Gespräche

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2. Ehrfurcht als Grundlage der staatlichen Ordnung
Meister Yu2 sprach: »Daß jemand, der als Mensch pietätvoll und gehorsam ist, doch es liebt, seinen Oberen zu widerstreben, ist selten. Daß jemand, der es nicht liebt, seinen Oberen zu widerstreben, Aufruhr macht, ist noch nie dagewesen. Der Edle pflegt die Wurzel; steht die Wurzel fest, so wächst der Weg. Pietät und Gehorsam: das sind die Wurzeln des Menschentums.«3

Meister Yu sprach: »Wer sich pietätvoll dem Familienorganismus einordnet, der wird schwerlich ein politischer Oppositionsmann sein. Wer sich von politischer Opposition fernhält, der wird sicher kein Empörer. Ein umsichtiger Regent wird daher im Familiengefühl die Wurzel der staatlichen Ordnung pflegen. Ist diese Wurzel gesund, so durchwächst von ihr aus das Prinzip der pietätvollen Unterordnung das gesamte Staatswesen; denn die Ehrfurcht ist die Grundlage aller sozialen Ordnung.«
3. Der Schein trügt
Der Meister sprach: »Glatte Worte und einschmeichelnde Mienen sind selten vereint mit Sittlichkeit.«

Diplomatische Gewandtheit und konventionelles Wesen sind unvereinbar mit wirklicher Güte des Charakters.
4. Tägliche Selbstprüfung
Meister Dsong4 sprach: »Ich prüfe täglich dreifach mein Selbst: Ob ich, für andere sinnend, es etwa nicht aus innerstem Herzen getan; ob ich, mit Freunden verkehrend, etwa meinem Worte nicht treu war; ob ich meine Lehren etwa nicht geübt habe.«

Meister Dsong (das hauptsächliche Schulhaupt nach Kungs Tode) sprach: »Ich prüfe mich täglich in dreifacher Hinsicht: ob ich übernommene Verpflichtungen gewissenhaft ausgeführt habe; ob ich im Verkehr mit Freunden immer Wort gehalten habe; ob ich die Lehren, die ich andern gab, selbst auch befolgt habe.«
5. Regentenspiegel
Der Meister sprach: »Bei der Leitung eines Staates von 1000 Kriegswagen5 muß man die Geschäfte achten und wahr sein, sparsam verbrauchen und die Menschen lieben, das Volk benutzen entsprechend der Zeit.«6

Auch eine Großmacht läßt sich nach ganz einfachen Prinzipien in geordnetem Zustand halten: Sorgfältigste Erledigung aller Arbeiten und Zuverlässigkeit, Sparsamkeit in den Mitteln und Interesse für die Menschen; bei der Verwendung der Untertanen zu öffentlichen Leistungen: Rücksicht auf die Verhältnisse, in denen sie sich befinden.
6. Moralische und ästhetische Bildung der Jugend
Der Meister sprach: »Ein Jüngling soll nach innen kindesliebend, nach außen bruderliebend sein, pünktlich und wahr, seine Liebe überfließen lassend auf alle und eng verbunden mit den Sittlichen. Wenn er so wandelt und übrige Kraft hat, so mag er sie anwenden zur Erlernung der Künste.«7

Die Jugenderziehung muß im engsten Familienkreise einsetzen durch Pflege der Ehrfurcht den Eltern gegenüber. Diese Ehrfurcht hat sich dann allmählich auszudehnen und zu erweitern in ein bescheidenes Betragen gegenüber erfahrenen und älteren Persönlichkeiten. Die wichtigsten Eigenschaften bei der Ausbildung des persönlichen Charakters sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Im Verkehr mit anderen ist auf eine arglose, freie Sympathie mit allen Menschen Gewicht zu legen, während der intime Anschluß auf Leute von moralischer Haltung sich zu beschränken hat. Auf dieser Grundlage sittlicher Erziehung mag sich bei besonderer Begabung höhere wissenschaftliche und ästhetische Bildung aufbauen.
7. Wer ist gebildet?
Dsï Hia8 sprach: »Wer die Würdigen würdigt9, so daß er sein Betragen ändert, wer Vater und Mutter dient, so daß er dabei seine ganze Kraft aufbietet, wer dem Fürsten dient, so daß er seine Person drangibt, wer im Verkehr mit Freunden so redet, daß er zu seinem Worte steht: Wenn es von einem solchen heißt, er habe noch keine Bildung, so glaube ich doch fest, daß er Bildung hat.«

Dsï Hia sprach: »Wer sich durch die Verehrung für große Männer dazu bestimmen läßt, ihrem Beispiel praktischen Einfluß auf sein tägliches Leben zu geben; wer seinen Eltern dient aus allen seinen Kräften und im Dienst des Fürsten treu ist bis zum Tod; wer sich den Freunden gegenüber durch sein gegebenes Wort unbedingt gebunden fühlt; solch ein Mann mag vielleicht nicht viel Büchergelehrsamkeit besitzen, aber ich behaupte doch, daß er wirklich gebildet ist.«
8. Kultur der Persönlichkeit
Der Meister sprach: »ist der Edle nicht gesetzt, so scheut man ihn nicht. Was das Lernen betrifft, so sei nicht beschränkt. Halte dich eng an die Gewissenhaften und Treuen. Mache Treu und Glauben zur Hauptsache. Habe keinen Freund, der dir nicht gleich ist. Hast du Fehler, scheue dich nicht, sie zu verbessern.«

Für einen Gelehrten ist ein gesetztes, ernstes Wesen von großer Wichtigkeit. Er erwirbt sich dadurch die achtungsvolle Anerkennung der anderen Menschen. In seiner wissenschaftlichen Arbeit hat er sich von aller beschränkten Einseitigkeit fern zu halten. Bei der Wahl des intimen Verkehrs halte man sich an gewissenhafte und wahre Menschen und bleibe von Minderwertigen fern. Hat man einen Fehler gemacht, so suche man ihn nicht mit falscher Scham zu beschönigen, sondern gestehe ihn offen ein und mache ihn wieder gut.
9. Pflege der Vergangenheit als Regierungsgrundsatz
Meister Dsong sprach: »Gewissenhaftigkeit gegen die Vollendeten10 und Nachfolge der Dahingegangenen: so wendet sich des Volkes Art zur Hochherzigkeit.«

Der Philosoph Dsong sprach: »Dadurch, daß ein Fürst die dankbare Verehrung für die Vergangenheit auch in den äußeren Formen, in denen diese Gesinnung ihren Ausdruck findet, gewissenhaft pflegt, wird es ihm möglich sein, sein Volk dahin zu beeinflussen, daß es sich nicht in der Sucht nach materiellem Gewinn verliert, sondern daß ein liberaler Sinn für die geistigen Güter lebendig wird.«
10. Die rechte Art, von anderen Aufschluß zu erlangen
Dsï Kin11 fragte den Dsï Gung und sprach: »Wenn der Meister in irgendein Land kommt, so erfährt er sicher seine Regierungsart: Bittet er oder wird es ihm entgegengebracht?« Dsï Gung sprach: »Der Meister ist milde, einfach, ehrerbietig, mäßig und nachgiebig: dadurch erreicht er es. Des Meisters Art zu bitten: ist sie nicht verschieden von anderer Menschen Art zu bitten?«

Der Jünger Dsï Kin fragte den Jünger Dsï Gung: Immer wenn unser Meister auf seinen Wanderungen durch einen fremden Staat kommt, ist er in kurzer Zeit über den Stand seiner öffentlichen Angelegenheiten im klaren. Wie kommt er zu dieser Kenntnis? Fragt er nach den Verhältnissen oder wird es ihm von den Betreffenden aus freien Stücken mitgeteilt?« Dsï Gung antwortete: »Der Meister hat eine ganz besondere Art, das Vertrauen der Leute zu gewinnen, so daß sie ihm in ihre Verhältnisse Einblick gewähren: er ist milde in seinem Urteil, wohlwollend in seinem Reden, höflich in seinem Betragen, anspruchslos in seinem Auftreten und unaufdringlich in seiner Art, sich zu geben: kurz, er stellt sein eigenes Ich in den Hintergrund; das ist das Geheimnis seines Erfolgs.«
11. Merkmale echter Pietät
Der Meister sprach: »ist der Vater am Leben, so schaue auf seinen Willen. ist der Vater nicht mehr, so schaue auf seinen Wandel. Drei Jahre lang nicht ändern des Vaters Weg: das kann kindesliebend heißen.«

Um zu erkennen, wie weit ein Mensch der idealen Forderung der Ehrfurcht gegen die väterliche Autorität entspricht, muß man, so lange sein Vater noch lebt und auf seine äußere Handlungsweise bestimmenden Einfluß auszuüben vermag, seine innere Willensrichtung beobachten. ist der Vater tot und der Sohn in seinen Handlungen durch keine äußere Gewalt gehemmt, dann kann man ihn in seinem Betragen beobachten. Weicht er drei Jahre lang nicht ab von seines Vaters Wegen, dann besitzt er wirklich die Gesinnung wahrer Ehrfurcht in sich selbst.
12. Freiheit und Form
Meister Yu12 sprach: »Bei der Ausübung der Formen ist die (innere) Harmonie die Hauptsache. Der alten Könige Pfad ist dadurch so schön, daß sie im Kleinen und Großen sich danach richteten. Dennoch gibt es Punkte, wo es nicht geht. Die Harmonie kennen, ohne daß die Harmonie durch die Form geregelt wird: das geht auch nicht.«

Der Philosoph Yu sprach: »Um mit richtigem Takt in allen Verhältnissen das Geziemende zu tun, ist notwendige Vorbedingung eine harmonische Seelenverfassung. Diese Übereinstimmung zwischen dem Gemüt und den äußeren Formen ist das Anziehende an den Prinzipien der Heroen des Altertums. Im Kleinen wie im Großen findet sich bei ihnen diese Harmonie. Diese harmonische Seelenstimmung allein ist aber ihrerseits auch nicht ausreichend. Wenn die innere Stimmung nicht durch den Rhythmus fester Formen geregelt wird, so hat sie nicht den nötigen Halt.«
13. Vorteil der Zurückhaltung
Meister Yu sprach: »Abmachungen müssen sich an die Gerechtigkeit halten, dann kann man sein Versprechen erfüllen. Ehrenbezeugungen müssen sich nach den Regeln richten, dann bleibt Schande und Beschämung fern. Beim Anschluß an andre werfe man seine Zuneigung nicht weg, so kann man verbunden bleiben.«13

Der Philosoph Yu sprach: »Man soll nie mehr versprechen, als was sich mit Recht und Billigkeit verträgt; dann kann man stets Wort halten. Man soll sich bei seinen Ehrenbezeugungen immer in den Grenzen des Geziemenden halten, so erspart man sich Selbsterniedrigung und Beschämung. Man soll sich nur an solche Leute eng anschließen, bei denen man nicht befürchten muß, seine Zuneigung wegzuwerfen, so kann man immer durch gegenseitige Hochschätzung mit ihnen verbunden bleiben.«
14. Wonach der Philosoph trachtet
Der Meister sprach: »Ein Edler, der beim Essen nicht nach Sättigung fragt, beim Wohnen nicht nach Bequemlichkeit fragt, eifrig im Tun und vorsichtig im Reden, sich denen, die Grundsätze haben, naht, um sich zu bessern: der kann ein das Lernen Liebender genannt werden.«

Das Streben des höheren Menschen geht nicht auf die Außenwelt, auf Sattessen und bequeme Wohnung, sondern auf eigene moralische Vollkommenheit; deshalb ist er in seinen Handlungen sorgfältig und vorsichtig im Reden. Er strebt nach der Gemeinschaft mit Menschen von moralischer Erfahrung, um durch sie sich zum Rechten weisen zu lassen. Auf diese Weise zeigt sich das wirkliche Bildungsstreben.
15. Fortschritt im Ertragen von Armut und Reichtum
Dsï Gung sprach: »Arm ohne zu schmeicheln, reich ohne hochmütig zu sein: wie ist das?«
Der Meister sprach: »Es geht an, kommt aber noch nicht dem gleich: arm und doch fröhlich sein, reich und doch die Regeln lieben.«
Dsï Gung sprach: »Ein Lied sagt:
Erst geschnitten, dann gefeilt,
Erst gehauen, dann geglättet.
Damit ist wohl eben das gemeint?
Der Meister sprach: »Sï, anfangen kann man, mit ihm über die Lieder zu reden. Sagt man die Folgerung, so kann er den Grund finden.«

Dsï Gung sprach: »Was ist von einem Menschen zu halten, der in der Armut sich von kriechendem Schmeichlersinn und im Reichtum von hochmütiger Einbildung fernzuhalten weiß?«
Der Meister sprach: »Er geht an, aber noch höher ist es zu werten, wenn einer inmitten der Armut die Freude an der Wahrheit sich wahrt und inmitten des Reichtums sich selbst in der Zucht hält.«
Dsï Gung sprach: »Diese Stufenfolge moralischer Vervollkommnung ist ja auch wohl im Liederbuch14 angedeutet, wo es heißt:
Erst geschnitten, dann gefeilt,
Erst gehauen, dann geglättet.
Da sprach der Meister: »Ja, mein Sï15, du bist reif genug, daß ich mich über das Liederbuch mit dir unterhalten kann; denn wenn man eine Richtung moralischer Entwicklung zeigt, so findest du das zugrunde liegende allgemeine Gesetz heraus.«
16. Verkanntsein und Kennen
Der Meister sprach: »Nicht kümmere ich mich, daß die Menschen mich nicht kennen. Ich kümmere mich, daß ich die Menschen nicht kenne.«
Buch II
We Dschong
1. Der Polarstern
Der Meister sprach: »Wer kraft seines Wesens1 herrscht, gleicht dem Nordstern. Der verweilt an seinem Ort und alle Sterne umkreisen ihn.«

Wie die Sonne nur durch die Überlegenheit ihrer Anziehungskraft die Planeten in ihre Bahnen zwingt, so herrscht der Genius nur durch die immanente Schwerkraft seiner Persönlichkeit ohne alle Vielgeschäftigkeit.
2. Das Liederbuch (Ein reines Herz)
Der Meister sprach: »Des Liederbuchs2 dreihundert Stücke sind in dem einen Wort befaßt: Denke nicht Arges!«
3. Gesetz und Geist bei der Staatsregierung
Der Meister sprach: »Wenn man durch Erlasse leitet und durch Strafen ordnet, so weicht das Volk aus und hat kein Gewißen. Wenn man durch Kraft des Wesens leitet und durch Sitte ordnet, so hat das Volk Gewißen und erreicht (das Gute).«

Eine bürokratische Regierung, die durch amtliche Vorschriften und Erlasse wirken will und durch Strafandrohungen eine gewiße äußere Ordnung aufrecht erhält, wird nur erreichen, daß sich im Volk Methoden ausbilden, die Gesetze zu umgehen, ohne daß sich irgendjemand ein Gewißen daraus macht. Wirklicher Einfluß wird nur dadurch möglich, daß man in inneren Kontakt mit der Volksseele kommt und durch Herausbildung fester Sitten und Gewohnheiten die äußere Ordnung sichert. Dadurch wird erreicht, daß das Volk Ehrgefühl und Achtung bekommt. (Diese Lesart geht auf ein Monument aus der Hanzeit zurück.)
4. Stufen der Entwicklung des Meisters
Der Meister sprach: »Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr aufgetan, mit siebzig3 konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.«

Der Meister sprach: »Im Alter von fünfzehn Jahren erwachte in mir das Interesse an der Wissenschaft. Mit dreißig Jahren hatte sich mein Charakter im allgemeinen gefestigt. Mit vierzig Jahren hatte ich Zweifel und innere Unklarheiten überwunden. Mit fünfzig Jahren hatte ich einen Einblick gewonnen in die ewigen Gesetze des Weltgeschehens. Mit sechzig Jahren hatte ich die Fähigkeit erworben, aus den Äußerungen anderer Menschen ihr Wesen intuitiv zu erkennen. Mit siebzig Jahren endlich war ich soweit, daß meine Neigungen nirgends mehr mit der Pflicht kollidierten.«
5. Über die Kindespflicht. I: Nicht übertreten
Der Freiherr Mong J fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Nicht übertreten.« Als Fan Tschï hernach seinen Wagen lenkte, erzählte es ihm der Meister und sprach: »Freiherr Mong J befragte mich über die Kindespflicht und ich sprach: »Nicht übertreten.« Fan Tschï sprach: »Was heißt das?« Der Meister sprach: »Sind die Eltern am Leben, ihnen dienen, wie es sich ziemt, nach ihrem Tod sie beerdigen, wie es sich ziemt, und ihnen opfern, wie es sich ziemt.«3a

Einer der mächtigsten Großen des Staates Lu, der Freiherr Mong J, fragte den Meister, worin die Erfüllung der Kindespflicht bestehe. Er bekam die Antwort: »Im Nichtübertreten.« Ohne sich nach dem Sinn dieses Rätselwortes genauer zu erkundigen, entfernte sich der Frager. Als aber einige Zeit darauf ein dem Freiherrn nahestehender Schüler, Fan Tschï, mit dem Meister zusammen eine Ausfahrt machte, benutzte dieser die Gelegenheit, um die Frage aufzuklären. Er erzählte nämlich seinem Schüler, daß Mong J bei ihm gewesen sei und nach dem Wesen der Kindespflicht gefragt habe, worauf er die Antwort gegeben habe: sie bestehe im Nichtübertreten. Der Schüler erkundigte sich darauf nach dem Sinn dieser Antwort, worauf der Meister ihm denselben erklärte: daß nämlich der Kindespflicht ein über alle Zufälligkeiten erhabenes Sittengesetz zugrunde liege, das keinen Raum für persönliche Zu- oder Abneigungen lasse, vielmehr kategorisch fordere; nicht nur verlange es, daß man den Eltern zu deren Lebzeiten diene, sondern es reiche sogar über den Tod der Eltern hinaus und verlange, daß der letzte Dienst der Beerdigung ihm entsprechend vollzogen und daß selbst über das Grab hinaus das Andenken der Verstorbenen durch die festgesetzten Zeremonien geehrt werde.4
6. Über Kindespflicht. II: Krankheit
Der Freiherr Mong Wu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Man soll den Eltern außer durch Erkrankung keinen Kummer machen.«

Der Sohn des im vorigen Abschnitt genannten Freiherrn Mong J, namens Mong Wu, fragte ebenfalls nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Kindespflicht besteht darin, daß wir alles tun, was in unserer Macht steht, um den Eltern jeden Anlass zum Kummer über uns zu ersparen, so daß wir nur etwa durch Erkrankung und solche Dinge, die nicht in unserer Hand stehen, unsern Eltern Sorge bereiten können.«
7. Über Kindespflicht. III: Ehren, nicht bloß Nähren!
Dsï Yu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Heutzutage kindesliebend sein, das heißt (seine Eltern) ernähren können. Aber Ernährung können alle Wesen bis auf Hunde und Pferde herunter haben. Ohne Ehrerbietung: Was ist da für ein Unterschied?«

Der Jünger Dsï Yu fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Da antwortete der Meister: »Heutzutage sieht man die Kindespflicht nur in der Erfüllung der Äußerlichkeit, daß man seine Eltern mit Nahrung versieht. Aber man füttert schließlich auch seine Hunde und Pferde. Wenn man den Eltern nicht Ehrfurcht entgegenbringt, so besteht zwischen der Behandlung der Eltern und der der Haustiere kein wesentlicher Unterschied.«5
8. Über Kindespflicht. IV: Betragen
Dsï Hia fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Der Gesichtsausdruck ist schwierig. Wenn Arbeit da ist und die Jugend ihre Mühen auf sich nimmt; wenn Essen und Trinken da ist, den Älteren den Vortritt lassen: kann man denn das schon für kindesliebend halten?«

Der Jünger Dsï Hia fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Schwierigkeit bei ihrer Erfüllung besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollen und freundlichen Betragen, daß man es vermeidet, sich im Laufe der Jahre in seinen Manieren den Eltern gegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllung der Kindespflicht versteht, daß die Kinder die Mühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, daß sie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und für ihren Lebensunterhalt sorgen: das alles sind nur die selbstverständlichen Voraussetzungen.«6
9. Merkmal des Verständnisses
Der Meister sprach: »Ich redete mit Hui7 den ganzen Tag; der erwiderte nichts, wie ein Tor. Er zog sich zurück und ich beobachtete ihn beim Alleinsein, da war er imstande, (meine Lehren) zu entwickeln. Hui, der ist kein Tor.«

Der Meister sprach: »Man könnte Yän Hui für einen Menschen ohne selbständige Interessen halten, wenn man mit ihm spricht: er hört schweigend zu und macht weder Einwürfe noch stellt er weiterführende Fragen. Wenn man ihn aber nachher beobachtet, so sieht man an der Art, wie er das Gehörte selbständig entwickelt, daß er durchaus in den Geist der Sache eingedrungen ist.«
10. Menschenkenntnis: Worauf man sehen muß
Der Meister sprach: »Sieh, was einer wirkt, schau, wovon er bestimmt wird, forsche, wo er Befriedigung findet: Wie kann ein Mensch da entwischen?«

Um einen Menschen wirklich kennen zu lernen, muß man ihn unter drei verschiedenen Gesichtspunkten beobachten. Zuerst muß man die Wirkungen in Betracht ziehen, die von seiner äußeren Tätigkeit ausgehen. Das ist am leichtesten, läßt aber auch am wenigsten bindende Schlüsse zu. Wichtiger und schwieriger ist es, die psychologischen Motive festzustellen, von denen er in seinem Handeln bestimmt wird. Um einen Menschen aber seinem Wesen nach kennen zu lernen, ist auch das letzte und schwierigste noch nötig: daß man ihn erkennt, wie er an sich ist. Das einzige Hilfsmittel hierzu ist, zu beobachten, wie und wo er sich wohl fühlt, was seine moralische Lebensluft ist.






