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Wie Miriam Rusznak engagiert sich auch die Chirurgin Inga Osmers (*1973) bei „Ärzte ohne Grenzen“. Sie ist an der Unfallklinik des Klinikum „Benjamin Franklin“ der FU Berlin und an der University of Alabama in den USA ausgebildet worden und hat an zahlreichen Hilfseinsätzen in Krisenregionen teilgenommen.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich eine größere Anzahl von Chirurginnen in der DDR nach ihrem Facharztabschluss aufgrund der geregelten Arbeitszeiten der ambulanten Chirurgie in den staatlichen Polikliniken zugewandt hat. Hier haben sie fast die Hälfte der poliklinisch tätigen Chirurgen ausgemacht und bei allen Aufgaben, so auch in den Bereitschaftsdiensten, „ihren Mann gestanden“. Diese Chirurginnen haben viel zur Entwicklung des ambulanten Operierens beigetragen und sind auch als Chefärztinnen bzw. Abteilungsleiterinnen eingesetzt worden.
Eine der Protagonistinnen der poliklinischen Chirurgie war die noch heute in Rostock als praktische Ärztin arbeitende Chirurgin Dr. Monika Michelsen, Ehefrau des Chirurgen und Ärztlichen Direktors des neuerbauten Südstadt-Krankenhauses in Rostock, Prof. Ernst-Gustav Michelsen (1917–1994). Sie hatte in der dortigen Klinikambulanz die besten Bedingungen für die sich in der Entwicklung befindliche poliklinische Chirurgie.12 An der Hochschulpoliklinik der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“ Dresden wurde die Abteilung für Chirurgie unter Prof. Hans-Georg Knoch (1931–2010) zu einem Zentrum der poliklinischen Chirurgie. Knoch war langjähriger Vorsitzender der Sektion Poliklinische Chirurgie, über Jahrzehnte waren die chirurgischen Oberärztinnen Dr. Eva Kamenz und Dr. Renate Schaps enge Mitarbeiterinnen. Der ambulanten Chirurgie und ihrem Beliebtheitsgrad (oder eben nicht) gerade unter jüngeren Chirurginnen wird auch in jüngerer Zeit immer wieder einmal Aufmerksamkeit gewidmet.13
Chirurginnen in den Medien sind heute eine alltägliche Erscheinung. Es wird viel kommuniziert. In einem Blog unter der Überschrift „Lehrjahre einer Schneiderin – Schneiden, Nähen, Knüpfen“ schildert eine junge Chirurgin, die sich selbst als „Chirurgenwelpe“ bezeichnet, auf erhellende Weise ihre Befindlichkeiten während und nach der chirurgischen Ausbildung

Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) veranstaltet Seminare wie „Chirurginnen auf dem Weg nach oben“, und für das Problem „Operieren in der Schwangerschaft“ existiert das Netzwerk OPIDS. Auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie startete 2015 auf Initiative der Chirurginnen Dr. Maya Niethard und Dr. Stefanie Donner die Aktion „Operieren in der Schwangerschaft“; nebenbei bemerkt konnten die beiden Damen auf eigene Erfahrungen mit dem Operieren in der Schwangerschaft verweisen
Ein weiteres aktuelles Thema ist, ausgelöst durch einen Artikel im British Medical Journal von 2017, „Haben Chirurginnen weniger Komplikationen als männliche Kollegen?“ Gemeint sind natürlich die intra- und postoperativen. Die schon mehrfach erwähnte Doris Henne-Bruns hat diese Arbeit 2018 in der CHAZ kommentiert und kommt zu einem interessanten Schluss: „Es gibt mit Sicherheit Unterschiede im operativen Geschick zwischen Individuen – dass diese am Geschlecht festzumachen sind, ist zu bezweifeln“ [44]. Die Klinik für Allgemeine Chirurgie am Universitätsklinikum Lübeck hat 2011 ein Projekt zur Förderung von Frauen und frauenfreundlichen Strukturen in der Chirurgie ins Leben gerufen, FamSurg (für Family and Surgery) genannt, das von der EU gefördert wird. Prof. Nada Rayes (*1964), endokrine Chirurgin am Universitätsklinikum Leipzig, hat 2017 den „FamSurg-Preis“ – 2013 gestiftet durch Frau Dr. Sybill Storz von der Firma Karl Storz Tuttlingen und im Mai 2013 erstmalig verliehen –, für „vorbildhaften und den weiblichen Nachwuchs motivierenden Karriereverlauf von Chirurginnen“ erhalten. Prof. Rayes selbst ist zweifache Mutter und hat, wie auch die anderen Preisträgerinnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig bewiesen.14

Der 2018 amtierende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Jörg Fuchs (*1963) von der Tübinger Kinderchirurgie, hat in seiner „Damenrede“ 15 ein Jahr zuvor den Frauen in der Chirurgie auf besondere Art seine Reverenz erwiesen, indem er sie in ihren Eigenschaften mit der Jungfrau von Orleans16 vergleicht: Enthusiastisch, hartnäckig, unbeirrbar im Glauben an ihre Sache. Charmant meinte Fuchs, die Chirurgen der Gegenwart seien in ihrer vermeintlichen Domäne wieder zu Minnesängern geworden, und widmete den Chirurginnen eine kleine Ode des Walther von der Vogelweide [33]. Womit freilich noch nicht alles gut ist und nicht überall eitel Sonnenschein in der Chirurgie zwischen Frauen und Männern herrscht. … Nehmen wir nur die Mammutkongresse der 1872 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Da ist jetzt freilich viel junge Weiblichkeit unter den Teilnehmern zu bemerken, in der „oberen Etage“ sieht es aber ein wenig anders aus. Das schwergewichtige 495 Seiten starke Tagungsprogramm zum 135. Kongress der DGCH aus dem Jahr 2018 weist unter der Rubrik „Verzeichnis Vorsitzende und Referenten“ 1445 Namen auf, darunter 305 Chirurginnen (<5 %). Echte „Chefinnen im Ring“, d. h. Tagungsvorsitzende und Workshop-Leiterinnen, sind davon 33. In den Vorständen der DGCH und den ihr angeschlossenen Fachgesellschaften finden sich fünf Frauen, erste Senatorin ist Prof. Schackert aus Dresden. Dennoch: Kindergeplapper und Kindertrubel auf den Fluren eines Chirurgenkongresses! Im „KidsClub Chirurgie“ wird der allerjüngste Nachwuchs, Kinder im Alter von 12 Monaten bis zehn Jahren, von geschulten Kräften zwischen 8 und 18 Uhr betreut. Abgegeben werden die Kleinen von chirurgischen Muttis oder Babysittern – chirurgische Vatis wurden nicht gesichtet.

Beim Blick über die Grenzen ist festzustellen, dass Frauen in der Chirurgie ebenfalls ein Thema sind. Die britische Tageszeitung The Guardian veröffentlicht z. B. die Geschichte einer Medizinerin unter der Überschrift „Ich bin eine Frau und ein Chirurg [sic] – warum ist das immer noch schockierend?“.17 Eine andere britische Studie erregte Aufsehen, in der postuliert wurde, es sei weniger wahrscheinlich, innerhalb eines Monats in der Chirurgie zu sterben, wenn der Chirurg eine Frau ist. Überhaupt hätten Forscher herausgefunden, dass Frauen bessere Chirurgen sind als Männer.18 Und manche Kollegin wird mit den Worten zitiert „Die Chirurgie hat einen Mann aus mir gemacht“, was selbstredend nicht anatomisch gemeint ist.
Auch in Frankreich ist das Thema relevant. Hier trägt das bemerkenswerte, 2012 in Rennes erschienene Buch von Emmanuelle Zolesio mit dem Titel „Weibliche Chirurgen? Frauen in einem Männerberuf“ zur Diskussion bei
Ein weiterer Blick über die deutsch-französische Grenze führt uns zu Prof. Francine Leca (*1938), die „Frau der Herzen“ und Grande Dame der Kinderherzchirurgie in Frankreich. Ausgebildet bei dem Herzchirurgen Prof. Jean Mathey, blickt sie auf eine 34-jährige Karriere am berühmten Hôpital Necker in Paris zurück und wurde 2006 emeritiert. In dieser Zeit hat sie über 6000 Kinder und Jugendliche am Herzen operiert. Selbst Mutter zweier Kinder und Großmutter von fünf Enkeln, ist Prof. Leca weltweit bekannt geworden als Förderin der Organisation „Enfants du Monde“ und ihre Hilfe für Kinder der Dritten Welt. Sie ist u. a. Offizier(in) und Ritter(in) der Französischen Ehrenlegion

Francine Leca
Es finden sich, wenn man nur hartnäckig genug sucht, noch viele andere ausländische Chirurginnen von Ruf. Als eine der bedeutendsten Chirurginnen der Transplantationschirurgie gilt Dr. Nancy L. Ascher. Von 1982 bis 1988 war sie Direktorin des Lebertransplantationsprogramms bei John Najarian an der University of Minnesota in Minneapolis. 1988 wechselte sie an die University of California San Francisco, wo sie ein Lebertransplantationsprogramm aufbaute. 1991 wurde sie Chief of Transplantation, 1993 Vice-chairwoman der Abteilung für Chirurgie und agierte schließlich 1999 bis 2016 als Chairwoman. Eine weitere bemerkenswerte Chirurgin ist die Polin Prof. Maria Siemionow (*1950) mit Staatsexamen 1974 an der Universität Posen (Poznan), die an der Cleveland Clinic in Ohio das Departement für Plastische Chirurgie leitet und 2008 mit ihrem Team die erste Gesichtstransplantation in den USA durchgeführt hat. Dass eine große Anzahl von Chirurginnen der wiederherstellenden und kosmetischen Chirurgie zuneigt und diese hervorragend meistert, wurde bereits erwähnt. So auch MUDr. Véra Satánková in Prag. Die Tschechoslowakei war übrigens das erste Land der Welt, in dem 1932 die Plastische Chirurgie als eigenständige Fachrichtung anerkannt worden ist.
Zum 100. Jubiläum der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie titelte diese 2013 ihre mediale Präsentation „100 Jahre Schweizer Chirurginnen und Chirurgen. 100 Jahre für die Patienten“ (Hervorhebung vom Verf.).
Nur am Rande: Die US-amerikanische Verfasserin des Roman-Bestsellers „Die Chirurgin“ (2004), Tess Gerritsen (*1953), ist zwar Ärztin, aber keine Chirurgin.
An den Schluss dieses Kapitels sei die russische Ärztin Alla Ilyinichna Levushkina (1927–2020) gestellt, die mit ihren 93 Jahren die älteste aktive Chirurgin ihres Landes, ja vielleicht der ganzen Welt bis zum 23. Januar 2020 gewesen sein dürfte. Als sie vor 69 Jahren zum ersten Mal operierte, saß Stalin noch im Kreml. Wie zu lesen ist, griff die 1,50 m große Frau schon im Großen Vaterländischen Krieg zum Skalpell und operierte bis Ende 2018 noch immer – jeden Tag in Rjasan an der Oka

Alla Ilyinichna Levushkina operierte mit über 90 Jahren noch!
Wie weit es unsere Gesellschaft und in ihr die Chirurginnen (und ihre Förderer) gebracht haben, zeigt das Online-Angebot von T-Shirts mit dem Aufdruck „Die beste Chirurgin aller Zeiten“! Das von der französischen Designerin Malika Favre (*1982) gestaltete Titelbild des US-amerikanischen Magazins The New Yorker vom April 2017 mit dem Titel „Operating Theatre“ zeigt – ausschließlich Frauen! Wie sehr Frauen in der Chirurgie heute ein Thema sind, beweist u. a. ein Erfahrungsbericht einer jungen chirurgischen Assistentin im traditionsreichen Lancet [123].

Das US-Magazin The New Yorker

Dieses T-Shirt gibt es in unterschiedlichen Größen zu erwerben.
Die enormen Fortschritte, welche Frauen im chirurgischen Beruf errungen haben, und der Platz, den sie als Aktive in der chirurgischen Community von heute einnehmen, finden – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen – ihren Ausdruck in einer alphabetisch geordneten Namensliste am Ende dieses Buches.
6 BA-DR3/5334: Vertrauliche Dienstsache. Diskussionsniederschrift zum Tagesordnungspunkt „Beratung des Maßnahmeplans des Staatsekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen zum Politbürobeschluss vom 13.12.1960 zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und zur Förderung der Arbeit der medizinischen Intelligenz“ der Kollegiumssitzung vom 24.1.1961. Beitrag Prof. Dr. Güthert [Harry G., 1912–1989, Pathologe], Rektor der Medizinischen Akademie Erfurt.
7 von 1919 bis 1951 Ordinarius für Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Jena. Frau Dr. Hellwig war 1958 als Chirurgin in Riad (Saudi-Arabien) tätig (DGCH, Chirurgenverzeichnis von 1958).
8 Es war dies Dr. Rosa Scheuer-Karpin (1913–2013[!]) in Berlin-Buch.
9 geborene Schmitz, Tochter des Marburger Pharmakologen und Verfassers der „Geschichte der Pharmazie“ Rudolf Schmitz (1918–1992)
10 ZEIT-online (1999) Ausgabe 48
11 Ostmüller K (2008) Äskulaps zerbrochener Stab. Weg zur Chirurgin. Araki, Leipzig
12 In der Gesellschaft für Chirurgie der DDR existierte von 1973 bis 1990 eine „Sektion Poliklinische Chirurgie“.
13 Tagungsprogramm, 135. Kongress der DGCH 2018, S. 372
14 s. CHAZ (2018) 19: Personalia in Heft 2
15 Der Kongresspräsident für 2018/2019 warf die Frage auf, ob diese „Damenreden“ überhaupt noch zeitgemäß seien, um dann seinerseits eine formidable solche zu halten, s. [33]
16 Jeanne d’Arc (1412–1431), französische Nationalheldin
17 The Guardian 6/2016; im Englischen gilt „Surgeon“ für beide Geschlechter.
18 TIME Health v. 10.10.2017
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