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Der Krieg war dann im Mai 1945 endlich vorbei. Einige Monate später wurden Mutti, meine Großeltern und ich mit unseren Sachen auf einen großen LKW geladen und wieder nach Düsseldorf gebracht.
(In der Neuzeit wollte ich den Hof in Brauersdorf noch einmal besuchen, aber da war davon nichts mehr zu sehen. An der Stelle hatte man eine Talsperre gebaut.)
August 1945 in Altenhundem. In diesem Jahr wurden durch Bomben von 390 Häusern in Altenhundem 26 zerstört und 156 beschädigt, da Altenhundem ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn meine Mutter mit mir dort geblieben wäre?!
Meine Mutter und ich waren aber zu dem Zeitpunkt, Gott sei Dank!, schon wieder in Düsseldorf, obwohl Düsseldorf mittlerweile auch zu fast 50 % zerstört war. Aber ich hatte meine Heimat gefunden. Das Haus meiner Großeltern war ja auch unbeschädigt.
In Düsseldorf angekommen, lebten Mutti und ich dann, gut versorgt, bei Opa und meinem Ömchen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Ömchen war meine Mutter, Opa war der strenge Vater und Mutti war meine Freundin. Mit Mutti konnte ich immer spielen, lachen und manchmal auch dummes Zeug machen. Einmal haben wir im Haus der Großeltern »nachlaufen« gespielt. Erst sind wir auf die Terrasse, dann durch das Badezimmer-Fenster wieder in das Haus. Das hatte viel Spaß gemacht. Das hätten Opa und Ömchen aber nicht gut gefunden, wenn sie das gesehen hätten. Aber manchmal waren sie eben auch mal nicht da.
Nach Kriegsende hatte Mutti die Idee »wir zwei besorgen uns mal eine eigene Wohnung«.
Die wurde dann irgendwie in Eller Wirklichkeit. In einem unbeschädigten Haus auf der Gertrudisstraße genau neben der neugotischen Gertrudiskirche, die 1901 eingeweiht wurde. Die eigentlichen Mieter waren nämlich für längere Zeit verreist und hatten uns beiden ihre Wohnung überlassen. Diese »Traumwohnung« bestand aus drei Räumen: 1 Küche, 1 Schlafzimmer und 1 Bad.
1.Mein 1. Umzug April 1946
Es wurde auch eine sehr schöne Zeit für uns beide. Ich hatte jetzt das Gefühl, dass meine Idee Wirklichkeit und Mutti meine Freundin war.
Wir gingen viel spazieren, z. B. auf das Gelände des Eller Schlosses. Durch eine kleine Zufahrt ging man direkt auf das Schloss mit seinem im klassizistischen Stil gehaltenen Haupthauses zu. Über dem mittleren Giebel überragte ein mächtiger Turm mit Krüppelwalmdach das Ganze. Dort gingen wir dann vorbei und an der hintersten Wiese des Schlossgeländes durften wir Spiele machen, nachlaufen und wir träumten von der Zukunft und dass mein Vater bald aus dem Krieg zurückkäme.
Das hatte Mutti mir jedenfalls immer erzählt, obwohl er da schon lange tot war?!
Fast alle großen deutschen Städte waren am Kriegsende ziemlich zerstört. Und die Verwüstungen betrafen nicht nur die äußeren, materiellen Verhältnisse, sondern auch die geistig-seelische Verfassung von uns, den Überlebenden.
Es grenzt an ein Wunder, dass ich mit meiner Mutter und meinen Großeltern in diesen Zeiten der großen Desillusionierungen und Orientierungslosigkeit Schritte in eine friedvollere Zeit machen konnten.
Zunächst nach der Währungsreform, dann mit dem beginnenden sogenannten »Wirtschaftswunder« der frühen 50er Jahre erlebten wir, wie das Leben wieder freundlicher und auch reichhaltiger wurde. Die alltäglichen Sorgen um ausreichendes Essen und vernünftige Kleidung ließen allgemein nach.
2.Mein 2. Umzug September 1946
Die Eigentümer unserer neuen Wohnung waren inzwischen wieder zurück gekommen und Mutti und ich zogen wieder zu meinen Großeltern. Das war auch vorher so vereinbart worden.
Die Wohnverhältnisse bei meinen Großeltern waren ja sowieso gut und Mutti und ich hatten auch wieder unseren eigenen Bereich.
Mutti musste ja auch ihren Beitrag zum Lebensunterhalt leisten. Deshalb hat sie sich bei verschiedenen Bauern als Näherin betätigt und ich fuhr dann immer mit ihr.
Eine Bauernfamilie war »Familie Brux«. Da ist Mutti mit mir öfters gewesen und hat genäht. In der Zeit konnte ich auf dem gesamten Gelände des Bauernhofs alles machen, was mir so einfiel. Deshalb gefiel es mir da immer gut. Manchmal bin ich auch mit dem Traktor mit aufs Feld mitgefahren.
Bei dieser Familie Brux hatten wir unsere Verpflegung gehabt und wenn Mutti ihre Arbeit gemacht hatte, gab es manchmal statt Geld auch Lebensmittel (Kartoffeln, Eier, Speck, Mehl etc.), die wir dann mitnehmen konnten.
Für mich war auf jeden Fall das Leben auf einem Bauernhof immer wieder erlebnisreich und angenehm.
Einmal habe ich neben dem großen Traktor gestanden – einem Lanz Bulldog-, als der angelassen werden sollte. Dazu musste man ja das Lenkrad raus nehmen, es am seitlichen Schwungrad einstecken und ihn dann durch Drehen des Lenkrads anlassen. Doch bei diesem Versuch hatte der Fahrer wohl gerade einen Fehler gemacht: Das Lenkrad flog raus, am Arm des Fahrers schmerzhaft vorbei und es hat ihn so schwer verletzt, dass ein Arzt kommen musste.
Da hatte ich aber auch ganz viel Glück, dass ich nicht in der Flugrichtung des Lenkrads stand!
Im Juli 1947 haben meine Mutter und ich die befreundete Familie Berghof in Frankfurt/Main besucht. Die hatten ein großes Haus und einen entsprechenden Garten. Da gerade eine Schönwetter-Periode war, hatte man mir eine Zinkwanne auf den Rasen gestellt und ich konnte mich da austoben.
Irgendwie bekam ich dort aber eine Allergie und musste vom 11. – 14. Juni 1947 ins Krankenhaus nach Sachsenhausen.
Das war für mich eine schlimme Situation. Ich lag dort in einem Gitterbettchen und mein Mütterlein durfte zunächst auch nicht zu mir kommen; nur von draußen durch ein Fenster reingucken. Als ich dann wieder gesund war und sie mich wieder mitnehmen durfte, war alles gut und wir beide sind zurück nach Düsseldorf gefahren.
Mittlerweile gab es in Düsseldorf-Lierenfeld im Gather Weg, in der Nähe der Wohnung meiner Großeltern, auch wieder einen intakten Katholischen Kindergarten, der aber optisch nicht mehr gut anzusehen war. Mein Großvater hatte zufällig die Leiterin des Kindergartens Schwester Irenia kennengelernt. Ihr und ihrem Kindergarten hatte er die Farbe für eine Überholung des Kindergartens spendiert. Als kleines »Dankeschön« wurde ich dort dann auch aufgenommen. Mein Großvater hatte mit seiner Firma, die auf dem Gelände der Firma »Lackfabrik Wiederhold« in Hilden bei Düsseldorf angesiedelt war, ja die nötigen Beziehungen zu Lacken.
Auf diesem Gelände hatte ihm Herr Wiederhold eine Halle zur Verfügung gestellt, in der mein Großvater seine neue Fassreinigungsmaschine, die er selbst konstruiert hatte, aufbauen konnte. Dafür musste er der Firma Wiederhold alle Fässer reinigen.
Die »Schwester Irenia« aus dem Kindergarten, war immer sehr lieb zu mir. Wenn es draußen einmal stürmte und ich wieder Angst hatte, dann hat sie mich unter ihrem Umhang versteckt und mich wieder in die Zeppelinstraße nach Hause gebracht.
Einer meiner Spielkameraden aus dem Kindergarten war Uwe Leo Pawelowski. Seine Eltern hatten eine Metzgerei. Vom Kindergarten aus ging ich da vorbei nach Hause. Manchmal durfte ich dann auch zu denen in die Metzgerei kommen und bei der Arbeit zusehen oder mit Uwe spielen. Dazu gab es meist auch noch ein Stück Wurst. Toll war das!
Auch lernte ich im Kindergarten ein Mädchen mit Namen Gudrun kennen. Wenn wir uns sahen, war Begeisterung angesagt. Wir haben auch meist zusammen gespielt.
Später, in der Schulzeit, haben wir uns dann erst einmal aus den Augen verloren und seltener gesehen.
1948 im April sind meine Mutter und ich an einem Tag mit der K-Bahn nach Krefeld gefahren. Die K-Bahn sah damals aus wie ein alter Eisenbahnzug mit hohen Einstiegen und der hatte auch einen Speisewagen mit Toilette.
Mutti wollte mit mir in den schönen Stadtwald nach Krefeld fahren. Dort konnten wir ausgiebig spazieren gehen.
In der Nähe des Stadtwald-Hauses war auch ein Kinderspielplatz und eine verzweigte Weiheranlage. Wenn man Glück bzw. Geld hatte, konnte man auch im Stadtwaldhaus Kaffee trinken und leckeren Kuchen essen. Manchmal war das auch angesagt.
Als Mutti und ich mal wieder nach Krefeld fuhren, saß in unserer K-Bahn ein Mann, der wollte zurück von Düsseldorf nach Krefeld fahren. Er bzw. seine Eltern hatten in Krefeld-Oppum ihr Haus. Dieser Mann bot uns dann erst einmal seinen Sitzplatz an. Was Mutti wiederum imponiert hatte. Er stellte sich auch gleich vor. Sein Name war Richard Schmitz. Anschließend unterhielten sich die beiden angeregt und Richard hatte mich gelegentlich gestreichelt und auf den Schoß genommen.
An der Haltestelle Krefeld-Oppum ist er ausgestiegen, nachdem er sich mit Mutti für ein neues Treffen verabredet hatte. Aus diesem Erlebnis wurden mehrere Treffen der beiden und manchmal war ich auch wieder dabei.
Er, der Richard, wurde am 24. 08. 1913 vormittags um 5.00 Uhr in Krefeld, Hülserstr. 5, als Sohn der Eheleute Johann Heinrich Schmitz und Wilhelmine Schmitz, geborene Schmidt geboren.
Er hatte auch noch Geschwister: Schwester Gertrud und zwei Brüder: Bruder Ernst war Schriftsetzer, verheiratet mit Luzi. Und Bruder Willi (geb. 08. 06. 1908, gest. 25. 10. 1977), der war Bäcker, verheiratet und hatte eine eigene Bäckerei in Krefeld.
Richard war der jüngste. Er hat nach der Entlassung aus der Volksschule am 31. 03. 1927 Klempner und Installateur gelernt und am 18. 04. 31 seine Gesellenprüfung gemacht.
Nach seiner Lehrzeit, die Stellen waren ja damals sehr knapp und schlecht bezahlt, hat sich Richard am 01. 01. 1934 freiwillig bei der Kriegs-Marine als Berufssoldat für 12 Jahre verpflichtet.
Diese Ausbildung war nicht einfach. Zunächst der theoretische Teil, dann die praktischen Übungen im Schwimm- und Tauchbecken und so weiter.
Wenn dann der Tag der Übernahme eines neuen Schiffes anstand, war die Aufregung groß. Den Männern, die die neue Besatzung bildeten, wurden Spinde und Schlafsäcke zugeteilt. Anschließend ging es ans Auspacken der Schlafsäcke.
Wer noch nie Planken unter den Füßen hatte, war dann schon schwer nervös. Dann musste auch noch geübt werden, wie man eine Hängematte klar macht und weitere weitreichende Tätigkeiten an Bord erlernen. Außerdem war eine enge Kameradschaft sehr wichtig.
Nach dem Einräumen der persönlichen Ausrüstung, erfolgte dann die »An Bordnahme« all der anderen Gerätschaften, die zum Boot gehörten wie: Tauwerk, Kutter, Riemen, Lebensmittel, Dauerproviant, Verbrauchsstoffe und vieles mehr.
Zum Wochenende schloss sich ein ergiebiges »Reinschiff« an, das ganze Schiff wurde dann geputzt.
Nach der Ausbildung hat Richard auf verschiedenen Schiffstypen Dienst getan: Torpedoboot, Zerstörer, U-Boot und ist letztlich als Stabs-Ober-Maschinist (Offizier bei der Marine) im U-Boot in den Nordmeeren gefahren.
Bei Kriegsende vom 08. 05. 1945 – 15. 12. 1945, musste Richard sein U-Boot »U 299« unter Aufsicht der Engländer nach England bringen und kam dann in Schottland in Kriegsgefangenschaft.
Das Schlimmste am ganzen Krieg war aber für Richard, dass er mit seiner »hoch-dekorierten« Uniform (das waren die Ärmelstreifen, Orden und Ehrenzeichen) bei einem Bauern in Schottland »Dienst in den Rüben« machen musste.
Seine Entlassung von dem Bauern aus Schottland erfolgte 1948 und er kehrte nach Krefeld in sein Elternhaus zurück.
Nachdem sich Hildegard und Richard lieben gelernt hatten, ist er auch bei meinen Großeltern mit eingezogen. Richard und Hilde heirateten am 24. 01. 1950. Dann wurde mein Familienname auf Schmitz umgeschrieben.
Richard hatte natürlich noch keine Arbeit, deshalb konnte er fortan in der Fabrik von meinem Opa arbeiten.
Opa hatte inzwischen einen eigenen, neuen Reinigungsbetrieb gebaut. Nachdem der Inhaber der Firma Wiederhold verstorben war.
Dieser Betrieb war für die Reinigung von Flüssigkeitsbehältern (Kannen, Fässer, Hobbocks etc.) gedacht. Der Betrieb war in Düsseldorf-Reisholz in der Nürnberger Straße angesiedelt. Dort wurden diese Emballagen für zum Beispiel Lackfabriken gereinigt (eine frühe Art des Recycling).
Diese gereinigten Emballagen waren so sauber, dass sie anschließend sogar für Lebensmittel-Bevorratung genutzt werden konnten.
Da Opa zuvor ja Ingenieur bei der Firma »Sommer, Maschinen- und Anlagenbau« war, hatte er die Reinigungsmaschinen selbst entworfen und unter seiner Regie bauen lassen.
Sechs Fässer konnten in einer Maschine gleichzeitig gereinigt werden. Jedes Fass wurde mit einer Laugenfüllung versehen und mit einer dicken Gliederkette bestückt. Elektrisch drehte sich dann jedes Fass um seine eigene Achse und gleichzeitig alle Fässer zusammen auch vertikal. Wenn die Maschine im Einsatz war, konnte man neben dieser Anlage allerdings sein eigenes Wort nicht mehr verstehen.
Aber es war ja insgesamt gut für das Leben unserer Familien, dass mein Opa diese Firma überhaupt hatte und Richard dort auch arbeiten konnte.
Einen positiven Nebeneffekt hatte das Ganze auch noch, es war ein toller Spielplatz für mich. Ich fuhr gerne mit meinem Opa in die Firma. Circa 2.200 Quadratmeter Grundstück hatte das Gelände, eine Halle von 120 Metern Länge stand darauf, auch ein Pförtnerhaus und ein Eisenbahn-Anschluss für den Emballagen-Versand.
Aber was für mich noch wichtiger war: es gab noch viel freie Erde für mich zum Buddeln. Eines Tages war ich mal wieder mit meinem Opa mitgefahren, hatte schön in der Erde gebuddelt und mir allerhand Werkzeug aus der ganzen Firma zusammen geholt, was anschließend in der Firma vermisst wurde. Danach hatte ich den ersten und einzigen Ärger mit meinem Opa. Ich kam dann nichts ahnend an der Halle entlang und hatte meinen Opa gar nicht gesehen. Auf einmal wurde ich »von einem Erdbeben« erschüttert. Da hatte es mindestens einen Satz rote Ohren, oder »zwei Satz« gegeben.
Da war mein Opa aber ganz schön sauer. Später war aber wieder alles gut, dafür hat auch schon mein Ömchen gesorgt.
Im April des Jahres 1950 wurde ich in der »Bernburger Schule« (Volksschule) in Düsseldorf-Eller eingeschult. Die Schule war circa 1.500 Meter von meinen Großeltern entfernt, wo wir ja auch wohnten. Das war von jetzt an meine tägliche Außenwelt. Mutti brachte mich in den ersten Tagen noch selbst dort hin. Danach musste ich alleine laufen.
Zu Beginn des Schuljahres gab es auch eine Schultüte und von Onkel Gerhard und Tante Gerda einen Tornister. Gefüllt wurde der allmählich mit: Tafel, Kreide, Schwämmchen, Stiften etc. und einer Blechtasse, die für Quäkerspeise gedacht war.
Die Quäkerspeise wurde im westlichen Deutschland von Quäkern als Schulspeisung für Kinder spendiert.
Jedes Kind musste eben einen kleinen Topf mit Henkel in die Schule mitbringen, der dann mit einer warmen Mahlzeit gefüllt wurde. Die Mahlzeit gab’s in Form eines Suppeneintopfs, Hafer- oder Grießbrei und bei besonderen Anlässen gab es zusätzlich noch einen Schokoladenriegel. Ich war jetzt erst einmal ganz stolz auf mich, dass für mich das Lernen begann.
Im Laufe der Zeit war aber die Begeisterung nicht mehr so groß. Zum Einen lag das an den Mitschülern. Die hänselten mich immer wegen meines Vornamens »Dolf« und riefen stattdessen »dooof«. Manchmal wurde ich dann nach dem Schulunterricht auch noch verhauen und kam mit Tränen in den Augen nach Hause.
Als das eines Tages wieder so war, drohten mir Opa und Richard zusätzliche Schläge an, wenn ich mir das wieder gefallen ließe. Ich sei doch schon groß und stark genug um mich zu wehren. Ja, da musste ich drüber nachdenken.
Am 07. 08. 1950 kam mein Stiefbruder Reinhard in Düsseldorf auf die Welt.
Als Mutti dann nach der Niederkunft wieder zu meinen Großeltern nach Hause kam, war ich ganz verstört, dass da noch jemand mitkam. »Bleibt der jetzt immer hier?«, soll ich meine Großeltern gefragt haben.
Die Familie hatte mir dann erklärt, dass er mein Bruder sei und ich den lieb haben sollte. Na ja?! Grummel, Grummel!
Am 07. 10. 1950 hatte ich mal wieder Geburtstag. Von all dem, was ich mir gewünscht hatte, war nichts bei den Geschenken dabei. Stattdessen lag da eine alte Geige im Kasten, ein Familien-Erbstück. »Was soll ich denn damit?« habe ich in die Runde gefragt. Meine Oma hat dann gesagt, dass ich jetzt Geigen-Unterricht bekäme und der Lehrer würde sogar zu uns ins Haus kommen. Und das sei doch wohl schön! Oder?
Da mein Ömchen für mich ja mein Schatz war, habe ich auch nicht mehr widersprochen.
Aber, was in den nächsten Jahren da so alles auf mich zu kam, war schon hart. Das kann auch nur einer wirklich nachvollziehen, der selbst Geige spielt.
Auf den meisten Instrumenten sind verschiedene Töne einfach fertig und hören sich gut an. Nicht aber auf einer Geige. Da quietscht’s schon, wenn man eine Saite nur anguckt oder bzw. berührt oder streicht.
Dann kam der Tag, an dem mein Geigenlehrer »Herr Arnold« aufkreuzte. Er war mit seiner »Maschine«, wie er immer sagte, gekommen. Diese Maschine war ein Fahrrad mit Hilfsmotor. Jedes Mal hat er mir dann Geschichten erzählt, die ihm mit dieser Maschine wieder passiert waren. Zum Beispiel, dass er wieder eine »BMW« (Motorrad mit zwei Zylindern) überholt hatte oder dass man ihm seine Maschine klauen wollte, die aber zu schwer gewesen war etc, und so weiter.
Dann begann der Unterricht. Erst wurde die Geige erklärt: Aufbau des Geigenkörpers, der Steg, die vier Saiten, das Stimmen und so weiter.
Dann kam die Praxis: Wie hält man die Geige und wie den Bogen?
Dann musste ich die leeren Saiten streiche(l)n. An der Stelle war meine Lust schon gänzlich vorbei.
Das musste ich jetzt immer üben? Es begann eine schwere Zeit für mich!
Jetzt aber wieder zu unserer Familie.
Das Zusammenleben aller fünf Familienmitglieder im Haus meiner Großeltern wurde immer schwieriger. Deshalb besorgten sich Hilde und Richard eine eigene Wohnung in Düsseldorf-Flingern in der Lindenstraße. Diese Wohnung war ein Altbau mit zwei hohen Zimmern, eine Küche und ein Klo. Sie zogen mit meinem kleinen Bruder Reinhard, zunächst noch ohne mich, aber mit meinen Sachen, dorthin.
3.Mein 3. Umzug 1952 zur Lindenstraße
Am Morgen des Umzugs stand der Möbelwagen schon früh vor der Haustüre.
Wer jetzt denkt, dass der Möbelwagen ein schwerer LKW war, der ist schief gewickelt.
Vor der Türe stand ein Einspänner-Pferdewagen mit einem Kaltblut-Pferd davor. Die Ladefläche hatte ein Plangestell mit Plane. Manchmal lieferte dieses Gespann auch Bier in Düsseldorf aus.
Für unsere Möbelmenge war der Pferdewagen allerdings groß genug; auch meine Sachen waren ja schon dabei, bis auf Kleidung zum Wechseln, die brauchte ich ja noch bei meinen Großeltern. Dort sollte ich ja bis zum Ende des 2. Schuljahres so bleiben.
Die Fahrt mit dem Pferdewagen ging dann von Düsseldorf-Eller über Düsseldorf-Lierenfeld nach Düsseldorf-Flingern und dauerte etwas über ein Stunde.
Wie gesagt, meine Sachen waren schon mit auf dem Möbelwagen, obwohl ich erst noch weiter bei meinen Großeltern wohnte. Morgens fuhr ich mit der Straßenbahn oder dem Fahrrad nach Düsseldorf-Flingern in die Schule.
Mit meinem kleinen Bruder Reinhard gab es ständig Probleme. Er war viel krank: mit Ausschlag, Windpocken, Neurodermitis etc. Einmal musste er sogar einige Monate in einer Klinik bleiben.
Er war aber auch sonst ein Kind, was sich nur schlecht anpassen konnte. Er bemühte sich auch immer, nur das zu tun, was er wollte. Ihm war es auch egal, wenn er von seinem Vater Prügel bekam. Er ließ sich auch die tollsten Besonderheiten einfallen, wie zum Beispiel die folgenden Geschichten:
Als meine Mutter eines Tages wieder zur Abendmesse in der Kirche war und Reinhard eigentlich schon im Bett liegen sollte, sie hatte ihn ja vorher hingelegt, da wurde unsere Mutter plötzlich in der Kirche unruhig.
Deshalb ging sie schon vor Messeschluss wieder nach Hause. Als sie dann in das Schlafzimmer kam, wo mein Bruder sein Bettchen hatte, stand mein Bruder Reinhard auf der Fensterbank. Er hatte sich mit Hilfe der Übergardine irgendwie hochgezogen. Gott sei Dank! hat er das Fenster nicht öffnen können und ist auch nicht nach innen auf den Boden gefallen.
Ein anderes Mal hat er von außen im Klofenster gesessen, weil das immer geöffnet war. Jetzt könnte man sagen, warum hat man darauf nicht geachtet und das Fenster zugemacht?
Aber gelüftet werden musste ja auch und das Fenster öffnen war ja nicht so einfach. Unser Klo bestand aus einem langen Raum wie ein Schlauch. Etwa in der Mitte des Raums stand der Topf und dahinter war ein Podest (gedacht für Koffer etc.), auf das man klettern musste und so kam man an das kleine Klo-Fenster. Für jeden Erwachsenen war es eine Tortur an das Fenster zu kommen, aber für meinen kleinen Bruder nicht. So kam es, dass er auf das Podest geklettert war und von außen im Fenster saß. Von dort hätte er auch zwei Etagen runter fallen können. Davor haben ihn die guten Geister bewahrt und meine Mutter. Sie ist so leise wie sie konnte auf das Podest geklettert und hatte blitzartig meinen Bruder am Pullover gepackt und vom Fenster weggezogen. Danach hat sie sich auf den Boden gesetzt und ganz doll geweint.
4.Mein 4. Umzug 1953 zur Lindenstraße
Ab Ende des 2. Schuljahres zog ich dann also auch in Düsseldorf-Flingern bei meiner Mutter, Richard und Bruder Reinhard, mit in die Wohnung ein. Meine restlichen Sachen hat mein Opa gebracht. Jetzt war unsere Familie mal komplett.
Ich hatte kein eigenes Zimmer. Ich schlief auf einer Bettcouch im Wohnzimmer.
Das Zimmer hatte einen Erker mit einem großen und zwei kleinen Fenstern. Aus den kleinen Fenstern konnte ich ziemlich unbeobachtet raus gucken.
Eines Tages wollte eine Frau am Haus vorbeigehen, während ich gerade schnell einmal spucken üben wollte und sie hatte das Ergebnis auf ihrem Revers.
Die Frau war aber nicht dumm. Sie hat sich dann an die Hauswand gedrückt und gewartet. Ich wollte jetzt aber auch nachsehen, was sie macht und habe vorsichtig raus geguckt. Da hat sie mich gesehen und bei uns geschellt. Meiner Mutter war das dann auch so peinlich, dass sie, meine Mutti, mich anschließend mit einem Holzlöffel bestrafen wollte. Deshalb sind Mutti und ich um den Küchentisch gelaufen, aber ich war schneller. Sie war auch noch ausgerutscht, lag halb unter dem Küchen-Tisch und dann haben wir beide uns weg gelacht.
Dann hat sie mir aber doch noch erklärt, warum man so etwas nicht macht und die Angelegenheit war erledigt. Zur Strafe musste ich allerdings nachmittags auf meinen kleinen Bruder aufpassen, denn der war ja nun mal sieben Jahre jünger als ich. Deshalb konnte ich nicht zu meinen Freunden zum Spielen auf die Straße. Wenn eine solche Aktion anstand, hatte ich immer einen dicken Hals.
Sonntags war das immer Usus. Das wusste ich ja mittlerweile. Nach dem Mittagessen war mein Einsatz. Ich nahm dann den Tretroller, den Bruder Reinhard vorne drauf und dann schoben wir durch Düsseldorf-Flingern.
Einmal schoben wir sonntags auch mal wieder los und waren schon fast zurück vor unserer Haustüre, da kam eine Frau aus der Nachbarhaustüre und schon war es passiert: Die Frau fiel über uns, lag auf dem Bürgersteig und hatte beide Knie verletzt und die guten Nylons waren kaputt. Wieder gab’s Ärger. Ich sagte mir aber, die Frau hat ja auch nicht aufgepasst. Na ja! Meine Mutter musste die dämlichen Nylons ersetzen und gut war’s.
Als ich dann zum Beginn des 3. Schuljahres in die Volksschule am Hermannplatz versetzt wurde, habe ich gedacht: ich kann mir das mit der Prügel nicht länger gefallen lassen, sonst sehe ich alt aus. Da ging es doch schon wieder los mit der nächsten Hänselei (Vorgänger des heutigen Mobbing). Ich schlug diesmal aber zurück und hatte auch Erfolg. Mein Gegenüber lag im Dreck und ich war seitdem der Held in der Schule.
Dann lernte ich meinen Schulfreund »Udo« kennen. Von da an waren wir zwei immer zusammen, bis zum Ende der Schulzeit. Udo hatte meist einen roten Pullover an und war immer in meiner Nähe. Deshalb nannten die Mitschüler den Udo: »meinen Verteidigungsminister in rot«. Wenn es einmal Probleme gab, war er auch immer zur Stelle. Udo war ein kräftiger, durchtrainierter Typ, aber ca. 5 cm kleiner als ich.