Chinesische Medizin 1

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2.4. Wesentliche Entwicklungshöhepunkte der TCM (580- 1640)
Durch die Zurückdrängung der konfuzianistischen Staatsdoktrin zugunsten des Buddhismus wird die empirische Forschung und die weitere medizinische Systematisierung vorangebracht. Einzelne, nun mögliche Autopsien an Hingerichteten erweitern das anatomische Wissen, was dazu führt, auch anatomische Aspekte bei der Festlegung der Akupunkturpunkte einzubezie-hen. Auf anatomisch korrekten bronzenen Menschenfiguren und farbigen Übersichtstafeln werden die Akupunkturpunkte zu Lehrzwecken fixiert.
Auf kaiserlichen Befehl stellte ein Ärztegremium unter Chao Yuanfang eine in 50 Kapitel unterteilte medizinische Enzyklopädie mit dem Namen „Abhandlung über den Ursprung und Verlauf aller Krankheiten” (Zhubing yuanhoulun) zusammen, in dem Diagnose, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten für 1720 Krankheitsbilder gesammelt waren.
Um 650 verfasste Sun Simo die „Wichtigsten Rezepte, die tausend Goldstücke wert sind” (Quianjin yaofang). Darin setzt er sich mit der Ausbildung des Arztes, seinem Berufsethos und der Forderung nach seiner Lauterkeit auseinander. Daran schließen sich Grundregeln der Therapie und Diagnostik, sowie Hinweise über Rezeptur und Arzneimittelherstellung (863 verschiedene Pharmaka) an. In 29 weiteren Hauptteilen widmet er sich der orbisbezogenen Diagnose und Therapie, der Frauenheilkunde, Erkrankungen der Zähne, der Augen und der Ohren, ferner der Notfallmedizin (über Ohnmachten, Schlangenbisse und Verbrennungen), Hygiene, gesunder Ernährung, Massagen, Gymnastik, Wohnverhältnissen und Sexualhygiene, aber auch typisch chinesischen Aspekten wie der Pulsdiagnose, der Akupunktur, der Lenkung des Qi und Atemübungen. Dazu kommen auch esoterische Spekulationen über die Bedeutung der Zeitpunkte einer Erkrankung und magische Mittel und Riten zur Krankheitsbekämpfung.
In dieser Blütezeit der chinesischen Kultur wurde medizinische Forschung und Bildung stark gefördert: 1078 wurde das Große Medizinamt als eigenständige Organisation gegründet, eine staatliche Ärzteschule mit 300 Studienplätzen wurde eingerichtet, medizinische Literatur wurde herausgegeben und gedruckt, Rezeptsammlungen veröffentlicht, Apotheken eingerichtet und Ärzteschulen in den Provinzhauptstädten eröffnet. Trotz diesen Bemühungen waren die meisten Ärzte dieser Zeit freischaffende Künstler, die ohne feste Ausbildung mit einem Gemisch aus echtem medizinischen Wissen, Aberglauben, Okkultismus und eindrücklichen Beschwörungen ihre Dienste der Bevölkerung anboten. Die Blüte der öffentlichen medizinischen Forschung ging durch den starken konfuzianistischen Einfluss ebenfalls bald vorüber. Statt empirischer Beobachtungen beschäftigten sich die Gelehrten mit spekulativen Überlegungen, die sich insbesondere um die Harmonisierung verschiedener Zahlen, Mengen, Zeiten und Räume drehte. Dabei stützte man sich fast ausschließlich auf die schon vorhandenen medizinischen Werke, die mit mythologischen Überlieferungen vermischt wurden.
2.5. Niedergang von Akupunktur und Moxibustion (1640- 1840)
Jetzt beginnt die traditionelle chinesische Pharmakologie, Akupunktur und Moxibustion zu verdrängen. Als Reaktion darauf kommt es unter den chinesischen Akupunkturärzten zu einer Neuordnung der Akupunkturpunkte nach den Kriterien der Syndromdifferenzierung. Durch diese Akzentverschiebung von einer spekulativen theoriegebundenen Akupunktur zur stärkeren Berücksichtigung des Krankheitssyndroms kommt es zu einem neuen Vertrauen in diese Therapie.
Nur noch in der Pharmazie wurden weitere Fortschritte erreicht. Im 12.Jahrhundert beschrieb Tang Sheweni in seiner „Systematischen Pharmoköe” 1740 Heilmittel, im 15.Jahrhundert nennt Li Shizhen 1892 Drogen, von denen er einige erst selbst entdeckte und Rezepte für die klinische Anwendung beifügte, im 18.Jahrhundert erweiterte Zhao Xuemin die Zahl der angewandten Heilmittel auf 2608. Neben pflanzlichen und mineralischen Präparaten mit nachvollziehbarer oder zumindest denkbarer Wirkung befinden sich darunter aber auch zahlreiche eher magisch wirkende Stoffe wie Tigerhoden, Tierzähne oder Kot.
2.6. Auseinandersetzung von westlicher Schulmedizin mit der TCM (1840 - 1945)
Den auch in China zahlreiche Menschen dahinraffenden Infektionskrankheiten konnte die auf Vorsorge und energetische Harmonie ausgerichtete Medizin nicht helfen, sodass die exakte westliche Medizin in den vergangenen zwei Jahrhunderten sich ohne großen Widerstand gegen die traditionelle chinesische Medizin durchsetzen konnte. Als Reaktion auf den Erfolg der westlichen Medizin wurde 1822 die Abteilung für Akupunktur und Moxibustion der Kaiserlichen Medizinischen Hochschule geschlossen. 1914 wurden in China dann gar Überlegungen zur endgültigen Beseitigung der einheimischen Medizin angestellt. Ein offizieller politischer Antrag wurde 1929 nur knapp abgelehnt und erst Mao Zedong vermochte einen Umschwung herbeizuführen, der traditionelle chinesische Medizin gleichrangig neben der westlichen Medizin etablieren sollte.
2.7. Neubelebung der TCM und Verbindung mit der westlichen Schulmedizin (ab 1945)
Durch die Machtergreifung Mao Zedongs und die sich anschließende Kulturrevolution kam es zu einer Neubesinnung auf chinesische Traditionen, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen. Durch die gleichzeitigen Bestrebungen, soziale und medizinische Verbesserungen voranzutreiben sowie dem westlichen Kapitalismus ein eigenes Gesellschaftsmodell gegenüberzustellen, kam es zu einer bewussten Förderung der TCM.
In den Städten wurden Akademien und Krankenhäuser für traditionelle Medizin eingerichtet und ab 1954 wurde alle erreichbare Literatur gesammelt und in sorgfältig editierten Ausgaben neu gedruckt. 1958 beschloss die kommunistische Partei zwei gleichberechtigte, offiziell anerkannte, medizinische Ausbildungen nebeneinander anzubieten und in allen Krankenhäusern zu praktizieren.18 Auf der angeordneten Suche nach einer Synthese beider medizinischer Konzepte stießen Ärzte unter anderem auf die Anwendung der Akupunktur zur Schmerzbekämpfung. Mehr versuchsweise wurde einem Patienten des Ersten Volkskranken-hauses in Shanghai nach einer Mandeloperation eine Nadel in einen Reizpunkt am Handrücken gesteckt, worauf die Schmerzen nachzulassen begannen.19 In einem ersten Überschwang wurde diese Erfahrung auf alle anderen Bereiche der Anästhesie übertragen und gegenüber dem westlichen Ausland als Paradestück der wissenschaftlichen Errungenschaften des Proletariats präsentiert. „Der Journalist James Reston war auf einer Reise durch die Volksrepublik China im Sommer 1971 erkrankt. Auf Vermittlung von Premierminister Zhou Enlai wurde ihm am 17. Juli im Antiimperialistischen Krankenhaus von Peking der Blinddarm entfernt. Reston wurde nur lokal anästhesiert und erlebte den Eingriff, bei vollem Bewusstsein. Mit Hilfe des ihm vom Außenministerium zugeordneten Dolmetschers konnte er alle Anweisungen der Ärzte während der Operation befolgen. Später auftretende Beschwerden wurden mit Akupunktur und Moxibustion behandelt, worauf eine spürbare Entspannung des Drucks und der Schwellung innerhalb einer Stunde eintrat und sich die Beschwerden auch später nicht wieder einstellten. Reston berichtete am 26.Juli 1971 in der New York Times über seine medizinischen Erlebnisse in der Volksrepublik China und über die Nadel- und Kräutermedizin der Chinesen.”20 Zahllosen ausländischen Ärzten, Journalisten und Touristen wurden in der Folge stolz Operationen mit Hilfe einer solchen Nadelstichanalgesie vorgeführt, wenn man auch bald die engen Grenzen dieser Methode eingestehen musste. Heute wird sie zumeist in Kombination mit anderen, der westlichen Medizin entlehnten Narkotika, eingesetzt. 1958 wurde von der Akademie für traditionelle chinesische Medizin in Nanking die umfassendste und aktuellste Zusammenfassung der chinesischen Heilmethoden unter dem Titel „Allgemeine Darstellung der chinesischen Medizin” (Zhongyixne geilun) herausgegeben.
Während der Kulturrevolution der 60er Jahre wurden einfache Barfußärzte in einer Kombination von westlicher und traditionell chinesischer Medizin ausgebildet und zur kostengünstigen ambulanten Behandlung der Bevölkerung über Land geschickt.
Am meisten durchgesetzt hat sich die chinesische Medizin bei westlichen Ärzten und Krankenhäusern mit der Schmerzbekämpfung durch Akupunktur (Akupunkturanalgesie).
Zur Ausbildung einer detaillierten medizinischen Anatomie und einer effektiven Chirurgie kam es in der Geschichte der TCM nicht. Besonders die konfuzianistische Hochachtung vor dem menschlichen Körper und den Ahnen, „Blutscheu und Angst vor Verstümmlungen haben in China die Entfaltung der Anatomie und der Chirurgie verhindert. Die chirurgische Praxis kam mit wenigen Ausnahmen aus den Kinderschuhen nicht heraus. Sie beschränkte sich im großen und ganzen auf das Verbinden von Geschwüren und Wunden mit Salben, das Nähen von Wunden mit Fäden … das Ausbrennen von Geschwüren, wildem Fleisch und Bissen toller Hunde mit dem Glüheisen … und das Anlegen primitiver Verbände bei Knochenbrüchen.”21
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