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„Wir haben uns lange schon vorbereitet. Bald werden die Teller hier sein – und die Gleim!“, übernahm der andere mit erstickter Stimme, während seine Augen hektisch den Himmel absuchten.
„‚Teller’ … und die ‚Gleim’?“ fragte Kishou, und versuchte den Blicken der beiden in den Himmel zu folgen.
„Boorh entscheidet: Im Gleim verdrängt ein Streiter der Horden der Gleichen das Allsein!“
„Na toll!“, erschrak Kishou, und blickte suchend über das Feld.
„Weshalb fürchtet ihr uns, wenn ihr doch wisst, wer sich in uns zu euch verhält?, fragte Habadam.
„Wir … wir fürchten uns nicht!“, stieß der Eine sofort hervor. Es mochte wohl die schlechteste Lüge gewesen sein, die je ausgesprochen wurde.
„Was glaubt ihr denn, wer wir sind?“, fragte Kishou nach. Die Reaktion der Breenen sprach nach ihrem Befinden nicht gerade für das bekundete Wissen der Beiden.
„Ihr kommt von der ‚Sterbenden Welt’, und wollt unser Wasser und unser Land!“
„Und es stimmt also auch, das die ONO mit euch unter einer Decke steckt!“, übernahm der andere mit hassvollen Blick, und streckte seinen freien Arm in Richtung Kishou!“
„,ONO'? – was ist das?“, wunderte die sich, sie war hier offenbar direkt angesprochen. Eine Antwort blieb allerdings aus.
„Sie halten euch für einen Breenen!“, gab Madame KA leise zu bedenken. „Ihr solltet es also wissen und so werden sie eure Frage nicht verstehen!“
„Tatsächlich verhält es sich gewissermaßen so, dass wir aus sterbenden Welten kommen. sprach nun Habadam zu den Beiden. „Doch warum ist euer Drom davon verschont? Wir finden hier das Verhalten von Wasser in den Wolken wie auf der Erde, und eine reiche Natur?“
„Was soll die Frage?", war die Reaktion des Einen mit Blick auf Kishou. „Wir haben noch von allem genug, und Ihr werde es uns nicht nehmen – auch wenn es Verräter unter uns gibt!“, sprudelte er aggressiv hervor und verzog gleich darauf in Schmerzen sein Gesicht. Er hatte sich wohl dabei zu ungestüm bewegt, und Boorhs Griff zog sich noch fester zu.
„Lass sie los, Boorh!“, befahl Kishou. Der gab die Beiden nach einem bedenklichen Blick zu beiden Seiten frei und trat einen Schritt hinter sie zurück. „Wir wollen euch nichts tun!“, erklärte Kishou nun beschwichtigend. „Wir wollen nur wissen, was so los ist hier im vierten Drom. Zum Beispiel wie man in das Vierte Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms kommt. Ist die Grenze tatsächlich offen?“
Die beiden Breenen sahen sich verständnislos an, ohne zu antworten.
Kishou musste einsehen, dass sie als vermeintlicher Breene solche Fragen nicht stellen konnte. Sie war für einen Augenblick geneigt, sich einfach die Kapuze vom Gesicht zu ziehen, und sich zu offenbaren, das hatte noch nie seine Wirkung verfehlt – aber sie war unsicher, ob dies jetzt der richtige Moment war. „Ich bin kein Breene!“, versuchte sie es wenigstens auf die einfache Art. „Ich würde nicht fragen, wenn ich die Antwort kennen würde!“
Die beiden schauten tatsächlich einen Moment etwas verdutzt zu ihr hinüber. „Was soll das Verleugnen deiner Herkunft!?“, meinte der Eine von ihnen.
Ein unwilliger Laut hinter Kishou deutete an, dass das Untere Squatsch dabei war, die Geduld zu verlieren. Er watschelte auch prompt nach vorn und stellte sich vor den Beiden auf. „Also nun hört mal zu, ihr beiden Intelligenzträger … ihr Beiden … Bevor ich euch frage, was unter eurem Grauröcken das Allsein verdrängt, was wohl eine ziemlich unangenehme Frage wäre, … eine sehr unangenehme. Als bevor ich euch …“
Das kurze Aufleuchten Mos unterbrach jäh die Worte des Unteren Squatsch. Bevor die anderen realisieren konnten, was gerade geschehen war, stieg bereits die schwere Axt Boorhs unter seinem Brüllen in den Himmel auf und krachte dem Klange nach in etwas metallisches hinein. Unweit hinter ihnen fiel das Getroffene wie ein Stein mit dumpfen Aufschlag in das Feld. Der kleine Moment der Ablenkung genügte allerdings den beiden Breenen als Gelegenheit, um mit riesigen Schritten im Unterholz des angrenzenden Waldes zu verschwinden.
„Was war das?“, fragte Kishou erschrocken.
„Ein ganz besonderer Vogel verdrängte am Himmel das Allsein!“, reagierte das Untere Squatsch lakonisch.
„Nein!“, war hierzu der eindeutige Kommentar Luis, während er sich von Habadams Schulter erhob, und in die Richtung flog, wo das unbekannte Ding niedergegangen war. Die anderen folgten.
Sie fanden ein seltsames, scheibenförmiges, zur Mitte sich verstärkendes Gegenstand, der nicht ganz zwei Schritte von einer Seite zur anderen maß. Seine Farbe war von mattem Schwarz und seine Form nach allen Seiten unterschiedslos – abgesehen von der starken Delle im oberen Gehäuse. Boorhs Axt musste das Ding von unten durchschlagen, und die kantige Delle dort oben hinterlassen haben.
Kishou beugte sich nach unten. Splitter von dickem Glas lagen dort vereinzelt herum. Sie meinte auch, ein grünliches Licht etwas unterhalb und im Schatten des Objekts zu sehen – aber es war nur einen Moment lang, und wohl nur eine Reflexion des Grases.
Vollkommen unterschiedslos Ebenmäßig war es dann aber doch nicht. Eine Stelle seiner Kante wies ein fingerdickes, quadratisches Loch auf, wie Kishou nun bemerkte.
„Ein Besonderer Apparat!“, stellte Habadam stirnrunzelnd fest.
„So wie’s aussieht, …“ überlegte Kishou … „Der Eine hat doch von ‚Teller’ gesprochen, die kommen werden. Ist das vielleicht so ein Teller?“
„Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht wohl schon wegen dem Verhalten seiner Form dafür!“, meinte Habadam.
„Kennt ihr die nicht?“, frage Kishou. „Ich meine, gab’s die damals nicht, als im Großen Belfelland noch alles in Ordnung war?“
„Eine menge Schrott verdrängte seinerzeit das Allsein hier!“ Das Untere Squatsch wiegte seinen viel zu großen Kopf hin und her. „… Eine menge Schrott. Das Allsein ist noch heute voll davon. Übervoll. Aber sowas hier … sowas … Nein. Eine Kreation kranker Hirne verdrängt hier das Allsein!“
„Hat es dich angegriffen, Mo!“, fragte Kishou. „Ich meine, weil du plötzlich so Hell aufgeleuchtet bist!“
„So ist es entschieden!“, bestätigte die nur.
„Hier!“ Habadam wies auf das kleine, viereckige Loch am Wulst der Scheibe, das Kishou auch schon bemerkt hatte. „Die Horden der Gleichen – also der Gleim – verschießt kleine, würfelförmige Metallquader. Diese Öffnung verhält sich vollkommen zu ihnen!“
„Na toll!“, seufzte Kishou, und suchte besorgt mit den Augen den Himmel ab. „Wenn uns einer von den Dingern gefunden hat, werden wahrscheinlich bald noch mehr hier sein!“
„Dann sollten wir hier nicht auf sie Warten!“, meinte Madame KA, und wandte sich in die Richtung der Biesel.
Eine ungewollte Entscheidung
S
ie verließen den Ort des Feldes im Galopp, um möglichst schnell wieder in den schützenden Wald zu gelangen, der hier glücklicherweise sehr dicht war. Sie mussten auch tatsächlich nicht lange warten, bis sich über ihnen weitere ‚Teller’, wie der Breene sie nannte, durch einen hellen Summton verrieten.
Die Gruppe machte halt und verhielt sich ruhig, während ihre Blicke auf die Baumkronen gerichtet waren. Zu sehen war nichts, weil das dichte Blattwerk keine Gelegenheit bot, mehr als nur kleine Flecken des Himmels zu beobachten. Dasselbe sollte aber immerhin auch in der anderen Richtung gelten. Es mussten sehr viele sein, die dort oben nach ihnen suchten. Es klang wie ein monströser Bienenschwarm. Ab und an klatschte auch mal etwas durch das Blattwerk hindurch. Es waren wohl vereinzelte Blindschüsse, die zum Glück nicht annähernd ihren tatsächlichen Aufenthaltsort bedrohten.
„Sie müssen von den ersten Breenen, die wir getroffen haben, von uns erfahren haben!“, sinnierte Kishou. „Was für ein Empfang!“
„Suäl Graal selbst verdrängt das Allsein in diesem Drom. Sie selbst!“, ließ sich das Untere Squatsch vernehmen. „Ihr verdrängt das Allsein nun gewissermaßen in ihrer Wohnstatt – bei ihr zuhause. … Verzeiht die kleine unbemessene Verdrängung vom Allsein – aber was erwartet ihr für einen Empfang?“
„Stimmt wohl!", seufzte sie hörbar, als sich plötzlich ihre Augen erschrocken weiteten ... „Dann müssen sie's ja garnicht von den Breenen erfahren haben!", fiel ihr plötzlich ein. „Wir sind im Vierten Drom ...! Suäl Graal weiß doch immer, wo ich bin - also weiß sie's jetzt auch!" Ihr Blick richtete sich fragend zu den dichten Baumkronen hinauf ... „Dann stellt sich doch eigentlich eher die Frage, warum die Dinger da oben überhaupt nach uns suchen!? sie müssten doch wissen, wo wir sind!"
„Boorh entscheidet: Suäl Graal kann den Ort nicht bemessen, an dem Kishou in dieser Zeit das Allsein verdrängt!"
„So ist es entschieden!", bemerkte Mo nur kurz.
„Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht tatsächlich dafür!", schaltete sich Habadam ein. „Immerhin suchen sie ja tatsächlich nach uns. Das Verhalten des Suchens schließt jedoch nach den Gesetzen der Logik die Kenntnis aus – zumindest ...!"
„Is' ja schön, dass ihr euch einig seid!", schüttelte Kishou zweifelnd den Kopf. „Aber wieso sollte sie ausgerechnet hier, in ihrem eigenen Drom, nicht mehr wissen, was sie immer wusste? Das macht überhaupt keinen Sinn!"
„Sagte euch Trautel Melanchful nicht, dass ihr eure Aufgabe nur gemeinsam mit den Kräften ihrer Sippe lösen könnt?", fragte Madame KA.
„Ja – klar!", wunderte sich Kishou über die Frage. „Aber was hat das mit ..."
„Gehört Trautel Melanchful nicht auch zu uns?", fragte Madame KA weiter.
„Natürlich ...", wurde Kishou etwas unsicher. Madame KA stellte solche Fragen nicht, ohne ein bestimmtes Ziel.
„Was ist ihre Aufgabe in unseren Reihen?", fragte Madame KA weiter.
„Na ja ...", grübelte Kishou nun doch in sich hinein ... „Also sie hat mich immer beschützt - und sie hat gesagt, dass sie immer da ist, auch wenn ich sie nicht ... Du meinst, sie hat was damit zu tun?", wollte plötzlich eine Ahnung in ihr aufsteigen.
„Die Macht Trautel Melanchfuls ist der Suäl Graals ebenbürtig!", lächelte Madame KA nur hintergründig.
„Und das Verhalten der Teller fände hier eine Ursache!", bekräftigte Habadam.
„Aber sie ist so weit weg!", wollte es Kishou nicht glauben. Was könnte sie damit zu tun haben?"
„Ihr werdet es erfahren, wenn die Zeit dafür ist!", schloss Madame KA.
Kishou seufzte hörbar. „Auf jeden Fall wissen die Teller ja offensichtlich tatsächlich nicht, wo wir sind, und das ist allemal besser als andersrum!", stellte sie bei aller Unzufriedenheit über die für sie noch unbekannte Ursache mit Erleichterung fest. „Aber was machen wir jetzt? Wir können uns trotzdem nicht bewegen, und wissen nicht, wann und ob die Besonderen Apparate da oben irgendwann mal aufgeben. Und überhaupt scheint hier alles gegen uns zu sein!“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Und immerhin wissen zumindest die Breenen irgendwie von uns. … und betrachten uns offenbar auch noch als ihre Feinde! Und wie’s aussieht, scheint das für alle Bewohner des Droms zu gelten!? ... Und dann noch die Horden der Gleichen! Das ist doch alles vollkommen verrückt! – Unter den Umständen müssten wir uns unsichtbar machen, um hier weiter zu kommen.
„Nun – immerhin …!“, meinte Madame KA, und ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Zumindest in eurer Erscheinung verhält es sich so!“
„Wie?!“, reagierte Kishou irritiert. „Was meinst du damit?“
„Ihr seid unsichtbar!“
Kishou brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Madame KA meinte. In gewissem Sinne hatte sie ja recht. Man hielt sie für einen Brennen. Sie hatte in etwa die richtige Größe, im Gegensatz zu den Chemuren. Sie würde wahrscheinlich nicht auffallen unter ihnen, solange sie ihr Gesicht unter der Kapuze verbarg … „Aber … aber ich kann doch nicht allein …!“, ahnte sie Böses.
„Boorh entscheidet: Boorh und Kishou werden …!“
„Ich glaub es nicht. Ich glaub es nicht!“, wurde er vom Unteren Squatsch augenblicklich unterbrochen, seine kurzen Ärmchen hilfesuchend in den Himmel streckend. „Dieser Breenenfänger meint tatsächlich … meint tatsächlich … Was glaubt der Großfuß, wie lange Kishou neben ihm im Stadtzentrum wohl unerkannt ... unerkannt das Allsein verdrängen würde? … verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung vom Allsein, aber …“
„Danke Boorh!“, versuchte Kishou die unangenehme Situation für ihn aufzufangen. „Ich weiß, das mir nichts passieren könnte, wenn du bei mir wärst, aber es darf in diesem Falle ausnahmsweise auf keinen Fall schon jetzt gleich zu Anfang zu irgendwelchen Kämpfen kommen! – Es sind zuviel verschiedene und unbekannte Gegner auf einmal – verstehst du was ich meine?! Wir müssen zunächst erstmal rauskriegen, was hier überhaupt läuft!“ Sie bemerkte erst jetzt, dass sie mit ihrem Beschwichtigungsversuch ungewollt bereits eine Entscheidung als gegeben annahm, der sie eigentlich unbedingt ausweichen wollte.
Boorh warf einen unwilligen Blick auf das Untere Squatsch, hatte nun aber offensichtlich ein Einsehen.
„Wie seid ihr entschieden?“, fragte Mo.
Kishou erschrak fast bei diesen Worten … „Eigentlich garnicht!“, gab sie unumwunden zu. „Es ist aber wohl tatsächlich so, dass ich wohl die Einzige von uns bin, die sich hier bewegen könnte, ohne gleich erkannt zu werden ...! Puh ...!“ Einmal mehr ließ sie einen tiefen Seufzer vernehmen. „Ich müsste also irgendwie allein in die Stadt kommen, und so viel wie möglich versuchen, rauskriegen, was hier los ist – das mit der Grenze, und ihrer Angst vor uns, und so!“
„Wir werden euch im Schutze des Waldes begleiten bis kurz vor Trital!“, nickte Madame KA. „… Sobald die Verhältnismäßigkeiten es zulassen, und es etwas ruhiger wird da oben!“, fügte sie mit einem Blick in die Baumkronen hinzu. „Wir wissen nicht, ob sich der Wald auf diesem Wege überall so uneinsehbar verhält wie an diesem Ort!“
Es wollte aber nicht ruhiger werden. Nur ab und an ließ das Summen etwas nach, um bald wieder zurückzukehren.
Die Zeit wurde genutzt, um Kishou auf die Horden der Gleichen einzuschwören. Sie erinnerte sich, dass Boorh diese Kreaturen vor langer Zeit einmal erwähnte. Sie waren Geschöpfe Suäl Graals, aber von den Breenen nur sehr schwer zu unterscheiden – eigentlich garnicht. Meistens war es zu spät, wenn man einen von ihnen erkannte – und sie wurden um so mehr, je mehr man von ihnen vernichtete. Doch nicht einmal ihre Gefährten wussten zu sagen, wie dies möglich war. Eigentlich war ihre wundersame Vermehrung auch immer nur eine reine Vermutung geblieben, weil nichts dergleichen je direkt beobachtet wurde. Sie waren seinerzeit noch neue und unbekannte Schöpfungen Suäl Graals. Allein der Umstand, das ihre Zahl in den Kämpfen in vermeintlich doppelten Maße anstieg, wie man sie überwunden zu haben meinte, ließ keine andere Mutmaßung zu. Sie verschossen aus Besonderen Apparaten kleine, scharfkantige und würfelförmige Geschosse, die selbst die eisernen Körper der Korks durchschlugen. Ihre Gefährten konnten ihr alle nur die augenblickliche Flucht ans Herz legen, sobald sie meinte, einen solchen ‚Gleim’ zu begegnen. Selbst Boorh schloss sich diesem Rat an – da er ja nun nicht bei ihr sein konnte. …
Erst als die Dämmerung einsetzte, ließ das Schwärmen über ihren Köpfen langsam nach. Kishou bot an, den Schutz der Nacht zu nutzen. Sie könnte mit ihrem Besonderen Apparat – dem ‚Stein, der Das Licht vom Allsein trennt’, die Gruppe durch das Dickicht führen. Madame KA warf aber ein, das Kishou ihre Zeit im kleinen Allsein benötigte, um ausgeruht und mit genügend Kraft in die Stadt zu gelangen. So blieben sie gerade da, wo sie waren.
Kishou rollte sich so gut es noch ging in den Schoss Boorhs, und versuchte mit den Gedanken an eine solche Aufgabe, wie sie nun am kommenden Tag auf sie zu kam, einzuschlafen. Gäbe es im Schlaf noch ein Bewusstsein, so wäre sie wohl darüber erstaunt gewesen, wie schnell es ihr gelang.
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Auf sich allein gestellt
D
as dichte Blätterdach des Waldes verzögerte die Dämmerung des neuen Tages etwas, aber da sie nicht mehr all zu weit von Trital entfernt sein konnten, sollte die Zeit für Kishou ausreichend sein, noch an diesem Tag die Stadt zu erreichen. Wichtiger war es, dass sie von den Flugapparaten in Ruhe gelassen wurden – und dies war glücklicherweise zumindest jetzt im genügendem Maße der Fall. Nur hin und wieder mussten sie abwarten, bis diese ’Teller’ über sie hinweggezogen waren. Erhöhte Vorsicht galt nun auch vor den Wegen, die sie nun grundsätzlich mieden, aber doch immer wieder kreuzten. Unter den Gegebenen Umständen war es ratsam, möglichst nicht auf die Bewohner dieses Droms zu treffen.
Alles in Allem war es ein langsames Vorwärtskommen, zumal die Natur ihnen bereits genug Hindernisse in den Weg legte. Die Sonne stand fast im Zenit, als Madame KA anwies, nach einem geeigneten Platz Ausschau zu halten, wo sie auf die Rückkehr Kishous warten wollten. Einmal mehr bot sich hier bald schon eine Wurzelhöhle an, die der Stamm eines verrotteten Baumes für sie bereit hielt.
„Jetzt müsste ich nur noch wissen, wie ich in die Stadt komme – und wie vor allem wieder zu euch zurück!“, fragte Kishou in die Runde.
„Hiermit!“, meinte Habadam, und drückte ihr einen kleinen, scheibenförmigen, blauen Kristall in die Hand. „Seht ihr das kleine helle Licht, das sich an seinem Rande zu seinem Mittelpunkt verhält? Ihr findest es immer am Rande des Kristalls – und in seinem Verhalten vom Mittelpunkt aus betrachtet – findet ihr mich! Sein Verhalten ist bestimmt von dem Ort, an dem ich mich gerade befinde!“, erklärte er einer staunenden Kishou. Trital verhält sich zu uns …“ – er schloss seine Augen und hob seinen Stab in die Waagerechte, während er sich um seine Achse drehte und kurz darauf verharrte. „Dort!“ Sein Stab zeigte nun die Richtung an. „… Zumindest mit einer großen Wahrscheinlichkeit. Ihr könnt es nicht verfehlen, nachdem ihr einige Schritte diesen Weg genommen habt. Ihr müsst euch dann nur noch genau entgegen dem Verhaltens des Kristalls zu mir orientieren!“
„Ein Besonderer Apparat!“, erriet Kishou.
„Eine kleine, aber nützliche Magie!“, stellte Habadam bescheiden fest. „Luis Verhalten wird so gut es geht darauf bedacht sein, in eurer Nähe sein. Er erspürt den Besonderen Apparat, und kann euch jederzeit finden. So kann er uns über euer Verhalten berichten!“
Diese Auskunft war für Kishou überaus beruhigend wie auch wichtig, versprach sie doch während der Mission immerhin einen verbleibenden Kontakt zu ihren Gefährten. Sie lächelte entsprechend zu Lui hinüber, der unweit auf einer tiefen Astgabel hockend, ihren Blick mit dem aufspreizen seiner Flügel und einem kräftigen „Nein!“ kommentierte.
Sie machte sich nun bereit. Ihren Beutel wollte sie zurücklassen. Der graue Mantel hatte Taschen – da passte etwas von ihren Vorräten hinein. Wasser gab es genug in diesem Drom.
Ein echtes Problem stellte allerdings ihr Bogen dar, auf den sie nicht zu verzichten wagte. Hier erwies sich zunächst der bis über die Fußknöchel reichende, lange Mantel als nützlich. Den Lederbeutel mit den Pfeilen konnte sie unter ihm bequem versteckt unter ihrer Achsel tragen – auch den sperrigen Bogen schob sie der Länge nach unter den Stoff, und drückte ihn mit dem linken Arm an die Seite ihres Körpers. Beim normalen umhergehen erwies sich diese Lösung als durchaus brauchbar – der Versuch, sich mit dem Bogen unter dem Mantel irgendwo hinzusetzen zeigte aber deutlich die Grenzen dieser Lösung auf. Es war schlicht nicht möglich.
So verblieb letztlich nur die einfachste der Möglichkeiten eines Verbergens. Madame KA holte das Tuch vom Rücken ihres Biesels, auf dem sie beim Reiten zu sitzen pflegte. Seine Größe war mehr als ausreichend. Es schien ihr nicht die optimale Lösung, aber immerhin. Es konnte nun irgend ein Gegenstand sein, den sie verpackt mit sich trug.
„Ihr solltet nun doch besser den Rock der Braanen tragen!“, meinte Madame KA plötzlich. Wir kennen zwar die Verhältnismäßigkeiten dieses Droms noch nicht, aber auch bei dem letzten Zusammentreffen mit den Breenen waren wieder einige Braanen unter ihnen. Es scheint doch eine Normalität in dieser Verhältnismäßigkeit zu liegen – und ihr werdet euer Gesicht vielleicht nicht immer zweifelsfrei verbergen können unter ihnen!“
Endlich zum Aufbruch bereit, verschloss sie den nun dunkleren Mantel mit seinen großen Knöpfen, als das Untere Squatsch sich zu ihr gesellte, und sie etwas beiseite schob ... „Kishou … nun … also … verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung vom Allsein …“, raunte er ihr zu. „… aber ihr müsst unbedingt in einem Stück … in einem Stück hier wieder das Allsein verdrängen, wenn ihr zurückkehrt – wenn ihr meine Worte wohl bemesst. Wenn euch etwas geschehen sollte, also wenn … dann fürchte ich ... fürchte ich, wird dieses Drom hier das Allsein kennenlernen, noch lange bevor ... also noch lange bevor die Wasser auch hier versiegen. … wenn ihr wohl bemesst ... wenn ihr wohl bemesst, was ich meine. Wenn ihr versteht ...!“ Er warf einen unauffälligen, aber vielsagenden Blick in Richtung Boorh, dessen Gesicht zu einer finsteren Maske erstarrt war.
„Danke, Unteres Squatsch!“, verstand Kishou sofort. „Dann bleibt mir ja nix anderes übrig!“, meinte sie etwas lakonisch. „Passt auf ihn auf!“ Das sie darum einmal ausgerechnet das Untere Squatsch bitten würde, und ausgerechnet die Besorgnis von ihm kam, wäre ihr wohl auch nie in den Sinn gekommen.
Sie umarmte noch einmal alle, und stupste zuletzt Boorh mit seinem finsteren Gesicht mit den Worten in den Bauch, dass sie ja schon deswegen zurückkommen müsste, weil ja sonst niemand auf ihn aufpassen könnte – ließ sich von Habadam noch einmal die genaue Richtung anzeigen, positionierte nach den ersten Schritten den Kristall in ihrer Hand – und marschierte los …
~*~
Undolf
E
s war nicht das erste Mal, dass sie ganz auf sich gestellt war, aber irgendwie erschien es ihr gerade, als wäre es genau so. Vielleicht, weil das Drom in seiner blühenden Natur so friedlich schien, und sie doch gleichzeitig wusste, dass dieser Schein mehr als nur ein trügerischer war. Dennoch sollte sie sich frei bewegen können, solange niemand unter ihre Kapuze blickte. Aber sich allein und unerkannt unter den noch vollkommen fremdartigen Bewohnern dieses Droms zu bewegen, war schon verrückt genug.
Als sie bald schon auf einen Weg traf, dessen Verlauf sich kaum von ihrem eigenen Kurs unterschied, wich sie ihm nicht aus, sondern nutzte ihn. Nur die Kapuze zog sie vorsichtshalber noch etwas mehr über ihr Gesicht. Es war wohl mehr ein Reflex, denn es war ja weit und breit niemand zu sehen. Ein längerer Marsch zu Fuß durch den Wald wäre noch beschwerlicher gewesen als mit den Bieseln.
Ein Schwarm dieser ‚Teller’ zog summend dicht über den Baumkronen – und über sie hinweg, was ihr nun doch einen kleinen ersten Schweißausbruch bescherte. Aber die kümmerten sich nicht um sie. Es dauerte auch nicht lange, bis ihr ein Wagen mit einigen Breenen entgegenkam. Sie ging auf die Seite des Weges um ihm Platz zu machen, und er zog an ihr vorbei.
Ein Zweiter, dieses Mal von hinten kommend, ließ nicht lange auf sich warten, und Kishou stockte nun doch der Atem, als der, nachdem er sie überholt hatte, plötzlich anhielt. Es saß nur ein einzelner Breene auf dem Kutschbock, der sich nun nach ihr umdrehte. „Spring auf!“, rief er ihr zu.
Ihre Gedanken überschlugen sich. War es so etwas wie ein Befehl oder ein Angebot? Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Sie warf ihren eingewickelten Bogen auf die Pritsche und kletterte nach. Sie überlegte, ob sie etwas sagen sollte, entschied sich dann aber doch besser zu schweigen.
„Ich fahr ins Zentrum rein!“, sagte der Breene, ohne sich umzudrehen. „Sag Bescheid, wann du runter willst!“
„Alles klar – Danke!“, reagierte Kishou nicht wenig erleichtert. Er hatte sie also tatsächlich einfach nur aufgesammelt.
Der Kutscher blickte nach oben, als einige dieser Teller über ihnen ihren Weg kreuzten. „Ach ja – beinahe vergessen. Das Formular findest Du links hinten in der Ecke – ganz zu oberst, bei den anderen!“