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»Aha, ich meine ja, ja, genau der. Und der hat wohl ein Problem mit Loki.«
»Mit wem?«, fragte Willi dazwischen, aber der Professor kam gerade in Fahrt. »Ja, Heimdall und Loki sind Erzfeinde, musst du wissen. Kein Wunder, dass Heimdall der Erste war, der spürte, dass Loki noch immer quicklebendig und bei Kräften ist. Er hat Loki immer misstraut und jeden seiner Schritte bewacht. Die beiden treten auch während der Ragnarök gegeneinander an und töten sich gegenseitig.«
»Nein!«, rief Mara erschrocken, und Willi sah verwundert rüber.
Sofort bemühte sich der Professor um eine Erklärung für diesen emotionalen Ausbruch. »Aber Mara, das ist doch nur eine alte Geschichte aus der Edda. Und außerdem wollen wir die ja verhindern, die Götterdämmerung … äh, nicht wahr, Willi?«
»Öh, ja, ich denke mal schon …«, antwortete der zunehmend verwirrt. Eigentlich war das doch eine Unterhaltung gewesen, die mit ihm und dem Mädchen begonnen hatte. Aber Willi musste nun langsam das Gefühl bekommen, keine allzu große Rolle mehr zu spielen. Wie konnte er ahnen, dass seine Rolle nicht nur nicht groß, sondern im Gegenteil so winzig klein war, dass selbst ein Bakterium ein Mikroskop gebraucht hätte, um sie wahrzunehmen.
»Also, der Heimdall hat bemerkt, dass es Loki noch gibt und dass es ihm, mal von den Fesseln und der Schlange abgesehen, in seinem Gefängnis viel besser geht als den anderen Göttern?«, überlegte Mara laut weiter.
»Ja genau, so stelle ich mir das vor«, stimmte der Professor zu. »Und daraufhin weckte er all die anderen Götter mit dem Gjallarhorn und …«
»Mit wem?«, fragten Mara und Willi gleichzeitig, und der Professor stöhnte auf. »Mit dem gellenden Horn, Mara. Eine mächtig laute Tröte, was Jungs?« Die beiden Raben nickten schicksalsergeben. Vielleicht hatte das Höllenhorn die beiden mehr als einmal aus der Luft getutet. Mara war froh, dass Willi die Augen auf der Straße hatte und nicht auf die beiden Raben achtete.
»Und kaum waren sie alle wachgegjallart, beschloss man, was zu unternehmen«, sprach der Professor gerade weiter. »Aber wie sollten die alten Götter das anstellen? Kaum jemand glaubt mehr an sie, keiner bringt ihnen mehr Gebete oder Opfer dar. Und ich denke, wenn ein Gott nichts mehr hat außer vielleicht die Erwähnung in einem Wochentagsnamen, dann ist da nicht mehr viel zu wollen. Odin und Konsorten sind heute nur noch Schatten ihrer selbst. Darum fürchten sie alle Lokis Rache, denn nun ist er – dank seinem Gefängnis jenseits von Raum und Zeit – der mächtigste Gott aller Asen!«
»Also, davon hab ich bis jetzt in keinem Song von Manowar gehört«, murmelte Willi.
Aber Mara war viel zu aufgeregt, um jetzt auf ihn zu achten. »Und weil sie so schwach waren, haben sie nach einem Menschen gesucht, der ihr Fass sein sollte?«
»Wer sie? Ich komm nicht ganz mit«, versuchte Willi einzuwerfen und wurde weiterhin ignoriert.
»Richtig!«, rief der Professor so laut, dass Willi zusammenzuckte. »Und darum hast du eben doch eine ganz spezielle Fähigkeit!«
Willi sah verwirrt zum Professor. »Wer? Warum? Wer hat jetzt hier eine Fähigkeit? Sagt mal, was ist denn hier bitte los!?«
Professor Weissinger setzte sofort sein bestes Harmlosgesicht auf und sprach mit der Ruhe eines tibetischen Mönchs kurz nach der Morgenmeditation: »Gar nichts ist los, alles ist in bester Ordnung, wir unterhalten uns nur.«
Doch das schien Willi nicht zu genügen. »Also bitte, ihr schlurft auf der Landstraße rum, habt zwei Raben dabei und redet vom Ende der Welt als wär’s morgen Vormittag um neun! Entschuldigung, aber seid ihr noch ganz dicht?«
Du glaubst ja gar nicht, wie oft ich mir diese Frage in der letzten Zeit gestellt hab, dachte Mara ...
Gleichzeitig hatten sie nun beide erkannt, dass sie wohl ein wenig zu weit gegangen waren. Auch Hugin und Munin blickten recht vorwurfsvoll drein.
Diese Situation war, zumindest für Mara, eine neue Erfahrung. Jetzt bin ich schon wie der Professor, dachte sie. Kaum dass ich was durchblickt hab, krieg ich einen Laberflash. Oh Mann.
Wie immer war es Professor Weissinger, der eine Antwort parat hatte. »Ach nein …«, winkte er ab. »Es ist alles viel banaler, als Sie denken. Mara soll nur in einer Schulaufführung die Frau des listigen Gottes Loki spielen …«
»Genau, Sigyn! Ich spiel die Sigyn, nämlich!«, warf Mara etwas zu laut ein, und der Professor nickte. »Exakt, und das Stück ist leider ein wenig kompliziert. Da ich mich in dem Thema recht gut auskenne – rein hobbymäßig – muss ich ihr nun helfen, die Zusammenhänge zu klären.«
»Schulaufführung?«, sagte Willi und zog seine Stirn in Falten. Er sah skeptisch aus, und beide starrten ihn erwartungsvoll an. Würde er den Köder schlucken?
Doch da lachte der massige Mann hinter dem Steuer und schüttelte den Kopf. »Du liebes bisschen, das kenn ich noch von früher. Musste da auch ein paar Mal mitmachen und hab nie verstanden, um was es geht!« Und dann lachte er so laut, dass es in Maras Ohr ein paarmal ganz laut knackste. »Schon in der dritten Klasse haben wir die Fabel von dem Hasen und dem Igel aufgeführt, und ich hab’s nicht gerafft! Ich war damals schon ein bisschen pummelig und sollte darum die Doppelrolle von Herrn und Frau Igel spielen. Hab aber das Stück nie gelesen und drum nicht gecheckt, warum ich immer schon da sein sollte, wo doch der Hase viel schneller läuft, hahaha!«
Um Gottes willen, schau nach vorne!, dachte Mara, als Willi auffordernd zu seinen beiden Beifahrern hinüberlachte. Irgendwie war klar, dass er erst wieder nach vorne schauen würde, wenn sie beide genug mitlachten. Also bemühte sich Mara, ebenso wie Professor Weissinger, um ein einigermaßen authentisches Gelächter. Hauptsache, der schaute wieder nach vorne.
»Na, dann macht mal weiter mit eurer Analyse, ich find’s ja ganz spannend. Lern ich vielleicht doch noch was«, kicherte Willi und wendete sich dann endlich wieder der Straße zu.
Mara und der Professor sahen sich an, und beide atmeten so erleichtert aus, dass sie den Luftzug des anderen in ihren Gesichtern spürten. Das erinnerte Mara an etwas anderes: »Ähm, Sie haben nicht zufällig einen Kaugummi oder ein Mintdrops oder so was in der Art?«
Willli lachte noch einmal: »Haha, na klar. Direkt vor dir in der Ablage findest du ein ganzes Sortiment an »Lufterfrischern«, wenn du das meinst.«
»Mein‘ ich, danke«, antwortete Mara, fummelte zwei Lutschpastillen aus einer Packung, auf der die Worte »Fresh« und »Extra« besonders groß gedruckt waren, und steckte sich eine davon in den Mund. Die andere legte sie dem Professor in die dankbar geöffnete Hand.
»Wo waren wir? Ach ja, richtig«, fuhr dieser schließlich vielsagend fort. »Nun, Mara … die Rolle, die du in dem Ganzen spielst, ist tatsächlich die eines Fasses.«
»Hey, das wär doch eigentlich eine Rolle für mich!«, warf Willi ein und kicherte wieder.
»Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht spielen«, antwortete Mara trocken.
»Es ist ja auch eher ein Fass im Sinne eines perfekten Behälters gemeint«, erklärte der Professor. »Bei anderen, weniger perfekten Fässern ginge vielleicht was daneben, und da läuft auch schon mal was aus, verstehst du? Bei dir eben nicht. Wenn man dich mit Götterkräften auffüllt …« Professor Weissinger sah kurz zu Willi hinüber, der schon wieder die Stirn runzelte. »Also, dich in der Rolle in dem Stück, du verstehst …« Und Mara nickte eifrig.
»Also, wenn man dich mit Götterkraft auffüllt, dann kann man sicher sein, dass du nichts davon verschwendest und dass es im Sinne der Sache eingesetzt wird. Weil du ein reines Herz hast und weil du nichts nur zu deinem eigenen Vorteil tun würdest.«
Mara überlegte einen Moment. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Tja, das haben die jetzt davon, die Götter. Eine Spákona, die keinen Bock hat und dazu ’nen größenwahnsinnigen Esoknilch, einen jähzornigen Feuerbringer und ein gemeingefährliches Eichhörnchen.«
»So!«, rief Willi dazwischen. »Jetzt reicht’s mir aber!«
Erschrocken sahen Mara und der Professor ihn an.
»Das ist ja wohl der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört hab!«, schimpfte Willi weiter, und sein Gesicht wurde dabei immer röter. »Was für ein blödes Theaterstück ist das denn bitte? Was denken sich denn die Lehrer bei so was! Warum kann man die alten Geschichten nicht einfach so aufführen, wie sie gehören! Muss da immer dieser moderne Kram mit rein ge… gedingst werden? Ich meine, was hat bitte ein Eichhörnchen mit der Götterdämmerung zu tun?«
»Mehr als Sie denken«, sagte Mara leise, aber Willi hörte es nicht, denn er war jetzt richtig wütend.
»Wieso müssen Kinder in deinem Alter ein Stück spielen, das hinten und vorn keinen Sinn macht, außer man entschlüsselt es zusammen mit dem Opa, der sich zufällig damit auskennt!? Also, da ist was ganz schön faul an unserem Schulsystem, sag ich euch! Ich weiß schon, warum ich da selten war, in dem Laden. Also wirklich! Götterdämmerung mit Eichhörnchen, wo gibt’s denn so was!?« Willi lachte trocken und verstellte dann seine Stimme zu einem theatralischen Säuseln. »Oh nein, seht, da ist das Eichhörnchen, und es stürzt uns alle in die Hö…«
In dieser Sekunde stieg Willi so brutal auf die Bremse, dass Mara von dem Gurt die Luft wegblieb!
Die Bremsen quietschten, und sie spürte gleichzeitig, wie das Gewicht des Anhängers den Truck nach vorne und zur Seite schob! Würden sie umkippen? Nein, Willi war ein routinierter Trucker und hatte das riesige Gefährt sofort wieder unter Kontrolle. Dann kam der Laster endlich zum Stillstand, und Mara schaute erschrocken hinüber zu Willi. Der sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen.
»Hallo?«, fragte Mara vorsichtig, aber Willi reagierte nicht. Er sah nur nach vorne und blinzelte nicht einmal.
»Mara! Da!«, rief der Professor und deutete schräg nach unten auf die Straße. Mara folgte seinem Zeigefinger und sah: Ratatösk.
Das kleine rote Eichhörnchen saß mitten auf der Straße. In den putzigen Krallen hielt es den Stab, und nach wie vor war der Delfin oben befestigt.
»Was will es?«, flüsterte Mara. Obwohl sie oben im Führerhaus des LKWs saßen, war ihr irgendwie mulmig zumute.

»Keine Ahnung«, gab der Professor zurück. »Aber es sieht wütend aus, findest du nicht?«
Da meldete sich Willi zu Wort. »Warum geht das Tier nicht weg? Und warum hat es ein Stück Holz?«
Bevor irgendwer was antworten konnte, griff Willi zur großen Drucklufthupe und zog. Ein lautes dröhnendes Tuten ertönte. Das Eichhörnchen rührte sich nicht.
»Wer das Gjallarhorn gewöhnt ist, dürfte sich kaum vor einer Lastwagenhupe fürchten«, murmelte der Professor.
»Gibt’s doch nicht.« Willi schüttelte erstaunt den Kopf und drückte dann auf den Fensterheber.
»Moment!«, entfuhr es Mara erschrocken, die genau wusste, wie schnell Ratatösk in Willis Haaren stecken würde, wenn es nur wollte. Doch Willi hatte schon seinen Kopf aus dem Fenster geschoben und machte: »Ksch! Ksch! Gehste weg! Ja, gehst du weg!«
Er wartete einen Moment, aber nichts passierte. Willi zog seinen Kopf wieder zurück und setzte sich gerade hin. Dann zuckte er mit den Schultern. »Dann halt nicht«, sagte er und startete den Motor.
»Sie wollen doch nicht …«, rief Mara erschrocken und wunderte sich im selben Moment, warum ihr das jetzt gegen den Strich ging. Das da vorne war Ratatösk, verdammt noch mal! Ihr Feind! Und er hatte ihren Stab, verdammt! Eine Stimme in Mara schrie: »Fahr’s platt!« Eine andere, zaghaftere Stimme flüsterte jedoch gleichzeitig irgendwas von »Puschelschwänzchen« und »Knopfaugi« und war trotz der Flüsterei irgendwie viel, viel lauter. Warum musste es auch ausgerechnet ein Eichhörnchen sein!
Der Professor sagte gar nichts, aber seine linke Hand suchte Halt an einem Griff über der Tür. Auf was, bitte, bereitete er sich denn vor?
»So. Wird spät, ich muss los«, sagte Willi trocken und löste die Handbremse. Er startete den mächtigen Motor der Zugmaschine, und Mara spürte die Vibration im ganzen Körper. Sie bemerkte, wie die beiden Raben freudig erregt mit den Flügeln schlugen und ertappte sich kurz dabei, sie voll gemein zu finden.
Willi ließ den LKW einen drohenden Ruck vollführen, aber Ratatösk zuckte nicht mal.
»Das gibt es doch nicht«, brummte der massige Mann und schickte sich nun tatsächlich an, das kleine Tier zu überrollen.
»Nein!«, schrie Mara und fasste Willi an den Arm. Das war nicht richtig! Egal, was das Mistviech getan oder vorgehabt hatte zu tun, das war falsch!
Und da kam plötzlich Bewegung in das Eichhörnchen. Es hob den Stab hoch über den kleinen Kopf. Mara und der Professor duckten sich instinktiv. Die Knopfaugen funkelten wütend. Der Motor röhrte ein weiteres Mal auf …
… und Ratatösk warf Maras Stab wütend vor sich auf die Straße. Dann machte es eine uneichhörnchenhafte Bewegung, die sie alle hochgradig erstaunte, und war dann so schnell verschwunden, als hätte es jemand weggebeamt. Nur das raschelnde Gebüsch am Straßenrand verriet, dass hier gerade ein kleines Tier durchgeschlüpft war.
Eine ganze Weile war es still im Truck. Dann schaltete Willi den Motor wieder aus. Erst nach einer weiteren langen Pause drehte er sich zu Mara und dem Professor und sagte dann mit lahmer Stimme: »Hat dieses Tier gerade wirklich das gemacht, was ich glaube, dass es das gemacht hat?«
Mara nickte, und der Professor tat es ihr gleich.
»Und ich hab mir das nicht nur eingebildet, es hat damit tatsächlich mich gemeint?«
Wieder nickten die beiden. Es hatte eindeutig Willi angesehen.
Dann war es wieder still. Willi überlegte.
»Also bin ich nicht verrückt, wenn ich jetzt sage, dass da gerade ein Eichhörnchen mit seinen kleinen ausgestreckten Fingerchen erst auf seine eigenen Augen und dann auf meine gedeutet hat, als wäre es Robert De Niro, der sagen will: ›Ich sehe dich, Mann.‹?«
»Nein, ich finde, das haben Sie sehr treffend beschrieben, Willi«, antwortete der Professor. »Willst du nicht deinen Stab holen, Mara?«
Mara nickte. Der Professor öffnete die Beifahrertür, löste seinen Gurt und stieg aus. Mara kletterte hinter ihm aus dem Führerhaus und ging um den Kotflügel des Wagens herum. Kaum zu glauben, aber hier lag ihr Stab, scheinbar unversehrt. Sie hob ihn hoch und spürte sofort die vertraute Kälte.
»Ob das vielleicht so was wie eine Falle ist?«, fragte sie, als sie zum Professor trat und dabei den Stab nicht aus den Augen ließ.
»Keine Ahnung. Aber ich glaube, ehrlich gesagt, dass Ratatösk einfach nur sauer war, dass der Stab wider Erwarten keine eigene Kraft hat und der Delfin auch bereits ausgelaugt ist.«
»Sie meinen, das Mistviech dachte die ganze Zeit über, es wären der Stab und der Delfin, die mir meine Kräfte verleihen?«
Der Professor nickte. »Nun, das wäre doch eine gute Erklärung, warum es hinter beidem so hartnäckig her war, oder?«
Mara versuchte, sich an die Situationen zu erinnern, in denen ihnen Ratatösk begegnet war, und es war tatsächlich so, wie der Professor gesagt hatte: Das Puschelmonster war immer nur an dem Stab und dem Delfin interessiert gewesen und nicht an Mara. Gut, ihre Haare mal ausgenommen, aber das war wohl so eine Mischung aus Wut, Boshaftigkeit und Spieltrieb gewesen …
»Ja, da haben Sie vielleicht wirklich recht«, überlegte Mara und kletterte mit dem Stab wieder ins Führerhaus. Dort saß immer noch Willi und schaute auf die Stelle, wo vor einer Minute noch ein Eichhörnchen seinem Truck getrotzt und ihn danach recht eindrucksvoll bedroht hatte.
»Es hat so gemacht …«, wisperte Willi ungläubig und machte die Geste dabei ein paar Mal fahrig nach. »Das Eichhörnchen hat so gemacht. Ich hab’s gesehen. Ich dreh durch.«
»Ach bitte, tun Sie das nicht, Willi. Das ist nicht gut für Ihren und erst recht nicht für unseren Zeitplan«, ließ sich der Professor vernehmen, als er hinter Mara ins Führerhaus stieg. »Wir können Ihnen das gerne alles erklären, wenn Sie wollen. Aber danach müssten wir sie leider erschießen.«
Willis Gesichtszüge entgleisten, als wären hier die Schienen zu Ende. Mara sah den Professor vorwurfsvoll an, und der winkte seufzend ab. »Gut, das war vielleicht jetzt nicht der allergeschmackvollste Scherz, aber ich versichere Ihnen, es war trotzdem einer.«
Es dauerte eine lange Sekunde, bis sich Willi ein »Witzig« abrang.
»Danke«, antwortete der Professor der Höflichkeit halber.
»Ähm, wollen wir vielleicht weiterfahren?«, schlug Mara etwas hilflos vor. »Wir könnten uns ja während der Fahrt auch noch weiterwundern … oder so.«
»Von wegen!«, rief Willi jetzt ganz aufgebracht. »Entweder ihr erzählt mir jetzt, was hier los ist, oder ihr steigt sofort aus! Irgendwas läuft hier ganz komisch, und ich kann es gar nicht leiden, wenn mich jemand verscheißert, und warum schaut mich der eine Rabe so komisch an?«
»gleymið«, sagte Munin, und Willi wurde still.
Kapitel 7

Willi fuhr die beiden sogar bis vor die Tür des Museums in Kalkriese. Sie bedankten sich artig und winkten dem netten Trucker noch hinterher. Der ließ noch einmal fröhlich die trötende Hupe erschallen, und dann war Willi mitsamt seinem riesigen Lastzug verschwunden.
»Nun, Munin, ich denke, da können wir uns nur bedanken«, sagte der Professor und schaute zu Mara.
Die nickte. »Ja, danke. Das war schon alles ein bisschen wenig schlau von mir, und es ist auf jeden Fall besser, wenn er sich jetzt an nix mehr erinnert. Aber ich wollte doch nur versuchen, ob wir irgendwie reden können ohne …«
»Ohne etwas zu sagen?«, beendete der Professor ihre Erklärung amüsiert und Mara musste grinsen. Im Nachhinein kam sie sich wirklich ziemlich blöd vor. »Aber wir konnten doch auch nix dafür, dass das verdammte Puschelmonster plötzlich auf der Autobahn steht.«
»Nicht direkt, nein«, lachte der Professor. »Auf jeden Fall ist mir jetzt klar, dass du, Munin, deinen Namen völlig zu Recht trägst.«
»Was heute Hugin, ist morgen Munin«, entgegnete der Rabe und neigte seinen Kopf.
Mara war überrascht, dass sie auch mal ein Rätsel verstand, ohne dass es ihr der Professor erklären musste. Hugin hieß so viel wie »Gedanke« und Munin war die »Erinnerung«. Also bedeutete der Satz des Raben: Der Gedanke von heute ist die Erinnerung von morgen.
»Wo er recht hat …«, begann der Professor und wendete sich dann an die beiden Raben. »Es ist zwar ebenso logisch wie verrückt, dass ein Vogel namens Erinnerung selbige auch nehmen kann. Aber ich frage mich nun doch, was ihr noch so draufhabt.«
Die Antwort der Raben bestand aus einem stummen Blick.
Mara musterte die beiden Vögel. Ob sie auch nur geliehene magische Kräfte hatten, so wie sie selbst? Nein, gab sie sich selbst die Antwort. Dies waren Odins Raben, und der hatte sicher Besseres zu tun gehabt, als alle paar Tage für seine Vögel Tankstelle zu spielen.
»Nun ja, eine Aufzählung hätte mich jetzt auch gewundert«, murmelte der Professor und zuckte mit den Achseln. »Wie sieht’s aus, Mara Lorbeer? Wollen wir mal schauen, ob unser Gepäck noch da ist?«
»Viel wichtiger ist mir, ob da immer noch Wäsche zum Wechseln drin ist«, erwiderte Mara, die sich schon seit Stunden so verpappt und zerdrückt vorkam wie ein Klebestift im Kindergarten.
Wenige Minuten später standen sie auch schon vor der Sicherheitstür des Gebäudes, das die Restaurationsabteilung und die Büros des Museums beinhaltete. Dort hatten sie gestern ihre Koffer zurückgelassen. Der Professor wollte gerade den Finger nach der Klingel ausstrecken, als sie beide erschrocken zusammenfuhren.
»Wo. Ist. Mein. Auto?«
Mara und der Professor drehten sich um und blickten in die furiosen Augen von Stefanie Warnatzsch-Abra. Die Exfrau von Professor Weissinger sah aus, als würde sie jeden Moment spontan explodieren, und als könnte nur eine ehrliche Antwort sie davon abhalten.
»Du bist aber früh hier«, antwortete der Professor ungerührt und lächelte dazu unschuldig.
»Ich bin nicht früh hier, du Scherzartikel, sondern lange!«, entgegnete Steffi scharf. »Denn als ich irgendwann gegen drei Uhr endlich aus dem Büro kam, stand mein Auto nicht mehr auf dem Parkplatz.«
»Geklaut? Ach du liebe Zeit, aber wer sollte denn ausgerechnet hier …«, wollte der Professor gerade loslügen, aber er wurde sofort unterbrochen.
»Du«, sagte Steffi. »Du und dieses wunderliche Mädchen.«
Wunderlich? Na toll, vielen Dank. Genau das wollte ich nie sein. Hab ich also doch was geerbt von meiner Mama, dachte Mara und verdrehte die Augen.
»Du brauchst gar nicht so zu gucken, als würdest du um Beistand von Oben bitten, junge Dame!«, schimpfte Steffi weiter. »Der hilft euch jetzt auch nicht! Los, raus damit. Wer sonst weiß, wo ich seit Jahr und Tag meinen Ersatzschlüssel versteckt habe?!«
»Dein amtierender Ehemann vielleicht?«, entgegnete Professor Weissinger lahm.
Steffi lächelte ihn kalt an. »Eloquent pariert, Herr Professor. Aber ich wüsste nicht, warum der extra seine Studien in Norwegen abbrechen sollte, um mal eben mein Auto den Teutberg runterzuschubsen!«
Diese Antwort ließ sogar Professor Weissinger kurz die Balance verlieren, und er brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. Auch Mara war erstaunt. Woher wusste sie …
Stefanie Warnatzsch-Abra war anzusehen, dass sie diesen Moment genoss: »Da fragt ihr euch jetzt, wie ich das wissen kann, nicht wahr? Nun, die Antwort ist denkbar simpel. Ich habe gestern Nacht direkt das Auto als gestohlen gemeldet und siehe da, eben gerade bekam ich einen Anruf, dass man es gefunden hat: bei Detmold, zwischen ein paar Bäumen am Hang des Teutbergs! Der Polizist am Telefon ist wohl ebenso ein Witzezäpfchen wie du, Reinhold, denn er sagte, er hätte nur am Nummernschild erkannt, dass es sich bei dem Haufen um ein Auto handelt. Hahaha!«

Gott sei Dank war Mara nicht zum Lachen zumute. Ihr war das Ganze einfach nur fürchterlich unangenehm. Denn schließlich hatte Steffi ja einfach nur recht!
Inzwischen hatte der Professor allerdings genug Zeit gehabt, um sich einigermaßen zu sammeln. Er hob beschwichtigend die Hände. »Hohoho, nun mal langsam, verehrte Frau Professor. Das heißt doch noch lange nicht, dass wir …«
Steffi nickte. »Zugegeben, ich kann es nicht beweisen. Aber hier sind die erdrückenden Indizien: Ihr musstet gestern von hier verschwinden. Zu Fuß ist so gut wie sinnlos, gestern fuhr aber auch kein Bus mehr, und der Mann vom Taxifunk in Bramsche hat gestern Abend niemanden hier abgeholt, jadahabichangerufenunterbrichmichnicht. Du kennst mein Auto, du weißt, wo der Ersatzschlüssel ist, und ihr hattet es eilig. Trotzdem habt ihr euer Gepäck hiergelassen, somit hattet ihr vor zurückzukommen! Also?«
Wow, die hat’s ja ganz schön drauf, dachte Mara. Nicht schlecht. Vielleicht muss man so was als Archäologin aber auch können, wenn man nach der Buddelei die Funde deuten soll.
Aber Steffi war noch nicht fertig. Sie deutete auf Maras Stab. »Und jetzt will ich zwei Dinge: erstens den Delfin wieder zurück, und zweitens eine ehrliche Antwort auf die Frage: WARUM!«
Bevor der Professor wieder dagegenhalten konnte, hatte Mara den kleinen Bronzedelfin vom Stab gezogen. Sie reichte ihn Steffi, und ihre Stimme klang belegt. »Hier. Vielen Dank, der hat uns letzte Nacht das Leben gerettet. Von außen sieht er genauso aus wie gestern, also können sie ihn jetzt wieder in die Vitrine legen.«
Steffi nahm das kleine Kunstwerk und sah Mara nachdenklich an. »Komisch. Gerade eben noch wollte ich unbedingt wissen, was ihr da mitten in der Nacht in Detmold zu suchen hattet … und jetzt fühlt es sich so an, als sollte es mir unbedingt egal sein.«
»Ich kann nur so viel sagen«, meldete sich der Professor zu Wort. »Es ist besser für dich, wenn du nichts weißt.«






