- -
- 100%
- +
Frank Krause war eine schillernde Persönlichkeit. Er war eine Mischung aus Arnold Schwarzenegger, Martin Heidegger und Götz George. Seine körperliche Ausstrahlung war raumgreifend, seine Stimme dröhnte im Bass, und er konnte aus dem Stehgreif heraus philosophische Exkurse absondern. All das, und auch sein ausdrucksstarkes Gesicht, hatten ihn für die Schauspielerei prädestiniert. Er war ohne Mühe zum Studium angenommen worden und hatte im ersten Semester seine vordringliche Aufgabe darin gesehen, sich erst einmal durch das annehmbare weibliche Material durchzuvögeln. Seine speziellen Talente in dieser Hinsicht waren auch einer Sprachausbilderin aufgefallen und es lag nahe, dass Krause bei einer Sprachlehrerin, die auch über Zungenstellungen beim Sprechen unterrichtete, vor allem seine besonderen Fähigkeiten im Cunnilingus geschickt einsetzte. Nachdem er der Leckerei allerdings überdrüssig geworden war, wanderte er zu einer Tanzpädagogin weiter. Diese Frau verblüffte ihn mit ihrer enormen Beweglichkeit, und er lernte ganz neue, eigentlich für von ihm beim Beischlaf für unmöglich gehaltene Stellungen kennen. Die dritte im Bunde war eine Gesangslehrerin, die ihn durch ihre Atemübungen beeindruckte, denn sie konnte ganz hervorragend blasen. Er hatte sich nie ganz von einer der Frauen getrennt, sondern musste damals einen Kalender führen, um bei seinen Verpflichtungen nicht durcheinander zu kommen. Er verließ die Ausbildungsstätte mit besten Noten und ganz hervorragenden Empfehlungen der Lehrerschaft.
Er blieb seiner Strategie treu und machte sich am Theater seines ersten Arrangements an die Intendantin heran. Die etwa 50jährige Frau war schon ziemlich leichtfertig mit ihren körperlichen Ressourcen umgegangen, denn sie rauchte wie ein Schlot, und hing (das war allen am Theater beschäftigten Personen bekannt) an der Flasche. Krause näherte sich dieser nach Mülleimer und Schnaps Destille stinkenden Gestalt nur a tergo, und hatte vor dem Akt auch immer einen großen Schluck genommen. So kam er gut rein und auch wieder raus, und dann schnell weg. Seine Bemühungen wurden honoriert, er bekam erste größere Rollen. Da er sich jetzt erst einmal ziemlich ausgelaugt fühlte, konzentrierte er sich auf seine eigentliche Arbeit und wurde schnell zum Star der Bühne. Sein natürliches Talent brachte ihn schnell voran, und auch das Fernsehen wurde auf ihn aufmerksam. Er konnte mittlerweile auswählen, wo er ein Engagement annahm. In dieser Phase traf er nach einer Vorstellung auf Gisela Bockelmüller. Im Ergebnis seiner bisherigen Erfahrungen sah er sofort, dass ihm hier ein ausgesprochen heißer Besen vor die Flinte gelaufen war. Krause hatte sich die Hörner abgestoßen, wollte etwas zur Ruhe kommen und sich vor allem seiner Karriere widmen.
Gisela Bockelmüller machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung und trieb ihn mit ihren sexuellen Spielchen immer wieder auf die Palme, so dass er gar nicht mehr anders konnte, als sie zu heiraten. Seine Überlegung war die gewesen, dass dann in der Ehe in dieser Hinsicht Alltag und Gewöhnung einziehen würde, und er dann mit einem Mal pro Woche davonkommen könnte. Er hatte sich verrechnet, und auch nach der Geburt von Bernd und Gabi ging es munter weiter. Es gab Zeiten, da flüchtete er regelrecht zu einem auswärtigen Engagement. War er wieder zu Hause, überfiel ihn eine Furie, die ihn aussaugte. Aber mit der Zeit lernte er, sich gesünder zu ernähren und bewusster zu leben, und trieb sogar etwas Sport. Ihr Sexualleben war erfüllend, und ihr übriges Zusammensein auch. Frank Krause würde sich selbst als einen glücklichen Ehemann bezeichnen, wenn da nicht ständig im Hintergrund die böse Fratze seines Schwiegervaters drohen würde. Schon bei seinem ersten Treffen mit der Sippe im Anwesen des Patriarchen war er mit einige der Anwesenden aneinandergeraten, weil man ihm aus seiner Sicht als landesweit bekannten Mimen zu wenig Aufmerksamkeit und Respekt entgegengebracht hatte. Der alte Bockelmüller hatte dem dann doch recht lautstarken Treiben grinsend zugesehen und dann sein Fazit gezogen.
"Ein richtiger Mann muss eine richtige Arbeit leisten können. Auf dem Bau zum Beispiel. In einem Blaumann. Wer auf einer Bühne in rosa Klamotten wie eine Schwuchtel herumspaziert, den kann man nicht ernst nehmen."
Das brüllende Gelächter hatte Krause zutiefst getroffen, und er hatte für diese Demütigung Rache geschworen. Gerade seine Rolle des Papst Pius VVI. im "Der Stellvertreter" von Hochhuth hatte in der Kritik Begeisterungsstürme ausgelöst, weil Krause das sensible Thema Kirche und Holocaust darstellerisch so genial bewältigt hätte, wie keiner je vor ihm.
"Ihr unwissenden Ignoranten" hatte er in den aufgeheizten Raum gerufen "das Schicksal der Juden interessiert euch wohl gar nicht? Ihr hättet nach dem Krieg sicher auch gesagt, dass ihr von all den Verbrechen nichts gewusst habt. Immer schön die Augen zumachen, ihr satten Spießbürger!"
Damit hatte er alles noch zu seinen Lasten verschlimmert, denn er war ausgebuht, und dann von allen geschnitten worden. Keiner sprach mit ihm, nur die hässliche Frau des Adligen versuchte ihn zu trösten. Er war zu diesem Zeitpunkt schon einigermaßen angetrunken und hatte Henriette von Schwarzbach nur angeblafft:
"Zieh Leine, du hässlicher Kasten!"
Bei den nächsten Veranstaltungen hatte er seine intellektuellen Ansprüche an das Publikum der Sippe deutlich heruntergeschraubt und sich volksnah gegeben. Das war besser angekommen, und er versuchte herauszubekommen, wer mit dem alten Bockelmüller auch noch eine Rechnung offen hatte. Es schienen einige zu sein. Aber so richtig bekam er nicht heraus, was so wirklich bei den einzelnen Leuten abgelaufen war. Alle waren aber offensichtlich darauf erpicht, in der Gunst von Bockelmüller möglichst weit oben zu stehen. Der Fall war klar, es könnte viel Geld lachen. Im Straßenverkehr der Region waren die Firmenfahrzeuge sehr präsent, an jeder zweiten Baustelle stand eine Tafel von Bockelmüller. Er versuchte sich an Baumann ranzumachen, der ja in der gleichen Branche tätig war.
"Da ist schon einiges an Kapital vorhanden" sagte der "du kannst dich im Bundesanzeiger informieren, dort müsste er seine Bilanz veröffentlichen. Aber daraus siehst ja nur, wie die Firma dasteht, nicht was er privat auf der Kante hat. Aber er ist Alleingeschäftsinhaber und damit gehört ihm auch die Firma. Mit ihrem Vermögen, und mit ihren Schulden. Kuck mal, so ein Muldenkipper kostet vielleicht im Schnitt, ich sage bewusst im Schnitt, sagen wir mal 80.000 Euro. Wenn er acht davon hat, hat er schon 640.000 Euro im Anlagevermögen. Sicher, die Fahrzeuge werden abgeschrieben, weil sie verschleißen und an Wert verlieren. Aber es geht doch nur mal um eine Größenordnung. Der hat auf seinem Firmengelände bestimmt an die 50 Maschinen stehen. Und das sind keine alten Kisten. Und was der so an Gewinn rausholt weiß ich nicht, es wird ordentlich sein. Sagen wir mal, der hat eine Umsatzrendite von 3 Prozent. Das bedeutet, dass er bei 100 Euro Umsatz 3 Euro Gewinn macht. Ich weiß wirklich nicht wie viel der an Umsatz hat, aber das dürften einige Millionen sein. Rechne mal mit 10 Millionen. Was kommt da raus?"
"3.000?"
"Man merkt, dass du nicht rechnen kannst. 300.000! Und bei 20 oder 30 Millionen Umsatz sind das dann 600.000 oder 900.000. Eventuell jedes Jahr, und das seit vielen Jahren. Du kannst alle möglichen Zahlenkombinationen verwenden, aber du weißt eben nicht, wie es wirklich aussieht. Ich sage dir, der hat wie Dagobert Duck einen geheimen Geldspeicher und geht zum Frühsport dort baden."
In diesem Moment hatte sich Krause gesagt, dass er zwar nicht zum Killer geboren wäre, aber vielleicht zum Erpresser. Sein schauspielerisches Talent könnte ihm eventuell helfen, irgendeine Schwachstelle im Leben des alten Bockelmüller zu finden. Jetzt musste er noch geeignete Ansatzpunkte finden.
Helga und Herbert Baumann
"Also wieder zwei Tage voller Anspannung und Stress, ja nichts Falsches sagen, sich ja nicht mit den falschen Leuten unterhalten, jedes Wort vorher auf die Goldwaage legen, das kann ja wieder lustig werden."
"Es gibt Schlimmeres Herbert" sagte Helga Baumann zu ihrem Mann "schließlich sind ja auch vernünftige Leute dabei. Wir sollten ganz unbefangen an die Sache herangehen und uns mehr mit der jüngeren Generation abgeben. Bei meinen Schwestern ist Hopfen und Malz verloren, die suchen doch alle krampfhaft nach irgendwelchen Wegen, an das Erbe ranzukommen. Gott sei Dank haben wir das nicht nötig."
"Ich habe das nicht nötig, ich" stellte Herbert Baumann fest "es ist immer noch meine Firma, die uns unseren Wohlstand garantiert. Dafür habe ich mir in den letzten 30 Jahren täglich den Arsch aufgerissen und keinen Feierabend gekannt. Tagsüber die Arbeiten auf den Baustellen kontrolliert, dann neue Kunden und Aufträge aufgerissen, und abends dann noch den Bürokram erledigt. Gut, dass Martin und Bianca bald übernehmen werden."
"Die Abende im Büro sind aber doch nicht nur Stress pur gewesen. Frau Lauermann hat dir die Stunden doch dort öfter mal versüßt. Dieser unscheinbaren Buchhaltungstante hätte ich gar nicht zugetraut, dass sie dich noch mal so aufgeilen konnte."
"Tja Helga, wenn zu Hause nichts mehr auf den Tisch kommt, geht man eben mal auswärts essen. So einfach ist das. Aber das ist ja schon etwas länger her und abgehakt. Oder etwa nicht?"
"Doch. Wir haben uns arrangiert, und das ist vernünftig gewesen. Wegen so was rennt man nach den vielen gemeinsamen Jahren nicht gleich auseinander. Außerdem soll man nach gemeinsam bewältigten Krisen besser miteinander umgehen können. Ich für meinen Teil kann das bestätigen. Aber dir scheint irgendwas Sorgen zu machen, oder täusche ich mich?"
"Ich habe keine Sorgen, da liegst du falsch. Ich fühle mich fit, der Laden läuft, den Kindern geht es gut. In meiner großen Modellbauwerkstatt kann ich mich herrlich mit den Bastelarbeiten ausleben, ich bin sehr zufrieden."
Herbert Baumann hatte nicht die Wahrheit gesagt. Als ihre beiden Töchter Anna und Petra geboren worden waren, war Helga Baumann zu Hause geblieben, und als dann noch Friedrich dazukommen war, ganz in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau aufgegangen. Ihre Eheregelungen waren klar: Herbert verdiente mit der Baufirma das Geld, Helga war für Haus und Kinder verantwortlich. Baumann hatte die Firma relativ zeitig, da war er gerade einmal 23 Jahre alt, übernehmen müssen, weil sein Vater an Krebs erkrankt und dann auch schnell verstorben war. Es war für ihn ein enormer Kraftakt gewesen, der ihn manche Nacht hatte nicht schlafen lassen. Aber er hatte sich durchgebissen und nach zwei Jahren enorm viel dazugelernt, und Selbstbewusstsein und Sicherheit gewonnen. Im Nachbarkreis gab es einen mächtigen Konkurrenten, die "Bockelmüller Bau GmbH". Bislang war man sich nur am Rande begegnet und nicht in die Quere gekommen. Baumann hatte damals sieben Angestellte und einen überschaubaren und schon älteren Fuhrpark. Ihm war schnell klar geworden, dass er mit dieser Größe nicht allzu lange überleben würde. Seine Firma musste wachsen, und das ging nur über eine Auftragsausweitung. Er ließ seine Angestellten die Ohren spitzen und konnten den einen und anderen Neukunden gewinnen. Im Nachbarkreis gelang ihm jedoch gar nichts. Dort hatte dieser Bockelmüller offensichtlich ein Monopol. Rein zufällig war er einmal am Wochenende in der Nachbarkreisstadt zu einem Clubkonzert mit einer Jazzband gewesen, und hatte dort eine nette junge Frau getroffen. Sie waren ins Gespräch gekommen und es hatte sich herausgestellt, dass sie eine Tochter von Bockelmüller war. Dass sie das war, war ihm völlig egal gewesen, er hatte sich für die Frau interessiert, und nicht für ihren Vater und dessen Geschäft. Sie hatten sich dann recht regelmäßig getroffen und eines Tages war er zur Vorstellung eingeladen worden. Er hatte Helgas Mutter sofort sympathisch gefunden, und sie ihn offensichtlich auch. Der alte Bockelmüller hatte aber nur eine Botschaft für ihn gehabt:
"Wenn Helga dich will, soll sie dich haben. Das ist mir egal, muss sie ja wissen. Aber eins sag ich dir: die Kreisgrenze ist deine Grenze, dahinter ist der Zutritt für deine Firma verboten. Ist das klar? Hier gelten nämlich meine Regeln. Und es gibt hier viele Leute, die von meiner Firma profitieren. In vielen verschiedenen Positionen. Also halt dich dran, sonst wirst du es bereuen."
Da sich seine Frau überhaupt nicht für die Entwicklungen in seiner Baufirma interessierte, war sie auch nicht über deren Lage im Bilde. Baumanns Unternehmen war im Verlaufe vieler Jahre tatsächlich gut gewachsen, und er war neben Bockelmüller der Platzhirsch in der Gegend geworden. Vor gut zwei Jahren hatte er die Zeit für reif gehalten, den Konkurrenten nach und nach auszubooten. Bockelmüller war da 88 Jahre alt gewesen und führte seinen Laden immer noch mit eiserner Hand. Er zahlte gut, schmierte unauffällig viele Behördenrädchen und war eine kreisbekannte Größe. Dazu kam, dass er sich in den vergangenen Jahrzehnten wie eine Spinne ein verfilztes Netz von Abhängigkeiten geschaffen hatte, in denen viele Entscheidungsträger gefangen eingeflochten waren, und nicht mehr herauskamen. Alle schuldeten Bockelmüller etwas, und er hatte sie in der Hand. Baumann hatte einen Versuch gewagt, Bockelmüller einen Auftrag in dessen Revier wegzuschnappen. Er war um läppische 80.000 Euro gegangen. Er war abserviert worden, und zwei Wochen später begann der Rachefeldzug des alten Bockelmüller erste Formen anzunehmen. In Baumanns Kreis gab es auf einmal gehäuft Probleme bei der Abnahme von Leistungen. Während die Behördenmitarbeiter früher gnädig über kleinere Mängel hinweggesehen hatten, waren sie jetzt so pingelig, dass Baumann äußerst aufwendige Nacharbeiten ausführen lassen musste. Die Zahlungen erfolgten erst nach nochmaligen Abnahmen, und offensichtlich auch noch absichtlich schleppend. Bei Ausschreibungen zog er jetzt immer öfter den Kürzeren. Die Liquidität seiner Baufirma nahm erschreckend schnell ab. In Erwartung einer weiteren Expansion hatte er in seinen Maschinenpark investiert. Jetzt saßen ihm die Banken mit den Zins- und Tilgungsplänen im Nacken.
Herbert Baumann war 67 Jahre alt, und hatte seinen Kindern eine gut aufgestellte Firma übergeben wollen. Er hatte sicher einen großen Fehler gemacht, und den Großteil der Überschüsse wieder in den Betrieb investiert. Dort sah er eine auf den ersten Blick beeindruckende Bilanzsumme (das große Anlagevermögen in Gestalt der teuren Maschinen), aber auch einen großen Batzen an Fremdkapital. Wenn es so weiterging, würde ihm der Laden bald nicht mehr gehören, und sein Lebenswerk wäre im Eimer. Das wollte er nicht hinnehmen und hatte mit seinen Kindern Bianca und Martin schonungslos Klartext gesprochen. Beide hatte er viele Jahre behutsam so gelenkt, dass Martin Bauingenieur, und Bianca Betriebswirtin geworden waren. Sie sollten sein Erbe übernehmen und die Firma weiter fortführen. Jetzt sah es so aus, als würde der Krake aus der Nachbarkreisstadt seine Tentakelarme um den Hals der Familie legen, um ihnen die Luft abzuschnüren und sich mit der Beute, der "Baumann-Baumeister GmbH", aus dem Staub zu machen.
Herbert, Martin und Bianca Baumann waren sich einig gewesen, dass sie sich nicht ergeben würden. Da sie den Filz in der Verwaltung nicht durchdringen konnten, kamen nach ihrer gemeinsamen Auffassung nur unorthodoxe Methoden in Frage, die sie höchstwahrscheinlich mit dem Rechtsstaat in Konflikt bringen würden. Aber so wie es aussah, konnten sie eine Katastrophe nur noch abwenden, wenn sie eben nicht rechtsstaatlich handelten. Ihr Gegenspieler tat das ungestört seit Jahrzehnten.
Die Einladung
"Einer guten Tradition folgend, lade ich euch dieses Jahr zu einem besonderen Ereignis ein: meinem 90. Geburtstag" hatte Anton Bockelmüller als ersten Satz geschrieben.
Dann hatte er gleich noch eine Drohung hinzugefügt:
"Da mir mein Hausarzt eine gute Gesundheit bescheinigt und ich mich selbst noch ausgesprochen fit fühle kann ich wohl davon ausgehen, euch noch viele Jahre in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu können."
Er feixte vor sich hin.
Diesen Erbschleichern würden die Gesichter einschlafen, und seine verdeckte Ankündigung, auch noch die 100 zu schaffen, wohl etlichen die letzte Hoffnung auf einen Anteil an seinem Vermögen rauben. Sie würden vor Gram noch vor ihm in die Grube fahren, weil ihr jahrelanges Wegducken und ihre Arschkriecherei kein Ergebnis haben würden. Außerdem war er so schlau gewesen, schon vor Jahren auf seinen Steuerberater zu hören, und zu "diversifizieren". Er hatte es auf seine Art als "Geld streuen und das Risiko verteilen" genannt. So gehörte ihm beispielsweise das von seinem Grundstück keine 300 Meter entfernte Hotel, welches aufgrund seines guten Rufes und der schönen Umgebung ganzjährig ausgebucht war. Das war nicht das einzige Engagement Bockelmüllers neben seiner Baufirma gewesen. Er war Inhaber einer Bäckereikette, zweier Metzgereien, betrieb zwei Fitnessstudios, drei kleine Supermärkte und noch ein paar landwirtschaftliche Lohnarbeitsfirmen. Nur sein Steuerberater, der Anwalt, der Notar, und er selbst, waren im Bilde über dieses Firmenimperium.
Das mit dem beschiedenen Heim hatte er absichtlich so formuliert. Auf einem Grundstück von etwa 800 Quadratmetern Fläche hatte er von seiner eigenen Firma einen Gebäudekomplex errichten lassen, der sich hinter denen amerikanischer Millionäre nicht verstecken musste. Allerdings waren die Gebäudeteile im traditionellen Stil der Gegend errichtet worden und wirkten zwar ausgesprochen hochwertig, aber nicht protzig. Innen waren dann aber keine Mittel gescheut worden, den Reichtum seines Besitzers zu zeigen. Erlesene Fliesen und edle Hölzer, sowie feinste Stofftapeten kündeten von Geschmack. Auf der anderen Seite verfügten die Räume über modernste Technik, womit Bockelmüller bei der jüngeren Generation immer mächtig Eindruck schinden konnte. Für die älteren Semester war ein Weinkeller aufwendig in den Untergrund gegraben worden. Das Tonnengewölbe lag 8 Meter unter dem Erdgeschoss, und war über eine Treppe sowie einen gläsernen Lift erreichbar.
"Wie üblich habe ich euch im Hotel "Zum Mohren" Zimmer auf eure eigene Rechnung reserviert. Wir hier in der Gemeinde sind sehr heimatverbunden und wissen ganz genau, dass "Mohr" Ausdruck für das hohe Wissen der Mauren über Arzneien und Kräuterkunst gewesen ist. Da es diesen Begriff schon seit vielen Jahrhunderten bei uns hier gibt hat auch niemand ein Interesse daran, sich von ein paar durchgeknallten arbeitsscheuen und noch nichts geleistet habenden Wohlstandsflegeln eine Tradition kaputt machen zu lassen. Übrigens gibt es in dem Hotel keine Toiletten für das dritte oder das vierundzwanzigste Geschlecht. Und dort wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Wer damit ein Problem hat, muss sich anderweitig kümmern."
Bockelmüller hatte sich diesen Seitenhieb nicht ersparen können. Er wurde bald 90, und all die Jahre hatte sich niemand über einen "Mohren" echauffiert. Auch nicht über "Zigeunersoße". Erst seit ein paar Jahren waren alle wie vom wilden Affen gebissen und witterten überall Herabwürdigungen, Rassismus und sonst welche Hirngespinste. Für ihn stand fest, dass es den Leuten eindeutig zu gut ging und sie mittlerweile total verblödet waren, sonst würden sie sich nicht in solche Nichtigkeiten verbeißen. Er war selbst heute fast noch rund um die Uhr beschäftigt und hatte gar keine Zeit, sich mit solchem Schwachsinn zu befassen.
"Die Veranstaltung beginnt am Samstag 15 Uhr mit dem Kaffeetrinken. Wir werden schön über die Vergangenheit plaudern, und einen Blick in die Zukunft wagen. Was wird uns in den nächsten Jahren als Familienverbund erwarten? Welche Ziele sollten wir uns stellen? Was wollen wir noch erreichen?"
Das wird ihnen den Rest geben, dachte er hämisch. Nun musste auch dem letzten Trottel klarwerden, dass er leer ausgehen würde. Aber er hatte noch ein Ass im Ärmel.
"Wie ihr alle wisst, bin ich nicht ganz unvermögend. Alles habe ich mir über viele Jahre mit viel Einsatz selbst erarbeitet. Und ich möchte der Nachwelt, der Gesellschaft, etwas hinterlassen. Und das möchte ich mit euch diskutieren, so wie es in einer guten Familie üblich ist. Ich habe erste vage Ideen, vielleicht sollte ich eine Stiftung gründen. Oder etwas Ähnliches. Aber wie gesagt, darüber möchte ich in aller Offenheit mit euch reden, so wie wir es die ganzen Jahre schon handhaben."
Jetzt werden sie explodieren freute er sich.
Und den "Heimatflüchtlern" wollte er auch noch einmal seine Meinung geigen.
"Heimat ist ein wertvolles Gut, da weiß man, wo man hingehört. Leider haben es einige aus der Familie vorgezogen, nur wegen ein paar Mark mehr Verdienst, schon vor etlichen Jahren ihre Heimat zu verlassen. Nun werden sie deswegen eine längere Anreise haben. Und ich will es auch nicht verschweigen, obwohl es ja keine Anzeichen dafür gibt, im Falle einer Pflegebedürftigkeit werde ich mich keineswegs in die Hände von skrupellosen sogenannten "Pflegekräften" aus dem Ostblock begeben. Die Pflege der Altvorderen ist immer eine Aufgabe der Kinder gewesen, und so wird es in unserer Familie auch bleiben. Vielleicht belegen meine Töchter und meine Schwiegersöhne schon einmal vorsorglich einen Pflegekurs."
Die ganz Abtrünnigen mussten auch noch ihr Fett wegbekommen.
"Ich bin nie dafür gewesen, die Ostzone wieder bei uns einzugemeinden. Man sieht ja heute, wo das hingeführt hat. Diese Jammerlappen dort haben neue Autobahnen, Straßen Brücken, Schulen, alles Mögliche bekommen, und hier bei uns, die wir den ganzen Wahnsinn bezahlt haben, ist alles marode. Und dafür zahle ich seit Jahrzehnten diesen "Soli". Besonders schlimm finde ich, dass einige der Jüngeren sogar in die Zone übergesiedelt sind. Ihnen bleibt mein gastfreundliches Haus für immer verschlossen. Ich möchte nicht, dass hier ein kommunistischer Virus eingeschleppt wird!"
Nun noch ein kleines Trostpflaster, und das war es dann.
"19 Uhr beginnt unser gemeinsames Abendessen, danach folgt der gesellige Teil. Jeder von euch zahlt bei der Anreise 50 Euro Tagungspauschale ein, aber dafür könnt ihr dann nach Herzenslust schlemmen und trinken. Der Weinkeller steht euch offen, die Bar ebenfalls, das Hallenbad, das kleine Kino. Ihr werdet alle auf eure Kosten kommen, das verspreche ich euch. Am Sonntag treffen wir uns 11 Uhr noch auf einen Kaffee und für das Abschiedsfoto. Danach ist Abreise.
Ich freue mich auf euch, euer Anton."
Seiner Meinung war der Brief einerseits recht eindeutig, aber er ließ auch Raum für verschiedenste Interpretationen offen. Bei den Gästen würden nach Erhalt der Einladung die Räder in den Gehirnen anfangen zu rattern, und er wusste genau, dass niemand darauf kommen würde, was er wirklich bezweckte. Er freute sich schon jetzt auf die verdatterten Visagen, wenn er dann die Bombe platzen ließ.
Erster Anlauf zum E-Auto-Kauf
Frank Krause strich als bekannter Schauspieler recht üppige Gagen ein und ging davon aus, dass ein Großteil der Bevölkerung ihn kennen würde. Dem war allerdings nicht so, denn ein Blick in verschiedenste Statistiken zum rapiden sinkenden Bildungsgrad, zur abnehmenden Beschäftigung, der steigenden Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger und der Zuschauerreichweite verschiedener Fernsehsender hätte ihm klarmachen können, dass Deutschland nicht mehr das Land der Dichter und Denker, sondern das Land der nicht mehr ganz Dichten und der Stänkerer geworden war. Jeder regte sich wechselweise über diese oder jene Kleinigkeit auf, und Haltung und Parolen ersetzten Fakten und Wissen. Für Kunst und Kultur interessierten sich nur noch ganz hartgesottene Personen, vor allem alte weiße Männer, und die hatten es seit einiger Zeit ja schon schwer genug. Er ging aber davon aus ein Mann zu sein, der in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Bekanntheit unter verschärfter Beobachtung stand. Das hatte auch zu seinem Entschluss geführt, selbst mit aktiv zur Rettung des Planeten beitragen zu wollen. Er fuhr aus Statusgründen bislang einen Porsche 911. Das konnte er dem Klima nicht mehr länger antun. Für den Sportwagen hatte er damals so um die 120.000 Euro hinlegen müssen. Er hatte es schon als sinnlichen Genuss betrachtet, den Wagen so brachial beschleunigen zu lassen und die heiser röchelnde Maschine zu hören. Jetzt konnte er sich mit diesem Relikt ja kaum noch auf die Straße trauen, diese Freitags Hüpfer würden ihm das Fahrzeug ruckzuck demolieren. Er googelte ein bisschen und kam auf Auwi. Die hatten bei der Abgasgeschichte wohl nicht ganz so schlimm wie die von V-R beschissen, aber eben auch keine weiße Weste mehr. Aber irgendwie war bei ihm der Slogan "Vorsatz durch Technik" hängengeblieben, und so fuhr er zu einem Autohaus dieser Marke in der Stadt.