Die zwölf Sinne des Menschen

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In bewusstem Kontrast zum Sehsinn findet sich bei König der Wärmesinn behandelt. Bei der Verfolgung der Frage, warum Rudolf Steiner der Wahrnehmung der Wärme im Kreis der zwölf Sinne einen so hohen Rang einräumt und sie zwischen dem Sehsinn und dem Hörsinn einordnet, während der Wärmesinn in der konventionellen Physiologie gemeinhin den Erfahrungen der Hautsinne, also Berührung, Schmerz und Vibration zugerechnet wird, führt König aus: «In der Tat ist der Wärmesinn das Tor von den hohen, zu den höchsten Sinnen. Aber warum?» In Bezugnahme des Phänomens, dass wir bei drei Wasserbecken, von denen das eine mit heißem, das andere mit kaltem und ein drittes mit lauwarmem Wasser gefüllt ist, wir die rechte Hand in heißes Wasser, die linke in kaltes Wasser legen und dann die Hände in das Becken mit lauwarmem Wasser halten, so erhalten wir ungleiche Wärmeempfindungen der Hände. Hierzu König: «Wenn wir dieselbe Außentemperatur wegen der Verfassung unserer Hände verschieden wahrnehmen, müssen wir annehmen, dass wir uns nicht auf die Information verlassen können, die uns der Wärmesinn gibt. […] Dies sind Phänomene, die alle höheren Sinne gemeinsam haben. […] es ist der Gleichgewichtssinn, der uns die oben beschriebene, differenzierte Wärmeerfahrung gibt, […] denn der Gleichgewichtssinn arbeitet kontinuierlich daran, eine Balance zwischen der Wärme außerhalb und innerhalb des Leibes zu schaffen.» Im Weiteren führt König aus, dass der Gleichgewichtssinn «viel tiefer in unserem physischen Organismus» arbeitet, indem er «das Verhältnis kleinster Substanzen im Blut so zueinander» reguliert, «dass z. B. die Menge der verschiedenen mineralischen Substanzen im Blut konstant bleibt. Dadurch wird das menschliche Bewusstsein, die persönliche Identität aufrechterhalten».
In diesem Zusammenhang betont König, dass es «die Substanz der Wärme» sei, die für die physikalische Wissenschaft nicht existiere, die gleichwohl «urzeitliche Grundlage aller Schöpfung» sei, die aus der «ersten Verkörperung der Erde als alter Saturn» entstanden sei. «Überall war Wärme, und es ist dieselbe Wärme, die uns in uns die Beständigkeit unseres inneren Milieus aufrechterhält, um unserem Ich die Möglichkeit zu geben, in unserem physischen Leib zu leben […] Wärme ist der Ursprung der Bewegung in der Flüssigkeit.» Und hier ist es das Blut in seiner eigenen Wärme, an das König den Wärme- wie den Gleichgewichtssinn ankoppelt. Dabei wird zudem darauf verwiesen, dass nach Rudolf Steiner im Gegensatz zur traditionellen Auffassung der (damaligen) konventionellen Medizin – nicht das Herz das Blut bewegt, sondern das Herz durch die Eigenbewegung des Blutes in Bewegung versetzt wird, wofür König den Sachverhalt ins Spiel bringt, dass im Verlauf der Embryonalentwicklung eine Blutzirkulation zu beobachten ist, lange bevor diese mit den Anlagen von Herz- und Blutgefäßen verbunden ist. Im Übrigen zeigen neuere kardiologische Forschungsergebnisse, dass sich hier inzwischen stillschweigend ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Denn die Kompensationsbreite der Kreislaufperipherie und deren wirkungsvolle Manipulation durch β-Blocker und ACE-Hemmer bei systolischer Herzinsuffizienz stellt eine mechanisch gedachte Funktion des Herzens als eine Pumpenvorrichtung infrage. Hinzu kommt das systematische Versagen positiv inotroper (die Herzschlagkraft erhöhender) pharmakologischer Ansätze der Herzinsuffizienztherapie, was indirekt auf die Bedeutung der Mikrozirkulation auf Organebene hinweist und die postulierte Bedeutung des Herzens als alleinige Ursache der Blutbewegung infrage stellt. Diese und weitere Detailerkenntnisse haben dazu geführt, dass inzwischen bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz die ehemals angewendeten, positiv inotrop wirkenden Pharmaka kontraindiziert sind und die zuvor ausdrücklich kontraindizieren Arzneimittel wie β-Blocker, ACE-Hemmer und Sartane zu den Mitteln der Wahl wurden. Erst die Verabschiedung des Paradigmas vom Herzen als einer Pumpe und deren Versagen bei der Herzinsuffizienz hat es ermöglicht, dass sich die β-Blocker als negativ inotrope Substanz durchgesetzt haben. Bei der diastolischen Herzinsuffizienz ist nicht primär die systolische Kontraktion betroffen, sondern die Relaxation, das «Lösen» des Herzens eingeschränkt. Hier zeigen neuere Forschungsergebnisse, dass selbst die vorgenannte Arzneitherapie zu keiner Verbesserung führt, also unwirksam ist. Was anthroposophisch orientierte Kardiologen an Erfahrungen berichten, ist, dass gerade die chronische Herzinsuffizienz eine Herausforderung an die Therapieprinzipien der anthroposophischen Kardiologie ist und sich die Heileurythmie sowie die anthroposophisch ausgerichtete Psychokardiologie als wichtige und wirksame Pfeiler der Therapie erweisen. Jedenfalls scheint es, als ob die paradigmatische Ausrichtung der Herzfunktion im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine Richtungsänderung erfahren hat, nämlich weg von der tradierten Vorstellung der Pumpenfunktion des Herzorgans in eine Richtung, die sich zunehmend derjenigen des Herzens als eines Wahrnehmungsorgans auf unterschiedlichen Ebenen annähert.34
Angeregt durch geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse Rudolf Steiners stellt Karl König eine Verbindung zwischen Wärmesinn, Gleichgewichtssinn und dem Ich des Menschen her. «Innerhalb des zirkulierenden Blutes lebt der Wärmesinn, und innerhalb des Wärmesinns lebt das Ich des Menschen, welches Gleichgewicht und Wärme durchdringt.» Und weiter: «Das Herz ist nicht nur ein Wahrnehmungsorgan für den Wärmesinn, sondern auch für den Mut – oder auch die Feigheit. Eine der wichtigsten menschlichen Emotionen, der Zorn, lebt im Wärmesinn.» König verweist hier auf Ausführungen Rudolf Steiners, wonach «der Zorn der Erzieher des Ich» ist. Und König führt weiter aus: «Der Zorn kann nur wirken, weil der Wärmesinn sein Milieu ist, und so können wir verstehen, warum wir uns erhitzen, wenn wir zornig werden – oder kalt werden, wenn wir einen Wutanfall bekommen. Zorn ist immer mit Wärme, Wut mit Kälte verbunden. Das Ich entwickelt sich im Verlauf der menschlichen Evolution und wächst in der Kraft seiner Liebe. Für einen Menschen, der nie zornig war, wird es äußerst schwer werden, wirkliche Liebe zu entwickeln. Dies ist eng verbunden mit dem Wärmesinn und auch dem Gleichgewichtssinn. […] Das ist die Bedeutung des Wärmesinns. Mut und Feigheit sind ein Teil von ihm, und innerhalb der Gleichgewichtsverhältnisse unserer Wärme entsteht allmählich der Zorn, verwandelt sich in die Kraft der Liebe und gibt unserem Ich die Möglichkeit, sich mit dem Geist-Wesen zu verbinden, das durch den Wärmesinn diese höchste Verbindung vorbereitet.»
Mit diesem Bild des Wärmesinns können wir das Tor zu den vier höchsten Sinnen öffnen, denn dieses Bild entfaltet bestimmte Qualitäten innerhalb des niederen Ich des Menschen und hilft diesem Ich, durch die Liebe, zu seinem eigenen höheren Wesen aufzuschauen. Von diesem aus strömen Hörsinn, Wortsinn, Gedankensinn und Ichsinn in uns. Aber dass dies so sein kann, verdanken wir ganz dem Wärmesinn.
Mitwelt-bezogene Sinne
Den Hörsinn behandelt König in enger Gemeinsamkeit mit dem menschlichen Ohr. Dabei bezieht er sich auf geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse Rudolf Steiners, denen zu Folge die erste Anlage des Ohres als eiförmiges Wärmegebilde bereits auf dem alten Saturn erfolgt ist. König: «Das Ohr ist unsere Mutter; wir kommen aus dem Ohr, und das Ohr, das wir jetzt haben, ist geschrumpft und klein geworden. Dennoch war das Ohr vom Anfang der Welt an mit uns und ist es noch – und es offenbart, was wir in unserem innersten Wesen erreichen werden: das Reich der höchsten Sinne, der Sinne für das Wort, den Gedanken und das Ich, die uns unsere Geistigkeit offenbaren. Das Ohr ist das Tor zu den höchsten Sinnen.»
Während es sich bei den unteren Sinnen um «subjektive» Empfindungen handelt, bei den höheren Sinnen um Individuum-abhängige Erfahrungen, so handelt es sich bei dem, was die höchsten Sinne vermitteln, um Vorstellungen: «Jeder Mensch sieht seine eigene Welt des Lichtes und der Farben, seinen eigenen Raum, aber der Raum offenbart uns die Dinge und Wesen, die jeder von uns sieht […] Wir können ein Ding beschreiben und darüber sprechen, weil es sich um dasselbe handelt. Dennoch gehen wir mit unserer eigenen Wahrnehmung des Raumes so um, als würde jeder von uns sein eigenes ‹Haus› mit sich tragen, so wie die Schnecke ihr eigenes Haus auf dem Rücken trägt. Wir können uns einigen, weil wir dasselbe ähnlich sehen. Mit dem Hören ist es anders. Und dann, wenn Sie mich sprechen hören, haben Sie nicht Ihr eigenes ‹Haus› des Hörens, weil wir alle gemeinsam hören. Wenn wir einem Lied, einer Stimme oder einem Ton zuhören, hören wir genau dasselbe; nur eine Stimme wird von vielen verschiedenen Ohren gehört. Dies ist ein fundamentaler Unterschied, weil nur in den höchsten Sinnen alle Menschen gleich sind; nur in den höchsten Sinnen können wir Brüder sein. Es ist von größter Bedeutung, dass jeder in der Welt der Empfindung und der Welt der Wahrnehmung für sich allein ist, dass wir aber in der Welt der Vorstellungen, die mit dem Hören beginnt, sozusagen alle im selben Boot sind.» Innerhalb des Hörens ordnet König das Geräusch der physischen, den Klang der ätherischen Organisationsebene zu, die Stimme der Seele und den Ton dem Geist. Alle diese vier Qualitäten werden von König unterschiedlichen morphologischen Elementen des Ohres zugeordnet, nämlich Geräusche dem äußeren Ohr, Klänge dem Mittelohr samt Gehörknöchelchen, die menschliche Stimme der Gemeinsamkeit von Innenohr und Kehlkopf. Das «Empfangsorgan für den Ton» ist das Innenohr samt zugehörigem Nervensystem.
«Nach dem Wärmesinn kamen wir an das Tor zu den vier höchsten Sinnen und lernten, wie der Hörsinn ein völlig neues Gebiet eröffnet – vielleicht nicht ein spirituelles, aber sicherlich ein übersinnliches Gebiet, an dem jedes menschliche Wesen Anteil hat. Die Trennung, die Individualisierung, die in jedem der anderen Sinne, auch im Sehsinn, gegenwärtig ist, besteht nicht mehr im Hörsinn, weil wir alle dasselbe hören; es ist uns allen gemeinsam. Mit dem Hörsinn gelangen wir in die Welt der Vorstellungen. Durch die vier höchsten Sinne haben wir weder bloß Wahrnehmungen noch einfach Empfindungen, die in unserem eigenen Körper aufsteigen. In dieser neuen Sphäre, der Sphäre des Hörens, öffnet sich etwas, dessen wir uns bewusst werden müssen. Die Menschheit ist sich noch nicht darüber im Klaren, dass uns der Hörsinn ein völlig neues Gebiet eröffnet, indem das Hören von Worten, Klängen und der Stimme eine uns allen gemeinsame, übersinnliche Erfahrung darstellt. Aber es ist nicht genug, eine übersinnliche Erfahrung zu haben; es ist nötig, sich ihrer bewusst zu werden. Es war Rudolf Steiner, der als Erster in der Geschichte der Menschheit die drei höchsten Sinne beschrieben hat. Obwohl einige moderne deutsche Philosophen zu der Tatsache aufgewacht sind, dass da mehr als Hören sein muss, wenn wir das gesprochene Wort verstehen sollen, dass da mehr als nur Verstehen sein muss, wenn wir das, was wir in einem Buch lesen, wirklich begreifen sollen, dauerte es bis zum Jahre 1909, dass Rudolf Steiner erstmals den Wortsinn und den Gedankensinn beschrieb. […] Kaum ein Psychologie oder Philosoph ist sich der Tatsache bewusst, dass, wenn jemand spricht, wir nicht nur den Klang hören durch unseren Hörsinn, sondern dass innerhalb des Klangs etwas geschieht, das überhaupt nichts mit unserem Denken zu tun hat, etwas, das nicht zu irgendeiner Art gedanklicher Schlussfolgerung gehört, sondern das es uns ermöglicht, einen Klang von einer Stimme, eine Melodie von einem gesprochenen Wort, ein Geräusch von einer sprachlichen Äußerung zu unterscheiden. Dies verdanken wir einer spezifischen Sinneswahrnehmung, einem Akt des Wahrnehmens und nicht des Denkens. Es ist ein völlig neuer Gedanke, dass wir ein gesprochenes Wort nicht aufgrund eines Erkenntnisvorgangs verstehen, sondern dass wir es in derselben Weise erfassen, wie wir eine Wand sehen, einen Baum oder einen Vogel; in genau der gleichen Weise, wie wir etwas riechen oder schmecken. Wir müssen uns darüber klar werden, dass mit dem Verstehen von Worten, mit dem Erfassen der Bedeutung dieser Worte Sinneswahrnehmungen verbunden sind. Auf diese Weise beschrieb Rudolf Steiner zuerst den Wortsinn und dann den Gedankensinn. […] Was nehmen wir durch den Wortsinn wahr? Wir nehmen nicht die Bedeutung des Wortes wahr, wir nehmen wahr, dass das Wort nicht nur ein Klang ist, sondern dass es ein Wort ist. Dass die menschliche Sprache kein Geplätscher, sondern Sprache ist, ist eine notwendige Unterscheidung. Auch wenn wir einen Menschen, der Chinesisch spricht, nicht verstehen, erkennen wir doch unmittelbar, dass es sich um Sprache handelt. Wenn uns jemand in einer fremden Sprache anspricht, die wir nicht verstehen, wird er versuchen, uns im Verstehen zu helfen, indem er lauter spricht, vielleicht langsamer und indem er Gesten macht. Durch die Gesten unterstreicht er seine Worte, er betont sie, weil er fühlt, dass der Wortsinn in dem anderen Menschen nicht richtig reagiert und daher den Gedankensinn nicht führen kann, der zum Verstehen dessen, was er zu übermitteln versucht, nötig ist. Durch Gesten versucht er, dem anderen Menschen zu helfen, den Gedankensinn aufzuwecken. Durch den Wortsinn wissen wir nicht nur, dass ein Wort ein Wort ist, sondern auch, dass eine Geste nicht eine gewöhnliche Bewegung ist; sie deutet auf etwas hin, das verstanden werden kann. Dies ist möglich durch die Aktivität des Wortsinns in unserem Sehfeld. Zu entdecken, dass Worte und Gesten eine Bedeutung haben, beruht weder auf einer Schlussfolgerung noch auf einer Gedankentätigkeit, sondern auf Wahrnehmung. […] Ein Kind hat innerhalb der ersten Wochen seines Lebens die Grundlage für die vier unteren Sinne ausgebildet und für die vier höheren Sinne, wie auch für den Hörsinn, in den ersten Monaten seiner Entwicklung, sodass ein Kind ungefähr im dritten oder vierten Monat hören und sehen, schmecken und riechen kann, sein Gleichgewicht und den Bewegungssinn entwickelt und natürlich den Tastsinn und den Lebenssinn entfaltet hat. Der Wortsinn, der Gedankensinn und der Ichsinn jedoch können sich erst entfalten, wenn bestimmte andere Schritte gemacht worden sind. Die drei großen Gaben oder Segnungen für jedes menschliche Wesen sind das Gehen, Sprechen und Denken, wie es Rudolf Steiner 1911 beschrieben hat. Sie sind die wesentlichen Grundlagen für die Entwicklung des Wortsinns, des Gedankensinns und des Ichsinns. Aufrechter Gang, Sprechen und Denken sind drei Errungenschaften, die wir nicht nur unserer eigenen Bemühung allein verdanken, denn sie zu erlangen ist außerhalb unserer eigenen Reichweite. Wir lernen als aufrechte, menschliche Wesen zu gehen, das Wort zu gebrauchen in Form von Stimme und Sprache und schließlich zu Denken mithilfe der Kräfte des Logos. Die wissenschaftlichen Fakten, die über die Entwicklung der ersten drei Jahre des Kindes bekannt sind, veranschaulichen im Detail, was Rudolf Steiner nur andeuten konnte. Es ist ganz offensichtlich, dass der Mensch mit einem gewissen Maß an natürlichen Fähigkeiten geboren wird».
Ausführlich findet sich diese Thematik in dem wichtigen, schön geschriebenen und empfehlenswerten Buch von Karl König behandelt, nämlich: Die ersten drei Jahre des Kindes; aber auch in dem zweiten Band dieser Sinnesarbeiten, Sinnesentwicklung und Leiberfahrung.35
Was die weiteren Mitwelt-bezogenen, höchsten Sinne betrifft, so sind diese in meiner Einführung bereits bei der Darlegung der zwölf Sinne durch Rudolf Steiner skizziert worden, weswegen ich hier auf eine nochmalige Thematisierung verzichte. Stattdessen möchte ich abschließend Karl König, wenn auch nur auszugsweise, sprechen lassen.
Karl König: «Plötzlich steht es [das Kind] mit einer Freude, der man den spirituellen Charakter ansieht, auf, gegen die Kräfte der Schwerkraft, und geht über die Erde in einer Art und Weise, wie es kein Erwachsener tun könnte, weil es ist, als ob lediglich ein Haar den kleinen Körper von oben halten würde und ihm das Gehen ermöglichte. Wenn wir diese Kraft bedenken, wissen wir, dass dies der erste Schritt zur Menschlichkeit ist, den jeder von uns macht. Dahinter stehen die Kräfte des Christus.»
«Der Gedankensinn gibt uns nicht die Möglichkeit zu denken. Er vermittelt uns das Verständnis, die Bedeutung eines Begriffs, etwa die des Spatens. Um ein anderes Beispiel zu geben: vielleicht haben wir einen bestimmten Menschen zwanzig Jahre lang nicht gesehen; wir starren ihn an und können ihn nicht einordnen, bis er nach einer Weile seinen Namen sagt und wir uns plötzlich an ihn erinnern können. Der Name ist die Offenbarung der innersten Existenz eines Menschen, einer Sache oder eines Wesens. Das kleine Kind bemerkt, dass seine Mama geht, sein Papa geht, dass Marie geht und ‹ich› geht. Dies dauert ungefähr bis ins dritte Jahr. Heutzutage entdecken manche Kinder ihr eigenes Ich schon mit zwei Jahren, und statt sich zuerst mit ihrem eigenen Namen zu bezeichnen, beginnen sie gleich, ‹ich› zu sich zu sagen. Dies weist hin auf den Beginn der Entwicklung des Ichsinns. Der Ichsinn entwickelt sich mehr oder weniger von selbst bis ans Ende des Lebens – wenn der Mensch bereit ist, ein Kind zu bleiben. Die drei höchsten Sinne – Wortsinn, Gedankensinn und Ichsinn – bleiben in ständiger Entwicklung.»
Mit diesen vermächtnishaften Ausführungen Karl Königs möchte ich meine Einführung schließen. Dies in dankbarem Gedenken an diesen großen Geist Karl König, der neben einer immensen Zahl von ebenso genialen, spirituellen und aufrüttelnden Ausführungen zu anderen Themenkreisen auch eine durch Rudolf Steiner inspirierte Sinneslehre ein Leben lang bearbeitet und weiterentwickelt hat – und zwar auf eine Weise, die allen daran Interessierten ihre menschliche Würde zuspricht und die zugleich seit Langem als heilsamer Impuls für eine segensreiche Arbeit mit seelenpflege-bedürftigen Kindern wirkt. Die Ausführungen Karl Königs zur Bedeutung einer spirituellen Sinneslehre werden weiterhin für eine zeitgemäße erzieherische und heilberufliche Praxis von großem Wert sein.
Vorträge zur Sinneslehre
von Karl König
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