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Weil wir nicht immer wissen, dass die Quelle von unserer Freude und Freiheit bereits für uns zugänglich ist, sagen wir später vielleicht: »Ich vermisse dieses unglaubliche Gefühl, das ich letzte Woche beim Wandern hatte. Ich muss auf meinen nächsten Urlaub warten, um dorthin zurückzukehren.« Doch wenn wir versuchen, eine Erfahrung nachzubilden, indem wir derselben Aktivität nachgehen, ist es möglich, dass unsere Erwartung uns davon abhält, den suchenden Geist derart zu entspannen, dass sich mühelose Achtsamkeit einstellt.
Ohne es zu wissen, gehen die meisten von uns ihren bevorzugten Freizeitaktivitäten nach, um mühelose Achtsamkeit und ihre natürlichen Qualitäten von Freiheit und Freude zu erfahren. Wir machen, was wir lieben, um mühelose Achtsamkeit zu erfahren. Jedoch sind mühelose Achtsamkeit und ihre Qualitäten nicht davon abhängig, was wir tun oder wo wir sind. So können wir selbst bei der Arbeit oder in der Berliner U-Bahn die innere Freiheit, Liebe und Klarheit entdecken, die wir wirklich sind.
FLÜCHTIGER BLICK Erinnerungstür
Lesen Sie zunächst diesen achtsamen flüchtigen Blick. Wählen Sie dann eine Erinnerung an eine Zeit, wo Sie ein Gefühl der Freiheit, Verbundenheit und des Wohlbefindens spürten. Machen Sie dann diesen flüchtigen Blick, wobei Sie Ihre Erinnerung als eine Tür nutzen, um die mühelose Achtsamkeit zu entdecken, die jetzt bereits vorhanden ist.
1. Schließen Sie Ihre Augen. Stellen Sie sich eine Zeit vor, als Sie sich wohlfühlten, während Sie aktiv etwas machten, wie etwa in der Natur wandern. Sehen und fühlen Sie in Ihrem Geist jedes Detail dieses Tages. Hören Sie die Geräusche, riechen Sie die Düfte und spüren Sie die Luft auf Ihrer Haut. Nehmen Sie das Vergnügen wahr, mit Begleitung oder allein zu sein. Erinnern Sie sich an das Gefühl, die letzten Meter zu Ihrem Ziel zu laufen.
2. Stellen Sie sich vor und fühlen Sie sich, wie Sie Ihr Ziel erreicht haben und über die weit offene Landschaft blicken. Spüren Sie diese Offenheit, Verbundenheit mit der Natur und das Gefühl von Frieden und Wohlbefinden. Da Sie Ihr Ziel erreicht haben, erleben Sie nun, wie es sich anfühlt, wenn kein Streben mehr vorhanden und nichts mehr zu tun ist. Betrachten Sie diesen weit offenen Himmel ohne eine Agenda, über die nachzudenken wäre, und dann hören Sie einfach auf. Erleben Sie das tiefe Gefühl von Erleichterung und Frieden.
3. Beginnen Sie nun damit, langsam und vollständig von dieser Vorstellung, der Vergangenheit und allen damit verbunden Erinnerungen, loszulassen. Bleiben Sie dabei mit der Freude des Seins verbunden, die in Ihnen vorhanden ist.
4. Während Sie Ihre Augen öffnen, fühlen Sie, wie das Wohlbefinden, das Sie damals spürten, auch jetzt hier ist. Sie brauchen dafür nicht zu einem bestimmten Ort in der Vergangenheit oder Zukunft zu reisen, wenn Sie es einmal innen und außen entdeckt haben.
Mühelose Achtsamkeit ist wie ein Flow-Zustand
Mühelose Achtsamkeit wird nicht nur während der Meditation oder Entspannung erlebt. Wenn wir uns in sie hinein öffnen, dann finden wir eine neue Balance zwischen Sein und Tun. In diesem Zeitalter des Multitaskings mag Mühelosigkeit schwer zu verstehen, geschweige denn wertzuschätzen sein. Es gibt den chinesischen Ausdruck wei wu wei, der häufig als »mühelose Anstrengung« oder »müheloses Tun« übersetzt wird. Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit, die natürlich und in Harmonie mit allem ist. Im tibetischen Buddhismus wird mühelose Achtsamkeit manchmal als Nicht-Meditation bezeichnet, da wir den spontanen Fluss von Weisheit und Handeln entdecken. Mühelose Achtsamkeit ist mit einem aktiven, beteiligten Leben vereinbar, da sie überall mit offenen Augen praktiziert werden kann. Sie können auf Ihrer Arbeit aus dem Fenster schauen und in ein paar Minuten aus einem Gefühl der Sorge und Angst in eines des Wohlbefindens und der mitfühlenden Verbundenheit hinüberwechseln. Sie können dann zu Ihrer Tätigkeit zurückkehren, nun von müheloser Achtsamkeit aus wirkend.
Sie kennen vielleicht eine Art der mühelosen Achtsamkeit als »völlig in einer Sache aufgehen« oder in einem Flow-Zustand sein. Flow ist eines der wichtigsten Forschungsgebiete der heutigen Psychologie. Viele von uns betrachten Flow als eine ideale Weise, während komplexer Aufgaben zu funktionieren. 1990 veröffentlichte der Psychologe Dr. Mihaly Csikszentmihalyi sein wegweisendes Buch Flow – das Geheimnis des Glücks, das auf jahrelange Forschung zurückgeht. Csikszentmihalyi und sein Team untersuchten die Arten, wie Menschen Sport treiben, sich künstlerisch oder musikalisch betätigen oder wissenschaftlicher Forschung nachgehen, um in einen Flow-Zustand zu kommen.
Csikszentmihalyi weist auf sieben Eigenschaften von Flow hin:
• zu wissen, dass eine Tätigkeit ausführbar ist, dass unsere Fertigkeiten der Aufgabe gewachsen sind,
• vollständig in dem aufgehen und auf das fokussiert sein, was wir tun,
• ein Gefühl der Ekstase,
• große innere Klarheit: zu wissen, was gemacht werden muss und wie gut wir es machen,
• ein Gefühl der Gelassenheit: keine Sorgen über sich selbst haben; ein Gefühl, über die Grenzen des Egos hinauszugehen,
• Zeitlosigkeit: tiefgehend auf die Gegenwart fokussiert sein, sodass Stunden innerhalb von Minuten zu vergehen scheinen,
• intrinsische Motivation: Was auch immer den Flow hervorruft, wird zu seiner eigenen Belohnung.1
Die meisten Menschen meistern die Aufgabe, die sie gut können, um den Flow-Zustand zu erreichen. Doch in der mühelosen Achtsamkeit wechseln wir zunächst in einen integrierten Flow-Zustand, dann können wir jeder Aufgabe von einem Herzwissen aus nachgehen.
FLÜCHTIGER BLICK Von Ihrem Herzen aus
1. Halten Sie inne … nehmen Sie Ihr nächstes Ausatmen war … lassen Sie dann, mit dem nächsten Einatmen, Ihr Gewahrsein sich vom Kopf nach unten zu Ihrem Herzen bewegen.
2. Wie fühlt es sich an, vom Herzen aus zu wissen?
Einführung in waches Gewahrsein
Um jegliche Form von Achtsamkeit zu praktizieren, wechseln wir unser Gewahrsein und unsere Geistesebene, damit wir Dinge anders sehen. Absichtliche Achtsamkeit nutzt Aufmerksamkeit und unseren beobachtenden Geist, wogegen mühelose Achtsamkeit von einer bestimmten Geistesebene und einem Gewahrsein ausgeht, die nicht so bekannt sind. Neben anderen Bezeichnungen wurde diese einzigartige Ebene des Geistes und des Gewahrseins Quelle des Geistes, Geistesnatur, Einheitsbewusstsein, natürliches Gewahrsein, wahre Natur, optimaler Geist und Herzgeist genannt. Ich werde diese Stufe des Gewahrseins und des Geists waches Gewahrsein nennen.
Waches Gewahrsein ist die Grundlage von Wissen, dem Quantenfeld vergleichbar, von dem einzelne Gedankenteilchen oder Gefühlswellen ausgehen. Waches Gewahrsein ist form- und inhaltslos und doch wissend. Zunächst fühlt sich waches Gewahrsein wie die Abwesenheit von Denken und wie eine Öffnung in mehr Raum an. Dann nehmen wir eine Wachheit wahr, eine Klarheit und ein Gefühl, als ob wir vom offenen Raum aus bewusst sind. Es ist nicht dieselbe Erfahrung, wie von Gedanken aus zu wissen, und es fühlt sich nicht an, als sei »ich« bewusst. Es ist eher so, als seien wir in ein Gewahrsein gewechselt, das bereits von sich aus, ohne unser Zutun bewusst ist. Aus diesem Grund wird es waches Gewahrsein genannt.
Hier ist ein vertiefender Blick auf das, was waches Gewahrsein ist und nicht ist:
• Waches Gewahrsein ist unsere grundlegende Ebene des Wissens, die dem Denken vorausgeht, das Denken beinhaltet und jenseits des Denkens ist.
• Waches Gewahrsein ist kein veränderter, transzendierter oder gar meditativer Zustand. Es ist keine Aufmerksamkeit und kein achtsames Gewahrsein noch ist es Achtlosigkeit oder Entrücktsein.
• Es gibt viele Formen des Bewusstseins (Muster der Erfahrung) wie emotionales Bewusstsein, Hörbewusstsein oder Denkbewusstsein. Waches Gewahrsein ist das, was Bewusstsein bewusst macht. Gedanken, Gefühle und Empfindungen sind tanzende Muster, die aus wachem Gewahrsein bestehen.
• Waches Gewahrsein ist klar und offen, es ruht als Geistesfrieden, während es darauf vertraut, dass Informationen und Einsicht kommen, wenn sie benötigt werden.
• Waches Gewahrsein ist dasselbe in uns allen, dennoch rührt unsere Individualität von ihm her. Anstatt auf unsere Gedanken, Erinnerungen, Persönlichkeit oder Identifikationsrollen zu schauen, erkennen wir durch mühelose Achtsamkeit, dass waches Gewahrsein die grundlegende Dimension dessen ist, wer wir sind. Wenn wir einmal waches Gewahrsein als das Fundament unserer Identität erfahren haben, erleben wir unsere konditionierten Gedanken, Gefühle und Eindrücke als Wellen auf dem Meer unseres Lebens.
• Waches Gewahrsein kann durch einen starken Gefühlszustand nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. In anderen Worten: Waches Gewahrsein ist die Quelle, aus der alle Gefühlszustände entstehen und aus der sie erlebt werden. Wir müssen unsere Gefühle nicht verlassen oder sie ändern, um essenzielles Wohlbefinden zu erlangen.
• Waches Gewahrsein ist nichtkonzeptuell, unsichtbar, formlos, grenzenlos und zeitlos. Dennoch ist es unsere optimale Stufe des Wissens und die Grundlage unserer Identität. Es wird zu Zeiten erfahren, wenn wir hinter den Schleier unserer gewöhnlichen Erfahrung spähen und die Stille wahrnehmen, die der Stoff unserer Alltagsrealität ist.
• Waches Gewahrsein entfaltet sich in offenherziges Gewahrsein. Dann treten die natürlichen Qualitäten von Wohlbefinden, Mitgefühl und intuitiver Intelligenz zutage.
• Waches Gewahrsein ist die wichtigste Entdeckung, die wir auf unserem Weg der mühelosen Achtsamkeit machen können. Gleichwohl ist bei diesem Ansatz waches Gewahrsein nicht das Endziel, und wir streben nicht an, in einem abgetrennten Beobachterzustand oder in einem Zustand puren Bewusstseins zu bleiben. Stattdessen wird sich waches Gewahrsein in wache verkörperte Gewahrseinsenergie und offenherziges Gewahrsein entfalten. In diesem Sinne könnte, wie wir später in diesem Buch entdecken werden, mühelose Achtsamkeit auch »mühelose verkörperte Achtsamkeit« oder »mühelose Herzachtsamkeit« genannt werden, wenn wir lernen, ein erwachtes Leben zu führen.
FLÜCHTIGER BLICK Hintergrundgewahrsein
1. Nehmen Sie einen langsamen, tiefen Atemzug.
2. Atmen Sie mit einem Seufzer aus.
3. Lassen Sie nun Ihr Gewahrsein sich öffnen, um das Gewahrsein im Hintergrund zu entdecken, das bereits mühelos ohne Ihr Zutun wach und bewusst ist.
4. Nehmen Sie wahr, dass Sie sich mühelos von diesem Hintergrundgewahrsein aus fokussieren können.
Sich in müheloser Achtsamkeit zu üben, beginnt als ein einfacher Wechsel oder Loslassen, um ein von Natur aus waches Gewahrsein zu entdecken, das bereits um uns herum und in uns vorhanden ist. Einer meiner Schüler beschrieb die Erfahrung auf folgende Weise: »Ich bin mir eines offenen Geistes und eines offenen Herzens nicht bewusst. Ich bin von einem offenen Geist und offenen Herzen aus bewusst, die mit allem verbunden sind.« Wenn wir uns dieses Gefühl erschließen, von unserem wortlosen wachen Gewahrsein aus zu schauen, öffnet uns das für eine Verringerung von Leiden, für natürliche Freude und mitfühlende Verbundenheit mit den Menschen und der Welt um uns herum.
Uns wurde beigebracht, dass unsere Intelligenz, Identität und Sicherheit darauf aufbauen, ein gedankenbasiertes Wissen zu entwickeln und darin verankert zu sein. Das werde ich unseren kleinen Geist nennen. Wenn wir aus unserem kleinen Geist zu wachem Gewahrsein als Geistesquelle hinüberwechseln, dann entdecken wir, dass wir schon mühelos achtsam sind. Mühelose Achtsamkeit ist die Weise, von wachem Gewahrsein aus zu wissen, zu erschaffen und in Beziehung zu sein. Obwohl mühelose Achtsamkeit damit beginnt, alles loszulassen, werden wir letztlich verkörpert, energetisch, liebevoll und ganz menschlich.
FLÜCHTIGER BLICK Augen des Gewahrseins
1. Betrachten Sie mit einem sanften Blick einfach das, was sich vor Ihnen befindet.
2. Nehmen Sie das Gewahrsein wahr, das durch Ihre Augen schaut.
3. Schließen Sie nun Ihre Augen und nehmen Sie wahr, dass dasselbe Gewahrsein, das hinausschaute, noch immer da ist.
4. Ruhen Sie einfach als dieses wortlose Gewahrsein, das sich nun seiner selbst bewusst ist.
5. Seien Sie das Gewahrsein, das alles willkommen heißt und einschließt, ohne einen Denker zu erschaffen.
Warum wir unser großartigstes natürliches Geschenk nicht entdeckt haben
Sie fragen sich vielleicht: Wenn waches Gewahrsein als Quelle müheloser Achtsamkeit bereits da ist, wieso habe ich es dann noch nicht entdeckt? Das ist eine gute Frage. Ein Grund, weshalb wir es nicht entdecken, ist der Umstand, dass waches Gewahrsein auf den meisten unserer westlichen psychologischen Karten nicht verzeichnet ist. Vielen Menschen, die sich danach gesehnt und danach gestrebt haben, leidensfrei zu sein, entging waches Gewahrsein, nicht weil sie es zu wenig verlangt hätten oder zu wenig Einsatz zeigten, sondern weil sie nicht wussten, wonach und wo sie suchen sollten.
Die »Shangpa Kagyu«-Tradition des tibetischen Buddhismus gibt vier aufschlussreiche Gründe an, weshalb wir waches Gewahrsein nicht auf natürliche Weise entdecken. Ich finde sie recht hilfreich:
1. Waches Gewahrsein ist so nah, dass man es nicht sehen kann.
2. Waches Gewahrsein ist so subtil, dass man es nicht verstehen kann.
3. Waches Gewahrsein ist so einfach, dass man es nicht glauben kann.
4. Waches Gewahrsein ist so gut, dass man es nicht akzeptieren kann.
Werfen wir einen eingehenderen Blick auf jeden dieser Punkte:
1. »So nah, dass man es nicht sehen kann« bedeutet, dass sich waches Gewahrsein mitten im freien Sichtfeld versteckt. Es ist näher als unser eigener Atem. Wir können waches Gewahrsein nicht finden, weil es sich dabei nicht um »etwas« handelt. Waches Gewahrsein ist weder ein Objekt noch ein Gegenstand, der gesehen, gehört, berührt, gerochen oder geschmeckt werden kann. Es ist kein Gedanke, Gefühl oder Bild, keine Überzeugung, Emotion oder gar Energie. Waches Gewahrsein ist unsichtbar in uns allen vorhanden und ist dort, von wo aus wir blicken. Wir müssen lernen, wie wir waches Gewahrsein dazu bringen, nach innen zu blicken, sich umzuwenden oder sich zurückzulehnen, sodass sich waches Gewahrsein selbst entdecken kann. Dann ist waches Gewahrsein die Quelle des Geists, von der aus wir fähig sind wahrzunehmen.
2. »So subtil, dass man es nicht verstehen kann« bedeutet, dass wir waches Gewahrsein mit unserem denkenden Geist nicht wissen können. Weder die fünf Sinne, der denkende Geist, das Ego, der Wille, die Vorstellung noch Aufmerksamkeit können waches Gewahrsein wissen. So wie das Auge keine Klänge vernehmen kann, können Denken und Aufmerksamkeit waches Gewahrsein nicht wissen. Nur waches Gewahrsein kann waches Gewahrsein wissen. Waches Gewahrsein beruht auf Erfahrung. Es ist eine direktere Art zu wissen, jenseits des Denkens oder vor dem Denken, die gleichwohl Gedanken nutzen kann, falls notwendig. Beim Ausüben der flüchtigen Blicke werden Sie entdecken, wie man waches Gewahrsein vom denkenden Geist trennt und waches Gewahrsein unmittelbar wissen lässt, ohne auf konzeptuelles Wissen zurückzugreifen.
3. »So einfach, dass Sie es nicht glauben können« heißt es, weil waches Gewahrsein, wenn es einmal entdeckt ist, natürlich und unkompliziert ist. Der einzige Umstand, der es schwierig erscheinen lässt, ist, dass es unbekannt ist – bis es entdeckt wird. Viele Menschen, die nach einem spirituellen Feuerwerk suchen, sind erstaunt, wenn der Aha-Moment kein Drama enthält. Allerdings fühlen Sie sich frei von Leiden, frei von Sorgen über Sorgen, frei von Angst vor Angst und frei von Ärger über Ärger. Diese Einfachheit ist der Grund, wieso waches Gewahrsein im Zen-Buddhismus häufig »gewöhnlicher Geist« genannt wird.
4. »So gut, dass man es nicht akzeptieren kann« heißt es, weil man es sich nicht verdienen, sich entwickeln oder gut genug dafür sein muss, um es zu erhalten. Es fällt schwer zu glauben, dass das Wohlbefinden, die Unschuld und die grundlegende Güte, nach denen Sie gesucht haben, sind, wer Sie wirklich sind. Waches Gewahrsein ist tiefer als jedes schambasierte Gefühl oder jede lang gehegte Überzeugung, dass man wertlos, falsch, schlecht, dumm oder unliebbar sei. Sie können beginnen, ein inneres Gefühl von Sicherheit und Unterstützung zu empfinden, das Sie zuvor in Dingen, Menschen und Erfolgen gesucht haben. Es nimmt Ihnen den Druck zu versuchen, Dinge perfekt zu machen oder irgendwann einmal irgendjemand zu werden, damit Sie sich in der amorphen Zukunft gut fühlen. Waches Gewahrsein als Geistesquelle und Identitätsgrundlage zu entdecken, ist ein so wertvolles Gefühl, dass manche Menschen Freudentränen vergießen, wenn sie endlich spüren: Man muss nach Hause zu demjenigen kommen, der man schon immer gewesen ist.
FLÜCHTIGER BLICK Der innere Friede
Was ist jetzt hier, wenn der Friede, den Sie suchen, bereits hier ist?
Erwachen ist die nächste natürliche Stufe der menschlichen Entwicklung
Der Weg der mühelosen Achtsamkeit ist ein Ansatz, um von wachem Gewahrsein und Mitgefühl aus zu leben. Mühelose Achtsamkeit beginnt als eine Meditationspraxis, wird aber zu einer ganzheitlichen Art, unsere optimale Lebensform zu erhalten – zum Wechsel, der traditionell Erwachen genannt wird. Es handelt sich dabei um eine Bezeichnung, die von vielen Religionen geteilt, von spirituellen Lehrern gebraucht und von Historikern studiert wird. In der Einleitung definierte ich Erwachen als einen »Wechsel und eine Erweiterung von Gewahrsein, Geist und Selbst«. Eine umfassendere Definition von Erwachen ist eine Bewegung weg von unserem gegenwärtigen begrenzten Geist und kleinen Selbst zu einem neuen, erweiterten Betriebssystem, das aus einem optimalen Geist und einem weiten, verbundenen Selbst besteht.
Die Bezeichnung »Erwachen« passt, da Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben, davon berichten, dass es dem Aufwachen aus einem Traum ähnele. Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens mit Schlafwandeln, während wir hoffen, dass unser Projekt, unser getrenntes Selbst zu verbessern und zu entwickeln, uns dabei helfen wird, uns glücklich und verbunden zu fühlen. Wenn wir aus diesem Tagtraum erwachen, sind wir vielleicht darüber erstaunt zu erkennen, dass unsere begrenzte Perspektive nur ein kleiner Ausschnitt aus einer ausgedehnteren Realität ist.
Erwachen mag wie ein entferntes, unerreichbares Ziel oder eine große Herausforderung erscheinen, aber es ist nicht weniger erreichbar als jede andere Stufe des Lernens und Wachsens, die Sie bereits durchlebt haben. Erwachen ist nicht auf jene beschränkt, die einem Kloster beitreten, in einer Höhle leben oder Olympia-Athleten im Meditieren sind. Nach dem Arbeiten mit Tausenden Meditationsschülern und Psychotherapie-Klienten als auch Kollegen, die Meditation, Neurowissenschaften und Entwicklungspsychologie lehren, habe ich Folgendes gelernt: Erwachen ist die nächste natürliche Stufe in der menschlichen Entwicklung.
Es gibt viele Arten zu erwachen. Einige sind spontan, viele ereignen sich während einer Zeit großen Friedens und großer Verbundenheit mit einem geliebten Menschen oder der Natur. Einige ereignen sich während einer Zeit des Herzschmerzes und der Hoffnungslosigkeit, und mehr als eine Person erzählte mir, dass sie bei einem Zusammenbruch einen Durchbruch erlebte. Wie es auch passiert, der kleine Geist und das kleine Selbst erreichen ihre Grenzen und waches Gewahrsein scheint durch. Mühelose Achtsamkeit ist eine Praxis, die Erwachen unterstützt und zu ihm führt.
Anfangs wachen wir von dem kleinen Geist und dem kleinen Selbstgefühl auf und erwachen in das wache Gewahrsein als den grenzenlosen Grund – die Einheit des Unendlichen und des Endlichen. Dann wachen wir hinein in ein verkörpertes, verbundenes Gefühl von Flow und Zuhausesein. Dann wachen wir aus zu natürlicher, kreativer und mitfühlender Tätigkeit und Beziehungen mit anderen.
Ich glaube, dass Erwachen eine natürliche Stufe der menschlichen Entwicklung darstellt und wir bescheiden und ehrlich Geschichten über unser eigenes Wachstum in dieser Hinsicht miteinander teilen müssen, damit wir den Dialog eröffnen können und dieses Konzept in unserer Kultur zur Normalität werden kann. Für mich war Erwachen anfänglich ein radikaler Wechsel, der eine essenzielle Dimension des Wohlbefindens, ein Gefühl, dass letztlich alles gut ist und ich essenziell gut bin, enthüllte. Diese Erkenntnis ist keineswegs wie eine Vorstellung, Überzeugung oder ein vorübergehender Meditationszustand. Obgleich waches Gewahrsein unsichtbar ist, ist das Wissen »alles ist gut« so real und vertraut wie das Gefühl meines atmenden Körpers. Was mit dem Erwachen enthüllt wird, ist ein Gefühl der Verbundenheit mit jedem und die Erkenntnis, dass wir im Wesentlichen gleich sind. Es fühlt sich wie bedingungslose Liebe an, so als ob keine Umstände dieses Gefühl ändern könnten. Diese neue Sichtweise kommt von einer weichherzigen Präsenz, die da ist, selbst wenn Dinge geschehen, die herausfordernd sind. Mit den Jahren und durch andauernde Praxis müheloser Achtsamkeit ist diese Grundlage von Freiheit, Wohlbefinden und bedingungsloser Liebe für mich und viele meiner Kollegen und Schüler zur neuen Normalität geworden. Mit Übung kann es auch Ihre werden.
Der Weg der mühelosen Achtsamkeit wird beschritten durch kleine flüchtige Blicke wachen Gewahrseins als Art, unser Bewusstsein mitten im Alltag zu verfeinern. Wenn wir uns in Gedanken verfangen, können wir »lernen zurückzukehren« und als unsere erwachte Natur »zu bleiben üben«. Nach einer Reihe kleiner flüchtiger Blicke, viele Male vorgenommen, wird mühelose Achtsamkeit zur »zweiten Natur«. Wir vertrauen dem Gefühl des Wissens und Sprechens aus dem, was sich wie eine kontinuierliche Intuition anfühlt. Wir wissen es »auswendig aus dem Herzen«, ohne die Lähmung der rationalen Analyse zu erfahren; es ist, wie auf einem Fahrrad einen Hügel hinabzugleiten, ohne den Lenker festzuhalten.
FLÜCHTIGER BLICK Wie man das Nicht-Tun tut
Können Sie sich in das wache Gewahrsein loslassen, das tiefer als Schlaf ruht und doch hellwach ist?
Auf unserem Weg zu müheloser Achtsamkeit
Wie bei jedem Lernprozess gibt es Hindernisse, Fallen und schwierige Stellen, auf die jeder stößt. Zu ihnen gehört unser Zweifel, wenn wir etwa denken: »Andere Menschen verstehen es, ich aber nicht.« Das Interessante an müheloser Achtsamkeit ist jedoch, dass Ihr zweifelnder Teil, Ihr sich aufrichtige Mühe machender Teil und Ihr denkender Geist es niemals verstehen können. Wenn Sie denken »Ich werde das niemals verstehen« haben Sie in gewisser Weise recht, da das »Ich«, das versucht, »es zu verstehen«, dies nicht tun kann.
Wenn Sie niemals Fahrrad gefahren wären, könnte ich Ihnen beschreiben, wie man es anstellt: Stellen Sie Ihr linkes Bein auf die linke Pedale, schwingen Sie dann Ihr rechtes Bein über das Fahrrad, drücken Sie sich ab und beginnen Sie sich zu bewegen, bevor Sie Ihren Fuß auf die Pedale setzen. Treten Sie dann in die Pedale, während Sie versuchen, das Gleichgewicht zu halten, und greifen Sie die Lenkergriffe stetig mit Ihren Händen. Das kann zwar verständlich sein, aber nur wenn Sie auf das Fahrrad steigen, zu fahren beginnen und selbst ein Gefühl dafür bekommen, können Sie wissen, wie man das Gleichgewicht hält und mühelos Rad fährt.
Letztlich müssen Sie nicht mehr intellektuell verstehen, wie man mühelose Achtsamkeit übt, als Sie die Physik verstehen müssen, die hinter dem Gleichgewichthalten steckt, wenn Sie Rad fahren. Sie brauchen nur in waches Gewahrsein als den Ort von Wissen zu wechseln. Von hier aus wird sich das Wissen selbst lehren.
Probieren Sie den folgenden flüchtigen Blick aus, um diese Lehren tiefgehender zu erfahren.
FLÜCHTIGER BLICK Den Problemlöser entspannen
Um mit diesem flüchtigen Blick zu beginnen, beginnen Sie von da aus, wo auch immer Sie sind. Nehmen Sie das Gefühl des »Ichs« wahr, das gerade hier ist. Nehmen Sie die Empfindung wahr, ein Selbstgefühl als Macher und Problemlöser zu haben. Das kleine Selbstgefühl hält seine zentrale Bedeutung aufrecht, indem es ein Problemlöser ist. Es kann dabei hilfreich sein, Alltagsprobleme zu lösen, aber hauptsächlich versucht es, das Problem der Identität zu lösen, das es nicht lösen kann. Diesen Manager-Teil fühlen Sie gewöhnlich innerhalb Ihres Körpers, aus Ihren Augen blickend. Nehmen Sie den Ort, die Form, die Größe und das Gefühl dieses »Ichs« wahr, das versucht, hilfreich zu sein, und führen Sie diesen achtsamen flüchtigen Blick aus. Gewöhnlich treten dabei Gedanken und Sorgen auf wie »Mache ich es richtig?« oder »Ich glaube nicht, dass ich es hinbekomme« oder »Wie mache ich das?«.