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Im authentischen Erlebnis, auf das viele Reenactments zielen und das für Reenactors von besonderer Bedeutung ist, zeigt sich erneut die paradoxale Struktur des Authentizitätsbegriffs. Jede Repräsentation eines historischen Ereignisses ist eine Konstruktion, weil empirisch triftige Quellen zueinander in Beziehung gesetzt und unter bestimmten Fragestellungen betrachtet werden. Insofern ist eine unvermittelte Vergegenwärtigung der Vergangenheit unmöglich. Zudem impliziert die Vorstellung, dass beim Nachspielen von historischen Ereignissen authentisches Erleben (vgl. Kap. 5) möglich ist, einerseits, dass die ausgewählten Ereignisse überhaupt als solche wahrgenommen wurden. Sie setzt andererseits das Ausblenden des Wissens über den weiteren Verlauf der Geschichte voraus. Insbesondere Schlachten-Reenactments, deren Authentizitätswirkung explizit auf die gemeinsame Performanz zurückgeführt wird, unterscheiden sich von der vergangenen Realität in einem wesentlichen Punkt, der zumindest von außen betrachtet zunächst im Widerspruch zum Authentizitätsanspruch steht: Niemand wird auf dem Schlachtfeld tatsächlich getötet oder verletzt. Das heißt, dies ist weder für die Zuschauer_innen zu erleben noch für die Reenactors nachzuerleben.
Gettysburg 1863
Nutzen wir den Authentizitätsbegriff als Analysekategorie, so lassen sich im Geschichtstheater vielfältige Formen von Authentizität identifizieren und bei Mitwirkenden und Zuschauenden unterschiedliche Authentizitätserwartungen antreffen. Dies hat unter anderem Wolfgang Hochbruck in seiner Studie zu Reenactments der Schlacht von Gettysburg 1863 demonstriert, die sich seit 1888 nachweisen lassen.51 Er zeigt, dass zunächst teilnehmende oder zuschauende Veteranen als Verbindung zur Vergangenheit und damit Authentizitätsgaranten wahrgenommen wurden, wodurch Kleidung, Ausrüstung und Waffen nicht der damaligen Zeit entsprechen mussten, sondern aus der Gegenwart stammen oder fiktiv gestaltet sein konnten. Dies änderte sich jedoch, als keine Veteranen mehr an den Aufführungen teilnehmen konnten. Nun mussten Uniformen, Ausrüstungen und Waffen möglichst genaue Repliken sein und die authentische Erfahrung wurde mit der Verwendung von authentischen Objekten verknüpft. Als Garanten der Authentizität wurden die Zeitzeug_innen somit durch Objekte am historischen Ort ersetzt.
2.4.4Authentizität im Film
Filmische Medien gebrauchen vielfältige Strategien, um Authentizität zu erzeugen, wobei sich spezifische Verfahren für dokumentarische und für fiktionale Formen herausgebildet haben.
Dokumentarfilm
Im Bereich des Dokumentarfilms gelten beispielsweise Filme des Direct Cinema als besonders authentisch.52 Diese Filmrichtung hat sich in den 1960er Jahren im Zusammenhang mit der Einführung von leichten 16-mm-Kameras und tragbaren Tonaufnahmegeräten etabliert. Hierdurch wurde es möglich, den Protagonist_innen mit der Kamera auf Schritt und Tritt zu folgen und ihren Alltag zu dokumentieren. Prämisse des Direct Cinema war, nicht in die vorgefundene Situation einzugreifen und keine Veränderungen vorzunehmen, um der Kamera beispielsweise einen besseren Blickwinkel oder eine bessere Lichtsituation zu verschaffen. Daher sind in den fertigen Filmen oftmals Ansichten verstellt, Personen angeschnitten und die Bild- und Tonqualität variiert. Genau diese Elemente sind es, die den Eindruck von Authentizität erzeugen, denn sie behaupten, die vorgefundene Wirklichkeit unverändert abzubilden.53
Die sozialen Akteur_innen, die in Dokumentarfilmen auftreten, können mehr oder weniger authentisch erscheinen. Dabei lässt sich der Eindruck eines unverstellten Verhaltens oft darauf zurückführen, dass sich die Protagonist_innen, die von der Kamera begleitet werden, auch in ihrem Alltag häufig in Situationen befinden, in denen sie vor anderen sprechen oder agieren. Sie sind daher an ‚Auftritte‘ gewöhnt und in der Lage, sich vor einem Publikum ungekünstelt und authentisch zu präsentieren. Doch auch Personen, die in Dokumentarfilmen die Kontrolle über ihre Emotionen verlieren, werden als authentisch wahrgenommen.54 Dies lässt sich beispielsweise in Geschichtsdokumentationen beobachten, in denen sich Zeitzeug_innen an die Vergangenheit erinnern. Interviewpartner_innen, die schon häufiger von ihren Erlebnissen berichtet haben und die daher bereits geübt sind, diese als Erzählung zu präsentieren, wirken in Filmen und Fernsehsendungen deutlich weniger authentisch als emotional sprechende Zeitzeug_innen, die ins Stocken geraten, Grammatikfehler machen oder von ihren Erinnerungen überwältigt werden.55 Die Authentizität von Personen resultiert in Dokumentarfilmen also aus gegensätzlichen Eigenschaften: entweder aus ihrer Routine mit öffentlichen Auftritten oder aus ihrer Ungeübtheit beim Schildern von Erlebtem.
Spielfilm
Spielfilme greifen häufig auf dokumentarische Aufnahmen zurück, um ihrer Darstellung der Vergangenheit Authentizität zu verleihen. So sind Kulissen und Kostüme in fiktionalen Filmen an historischen Fotografien oder dokumentarischen Filmen orientiert oder es wird in Dokudramen historisches Bildmaterial in Spielszenen integriert.56 Die Differenz der Bildqualität markiert hier, welche der Aufnahmen die ‚historische Realität‘ zeigen. Durch diese Verknüpfung verlängert sich die Authentizität der dokumentarischen Bilder in die Spielhandlung hinein und verleiht dieser Glaubwürdigkeit. Requisiten, mit denen die Erzählung zeitlich verortet wird, haben einen ähnlichen Effekt: das Zeitungsexemplar, das auf dem Tisch liegt, oder die Nachrichtensendung, die über den Fernsehbildschirm flimmert, tragen zum Eindruck bei, die dargestellten Ereignisse seien historisch verbürgt.57
Auch die Kameraführung, Bildqualität und Montage können zum Eindruck von Authentizität beitragen. Anhand von Schindler’s List (USA 1993) und Saving Private Ryan (USA 1998) lassen sich exemplarisch einige der visuellen Mittel und Verfahren aufzeigen, die filmischen Darstellungen Authentizität verleihen. Beide Filme sind von Steven Spielberg und handeln von historischen Ereignissen der 1940er Jahre: Schindler’s List schildert, wie der Geschäftsmann Oskar Schindler jüdische Arbeiter seiner Fabrik vor der Vernichtung rettete, und Saving Private Ryan zeigt die Landung der Alliierten in der Normandie (1944). Beide Filme wurden von Filmkritiker_innen mit Bezug auf ihren Realismus bzw. ihre Authentizität besprochen,58 machen jedoch von ganz unterschiedlichen Verfahren Gebrauch. So ist Schindler’s List in Schwarz-Weiß gedreht und zeichnet sich damit durch eine Bildqualität aus, die im Allgemeinen als authentisch gilt, wobei die Filmaufnahmen nicht zuletzt durch die harten Kontraste an Wochenschauen aus den 1940er Jahren erinnern.59 Saving Private Ryan ist hingegen ein Farbfilm, dessen Anfangssequenz, in der alliierte Soldaten versuchen, den Strand von Omaha Beach zu erreichen, vor allem durch die Verwendung von Handkameras authentisch wirkt. Anders als ruhige Kamerafahrten lassen sich Aufnahmen mit Handkameras direkt an die eigene Wahrnehmung bei Bewegungen durch den Raum koppeln und erscheinen dadurch ‚echt‘. In Saving Private Ryan wird das dargestellte Chaos beim Versuch, trotz feindlichem Beschuss an Land zu gehen, zudem durch die Montage verstärkt. Die schnellen Schnitte und die flexible Kamera erzeugen den Eindruck, der Film zeige, wie die beteiligten Soldaten die Landung in der Normandie wirklich erlebt haben müssen.
Neben diesen filmästhetischen Elementen tragen auch Schrifteinblendungen, die das dargestellte Geschehen geografisch und zeitlich konkret verorten und dadurch eine historische Nachprüfbarkeit behaupten, zur Authentifizierung von fiktionalen Filmhandlungen bei. Und schließlich übernehmen auch die Werbung und die Filmkritik einen Teil dieser Funktion: Filmplakate kündigen eine „wahre Geschichte“ an, Regisseur_innen und Schauspieler_innen schildern in Interviews die Mühen, die sie auf sich genommen haben, um einen authentischen Film zu machen, und Kritiker_innen (und manchmal auf Historiker_innen) wägen in ihren Filmbesprechungen ab, wie nahe die Darstellung der historischen Realität kommt.
Der Eindruck von Authentizität entsteht im Film durch spezifische Strategien und Verfahren und ist immer eine Konstruktion. Aus analytischer Perspektive lassen sich diese Verfahren der Authentifizierung systematisch in den Blick nehmen, wobei der historische Vergleich zeigt, dass sich diese im Laufe der Zeit verändern. Der Film unterscheidet sich darin nicht von anderen Bereichen der Public History, in denen Authentizität eine zentrale Rolle spielt. Am Beispiel des Films wird jedoch die paradoxale Struktur des Authentischen besonders deutlich: Erst durch die mediale Vermittlung entsteht Authentizität.
2.5Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Authentizität vielgestaltig ist und sich immer aus der Relation zwischen Objekten und Subjekten speist. Historische Exponate oder Repliken von Objekten können dann ein Echtheitserlebnis in Gang setzen, wenn Besucher_innnen bzw. Teilnehmer_innen bereit sind, dieses als Authentizität wahrzunehmen. Als analytischer Zugang zur Public History ermöglicht es der Begriff zum einen, die Strategien und Verfahren in den Blick zu nehmen, mit denen Geschichte präsentiert und inszeniert wird. Anhand von Fallbeispielen haben wir gezeigt, dass diese je nach Ort, Medium oder Darstellungsmodus stark variieren können. Zum anderen eröffnet der Begriff eine analytische Perspektive auf unterschiedlichste Formen der Aneignung von Geschichte – von der kontemplativen Andacht im Museum, der traumähnlichen Rezeption im Kinoraum oder dem Eintauchen in Literatur über das aktive Mitwirken an einem Reenactment bis hin zum virtuellen Erleben in Computerspielen.
Nicht nur am eingangs erwähnten Beispiel von Assassin’s Creed Unity zeigt sich, dass das Versprechen von Authentizität bei der Gestaltung von Public-History-Angeboten von zentraler Bedeutung ist. Damit machen Museen, Reenactment-Gruppen und Spieleanbieter von einer Strategie Gebrauch, die in der Werbung für Konsumgüter schon länger erfolgreich zum Einsatz kommt. Diesen ökonomischen Aspekt, der sich immer mehr mit dem Begriff der Authentizität verknüpft, gilt es unseres Erachtens auch für die Geschichtswissenschaft verstärkt in den Blick zu nehmen.
Einführende Literatur
Knaller, Susanne/Müller, Harro: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/Weimar 2010, S. 40–65.
Lethen, Helmut: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
Pirker, Eva Ulrike u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010.
Sabrow, Martin/Saupe, Achim (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016.
Saupe, Achim: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020.
1 Zit. n.: Nach Notre-Dame-Brand: Ubisoft verschenkt „Assassin’s Creed Unity“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 18.4.2019, https://www.haz.de/Nachrichten/Digital/Paris-Nach-Notre-Dame-Brand-Ubisoft-verschenkt-Assassin-s-Creed-Unity, letzter Zugriff: 20.10.2019.
2 Genaueste Nachbildung: Beim Wiederaufbau von Notre-Dame könnte ”Assassin’s Creed” helfen, in: FOCUS Online (bereitgestellt von Teleschau, 17.04.2019, URL: https://www.focus.de/digital/internet/kuenstlerin-verbrachte-zwei-jahre-in-gebaeude-wiederaufbau-von-notre-dame-mithilfe-von-assassins-creed_id_10602684.html (letzter Zugriff am 20.06.2021).
3 Vgl. Susanne Knaller: Original, Kopie, Fälschung. Authentizität als Paradoxie der Moderne, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 44–61, hier S. 44.
4 Vgl. James H. Gilmore/B. Joseph Pine: Authenticity. What Consumers Really Want, Boston 2007.
5 Vgl. Sarah Banet-Weiser: Authentic TM, New York 2012.
6 Vgl. Susanne Knaller/Harro Müller: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetischen Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/ Weimar 2010, S. 40–65, hier S. 40.
7 Regina Bendix: In Search of Authenticity. The Formation of Folklore Studies, Madison (WI) 1997.
8 Jonathan Culler hat am Beispiel des Tourismus auf diese paradoxale Struktur hingewiesen, Jonathan Culler: Semiotics of Tourism, in: American Journal of Semiotics 1/1–2 (1981), S. 127–140, hier S. 139.
9 Vgl. Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
10 Tino Mager: Schillernde Unschärfe. Der Begriff der Authentizität im architektonischen Erbe, Berlin 2016, S. 20.
11 Vgl. hierzu auch Helmut Lethen: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
12 Mager: Schillernde Unschärfe, S. 21.
13 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 41.
14 Ebd., S. 44.
15 Vgl. hierzu Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
16 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst, 2. Aufl., Dresden/Leipzig 1756, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/winckelmann1756/0001, letzter Zugriff: 1.12.2020, S. 3.
17 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 48.
18 Ebd., S. 47 f.
19 Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau, München 2001, S. 183.
20 Vgl. André Bazin: Ontologie des photographischen Bildes (frz. Orig. 1945), in: ders.: Was ist Film?, Berlin 2004, S. 33–42, hier S. 37.
21 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 1988, S. 24.
22 Theodor W. Adorno: Wörter aus der Fremde (1959), in: ders.: Noten zur Literatur, Frankfurt a.M. 2010, S. 216–232, S. 231.
23 Ders.: Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1995 (1970), S. 272.
24 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 57–60.
25 Ebd., S. 45.
26 Dementsprechend beschreibt Achim Saupe Authentizität als Form der Selbstverwirklichung, die für die Hippie-Bewegung, aber auch die Neuen Sozialen Bewegungen zentral war, Achim Saupe: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020. Die Anthropologen Richard Handler und William Saxton haben die Subjektauthentizität im Zusammenhang mit Living-History-Phänomenen beforscht und als „authentic existence“ beschrieben, Richard Handler/William Saxton: Dyssimulation. Reflexivity, Narrative, and the Quest for Authenticity in „Living History“, in: Cultural Anthropology 3 (1988), S. 242–260.
27 Martin Sabrow/Achim Saupe: Historische Authentizität. Zur Kartierung eines Forschungsfeldes, in: dies. (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 7–28, S. 14 f.
28 Eine solche Authentisierungsstrategie kann sich auch auf als traditionell geltende Wissensbestände beziehen. Beispielhaft lässt sich hierfür der Fall der norwegischen Nationaltracht bunad heranziehen: Ihre (kostengünstigere) Fertigung in südostasiatischen Textilfabriken warf die kontrovers diskutierte Frage auf, ob für die Herstellung eines authentischen bunad ein besonderes und lokal verortbares Wissen notwendig ist oder ob die Herstellungsart erlernt werden kann wie jede andere Technik. Der Konflikt zeigt auf, dass die Authentizität eines Objekts nicht nur aus seiner Materialität generiert wird, sondern auch aus dem Produktionsprozess und insbesondere dem Wissen der Produzierenden um die kulturelle Bedeutung eines Objekts. Vgl. hierzu: Thomas Hylland Eriksen: Traditionalism and Neoliberalism. The Norwegian Folk Dress in the 21st Century, in: Erich Kasten (Hg.): Properties of Culture – Culture as Property. Pathway to Reform in Post-Soviet Siberia, Berlin 2004, S. 267–286.
29 Sabrow/Saupe: Historische Authentizität, S. 10.
30 Vgl. Eva Ulrike Pirker/Mark Rüdiger: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen, in: Eva Ulrike Pirker u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010, S. 11–30, hier S. 21.
31 Vgl. Knaller: Original, Kopie, Fälschung, S. 45.
32 Pirker/Rüdiger: Authentizitätsfiktionen, S. 14.
33 Hans-Jürgen Pandel: Authentizität, in: Ulrich Mayer u. a. (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach i. Ts. 2006, S. 25–26, hier S. 25.
34 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Die Wahrheit der Fiktion. Der Holocaust im Comic und Jugendbuch, in: Bernd Jaspert (Hg.): Wahrheit und Geschichte. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit, Hofgeismar 1993, S. 72–109.
35 Pandel: Authentizität, S. 26.
36 Vgl. hierzu Christine Gundermann: Inszenierte Vergangenheit oder wie Geschichte im Comic gemacht wird, in: Hans-Joachim Backe u. a. (Hg.): Ästhetik des Gemachten. Interdisziplinäre Beiträge zur Animations- und Comicforschung, Berlin 2018, S. 257–283.
37 Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug (Hg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009.
38 Einführend: Jürgen Martschukat: Geschichtswissenschaft und „performative turn“: Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: ders./Steffen Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, S. 1–32.
39 Vgl. Stefan Burmeister: Der schöne Schein. Aura und Authentizität im Museum, in: Martin Fitzenreiter (Hg.): Authentizität. Artefakt und Versprechen in der Archäologie, Workshop vom 10. bis 12. Mai 2013, Ägyptisches Museum der Universität Bonn, London 2014, S. 99–108, hier S. 99.
40 Ebd., S. 102 f.
41 Einführend: Luise Reitstätter: Die Ausstellung verhandeln. Von Interaktionen im musealen Raum, Bielefeld 2015; Heike Buschmann: Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse, in: Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 149–169.
42 Vgl. Burmeister: Der schöne Schein, S. 106.
43 Vgl. Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen, Drucksache 16/9875, 19.6.2008, S. 3, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/098/1609875.pdf, S. 18, letzter Zugriff: 26.12.2020.
44 Als exemplarische Studie hierzu: Sybille Frank: Der Mauer um die Wette gedenken: Die Formation einer Heritage-Industrie am Berliner Checkpoint Charlie, New York/Frankfurt a.M. 2009.
45 Beispielhaft hierzu Christine Gundermann: „Die Quellen sprechen für sich!“ Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig als Lernort, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70/7–8 (2019), S. 418–435. Siehe auch Juliane Brauer/Irmgard Zündorf: DDR-Geschichte vermitteln. Lehren und Lernen an Orten der DDR-Geschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70/7–8 (2019), S. 373–389.
46 Saskia Handro: Musealisierte Zeitzeugen. Ein Dilemma, in: Public History Weekly 2/14 (2014), https://public-history-weekly.degruyter.com/2-2014-14/musealisierte-zeitzeugen-ein-dilemma, letzter Zugriff: 28.11.2020.
47 Vgl. Wolfgang Hochbruck: Geschichtstheater. Formen der „Living History“. Eine Typologie, Bielefeld 2013. Zum Zusammenhang von Authentizität und Inszenierung siehe: Sabine Schindler: Authentizität und Inszenierung. Die Vermittlung von Geschichte an amerikanischen historic sites, Heidelberg 2003.
48 Vgl. Stefanie Samida: Krieg(s)spiele(n), in: Forum Kritische Archäologie 4 (2015), S. 13–15, hier S. 13.
49 Vgl. Miriam Sénécheau/Stefanie Samida: Living History als Gegenstand Historischen Lernens, Stuttgart 2016, S. 46.
50 Vgl. Berit Pleitner: Erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge zur Geschichte: Living History und Reenactment, in: Sabine Horn/Michael Sauer (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit, Göttingen 2009, S. 40–47, hier S. 46.
51 Vgl. Wolfgang Hochbruck: Reenacting Across Six Generations, 1863–1963, in: Sarah Willner u. a. (Hg.): Doing History. Performative Praktiken in der Geschichtskultur, Münster 2016, S. 97–116.
52 Siehe hierzu Monika Beyerle: Authentisierungsstrategien im Dokumentarfilm. Das amerikanische Direct Cinema der 60er Jahre, Trier 1997.
53 Vgl. Judith Keilbach: Authentizität als filmische Konstruktion, in: Christoph Classen u. a. (Hg.): Echt inszeniert. Historische Authentizität und Medien in der Moderne (im Erscheinen).
54 Ebd.
55 Vgl. Judith Keilbach: Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008, S. 162 ff.
56 Tobias Ebbrecht: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2011.
57 Vgl. hierzu z. B. Derek Paget: No Other Way to Tell It. Dramadoc/Docudrama on Television, Manchester 1998, S. 69.
58 Siehe hierzu z. B. Barbie Zelizer: Every Once in a While. Schindler’s List and the Shaping of History, in: Yosefa Loshitzky (Hg.): Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List, Bloomington 1997, S. 18–35, hier S. 22 f.; Kenneth Turan: Soldiers of Misfortune, in: Los Angeles Times, 24.7.1998, https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1998-jul-24-ca-6540-story.html, letzter Zugriff: 23.12.2020.
59 Yosefa Loshitzky: Holocaust Others. Spielberg’s Schindler’s List versus Lanzmann’s Shoah, in: Yosefa Loshitzky (Hg.): Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List, Bloomington 1997, S. 104–118, hier S. 109 f.
3Emotionen
3.1Einleitung
„Geschichte fühlen statt lesen“. Mit diesem Slogan kommentierte die BZ im August 2012 das neue Rundbild-Panorama des Künstlers Yadegar Asisi am Checkpoint Charlie.1 Der österreichisch-deutsche Künstler und Architekt ist bekannt für seine 360-Grad-Panoramen, die aktuell zu den größten der Welt zählen. Im September 2012 eröffnete er am ehemaligen Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie das Panorama DIE MAUER – das asisi Panorama zum geteilten Berlin. Auf einer Fläche von 900 Quadratmetern und Innenmaßen von15 Metern Höhe und 60 Metern Umfang zeigt der in Sachsen aufgewachsene Künstler einen fiktiven Tag im Westteil der Stadt im November des Jahres 1980. In dem Panorama geht es weniger um Geschichtsvermittlung als um ein Geschichtserlebnis. Die heutigen Besucher_innen können in das Rundum-Panorama eintauchen; es bietet ihnen das Versprechen einer Zeitreise und damit des Nacherlebens und Nachfühlens dessen, was West-Berliner_innen 1980 in der geteilten Stadt gesehen, erlebt und gefühlt haben könnten.
Ein Geschichtserlebnis ist ein emotionales Erlebnis
Asisis Panorama setzt insbesondere auf Neugierde, Vergnügen, Spannung und Spaß, d. h. auf ein emotionales Erleben von Geschichte.2 Dieses entsteht durch die Imitation historischer Perspektiven. Die Besucher_innen stehen auf einer vier Meter hohen Plattform, die ihnen die Illusion vermittelt, dass sie aus der Sebastianstraße im West-Berliner Bezirk Kreuzberg über die Mauer hinweg in die Mitte Ost-Berlins blicken. Sie sehen zum einen die mit Graffiti verzierte Mauer, davor das alternative Leben in den besetzten Häusern entlang der Mauer. Zum anderen ermöglicht das erhöhte Podest den Blick über die Mauer hinweg auf die Grenzanlagen, also auf den hell ausgeleuchteten ‚Todesstreifen‘ und die Wachtürme mit den bewaffneten Grenzsoldaten. Dahinter sind vor wolkenverhangenem Himmel graue Häuserfassaden zu sehen. Visueller Fluchtpunkt ist der Fernsehturm, der eindeutig die Blickrichtung von West nach Ost markiert. Die Besucher_innen können wählen, ob sie unten am Fuße der Mauer entlanggehen und nicht mehr als die Graffiti sehen oder den erhöhten Standpunkt auf der Plattform einnehmen wollen. Beide Perspektiven sind so realistisch wie möglich ausgestaltet, um ein ‚authentisches‘ Erlebnis (vgl. Kap. 2) zu ermöglichen. Damit erfahren die Besucher_innen von heute, wie privilegiert ihr Blick ist, nämlich genauso, wie es jener der West-Berliner war. Menschen, die im Ostteil der Stadt lebten, sind nicht sichtbar und konnten im Umkehrschluss ja auch selbst nicht über die Mauer sehen. Diese Perspektive bleibt dem Publikum von heute vorenthalten.