegleitung bis ans Ende der Lehre dieselbe Person, um die persönlichkeitsorientierte Entwicklung der Lernenden fördern und fordern zu können (mehr dazu in Teil 2, Kapitel 2 und 3).
Sich beweisen dürfen und müssen – Markt statt Plan
Damit ein Ausbildungsmodell funktioniert, muss es auf die jeweilige Organisation ausgerichtet sein. Es hängt von deren Merkmalen ab, zum Beispiel von den Visionen, Strategien, Kulturen, Prozessen, den Kundinnen und Kunden und von den Werten. Gerade Werte werden jedoch nicht wie anderes Wissen gelernt. Nur verinnerlichte Werte sind richtungsweisend bei Entscheidungsprozessen unter kognitiver Unsicherheit. Sie bestimmen die Bewertung und Neuordnung von vorhandenem Wissen im Selbstorganisationsprozess.[17]
Bei der Berufsbildung Swisscom arbeiten und lernen die Lernenden vom ersten Tag ihrer Lehre an in Praxisprojekten. Alle Mitarbeitenden aus allen Geschäftsbereichen können Projekte auf einem elektronischen Projektmarktplatz ausschreiben. Als Projekt wird dabei eine zeitlich begrenzte Arbeit von einem Tag bis maximal sechs Monate verstanden, die anhand eines Tätigkeitsbereichs (z. B. IT-Software-Entwicklung), Aufgaben (z. B. Installation und Support von Applikationen) und Verantwortlichkeiten (z. B. Projektleiter/-in) ausgeschrieben ist. Ergänzt wird der Projektausschrieb mit Informationen zum Standort (z. B. Bern), erwünschten Qualifikationen und Fähigkeiten (z. B. Kennen von IP-Netzwerk-Design), den erwarteten und zu entwickelnden Kompetenzen (z. B. Kundenorientierung) sowie Freitext für weitere Informationen (z. B. Vorteile und Möglichkeiten). Die Lernenden suchen sich mögliche Projekteinsätze aus und bewerben sich darauf. Die Berufsbildung Swisscom setzt also auf einen Projektmarktplatz-Ansatz, der viel Selbstständigkeit und Eigenverantwortung erfordert.
Im Rahmen von «Work Smart»[18] fördert und lebt Swisscom flexible Arbeitsformen, um eine Individualisierung der Arbeitsbedingungen nach Lebenssituationen zu ermöglichen und die besten Talente anzuziehen. Mit den flexiblen Arbeitsformen entspricht Swisscom dem Bedürfnis nach orts- und zeitunabhängiger Arbeit und dem Wunsch, Arbeit selbstorganisiert einzuteilen. Die Lernenden erhalten dementsprechend ein Handy, einen Laptop oder ein Tablet und ein Generalabonnement 2. Klasse für den Schweizer öffentlichen Verkehr. Dies ermöglicht es ihnen, sich in unterschiedlichen Projekten und Teams sowie an verschiedenen Standorten weiterzuentwickeln.
Wen wir brauchen – Mitarbeitende der Zukunft
Die ICT-Berufsbildung Schweiz, die landesweit tätige Organisation der Arbeitswelt (OdA) für das Berufsfeld der Informations- und Kommunikationstechnologie, gab am 13. September 2018 die Ergebnisse der ICT-Fachkräftestudie bekannt.[19] Die Studie prognostiziert bis zum Jahr 2026 einen zusätzlichen Bedarf an 40 000 Fachkräften, der trotz Bemühungen in der Aus- und Weiterbildung nicht gedeckt werden könne. Die Fachkräftestudie zeigt auf, dass die ICT-Branche weiterhin eine boomende Nachfrage in den Bereichen Programmierung, Beratung, Betrieb und Cloud-Services aufweist. Im Zuge der demografischen Entwicklung werden zudem die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation bis 2025 in den Ruhestand gehen. Damit wird der Wettbewerb um Talente in der Berufsbildung eher noch zunehmen. Swisscom muss proaktiv auf mögliche Kandidaten und Kandidatinnen auf dem Arbeitsmarkt zugehen, da sie sich immer weniger darauf verlassen kann, Bewerbungen auf Stelleninserate zu bekommen. Dazu kommt eine zunehmende Notwendigkeit, nach innen zu schauen, nämlich vermehrt selbst die Entwicklung der Mitarbeitenden zu unterstützen, weil gesuchte «fertige» Kompetenzprofile nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt zu finden sind. Die Berufsbildung Swisscom kann hier gleichermaßen Unterstützung und Mehrwert bieten.
Im beschriebenen Berufsbildungsmodell von Swisscom haben Mitarbeitende der Zukunft ausgeprägte Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenzen. Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen mit dem Berufsbildungsmodell lässt sich das gleichermaßen spannende und anspruchsvolle Profil wie folgt zusammenfassen: Er/sie ist insbesondere engagiert, neugierig, kreativ und flexibel; er/sie kann gut mit anderen Menschen zusammenarbeiten und hat eine ausgeprägte Reflexionsfähigkeit. Dank diesen Kompetenzen gelingt es ihm/ihr, seine/ihre fachlichen Skills gezielt (weiter) zu entwickeln und seinen/ihren eigenen Lernprozess selbstgesteuert zu gestalten.






