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Als ich voller Tatendrang mit meinem Kameramann das Gelände am Rand von Chang Mai erreicht hatte und ungeduldig den Abt interviewen wollte, eröffnete man mir, er sei im Krankenhaus in Bangkok und stünde für ein Interview nicht zur Verfügung. Seine Mitarbeiter sagten mir, er sei am Abend vor meiner Ankunft wegen eines Notfalls ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ich begann, für die Mönche zu beten, ohne zu ahnen, dass ich in Wirklichkeit jemanden brauchte, der für mich betete.
In den Tagen darauf fand ich mich in einem chaotischen Strudel widersprüchlicher Berichte wieder. Die Mitarbeiter des Klosters und ihre ehrenamtlichen Helfer waren bemüht, mir Interviews zu geben, doch sie verstrickten sich in Lügen. Ich war gekommen, um ihnen zu helfen, ein neues Schutzgehege für Tiger aufzubauen, in dem jeder der Tiger sein eigenes privates Paradies haben würde und trotzdem von den Touristen bestaunt werden könnte. Das würde die Spenden für den Unterhalt der Tiere generieren. In meinen Ohren klang es wie der Tigerhimmel auf Erden, und ich konnte es kaum erwarten, ihnen dabei zu helfen. Unglücklicherweise erfuhr ich in den Interviews mit den Mitarbeitern, dass die Einnahmen durch die vielen Touristen, die zum Tor hereinströmten, um die angeblich so „zahmen und friedfertigen“ Tiger zu streicheln, in dunklen Kanälen und mysteriösen Randprojekten verschwanden und nicht in die Projekte floss, für die das Geld gedacht war, wie zum Beispiel die Errichtung der Inseln.
Und als ich die engen, dunklen, fensterlosen Gefängniszellen aus Backstein aufsuchte, in denen die Tiger untergebracht waren, fand ich zu meiner Überraschung im „Tempel“ schlecht ernährte Tiger vor. Sie wurden ausschließlich mit gekochtem Huhn und Hundefutter gefüttert, um sicherzustellen, dass sie niemals Blut schmeckten und daher auch keine Vorliebe dafür entwickelten. Es gab keine Anlagen, in denen sie sich tiergerecht bewegen konnten, außer wenn die jungen Tiger im Fluss umhertollen durften. Ich stieß auf Tiger, die medizinisch nicht richtig versorgt wurden, und bekam dubiose Geschichten über die Geburt und die Schicksale der Tigerbabys zu hören. Die Tiger wirkten merkwürdig träge. Das allein hätte bei jedem sämtliche Alarmglocken auslösen müssen - ganz besonders bei einer professionellen Tierkommunikatorin. Doch ich hatte immer noch meine rosarote Brille auf und die Hoffnung, die ungewöhnliche Tierschutzeinrichtung verbessern zu können.
Von einigen der anderen thailändischen Tierschutzeinrichtungen hörte ich schon Gerüchte, dass die Mönche die Handgelenke der Tiger aufgeschlitzt hatten, damit sie nicht mehr die Krallen ausfahren konnten, dass sie heimlich mit Stromstößen für Viehherden zusammengetrieben wurden und dass ihnen der Urin der Mönche ins Gesicht gespritzt wurde, um sie unterwürfig zu machen. Ich konnte das alles nicht glauben, da ich immer noch meine rosarote Brille aufhatte. Es waren sogar Videoaufnahmen von einem Mönch, der einen Tiger mit dem Stock verprügelte, aufgetaucht. Und wieder glaubte ich nur das, was ich glauben wollte, zum Teil aus reinem Egoismus. Auch ich wollte mit den Tigern schmusen und ihnen nahe sein. Aber vor allem konnte ich einfach nicht glauben, dass buddhistische Mönche zu so grausamen Taten fähig sein könnten. Es schien allem, wofür ihre Religion steht, zu widersprechen. Ich war der romantischen Vorstellung auf den Leim gegangen und hielt immer noch stur daran fest. Doch als ich die Hilferufe der Tiger nicht länger überhören konnte, fing ich an, mit ihnen zu sprechen. Da wurde mir die hässliche Wahrheit bewusst. Ich begann, an den „Grundsätzen der liebevollen Güte“ zu zweifeln, als das Knurren der Tiger in ein lautes Brüllen überging.
Als meine rosarote Brille sich allmählich verdunkelte, suchte ich Rat bei dem Mann, in den ich verschossen war und den ich als starke Schulter mitgebracht hatte. Er versicherte mir, dass ich überreagierte und mir alles nur einbildete: Den Tigern ging es gut, sie wurden bestens versorgt, und die Mönche waren Heilige. So ist das mit dem Betrügen - Lügen sind ansteckend.
Letztendlich war es eine Leopardin in einem riesengroßen Betonkäfig, die mir die Realität schmerzhaft vor Augen führte. Das wütende Raubtier war als Touristenattraktion auf der Vorderseite des Tempels untergebracht und lief unruhig hin und her. Die ehrenamtlichen Helfer erzählten mir, dass die Leopardin den Abt angegriffen hatte und nun bestraft wurde, weil er „sie nicht mag“. Weil er sie nicht mochte? Was war aus der „liebevollen Güte“ geworden?
In einem der erstaunlichsten Augenblicke meines Lebens konnte ich die Leopardin dazu überreden, sich zu ducken und in einen noch kleineren Käfig in der Ecke ihres Geheges zu kriechen, damit wir die Tür zwischen dem inneren und dem äußeren Käfig zumachen und den äußeren Käfig mit ein paar Ästen gemütlicher gestalten könnten. Die Helfer sagten mir, es sei unmöglich, sie auch nur für einen Moment in den kleinen Käfig zu bekommen, doch die Wildkatze bewies ihnen das Gegenteil. Sie hatte den kleinen Käfig noch nie zuvor betreten. Wie die Helfer mir sagten, sei das der Grund, warum sie nichts hatte, womit sie sich die Zeit vertreiben könnte. Um fair zu sein: Ich glaube nicht, dass die meisten Helfer ahnten, welchem Betrug sie aufgesessen waren. Die fröhlichen, gutherzigen jungen Leute zerrten riesige Baumäste in den Käfig der Leopardin, auch wenn sie sagten: „Der Abt wird wütend sein, wenn er uns dabei erwischt.“ Ich sang der Leopardin vor, betete mit ihr, tröstete sie und stellte mir vor, wie sie in den winzigen Käfig ging, so dass wir lange genug die Tür schließen könnten, um die Äste in den Käfig zu ziehen. Sie betrat den inneren Käfig nicht nur einmal, sondern gleich sechs Mal, während die Jungens sich nervös an der Tür zu schaffen machten. Schließlich konnte ich sie ein letztes Mal hineinlocken, so dass die Helfer die Tür zuschlagen konnten. Auf ein Zeichen hin ließen wir sie wieder in den größeren Käfig hinein. Er war auf allen Seiten offen, so dass die Touristen sie rund um die Uhr begaffen konnten. Sie hatte keinerlei Privatsphäre und konnte sich nirgendwo verstecken. Doch wenigstens hatte sie jetzt ein paar Baumäste zum Klettern. Ich war sehr traurig, als ich diese prächtige Leopardin gefangen in ihrem nackten Einzelkäfig und in einer Pfütze aus ihrem Urin zurücklassen musste.
Mit sinkendem Herzen, doch ermutigt von meiner erfolgreichen Aktion mit der Leopardin, ging ich mit dem Personal zu einem Gehege, in dem eine Tigerin mit einer Augenentzündung hauste. Sie sagten mir, dass sie Augentropfen für das Tier hätten, sich jedoch nicht trauten, den Käfig zu betreten und ihm die Tropfen zu verabreichen. Als ich nach dem Tierarzt fragte, antworteten sie nur vage und sagten, er würde nur ein oder zwei Mal in der Woche vorbeikommen. Offensichtlich stand die kranke Tigerin ganz unten auf seiner Liste. Trotzdem war meine als Tierärztin hochqualifizierte Schülerin vom Kloster abgelehnt worden. Als ich die Helfer fragte, ob ich in ihren Käfig gehen dürfte, um ihr die Augentropfen selbst zu verabreichen, sagten sie natürlich nein. Das Tier wurde allein mit seinen Schmerzen im Käfig seinem Schicksal überlassen. Es war dabei, sein Augenlicht zu verlieren. Und ich hatte endlich meine rosarote Brille abgesetzt. Mit zehntausend Dollar weniger auf dem Bankkonto kehrte ich nach Los Angeles zurück. Ich hatte meine Ersparnisse bei dem Versuch, den Tigern zu helfen, aufgebraucht. Damals glaubte ich immer noch, dass das Projekt Tigerinsel die Wildkatzen aus ihren schrecklichen dunklen Betongefängnissen herausholen und in ein großzügiges Tierschutzgehege bringen würde, in dem sie gesünder und glücklicher leben könnten.
Mit meinem Traummann, der mir meine Intuition ausgeredet hatte, kam ich übrigens auch nie zusammen. Heute weiß ich natürlich, dass das ein Segen war. Doch damals bei meiner Rückkehr nach L. A. war mein Ego verletzt, mein Sparkonto geplündert und ich fühlte mich zurückgewiesen und mutlos.
Und dann kam alles zusammen - und zerstörte all meine Träume über die Tigerinsel. Ich erhielt eine E-Mail von CITES, der Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (Tagung über den internationalen Handel mit gefährdeten Wildtier- und Pflanzenarten). Sie forderten mich auf, sämtliche Spendenaufrufe für den Tigertempel von meiner Webseite zu entfernen. Wie CITES mich informierte, waren gegen den Tempel Ermittlungen wegen illegalem Handel mit Tigern, Schmuggel und Tierquälerei eingeleitet worden. Ich hatte meine Spendenkampagne schon gestartet. Nun hatte ich Fotos und Filme im Wert von mehreren zehntausend Dollar, die ich nicht nutzen konnte, weil sie dann nur kriminellen Machenschaften zugunsten kämen, bei denen Tiger wegen ihrer Körperteile auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden. Es war aus mit dem Paradies für Tiger. Stattdessen steckte ich bis zum Hals in einem Sumpf voller Alligatoren.
CITES schrieb mir, wenn ich den Tigern wirklich helfen wolle, dann solle ich die Organisation und nicht die Mönche unterstützen. Daher veröffentliche ich diese Informationen, auch wenn sie mir äußerst peinlich sind. Ich habe die Tiere, die ich am meisten liebe, im Stich gelassen. Jetzt möchte ich das auf irgendeine Weise wiedergutmachen.
Im Januar 2016 befanden sich immer noch über 150 Tiger unter fragwürdigen Umständen im Tempel. Der erste Versuch, den Tempel schließen zu lassen und die Tiger der thailändischen Regierung zu übergeben, schlug fehl. Zur selben Zeit, als ich den Auftrag bekam, dieses Buch zu schreiben, und ich in Gedanken die Tiger im Tempel in der Hoffnung, dieses Buch würde die Öffentlichkeit auf ihre Notlage aufmerksam machen, wieder ermutigte, griff einer der Tiger den Abt an. Vielleicht haben die Tiger mich ja gehört ...
Am 30. Mai 2016 wurde der Tigertempel von der thailändischen Tierschutzbehörde durchsucht. Die Behörde warf den Mönchen den illegalen Handel mit Tigern vor und entdeckte prompt vierzig tote Tigerbabys in der Gefriertruhe. Ein Artikel in der USA Today vom 3. Juni 2016 mit dem Titel „Thailands Tigertempelsage ist noch nicht vorbei“ schilderte die Entwicklung folgendermaßen:
Am 30. Mai begaben sich 30 thailändische Beamte und Mitarbeiter der thailändischen Wildlife Friends Foundation sowie andere ehrenamtliche Tierschützer zum Tempel, um seine erwachsenen Tiger, deren Zahl auf 137 geschätzt wurde, aus dem Tempel zu holen. „Internationale und lokale Tierschützer klagen diesen Tigertempel schon seit Jahren wegen Tierquälerei, illegalem Handel und illegalem Verkauf an“, berichtet Adam Ramsey, ein Reporter aus Bangkok. „Die Frage lautet daher vielmehr: Warum hat es so lange gedauert? Früher äscherte der zuständige Tierarzt die toten Tigerbabys ein, die gestorben waren, da viele Tigerjungen - selbst in Gefangenschaft - sterben. Nach meiner Schätzung stirbt eines von drei“, sagt Ramsey. „Doch als der Tigertempel beschuldigt wurde, mit Tigerjungen zu handeln, änderte der Tierarzt seine Regeln. Jetzt werden sie eingefroren, um zu beweisen, dass sie keine Tigerbabys auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Es sollte also als Beweis dienen, dass diese Tiger auf natürliche Weise gestorben sind und dass wir ihre Körper noch haben - für den Fall, dass ihr glaubt, wir hätten sie verkauft.“
Doch drei Tage später fiel diese Erklärung in sich zusammen. Am Donnerstag hielt die thailändische Polizei einen LKW an, der gerade vom Tigertempel wegfahren wollte. Im Laster fanden die Beamten zwei komplette Tigerfelle, ca. 700 aus Tigerteilen gefertigte Amulette und 10 Tigerzähne. Die beiden LKW-Fahrer wurden festgenommen und des Besitzes illegaler Wildtiertrophäen angeklagt. Auch ein Mönch wurde in Haft genommen.
Mittlerweile wurden alle Tiger aus dem Tempel befreit und die Mönche erwartet endlich ihre gerechte Strafe.
Und nun verrate ich euch das Tigerseelengeheimnis Nummer zwei. Kurz nachdem ich aus Thailand zurückgekehrt war, saß ich einem weiteren demütigenden Betrug auf, als ich beschloss, nach London zu ziehen. Dies war kurz nach dem Desaster mit dem Tigertempel und vielleicht eine Lektion, mit der mir das Schicksal meinen Fehler heimzahlte. Womöglich sollte ich daraus auch einfach lernen, dass die sture Holzhammermethode, mit der ich alles anging, nicht länger funktionierte - oder noch nie funktioniert hatte.
Seit Monaten hatte ich mit dem Verwalter einer Wohnung in London, die ich auf einer schicken Webseite, auf der Mietobjekte in Verbindung mit einigen der schönsten Hotels von London angeboten wurden, E-Mails ausgetauscht. Der Verwalter wies mich an, die Miete für die fünf Monate, die ich mit meinen beiden Katzen Doc und Virginia Sue Ann in London verbringen wollte, im Voraus zu überweisen. Das tat ich, weil die Frühstückspensionen und Safariparks, in denen ich in Afrika übernachtet hatte, auch eine Überweisung zur Bedingung für die Reservierung machen. Der Verwalter bot mir sogar per E-Mail an, mich und meine Katzen vom Flughafen abzuholen, um mir die Schlüssel persönlich zu überreichen und mich zu meiner tollen neuen Wohnung in Mayfair zu bringen. Also überwies ich das Geld. Als die Überweisung nicht klappte und das angegebene Konto plötzlich geschlossen war, sollte ich die Überweisung noch einmal ausführen (ein Eingriff von oben, um mich zu warnen!). Ich versuchte, das Geld noch einmal zu transferieren. Da ich leise Zweifel bekam, bat ich eine meiner Schülerinnen in London, ihn persönlich anzurufen. Ich war erleichtert, als sie mir berichtete, dass er tatsächlich den Hörer abgenommen hatte. Wie sie erwähnte, sprach er nicht besonders gut Englisch. Doch zumindest war er telefonisch erreichbar gewesen. Die Tatsache, dass er einen Akzent hatte, erklärte nun auch, weshalb seine E-Mails voller Rechtschreibfehler waren. Meine Schülerin meinte, bei dem Mann könnte es sich um einen Inder handeln.
Ich unternahm alle möglichen umständlichen und teuren Aktionen, um die Flugtickets zu bekommen und alle Einreisebestimmungen für meine Katzen zu erfüllen. Es war alles ziemlich nervig, und ich muss zugeben, dass ich mich offensichtlich in einem Zustand befand, in dem mich nichts von meinem Plan abhalten konnte. Ich verkaufte meinen BMW und mein Klavier. Ich gab meine Wohnung auf und verschenkte alles, was nicht in zwei Koffer passte. Drei Tage vor unserem Umzug verkaufte ich meinen Küchentisch. Während er zur Tür hinausgetragen wurde, besuchte ich noch einmal die Webseite des Londoner Verwalters und entdeckte die Mitteilung: „Diese Phishing-Webseite wurde von Scotland Yard geschlossen.“ Schluck. Der Mann war gar kein Inder. Er war Afrikaner und operierte vermutlich aus einem „Büro“ in Nairobi heraus, in dem Dutzende von Männern wie er ihre Tage damit verbrachten, westliche Kunden dazu zu bringen, Geld für fiktive Wohnobjekte auf Konten zu überweisen. Die Bombe war geplatzt. Mein Geld war weg! Meine Katzen und ich waren obdachlos!
Die Teufelsspirale hatte damit begonnen, dass ich meinen geliebten Tigern den Rücken gekehrt hatte. Und diese Spirale führte mich noch jahrelang immer weiter herunter. Trotz des falschen Verwalters nahm ich meine Katzen und flog nach London, obwohl auch noch mein Antrag auf ein britisches Visum abgelehnt worden war. Kein guter Schritt. Ich erzähle Ihnen all das nicht, um wie ein Idiot dazustehen, auch wenn ich mich damals so fühlte. Ich erzähle es Ihnen, damit Sie sehen, was geschieht, wenn wir unsere Intuition nicht nutzen.
Im Jahr 2009, als das passierte, steckte Internetkriminalität noch in den Kinderschuhen. Doch seitdem hat sie sich immer mehr ausgebreitet, und mittlerweile ist diese Art des Betrugs nichts Ungewöhnliches mehr. Wir müssen uns ansehen, was geschieht, wenn wir nicht unsere Antenne aufrichten - und warum das so ist. Ich bin eine professionelle Hell-sehern; daher war dieser Fehler für mich so, als wäre der Teufel zum Tee vorbeigekommen. Ich war gerade einem der größten Schwindel in meinem Leben aufgesessen - Mönchen, die mit Tigern handelten - und meine innere Antenne hatte glatt versagt. Und nun war ich auch noch auf Betrüger hereingefallen, die mein Konto abgeräumt hatten. Warum hatte ich nicht auf meinen Instinkt gehört, obwohl ich tief in meinem Inneren gewusst hatte, dass diese Luxuswohnung im schicksten Stadtteil von London für den angebotenen Preis zu gut war, um wahr zu sein? Die Antwort ist: Ich wollte, dass meine Wohnung in Mayfair real war. Ich wollte glauben, dass ich ein britisches Visum bekommen würde, so dass ich und meine Katzen jahrelang in London bleiben könnten. Ich wünschte mir verzweifelt, dass meine Selbsttäuschung Realität war, doch jetzt war all mein Hab und Gut weg. Meine Sehnsüchte hatten mich wie ein Bumerang mitten im Gesicht erwischt, und meine Reisepläne waren schon zu weit fortgeschritten, um sie noch stoppen zu können. Nach einem äußerst anstrengenden Sommer in London, in dem ich und meine Katzen in allen möglichen Wohnungen und Frühstückspensionen hausten, konnte ich sie schließlich in guter Obhut lassen und nach Afrika fliegen, um dort zu lehren und meine Löwenfreunde zu besuchen.
Mein Plan B für den Fall, dass ich kein Visum für England bekommen würde, war, nach New York zu ziehen und den Rest meines Lebens mit meiner Lieblingstante zu verbringen. Den Großteil meines Lebens hatte ich im heißen Hollywood verbracht und träumte schon lange von der Ostküste. In meinen romantischen Visionen trug ich schicke Stiefel und Mäntel mit passenden Schals, verliebte mich unter den leuchtenden Herbstbäumen im Central Park und wurde von einer herzlichen Gemeinschaft mit offenen Armen aufgenommen, die sich abends vor dem Kaminfeuer im Pub versammelte, Witze erzählte und über ihre Probleme lachte. Ich hatte mir einfach zu viele Wiederholungen von Cheers angesehen.
Doch vor allem wollte ich unter den schützenden Flügeln meiner Tante Manhattan im Sturm erobern. Sie lud mich schon seit Jahren ein, mit ihr auf Partys von Liza Minnelli oder Lunches mit anderen Promis mitzukommen. Wer hätte da nein sagen können? Damals spielte Rue eine Hauptrolle in Wicked am Broadway. Und sie verhandelte gerade eine Rolle in einer neuen Comedyserie für den Schwulensender auf Hawaii aus. Sie zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen!
Also flog ich mit den Katzen nach New York, wo eine meiner Lieblingsschülerinnen schon darauf wartete, sie liebevoll aufzunehmen. Ich schaffte es gerade einmal bis zu einer Absteige in New Jersey. Dort erhielt ich die Nachricht, dass Rue im Krankenhaus lag und am Herzen operiert wurde. Fünf Tage später erlitt sie einen Schlaganfall.
In jener Nacht kam ich als totales Nervenbündel im Krankenhaus an. Ich war so desorientiert und durcheinander, dass ich mich drei Stunden lang im U-Bahn-Netz verirrt hatte. Ich hatte sämtliche Fehler gemacht, die man nur machen kann, wenn man von Hoboken, New Jersey, zum Krankenhaus in Manhattan fahren will. Schließlich hatte ich mich verzweifelt an meinen Sitznachbarn gewandt und ihn flehentlich um Hilfe geben. „Meine Tante liegt im Krankenhaus. Sie hat in der Serie The Golden Girls mitgespielt. Können Sie mir helfen?“
Mit Fotos von Löwen und Tigern bewaffnet, erreichte ich Stunden später endlich das Krankenhaus. Mein Lieblingscousin, Rues Sohn Mark, hatte sich ohne Gepäck in den nächsten Flieger aus Austin in Texas gesetzt. Er kam nachts an und war äußerst beunruhigt. Wir saßen im Wartezimmer und beteten, als die Krankenschwestern hereinkamen und uns die schlechte Nachricht überbrachten. Rues gesamte rechte Körperhälfte war gelähmt, und wenn sie sie nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden bewegte, würde sie für immer gelähmt bleiben.
Als wir in ihr Zimmer auf der Intensivstation gingen, sahen wir, dass die Ärzte ihr einen Vorderzahn herausgebrochen hatten, als sie ihr den Beatmungsschlauch in die Luftröhre gesteckt hatten. Meine attraktive Tante war nicht wiederzuerkennen, als ich sie an diesem Abend bewusstlos in ihrem Bett liegen sah. Ihr Gesicht war totenblass und geschwollen, und sie sah nicht mehr aus wie ein lebendiger Mensch.
Hin und wieder kam eine Krankenschwester herein, nahm ihre schlaffe rechte Hand und flüsterte: „Rue, können Sie meine Hand drücken?“ Es gab keine Reaktion. Dann fragte sie: „Rue, können Sie Ihren Fuß bewegen?“ Nichts. Rues rechtes Bein war schlaff, und die Nerven starben langsam ab. Der Arzt hatte noch mehr schlechte Nachrichten: Wenn sie am nächsten Morgen, an dem der Schlauch aus ihrem Hals entfernt würde, nicht sofort sprechen könnte, würde sie vermutlich nie wieder sprechen können.
Meine Tante Rue verdiente sich ihren Lebensunterhalt damit, auf Wohltätigkeitsveranstaltungen (meist für den Tierschutz) Reden zu halten. Auch war sie Rechtshänderin und hatte mit dieser Hand unzählige Autogramme für Unmengen ihrer Fans geschrieben. Doch vor allem war sie sehr kommunikativ. Sie hatte ihr Leben lang Sprechunterricht genommen und spielte sogar ohne Gage in Theaterstücken. Sprache war ihre große Leidenschaft. Wenn sie die Fähigkeit zu sprechen verlor, würde sie nur noch schriftlich mit ihrer rechten Hand kommunizieren können. Der Verlust ihrer Fähigkeit, zu sprechen und zu schreiben, war absolut undenkbar. Dann könnte sie überhaupt nicht mehr kommunizieren und wäre dazu auch noch zu einem Leben im Rollstuhl verdammt. Das ging gar nicht. Sie hatte weder auf Mark noch auf mich reagiert, als wir Dinge wie „Rue, kannst du mich hören? Drücke meine Hand, wenn du mich hören kannst! Blinzle mit den Augen, wenn du weißt, dass wir hier sind!“ sagten. Nichts funktionierte. Wir waren dabei, den Kampf zu verlieren.
Mitten in der Nacht, nachdem Mark und ich sämtliche Gebete, die uns einfielen, gesprochen hatten und alle Meditationen, die wir kannten, gemacht hatten, ohne dass Rue sich rührte, ging Mark zur Wohnung eines Freundes, um dort ein paar Stunden zu schlafen. Ich überredete die Nachtschwester, mich mit meiner Tante eine Weile allein zu lassen.
Ein liebevolles „Rue, können Sie meine Hand drücken?“ in Babysprache oder „Rue, können Sie den Fuß bewegen?“ im ängstlichen Ton einer Krankenschwester, die meine Tante nicht kannte, funktionierte nicht. Ich kannte sie jedoch. Und es war an der Zeit, etwas zu riskieren.
Wie ich wusste, liebte sie Tiger. Und wie ich wusste, war sie Schauspielerin. Daher hatte ich Munition, die die Schwestern nicht hatten. Ich bat um etwas Klebeband. Damit klebte ich lauter Tigerfotos und Fotos von mir, wie ich neben Tigern ging und mit ihnen schmuste an die Wand. Ich hatte diese Fotos seit meiner Rückkehr von dem betrügerischen Tigertempel überall mit mir herumgetragen. Außerdem hängte ich ein paar Fotos von afrikanischen Löwen, die ich kannte und liebte, und dazu noch ein Foto von Jesus an die Wand. Rue war Atheistin und bevorzugte die Gesellschaft intellektueller New Yorker. Einmal hatte sie zu mir gesagt: „Mimi, was ich am meisten an dir bewundere, ist deine Beziehung zu Gott. So was hatte ich nie.“
Jetzt war die Zeit gekommen, auch das zu ändern. Nun ja, ich bin eine Schauspielerin und Tänzerin, die Tiger liebt, und meine Patientin war eine sterbende Schauspielerin, die auch tanzte und Tiger liebte. Außerdem kam ich gerade aus einem Löwenschutzgebiet in Afrika, wo ich mit einem Schamanen Shape-Shifting praktiziert hatte. Er hatte mir beigebracht, wie man sich in eine Löwin verwandelt. Wenn man den Geist und die körperlichen Eigenschaften eines wilden Tiers annimmt - insbesondere eines Raubtiers -, erweitern sich Geschwindigkeit und Volumen der eigenen Energie um ein Zehnfaches. Und diese Situation rief nach ungewöhnlichen Maßnahmen. Es war drei Uhr morgens, und die Uhr tickte. Wenn Rue in den nächsten Stunden ihren rechten Arm und ihr Bein nicht bewegte, würde sie diese Glieder nie mehr bewegen. Sie war bewusstlos und reagierte auf meine Worte noch nicht einmal mit einem Augenzucken. Ich spürte, wie meine Kehle sich dehnte, während ich ein Knurren unterdrückte. Es ist etwas, was man nicht in der Öffentlichkeit tun sollte - und schon gar nicht in einem Krankenhaus in Manhattan, aus dem sie mich mit Leichtigkeit in die psychiatrische Abteilung hätten abtransportieren können. Doch außer uns beiden war niemand im Zimmer, und daher ließ ich die Kräfte fließen.
Ich schluckte das Geräusch herunter und sammelte die unbändigen Kräfte, die wie ein Wildfeuer in meinem Körper hochstiegen. Dann brachte ich die Verwandlung auf eine noch höhere Stufe, um mich der Frequenz des elegantesten Entwurfs auf Erden anzupassen: der Verkörperung von Grazie, Kraft und Schönheit, dem Hüter des Tors zwischen Leben und Tod - dem Tiger. Ich channelte so viel seiner Kraft in meinen Körper, wie ich nutzen konnte, und tankte sie von den Tigerfotos. Die Bilder hingen auf ihrer Augenhöhe, für den Fall, dass sie wieder aufwachen und die Augen öffnen würde. Ich betete zu meinen Tigerfreunden um Hilfe.