- -
- 100%
- +
Oder an eine Assistentin gerichtet: „Oh, Sie sind jung und hübsch und könnten sich einen Zahnarzt angeln … Was wollen Sie dann noch Chirurgin werden?“ Auch war manches Mal zu hören „Was will die Puppe hier?“, wenn sich eine Frau in der Chirurgie bewarb. Für die Kolleginnen oft eine Gratwanderung zwischen Himmel und Hölle

Karikatur von Marie Marcks
Noch 1961 stellte der damalige Rektor der Medizinischen Akademie Erfurt die damals ernst gemeinte Frage: „Man sollte überlegen, ob man nicht mehr Männer als Frauen zum Medizinstudium zulassen sollte“.6 Der Anteil von Frauen in der Chirurgie lag um 1964 in der DDR unter zehn Prozent.
Ein kurzer Blick ins Fotoarchiv zeigt auf einem Schnappschuss von 1956 die Mitarbeiter der Chirurgischen Akademie-Klinik Erfurt unter Professor Egbert Schwarz (1890–1966). Unter 19 Chirurgen befinden sich immerhin drei Assistenzärztinnen, deren Namen und Werdegang allerdings nicht bekannt sind [114]. Da wir gerade in Thüringen sind: In der Gründungsgeschichte der Thüringischen Gesellschaft für Chirurgie wird 1947 als Gründungsmitglied „Frau Dr. Hellwig“ aus Jena genannt, es handelt sich um Dr. med. habil. Ingeborg Hellwig, Schülerin und Oberärztin von Nikolai Guleke (1878–1958)7.

Die ärztlichen Mitarbeiter der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Erfurt 1956. In der Mitte Klinikchef Prof. Egbert Schwarz, in der letzten Reihe drei Chirurginnen.
In der Basler Chirurgischen Universitätsklinik arbeiteten 1965 bei Professor Rudolf Nissen (1896–1981) 58 Ärzte, jedoch keine einzige Frau! [40]. Auf dem „Klassenfoto“ von Martin Allgöwers (1917–2007) Chirurgischem Departement Basel erkennen wir 1982 eine Frau (S. Demou-Hüni) unter 19 Männern [85]. Die Eintragungen in den Personalfragebögen lauteten in der Rubrik Facharzt immer noch „Chirurg“ statt „Chirurgin“, und zwar in Ost wie in West. In puncto Aufstiegsgrenzen für Frauen in der Chirurgie herrschte deutsche Einheit. In einer Publikation über den Patriarchalismus in der DDR wird eine Hebamme zitiert, die klar ausdrückte, dass die „Frauenförderung“ nur auf dem Papier stehe und es im Krankenhaus eine Verhinderungsstrategie des chirurgischen Chefarztes gäbe, der „gar keine Frau aufkommen lassen“ würde, nur Männer in der Chirurgie akzeptiere und Frauen „rausstänkere“ [23].

Das Klinikteam der Basler Chirurgischen Universitätsklinik unter Prof. Dr. Rudolf Nissen (1896–1981), zweite Reihe, 5. v. re. Eine Frau ist unter den 60 Personen nicht zu entdecken (aus [40]).
Dass sich jedoch die Entwicklung nicht aufhalten ließ, belegen mehrere Einzelbeispiele aus jener Zeit im zweiten Teil dieser Schrift. Von prinzipieller Natur ist die Aussage des Nicht-Chirurgen Prof. Hans Berndt (*1927), von 1982 bis 1992 Direktor der I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité, in seinem Geleitwort zur Autobiographie der Infektiologin Prof. Renate Baumgarten (*1938). Darin schreibt Berndt 2004 aus eigener Erfahrung mit einer verehrten Chefärztin8, dass er nie Vorbehalte gegen Frauen in leitender Stellung [hatte], sondern Verständnis für Kolleginnen, die um Anerkennung und Respekt in einer männlich dominierten Hierarchie ringen mussten [6].
In Deutschland übersteigt inzwischen die Zahl der Frauen im Arztberuf die der Männer, im Fach Chirurgie trifft dies noch nicht zu. Im Jahr 2000 waren über 50 Prozent der Medizinstudierenden Frauen, in der Chirurgie waren damals jedoch nur 12 Prozent weiblich, in Österreich etwa zehn Prozent. Rund gerechnet befanden sich 2003 unter 5800 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 395 Frauen, das sind etwa sechs Prozent [5].
Der Übertritt ins 21. Jahrhundert scheint eine Zäsur im Geschlechterverhältnis unter den Chirurgen und eine Veränderung in der Wahrnehmung dieses Problems zu bedeuten. Unter der Präsidentschaft von Professor Klaus Schönleben wird 2001 die Frauenfrage in der Chirurgie Thema auf dem 118. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Namhafte Fachvertreterinnen bringen hier historische Aspekte, Entwicklungstendenzen und Erfolgsaussichten in die Öffentlichkeit [41].
Ende 2013 sind etwa 18 Prozent der in einem chirurgischen Fach, also auch in der Orthopädie, Unfall- und Herz-Thorax-Chirurgie arbeitenden Ärzte Frauen. Die steigende Anzahl von Frauen in der Chirurgie geht einher mit der Entwicklung der sogenannten neuen Medien, in denen angehende und ausgebildete Chirurginnen Plattformen und Diskussionsforen für ihre Anliegen finden. Da wird gebloggt und gepostet, was das Zeug hält. Da meldet sich zum Beispiel die Chirurgin Heather Lodge aus North Carolina, zum Thema operierender Ärztinnen, Familie und Mutterglück, und schreibt neben vielem Positiven auch: „Das alte Stereotyp eines Chirurgen ist ein allwissender arroganter Mann, der sehr gut funktioniert, aber oft herzlos ist, nicht nur mit Kollegen, sondern auch mit Patienten …!“
Als die damals 46-jährige Professorin Doris Henne-Bruns 2001 von Kiel auf das chirurgische Ordinariat an der Universität Ulm berufen wurde, kam dies einer Sensation gleich. Die Schülerin von Hans-Wilhelm Schreiber (1924–2004) in Hamburg war die erste Frau auf einem chirurgischen Lehrstuhl in Deutschland. Das hätten sich die Altvorderen wohl kaum träumen lassen! Und zudem: Frau Henne-Bruns hat Mann und Kind! Als Nachfolgerin von Christian Herfarth (1933–2014), der 1973–1981 erster Chirurgie-Ordinarius der 1967 neugegründeten Universität Ulm war, und ab 1982 dann Hans-Günter Beger (*1936) kam sie in dem Jahr ins Ulmer Amt, als Begers Lehrer Emil S. Bücherl (1919–2001) verstarb. Es waren ihr allerdings schon einige „schneidige“ Frauen auf Lehrstühlen operativer Fächer in Deutschland vorausgegangen wie Elisabeth Schmöger (1920–1994) für Augenheilkunde und Rosemarie Albrecht (1915–2008) für HNO, beide 1955 auf Ordinariate an der Medizinischen Akademie Erfurt (gegr. 1954, geschl. 1993) sowie Gabriele Schackert (*1953) und Anna-Elisabeth Trappe (*1939) 1993 bzw. 1995 für Neurochirurgie in Dresden und München.

Doris Henne-Bruns wurde 2001 erste chirurgische Ordinaria Deutschlands
Als erste Ordinaria für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an einer deutschen Universität und als moderne Frau ging Doris Henne-Bruns von Anfang an offen mit den Problemen um, die sich noch heute mit dem „Einbruch in die Männerdomäne Chirurgie“ ergeben. Sie habe Karriere gemacht, sagte sie einmal, „obwohl sie eine Frau ist“ und „Frauen müssen noch immer den Spagat zwischen Beruf und Familie leisten“
Doris Henne-Bruns war bereits über ein Jahrzehnt im Amt, als 2013 Prof. Christiane Bruns (*1965) nach Magdeburg und 2014 mit Prof. Ines Gockel (*1969) zum dritten Mal in Deutschland eine Frau auf ein chirurgisches Ordinariat berufen wurde und das auf den traditionsreichen Lehrstuhl in Leipzig, den u. a. Thiersch, Trendelenburg, Payr und Uebermuth innehatten. Das war immer noch gewöhnungsbedürftig, auch wenn man sich inzwischen an zunehmend mehr Chirurginnen gewöhnt hatte. Ines Gockel war ungefähr im selben Alter wie Doris Henne-Bruns, als diese damals in Ulm die Chefposition antrat, und wie diese vertritt sie die Viszeral- und Transplantationschirurgie und zusätzlich die Thorax- und Gefäßchirurgie. Ines Gockel kam aus Mainz von Prof. Theodor Junginger und hat die Welt gesehen: Montréal, Vancouver, Pittsburgh, letzteres 2009 mit einem Reisestipendium der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie
Der nächste Paukenschlag in der chirurgischen Community Deutschlands folgte ein Jahr nach dem Amtsantritt von Ines Gockel. Es war die Wahl der Dresdner Neurochirurgin Prof. Gabriele Schackert9 zur Präsidentin der 133. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die vom 26. bis 29. April 2016 in Berlin stattfand. Ob da jemand von der 1872er Gründungsmitgliedern im Grabe rotierte? Prof. Schackert gab „ihrem“ Kongress das Motto „Chirurgie im Spannungsfeld von Technik, Ethik und Ökonomie“. Im Jahr ihrer Wahl zur Präsidentin musste sie nun eine „Herrenrede“ statt der obligaten Damenrede halten. Anwesende erinnern sich, dass sie das mit spitzer Zunge, humorvoll und mit Charme getan habe [2]. Prof. Schackert kam aus der Heidelberger Schule von Stefan Kunze (*1938), hatte zwei Jahre in Houston/Texas gearbeitet, sich 1990 habilitiert und war 1993 auf den Lehrstuhl für Neurochirurgie an die Medizinische Fakultät „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden berufen worden. Die Hauptarbeitsgebiete ihrer Klinik sind Hirntumoren, Stereotaxie und Kinderneurochirurgie, in jüngerer Zeit auch die molekulargenetische Forschung und Therapie [19]. DIE ZEIT titelte „eine Frau für schwere Fälle“, was ihrem Ruf entspricht. Aus dem etwa zwanzigköpfigen Klinikteam heißt es „Was sie sagt ist Gesetz!“ Gabriele Schackert hat außerdem das fertiggebracht, was viele angesichts einer solchen Karriere für ein Kunststück halten: Sie ist verheiratet und hat zwei (inzwischen erwachsene) Kinder.10
Auch im Bereich der experimentellen Chirurgie haben Frauen entscheidende Positionen erreicht, so etwa die Chirurgin Prof. Brigitte Vollmar, die seit 2002 Direktorin des Rudolf-Zenker-Instituts für Experimentelle Chirurgie an der Universitätsmedizin Rostock ist. Seit 2015 ist sie auch Lehrstuhlinhaberin (W3-Professur für Experimentelle Chirurgie) an der Universität Rostock. 2011 wurde sie in den überschaubaren Kreis der weiblichen Leopoldina-Mitglieder aufgenommen. In Leipzig wird der Bereich innerhalb der Chirurgischen Klinik als Arbeitsgruppe von Prof. Dr. rer. nat. Gabriela Aust geleitet und die Chirurgin Prof. Dr. med. Heike Allgayer leitet seit 2004 die Experimentelle Chirurgie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.
Viele Frauen haben sich nach einer chirurgischen Grundausbildung für ein anderes operatives Spezialfach entschieden. In den Gründerjahren der Emanzipation war es fast immer der geburtshilflich-gynäkologische Bereich. Heute sind es alle artverwandten Spezialdisziplinen. In der Neurochirurgie befanden sich 2001 unter insgesamt 690 ordentlichen Mitgliedern der Fachgesellschaft 40 Frauen. Zwei jahrgangsmäßig ältere Fachvertreterinnen seien hier aufgrund einiger Besonderheiten hervorgehoben. Da ist einmal Prof. Jutta Krüger (*1941) mit ihrem recht abwechslungsreichen Lebenslauf, der seinen Höhepunkt als Ober- und Chefärztin an der von Werner Usbeck (1920–2007) begründeten Neurochirurgischen Akademie-Klinik in Erfurt fand. Als sich 1989/90 bedingungslos in den Dienst des Neuaufbaus stellende „Westärztin“ hat sie den Kampf um den Erhalt der Medizinischen Hochschule miterlebt, mitgestaltet und in einer aufschlussreichen Dokumentation festgehalten [69].
Die Wienerin Margareta Klinger (*1943) brachte schon einen medizinischen Doktortitel aus Kanada mit und hat dann noch eine zweite Promotion in Deutschland abgeschlossen. Sie ist Schülerin von Prof. Wolfgang Schiefer (1919–1980) in Erlangen und war die erste Frau in Deutschland, die sich in Deutschland für Neurochirurgie habilitiert hat. Noch im Ruhestand war Prof. Klinger als Patientenfürsprecherin des Universitätsklinikums Erlangen aktiv. 2005 wurde sie, die verheiratet ist und drei Söhne zur Welt gebracht hat, zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie ernannt. Von der jüngeren Generation, geboren in den 1960er und 1970er Jahren, tritt eine stattliche Reihe von Neurochirurginnen auf den Plan, allesamt Professorinnen: Kirsten Schmieder in Bochum, Cornelia Czedich in Saarbrücken, Raphaela Verheggen in Bad Pyrmont, Patra Charalampaki als Oberärztin in Köln-Merheim, Juliane Behnke-Mursch in Bad Berka, Uta Schick in Münster, Ilonka Kreitschmann-Andermahr in Essen, Ulrike Blömer niedergelassen in Damme/Niedersachsen. – Ursula Schüwer war Chefärztin einer Rehaklinik in Pulsnitz/Sachsen und Aeilke Brenner leitete über 25 Jahre die Neurochirurgie am Werner-Forßmann-Krankenhaus in Eberswalde [10].
Auch die Zahl habilitierter Orthopädinnen, Unfallchirurginnen und Urologinnen wächst ständig. Zu nennen sind hier – willkürlich herausgegriffen – Renée Lampe, Orthopädie TU München, Margit Fisch, Kinderurologie Hamburg-Eppendorf (erste Ordinaria dieses Fachgebietes!), Daniela Schultz-Lampel, Urologie am Schwarzwald-Baar-Klinikum, Ricarda M. Bauer, Urologie der LMU München, Ruth Kirschner-Hermanns, Urologie Bonn, Dorothea Weckermann, Urologie Augsburg, Andrea Meurer, Orthopädie Frankfurt am Main (2017 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie), Bettina Westhoff, Orthopädie Düsseldorf, Viola Bullmann, Orthopädie Köln, Angela Olinger in Salzgitter und dann in Plau am See (sie war die erste habilitierte Unfallchirurgin in Westdeutschland), Julia Seifert, Unfallchirurgie Greifswald (lange Jahre Vizepräsidentin des BDC). Seit September 2020 ist Tina Histing Ärztliche Direktorin und Direktorin der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der BG Klinik Tübingen und zugleich Lehrstuhlinhaberin für Unfallchirurgie an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als erste Unfallchirurgin.
Einen besonderen Platz unter den Spezialistinnen nehmen die Kinderchirurginnen und die Plastischen Chirurginnen ein, weil sie diese Disziplinen, offenbar ihrer Neigung und Geschicklichkeit folgend, schon sehr frühzeitig vorangetrieben und bedeutende Persönlichkeiten in ihren Reihen haben. Einige der nicht mehr lebenden Vorkämpferinnen werden im zweiten Teil ausführlich gewürdigt. An dieser Stelle blicken wir nun auf die emeritierten oder noch aktiven Kolleginnen/Professorinnen: Felicitas Eckoldt-Wolke, Kinderchirurgie Jena, Helga Roth, Kinderchirurgie Heidelberg (erste Professorin dieses Spezialgebietes in Deutschland), Karin Rothe, Kinderchirurgie Charité Berlin, Sylvia Glüer, Kinderchirurgie Hameln/Hildesheim, Mariana Santos, Kinderchirurgie Düsseldorf, Barbara Ludwikowski, Kinderchirurgie Hannover, Monika Krause, Kinderchirurgie Trier, Heidrun Gitter, Kinderchirurgie Bremen (seit 2012 auch Präsidentin der LÄK Bremen).

Hildegunde Piza-Katzer
Von den Vertreterinnen der Plastischen-, Wieder-herstellenden- und Handchirurgie verdienen vor allem die Professorinnen Hildegunde Piza-Katzer in Wien und Innsbruck sowie Christine Radtke in Wien, die Magdeburger Professorin Gertrud Pohl, die Geldmacher-Schülerin Prof. Margita Flügel, früher Erlangen, dann Hannover, Prof. Jutta Liebau in Münster, dann Düsseldorf und Prof. Marianne Schrader in Lübeck, die ehemalige Chefärztin Dr. Mechthild Weiße-Lögering in Pirna/Sachsen u. a. erwähnt zu werden. Von Prof. Pohl liegt dem Verfasser ein eindrucksvoller autobiographischer Abriss vor, der ein recht ungewöhnliches Leben offenbart. Als Landarbeiterkind Gertrud Anneliese Jahnke am 31. Januar 1935 in Terpen, Kreis Mohrungen, geboren, verlor sie mit sechs Jahren den Vater im Krieg, wurde 1947 aus Ostpreußen ausgewiesen und fand in der Altmark eine neue Heimat. 1953 konnte sie an der Winkelmann-Oberschule in Seehausen das Abitur ablegen und von 1953 bis 1958 in Greifswald und Magdeburg Medizin studieren. Von 1960 bis 1964 absolvierte sie – inzwischen promoviert und verheiratet – die chirurgische Ausbildung an der Medizinischen Akademie in Magdeburg bei Prof. Werner Lembcke (1909–1989). Mit Sondergenehmigung erhielt sie einen postgradualen Studienplatz für Plastische und Wiederherstellende Chirurgie in Brünn (Brno) (V. Kubáček) und Prag (V. Karfík). Danach erhielt G. Pohl nach ihren Angaben die erste Facharztanerkennung auf diesem Gebiet in der DDR. Eine erste große Bewährungsprobe hatte sie 1967 bei der Versorgung Schwerstbrandverletzter nach dem Zugunglück von Langenweddingen zu bestehen. 1969 erhält sie nach intensiven Bemühungen eine eigene Abteilung an der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Magdeburg. Mutter eines Sohnes und einer Tochter, habilitierte G. Pohl 1976 (damals Promotion B genannt), führte die Sektion Plastische und Wiederherstellende Chirurgie innerhalb der DDR-Chirurgengesellschaft (1972–1990), nahm an nationalen und internationalen Kongressen teil und wurde 1989 a. o. Professorin. Von 1993 bis 2002 arbeitete sie in eigener Niederlassung. Rückblickend meinte die mehrfach Ausgezeichnete, dass es „in dieser Zeit in der Chirurgie allgemein noch gewisse Voreingenommenheiten ärztlichen Mitarbeiterinnen gegenüber und den Spezialisierungsbestrebungen gab, die von namhaften Chirurgen abgelehnt wurden oder unerwünscht waren“ [96].
Wenden wir uns wieder der Allgemein- und Viszeralchirurgie zu. Aus der immer größer werdenden Schar weiblicher Chirurgen heben sich Namen von Rang ab. So gilt zum Beispiel unsere Aufmerksamkeit Dr. Ingrid Hasselblatt-Diedrich (*1940), die einerseits als Schülerin des Chirurgen Günther Vetter (1920–2014) am Bürgerhospital Frankfurt am Main als Oberärztin und dann im Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen als Chefärztin und andererseits im Hartmannbund und in der Hessischen Landesärztekammer Karriere machte [55]. Ihre Kollegin Dr. Ursula Stüwe (*1947) wurde 2004 ebenfalls Präsidentin der Landesärztekammer Hessen. Sie hatte sich als gelernte Krankenschwester auf dem zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erworben, Medizin studiert, war Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie geworden und arbeitete von 1979 bis 2010 als Oberärztin und Controllerin an den Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden. Überregional bekannt geworden ist U. Stüwe als Expeditionsärztin der „Polarstern“ in der Antarktis
Auch für die endokrine resp. Schilddrüsenchirurgie wurden ab etwa 2005 spezielle Abteilungen unter Führung von Chirurginnen gebildet. Beflügelt wurde diese Entwicklung vor allem durch Dr. Ursula Engel aus Hamburg, die zunächst ab den Achtzigern im damaligen AK Hamburg-Harburg bei Prof. Volker Bay und ab Mitte der Neunziger am AK Hamburg-Altona bei Prof. Wolfgang Teichmann für diesen Bereich zuständig war. Heute sind solche Einheiten u. a. mit den Namen Dotzenrath, Heidemann, Schwarz, Rayes und Weber in Verbindung zu setzen.
Jahrgang 1972, verheiratet, ein Kind – das trifft auf Prof. Katja Schlosser zu, Chefärztin der Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie bei Agaplesion in Gießen. Sie hat in ihrer Laufbahn durchaus Einiges zur Feminisierung der Chirurgie beigetragen und sich dazu nicht nur einmal öffentlich geäußert. Den Unkenrufen „Verträgt sich nicht mit einer Familie“, „Mach das bloß nicht, das ist nichts für eine Frau“, „Das wirst du bereuen“ zum Trotz hat sie sich beharrlich der Chirurgie gewidmet, hat sich an einer männerdominierten Chirurgischen Universitätsklinik emporgearbeitet und mit „extrem guter Organisation“ Beruf und Privatleben unter einen Hut gebracht
An „führenden Frauen“ in der (deutschen) Chirurgie mangelt es nicht mehr. So sind seit kurzem Dr. Sabine Presser und Anja Regel Chefärztinnen der Chirurgie an den Krankenhäusern in Suhl bzw. Eisenach und Saalfeld geworden. In diese Reihe gehört auch die Chefärztin der Klinik für Adipositaschirurgie in Gera, Prof. Christine Stroh (*1969). Dr. Felicitas Zimmermann war von 2009 bis 2020 Chefärztin der Klinik für Gefäßchirurgie am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt. Die in der Charité in Berlin und am ehemaligen Hamburger AK Altona ausgebildete Dr. Beate Herbig, Tochter des bekannten Dirigenten Günter Herbig, ist Chefärztin der ersten deutschen Adipositas-Klinik an der Schön Klinik in Hamburg-Eilbek. Beate Herbig ist im Übrigen zusammen mit ihrer thoraxchirurgischen Kollegin Dr. Gunda Leschber aus Berlin die einzige Frau im 60 Köpfe umfassenden wissenschaftlichen Beirat der Chirurgenzeitung CHAZ.
Für Aufsehen in den Medien sorgte 2015 die Wiener Professorin für Chirurgie Adelheid End (*1958), die sich gemobbt fühlte und ihren Arbeitgeber, das AKH Wien, und die Republik Österreich verklagte. Die „Thoraxchirurgin aus Leidenschaft“ fühlte sich aus dem Operationsprogramm „eliminiert“. Wie so oft stand Aussage gegen Aussage. Die Chirurgin gewann zwar einige Prozesse, wird aber im Personalverzeichnis der Universität nicht mehr gelistet
Oder nehmen wir Vera Kühne (*1968), die in Bischberg/Oberfranken lebt und international als „Notärztin aus Leidenschaft“ und Schiffsärztin tätig ist. Sie ist Chirurgin, Rettungsärztin und Tropenmedizinerin, Oberfeldärztin der Reserve und mit einem Bundeswehroffizier verheiratet [72].
Die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg, Prof. Martina Kadmon (*1960) ist Chirurgin. Sie erwarb 2008 in Bern den Master of Medical Education, habilitierte 2010 in Heidelberg für Chirurgie und war von 2014 bis 2017 Studiendekanin an der Fakultät für Medizin und Gesundheitswesen der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Ihr Amt als Gründungsdekanin in Augsburg trat sie im Mai 2017 an
Diese alles andere als vollständige Aufzählung macht den rasanten Wandel der Rolle der Frau in der Chirurgie deutlich; es ließen sich unschwer weitere Namen hinzufügen. All die Genannten und Ungenannten halten mit ihren Innenansichten aus dem Berufsleben nicht hinter dem Berg. 2007 veröffentlichte die Autorin Klara Ostmüller ihr Aufsehen erregendes Buch „Äskulaps zerbrochener Stab. Weg zur Chirurgin“. Dieses Buch ist auch von Doris Henne-Bruns (s. o.) rezensiert worden.11 Es handelt sich um eine Abrechnung im Thomas Bernhardschen Sinne, geschrieben von einer Chirurgin, die sich unter schwierigen Außenbedingungen von der Krankenschwester zur Fachärztin für Chirurgie und Orthopädie-Unfallchirurgie qualifizierte, sich aber am Ende dem chirurgischen Klinikbetrieb nicht mehr gewachsen fühlte – und das waren keine fachlichen Gründe. Klara Ostmüller ist ein Pseudonym, hinter dem sich die Chirurgin und Orthopädin Dr. Miriam Rusznak verbirgt. Im Laufe ihrer Tätigkeit haben sie zahlreiche Halbgötter in Weiß, Kassenfunktionäre und Politiker derart abgeschreckt, dass die Chirurgin ihr Heil in Auslandseinsätzen suchte. Mit mehreren Zusatzqualifikationen ausgestattet, arbeitete Rusznak u. a. als Traumaexpertin bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. Ihrem Enthüllungsbuch ließ sie 2008 die Schrift „Zu den Missständen in deutschen Krankenhäusern“ folgen. Sie betreibt eine orthopädisch-unfallchirurgische Praxis in der HafenCity von Hamburg.