Gespräche

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Buch XIII. Dsï Lu
1.Staatsregierung. I: Der Regent als erster im Dienen (Mit Dsï Lu)
2.Staatsregierung. II: Wider das persönliche Regiment (Mit Dschung Gung) (V91. VI, 4)
3.Staatsregierung. III: Richtigstellung der Begriffe (Mit Dsï Lu in We)
4.Staatsregierung. IV: Keine technischen Spezialkenntnisse erforderlich (Mit Fan Tschï)
5.Theorie und Praxis (Über das Liederbuch) (Vgl. II, 2)
6.Die Person des Herrschenden (Vgl. XII, 18, 19)
7.Urteil über zwei zeitgenössische Staaten (Lu und We)
8.Anpassung an die Umstände (Über Prinz Ging von We)
9.Staatsregierung. V: Zeitfolge der Ziele (Mit Jan Kiu in We)
10.Selbstbeurteilung (Kungs reformatorische Fähigkeit) (Vgl. VII, 1)
11.Erfolg des Talentes bei der Staatsregierung
12.Erfolg des berufenen Genius bei der Staatsregierung
13.Selbstbeherrschung die Grundlage der Regierung (Vgl. XIII, 6)
14.Nebenregierung (Mit Jan Kiu über die Familie Gi)
15.Das Geheimnis der Blüte und des Untergangs der Staaten (mit Fürst Ding von Lu)
16.Staatsregierung. VI: Nach ihren Früchten (Mit dem Fürsten von Shä)
17.Staatsregierung. VII: Dauernder Erfolg (Mit Dsï Hia)
18.Aufrichtigkeit und Pietät (Mit dem Fürsten von Shä)
19.Sittlichkeit: Ehrfurcht und Gewissenhaftigkeit (Mit Fan Tschï) (Vgl. VI, 20; XII, 21)
20.Verschiedene Stufen von Gebildeten (Mit Dsï Gung)
21.Wer ist zum Jünger geschickt?
22.Fluch der Unbeständigkeit (Über ein südliches Sprichwort und eine Stelle aus J Ging)
23.Der Edle und der Gemeine im Umgang mit andern
24.Die Liebe und der Haß der Andern als Merkmale unbrauchbar (Mit Dsï Gung) (Vgl. XV, 27)
25.Der Edle und der Gemeine. II: Dienst und Gunst
26.Der Edle und der Gemeine. III: Stolz und Hochmut
27.Für die Sittlichkeit günstige Naturveranlagung (Vgl. 1,3)
28.Eigenschaften des Gemüts, die dem Gebildeten wesentlich sind (Mit Dsï Lu)
29.Volkserziehung und kriegerische Tüchtigkeit (Vgl. XI 11, 10, 11, 12)
30.Mangel der Volkserziehung rächt sich im Krieg
Buch XIV. Hiän Wen
1.Schande (Mit Yüan Hiän) (Vgl. VIII, 13)
2.Das Schwierige ist darum noch nicht sittlich
3.Der Mann muß hinaus
4.Wort und Tat in guter und böser Zeit
5.Ausdruck und Innerlichkeit
6.Nicht Macht, sondern Geist ererbt das Erdreich (Mit Nan Gung Go über J, Au, Yü und Hou Dsï)
7.Geistige Bedeutung und Sittlichkeit
8.Die rechte Liebe
9.Sorgfalt bei Herstellung amtlicher Schriftstücke (Über verschiedene Beamte des Staates Dschong)
10.Urteile über Zeitgenossen. I: Dsï Tschan, Dsï Si, Guan Dschung
11.Würdiges Ertragen der Armut schwerer als das des Reichtums
12.Urteile über Zeitgenossen. II: Mong Gung Tscho
13.Der vollkommene Mensch (Mit Dsï Lu. Erwähnung von Dsang Wu Dschung, Gung Tscho, Dschuang von Biän, Jan Kiu)
14.Urteile über Zeitgenossen. III: Gung Schu Wen Dsï (Mit Gung Ming Gia)
15.Urteile über Zeitgenossen. IV: Dsang Wu Dschung
16.Urteile über Zeitgenossen. V: Fürst Wen von Dsïn und Huan von Tsi
17.Urteile über Zeitgenossen. VI: Guan Dschung (Mit Dsï Lu)
18.Urteile über Zeitgenossen. VII: Guan Dschung (Mit Dsï Gung)
19.Urteile über Zeitgenossen. VIII: Gung Schu Wen Dsï
20.Urteile über Zeitgenossen. IX: Fürst Ling von We und seine Minister (Mit Gi Kang)
21.Worte und Taten. I
22.Fürstenmord in Tsi. Kungs Remonstration
23.Fürstendienst (Mit Dsï Lu)
24.Der Edle und der Gemeine. I: Gebiete der Erfahrung
25.Verschiedener Zweck der Kenntnisse
26.Ein guter Bote (Gü Be Yü aus We sendet einen Boten)
27.Gegen Kamarillawirtschaft (Wiederholung von VIII, 14)
28.*Bescheidenheit (Von Dsong Schen)
29.Worte und Taten. II
30.Der dreifache Weg des Edlen (Mit Bemerkung von Dsï Gung)
31.Richtet nicht! (Mit Dsï Gung)
32.Grund zum Kummer (Vgl I, 1. 16; IV, 14; XV, 18)
33.Argloses Wissen
34.Selbstverteidigung (Mit We Schong Mou)
35.Das Roß
36.Vergeltung
37.Ergebung in das Schicksal. I: Verkennung (Mit Dsï Gung)
38.Ergebung in das Schicksal. II: Verleumdung (Mit Dsï Fu Ging über Gung Be Liau)
39.Weltflucht
40.Kulturschöpfer
41.*Am Steintor (Dsï Lu und der Türmer)
42.Des Meisters Musik und der Eremit von We
43.Hoftrauer (Mit Dsï Dschang über Kaiser Gau Dsung)
44.Macht der Kultur
45.Der Edle. II: Ausbildung der Persönlichkeit (Mit Dsï Lu)
46.In der Heimat. I: Der alte Yüan Jang
47.In der Heimat. II: Der Junge aus Küo
Buch XV. We Ling Gung
1.Der Meister in We und Tschen (Mit Fürst Ling von We und Dsï Lu)
2.Die Summe des Wissens (Mit Dsï Gung, vgl. IV, 15)
3.Die Macht des Geistes (Mit Dsï Lu)
4.Vom Nichtstun (Über den Kaiser Schun)
5.Geheimnis des Erfolgs (Mit Dsï Dschang)
6.Urteile über Zeitgenossen. I: Dsï Yü und Gü Be Yü von We
7.Worte und Menschen
8.Das Leben ist der Güter höchstes nicht
9.Der Weg zur Sittlichkeit (Mit Dsï Gung)
10.Regierungsgrundsätze (Mit Yän Yüan), Verhältnis zu den Institutionen der verschiedenen Dynastien
11.Vorbedacht
12.Himmlische und irdische Liebe (Vgl. IX, 27)
13.Urteile über Zeitgenossen. II: Dsang Wen Dschung (Vgl. V, 17)
14.Vermeidung von Groll (Vgl. Abschn. 20)
15.Wichtigkeit des eignen Denkens
16.Trivialität
17.Der Edle. I: Handlungsweise
18.Der Edle. II: Grund zum Kummer (Vgl. XIV, 32)
19.Der Edle. III: Unsterblichkeit im Gedächtnis der Nachwelt
20.Der Edle. IV: Ansprüche (Vgl. Abschn. 14)
21.Der Edle. V: Soziale Beziehungen
22.Der Edle. VI: Urteil über Menschen und Worte
23.Praktischer Imperativ (Mit Dsï Gung vgl. V, 11)
24.Gerechte Beurteilung (Sine ira et studio)
25.Einst und jetzt
26.Schlauheit und Unverträglichkeit als Hindernisse
27.Der Parteien Gunst und Haß (Vgl. XIII, 24)
28.Die Wahrheit und ihre Vertreter
29.Fehler ohne Besserung
30.Nachdenken und Lernen
31.Der Edle. VII: Die vornehmste Sorge
32.Was ein Regent braucht: Weisheit, Sittlichkeit, Würde und Formen
33.Der Edle und der Gemeine. VIII: Verschiedene Verwendbarkeit
34.Sittlichkeit als Lebenselement
35.Keinen Vortritt
36.Der Edle. IX: Festigkeit
37.Gewissenhafter Fürstendienst (Vgl. VI, 20)
38.Jenseits der Standesunterschiede
39.Prinzipielle Übereinstimmung als Grundlage für gemeinsame Arbeit
40.Deutlichkeit des Stils
41.Der Meister und der blinde Musiker (Mit dem Musiker Miän und Dsï Dschang)
Buch XVI. Gi Schï
1.Ungerechter Feldzug
2.Der Niedergang des Reichs
3.Strafe der Usurpation
4.Drei nützliche und drei schädliche Freunde
5.Drei nützliche und drei schädliche Freuden
6.Drei Fehler im Verkehr mit Älteren
7.Dreierlei Vorsicht
8.Dreierlei Ehrfurcht
9.Vier Klassen des Wissens
10.Neunerlei Gedanken
11.Prinzipien mit und ohne Vertreter
12.*Urteil über historische Persönlichkeiten: Ging von Tsi und Be J und Schu Tsi
13.Des Meisters Verhältnis zu seinem Sohn
14.*Bezeichnungen der Landesfürstin
Buch XVII. Yang Ho
1.Begegnung mit dem Usurpator Yang Ho
2.Natur und Kultur
3.Unveränderlichkeit des Wesens
4.Kleine Zwecke, große Mittel. Huhn und Ochsenmesser. (Mit Yän Yän = Dsï Yu)
5.Möglichkeit des Wirkens. I (Mit Dsï Lu über die Einladung des Usurpators Gung Schan)
6.Die fünf Vorbedingungen der Sittlichkeit (Mit Dsï Dschang; vgl. XX, 2)
7.Möglichkeit des Wirkens. II (Mit Dsï Lu über die Einladung des Usurpators Bi Hi)
8.Die sechs Worte und sechs Verdunkelungen (Mit Dsï Lu)
9.Der Nutzen des Liederbuchs
10.Der Meister im Gespräch mit seinem Sohne über die Poesie (Vgl. XVI, 13)
11.Scheinkultur (Edelsteine, Seide, Glocken und Pauken)
12.Wider die Hochtrabenden
13.Wider die Heuchler
14.Wider die Schwätzer
15.Wider die Streber
16.Wechsel der Fehler im Lauf der Zeiten
17.Der Schein trügt (Wiederholung von I, 3)
18.Das Glänzende und das Echte
19.Wirken ohne Worte (Der Himmel redet nicht) (Mit Dsï Gung)
20.*Abweisung eines Besuchers unter Saitenspiel
21.Über die Trauerzeit (Mit Dsai Wo)
22.Wider das Nichtstun (Schachspiel und Dambrett)
23.Mut und Pflichtgefühl (Mit Dsï Lu)
24.Was der Edle haßt (Mit Dsï Gung)
25.Frauen und Knechte
26.Grenze der Möglichkeiten
Buch XVIII. We Dsï
1.Die drei sittlichen Heroen der Yindynastie
2.*Die Vaterlandsliebe Huis von Liu Hia
3.*Im Staate Tsi
4.*Des Meisters Rücktritt aus dem Amt in Lu
5.*Der Narr von Tschu
6.*Die Furt
7.*Dsï Lu und der Alte
8.*Die sich vor der Welt verbargen
9.*Der Rückzug der Musiker von Lu
10.*Der Rat des Fürsten Dschou an den Fürsten von Lu
11.*Die vier Zwillingspaare der Dschoudynastie
Buch XIX. Dsï Dschang
1.*Das Ideal des Gebildeten (Dsï Dschang)
2.*Mangelnder Fortschritt (Dsï Dschang)
3.*Dsï Hias Jünger bei Dsï Dschang
4.*Die Gefahr des Dilettantismus (Dsï Hia)
5.*Der rechte Philosoph (Altes und Neues) (Dsï Hia)
6.*Bildung und Sittlichkeit (Dsï Hia)
7.*Das Gleichnis von den Handwerkern (Dsï Hia)
8.*Die Fehler der Gemeinen (Dsï Hia) (Vgl. XIX, 21)
9.*Die drei Verwandlungen des Edlen (Dsï Hia)
10.*Der Wert des Vertrauens (Dsï Hia)
11.*Die Großen und die Kleinen (Dsï Hia)
12.*Dsï Yus Kritik und Dsï Hias Replik
13.*Amt und Studium (Dsï Hia)
14.*Die Trauer (Dsï Yu)
15.*Dsï Yus Kritik an Dsï Dschang
16.*Dsong Schens Kritik an Dsï Dschang
17.*Die Entfaltung des Wesens in der Trauerzeit (Dsong Schen)
18.*Vorbildliche Pietät (Dsong Schen zitiert Kungs Urteil über Mong Dschuang)
19.*Menschlichkeit gegen die Schuldigen (Dsong Schen und Yang Fu)
20.*Die Gefahr der falschen Stellung (Dsï Gung über Dschou Sin)
21.*Die Fehler des Edlen wie Sonnenfinsternisse (Dsï Gung) (Vgl. Abschnitt 8)
22.*Die Quellen von Kungs Bildung (Dsï Gung)
23.*Die Hofmauer (Dsï Gung mit Wu Schu über Kung)
24.*Die Hügel und Sonne und Mond (Dsï Gung über Kung)
25.*Der Himmelsfürst (Dsï Gung über Kung)
Buch XX. Yau Yüo
1.*Die Heiligen Fürsten der Vorzeit
2.Der rechte Herrscher (Mit Dsï Dschang)
3.Die Summe der Lehre
Anmerkungen
Benutzte Literatur
Namenregister
Sachregister

Konfuzius [Kungfutse] Ältestes bekanntes Bild Nach einem Gemälde von Wu Dau Dsï (Wu Tao Tzu) berühmtem Maler der Tang-Dynastie (ca. 900 Jahre n. Chr.)
Vorrede zur zweiten Auflage
Diese Ausgabe ist auf Grund erneuter Durchsicht an der Hand chinesischer Kommentare an einzelnen Stellen verbessert. Die herangezogenen chinesischen Kommentare sind insbesondere ein sehr schöner Nachdruck einer Yüan-Ausgabe des Kommentars von Ho Yän und Hing Bing, ferner die Bemerkungen Mau Si Ho’s und die Erklärungen zu schwierigen Stellen der Lun Yü in der Sammlung »Dschu Bai Schau Fang«. Die meisten Veränderungen finden sich in der Einleitung, die auf Grund weiterer Forschungen mannigfach umgestaltet und erweitert ist. Ein Sachregister ist neu beigegeben. Die Orthographie der chinesischen Namen ist nach der in Ostasien von den deutschen Lehrern akzeptierten Schreibweise einheitlich durchgeführt.
Tsingtau, Januar 1914 D. Richard WilhelmEinleitung
Niemand, der sich mit China beschäftigen will, kann an der Persönlichkeit des Kung (der von den Jesuiten Konfuzius genannt wurde, nach dem chinesischen Kung Fu Dsï = Meister Kung, und diesen Namen in Europa bis heute behalten hat) vorübergehen. Kung ist das historisch gewordene Ideal der überwältigenden Mehrheit des chinesischen Volkes, und niemand kann ein Volk richtig beurteilen, ohne dessen Ideale zu verstehen. Dennoch ist man in Europa weit davon entfernt, zu einer eindeutigen Würdigung dieser Persönlichkeit durchgedrungen zu sein. Im rationalistischen Zeitalter wurde er vielfach aus seiner Umgebung herausgelöst und genoß als weiser und tugendhafter Sittenlehrer, der in mancher Beziehung der damaligen Zeitströmung verwandte Züge zeigte, große Verehrung. Seit China jedoch in neuerer Zeit eine wesentlich ungünstigere Beurteilung in Europa fand, hatte auch sein historisches Ideal darunter zu leiden. Um so mehr, als immer deutlicher erkannt wurde, daß er zu eng mit der ganzen chinesischen Geschichte zusammenhängt, als daß man ihn daraus willkürlich losreißen könnte. Ja, so stark scheinen die Fäden, die ihn auch nach seinen eigenen Aussprüchen mit dem chinesischen Altertum verknüpfen, daß unserer Zeit, die in den Heroen des Menschengeschlechts nur immer nach dem Originalen und Genial-Persönlichen sucht, oft kaum mehr etwas Bemerkenswertes an dem vielverehrten Meister der Chinesen übrig zu bleiben schien. Und nicht vereinzelt sind die Urteile, die den Konfuzianer Menzius, der einige Jahrhunderte nach Kungs Tode eine literarisch überaus geschickte Propaganda für dessen Lehren betrieb, noch über den Meister stellen. Diese Geringschätzung entfernt sich aber ebenso weit von der Wahrheit wie jene frühere Verehrung des individualistisch betrachteten Tugendlehrers. Um die Größe einer historischen Persönlichkeit objektiv festzustellen, muß man alle persönlichen Geschmacksrichtungen zunächst beiseite lassen und nur seine tatsächliche Wirkung in Betracht ziehen. Jede hervorragende Persönlichkeit hat eine ganz bestimmte Auffassung der metaphysischen Gründe des Weltgeschehens. Und dieser Auffassung entsprechend gestaltet sie ihr Leben. Wie in der Musik ein jeder Komponist seinen bestimmten Rhythmus hat, der alle seine Werke einheitlich durchdringt, so hat jeder große Mann eine besondere Rhythmik des Handelns und Erlebens, die sich mehr oder weniger von dem passiven Gelebtwerden der großen Menge unterscheidet. Die Größe einer Persönlichkeit hängt nun einerseits davon ab, wie hoch sich diese Eigenart des Erlebens über das Niveau ihrer Zeit erhebt, und andererseits davon, wie groß ihre Kraft ist, auch andere Menschen in diese neue Art des Lebens hineinzuziehen und so ihr Leben gestaltend zu bestimmen. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man Kung entschieden als einen der ganz Großen der Menschheit bezeichnen; denn seine Wirkung auf die ganze ostasiatische Welt, zusammen wohl nahezu ein Drittel der Menschheit, hat sich bis heute erhalten, und ebenso ist das sittliche Ideal, das er vertritt, ein solches, das wohl einen Vergleich aushält mit den übrigen Weltreligionen. Und mancher schon, der mit großen Vorurteilen an die intimere Beschäftigung mit ihm heranging, hat sich schließlich das Bekenntnis abringen müssen: Er war doch ein großer Mann.
Der Versuch einer Lösung des Problems der Persönlichkeit Kungs als Faktors der Menschheitsentwicklung wird als notwendige Voraussetzung seine historische Eingliederung in den Zusammenhang des Lebens der chinesischen Rasse haben. Wir fragen daher zunächst: was fand er vor? – dann: was hat er erstrebt? – und weiter: was hat er erreicht? Eine Würdigung dessen, was er an bleibenden Werten dem geistigen Besitz der Menschheit hinzugefügt hat, möge den Abschluß bilden!
Für eine genaue Anschauung der Verhältnisse in der chinesischen Urzeit fehlt zurzeit noch das nötige kritisch gesichtete Quellenmaterial. Allerdings wird man ebenso vorsichtig sein müssen gegenüber einer zu weit gehenden Skepsis, wie gegenüber einer unbesehenen Übernahme des ganzen chinesischen Traditionsstoffs. Es hat eine Zeit gegeben, da man das Vorhandensein einer chinesischen Schrift vor dem Jahr 800 v. Chr. leugnen zu müssen meinte, ja manchen Kritikern war selbst dieses Datum noch zu hoch gegriffen. Neuerdings sind Funde alter, beschriebener Knochen gemacht worden, die seit uralten Zeiten zu Orakelzwecken dienten. Durch diese Funde wurden ganz neue Einblicke in ein altes chinesisches Schriftsystem eröffnet, und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß mit der Zeit noch Monumente ans Tageslicht kommen, die die chinesische Urgeschichte in neuem Licht erscheinen lassen. Vielleicht daß dann auch die jetzt noch gänzlich ungeklärte Frage nach dem Ursprung der chinesischen Kultur ihre Antwort findet.
Was uns jetzt an Quellen für die chinesische Urzeit zur Verfügung steht, ist im wesentlichen alles durch die Redaktion Kungs hindurchgegangen. Es sind die fünf kanonischen Schriften der »Urkunden«, »Lieder«, »Wandlungen«, »Annalen des Staates Lu« und der – erst später fixierten – »Riten«. Wir haben Anhaltspunkte darüber, daß Kung bei seiner Redaktionsarbeit ziemlich radikal vorgegangen ist. Nicht darum war es ihm zu tun, eine historische Darstellung der Vergangenheit zu geben, sondern er wollte die Geschichte als einen Spiegel für die Zukunft überliefern. Er schrieb die Geschichte nur vom Standpunkt seiner Lehre aus, die er in ihr zusammengefaßt sieht. Ebenso ging er bei der Sammlung der Lieder und Bräuche durchaus kritisch vor.
Immerhin bewegen sich die redaktionellen Änderungen Kungs in ganz bestimmten Bahnen. Er läßt manches ihm unrichtig dünkende weg, rückt anderes in eine neue Beleuchtung; aber wir dürfen das Zutrauen zu ihm haben, daß er den wesentlichen Gehalt der ihm vorliegenden Quellen unangetastet ließ. Als ungünstiges Moment kommt jedoch in Betracht, daß keine der von ihm redigierten Schriften sich in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten hat. Weit mehr als die Bücherverbrennung des Tsin Schï Huang, die von den Chinesen für den Zustand ihrer alten Literatur verantwortlich gemacht wird, sind die allgemeinen Unruhen der auf Kung folgenden Jahrhunderte dafür verantwortlich. Die alte chinesische Welt fiel rettungslos dem Untergang anheim, und als sich aus den Trümmern später die Handynastie erhob und man begann, sich auf die Schätze alter Wissenschaft wieder zu besinnen, da war vieles schon sehr stark mitgenommen vom Sturm der Jahrhunderte. So ist uns denn die ganze alte Literatur nur so überliefert, wie sie aus dem Schutt der Zeiten hervorgezogen wurde.
Trotzdem diese Literatur zum Teil recht bedeutend gelitten hatte, sind uns dennoch in ihr die Richtlinien dessen aufbewahrt, was Kung in der Vergangenheit als Grundlage seiner Arbeit anerkannte. Die Heroen der Vergangenheit, die Schöpfer der chinesischen Kultur, die Kung vor Augen stehen, sind sieben an der Zahl: Gott Yau (Erhaben), Gott Schun (Gütig), der Große Yü, der Vollkommene Tang, ferner die drei Begründer der Dschoudynastie: König Wen und dessen zwei Söhne König Wu und der Fürst von Dschou. Wohl geht Kung nicht in jene grauen Urzeiten zurück, die in späteren Geschichtswerken immer ausführlicher behandelt werden; aber das große Dreigestirn der Kulturschöpfung Yau, Schun und Yü1, deren Zeit von 2300–2200 v. Chr. angesetzt zu werden pflegt, ist doch wohl auch kaum historisch. Schon daß Yau und Schun den Titel »Gott« tragen – denn die gewöhnliche Übersetzung mit »Kaiser« ist schon durch die Stellung des Wortes vor dem Namen ausgeschlossen – macht bedenklich. Aber auch die Zustände, wie sie unter diesen Herrschern sind und an das goldene Zeitalter anderer Mythen erinnern, finden im Verlauf der Geschichte keine Fortsetzung. Was von Yau, Schun und Yü erzählt wird, kommt aber dennoch in Betracht als Ideal, das Kung von der Vergangenheit besaß und an das er anknüpfen konnte. Die Ideale, die jene Heroen darstellen, sind die Grundlagen einer geordneten Regierung eines ackerbautreibenden Volkes. Was von Yau erzählt wird, bewegt sich durchaus in dieser Richtung. Ein ackerbautreibendes Volk braucht eine geordnete Zeitrechnung, damit die Beschäftigungen der Menschen in Einklang kommen mit dem Naturlauf, gut geordnete Wasserläufe, um Dürre und Überschwemmungen fernzuhalten, und endlich eine Regierung, die sich möglichst wenig durch Eingriffe in das persönliche Leben und Treiben des Volkes bemerkbar macht. So wird denn von Yau außer seiner persönlichen Tugend berichtet, daß er die Himmelserscheinungen in einem Kalender zur Darstellung brachte und in dem von seiner Familie verfolgten, aus ganz einfachen Verhältnissen hervorgegangenen Schun sich einen Gehilfen und Nachfolger herangezogen hat. Doch gelang es ihm noch nicht, der Überschwemmungen Herr zu werden. Dieses Werk vollendete Schun mit Hilfe des Großen Yü, der den sämtlichen Flüssen Nordchinas ihren Lauf anwies. Während Yau mehr mit den Himmelserscheinungen in Zusammenhang steht, ist Schun, der in seiner Jugend Landmann war, mehr mit den irdischen Verhältnissen verknüpft: Ackerbau, Töpferei, Fischfang und Jagd sind Tätigkeiten, die ihm die Legende zuschreibt. Und ähnlich wie Yau, unter Hintansetzung seines unwürdigen Sohns, sein Reich an Schun abgibt, – nachdem, wie taoistische Legenden nicht ohne Bosheit berichten, eine ganze Anzahl taoistischer Heiliger den Thron ausgeschlagen hatten – so wählt auch Schun als seinen Nachfolger den würdigsten seiner Beamten, den Bändiger der Gewässer: Yü. An Yü den Großen schließt sich die erste durch Erbfolge begründete Dynastie, die Hiadynastie an. Im Verlauf der Dynastie folgt auf das goldene Zeitalter jener Herrscher allmählicher Niedergang, bis mit dem letzten Herrscher aus dem Hause Hia, dem ausschweifenden und tyrannischen Giä, die Unmoral einen Gipfel erreicht, der »die Strafe des Himmels« herausfordert. Der Tyrann wird gewaltsam abgesetzt, und der »Vollkommene«, Tang, gründet die zweite Dynastie, die sogenannte Schangdynastie, deren Bezeichnung später in Yin umgewandelt wird. Die Gestalt des Tang ist dadurch im chinesischen System bemerkenswert, als wir in ihm den Heiligen als Empörer haben. Nachdem der Tyrann die Berufung des Himmels verscherzt hatte, geht diese auf den würdigeren Gründer einer neuen Dynastie über. An der Zuneigung des Volkes erkennt man, daß er wirklich einen höheren Beruf hat; denn des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Im übrigen übernimmt die neue Dynastie die Einrichtungen der alten unter zeitgemäßen Abänderungen. Auch das bleibt Grundsatz für die Jahrtausende in China: das große Erbe der Vergangenheit, die Summe der Kultur und Autorität kann wohl von einem Haus an das andere übergehen, aber die Tradition bleibt gewahrt, ähnlich wie auf anderem Gebiet im Papsttum. Von dieser theoretischen Erwägung abgesehen zeigt sich die zweite Dynastie ziemlich genau als Dublette der ersten; namentlich der Tyrann, der den Zorn des Himmels herabbeschwört, trägt unverkennbare Familienähnlichkeit mit dem Tyrannen Giä. Er heißt Schou Sin, und seine ausschweifende Gemahlin heißt Da Gi; im übrigen aber ist sein Lebenswandel nur eine Wiederholung der Ausschweifungen und Grausamkeiten des letzten Herrschers der Hiadynastie. Es fehlen zurzeit noch die Mittel, um festzustellen, wie das historische Verhältnis ist, ob es sich um zufällige Übereinstimmung handelt, oder ob der Thronsturz des Giä einfach eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Analogie der Ereignisse zur Zeit des Schou Sin ist.






