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Frank Krause
Die neun Schleusen des Herzens
GloryWorld-Medien
1. Auflage 2020
© 2020 Frank Krause
© 2020 GloryWorld-Medien, Xanten, Germany, www.gloryworld.de
Alle Rechte vorbehalten
Bibelzitate sind, falls nicht anders gekennzeichnet, der Elberfelder Bibel, Revidierte Fassung von 1985, entnommen. In Klammern gesetzte Ergänzungen stammen vom Autor. Weitere Bibelübersetzungen:
HFA: Hoffnung für alle, Basel und Gießen, 1983
LUT: Lutherbibel, Revidierte Fassung von 2017
NLB: „Neues Leben. Die Bibelübersetzung“, Holzgerlingen, 2017
SLT: Schlachter Übersetzung 2000, Copyright © Genfer Bibelgesellschaft, CH-1204 Genf
Das Buch folgt den Regeln der Deutschen Rechtschreibreform. Die Bibelzitate wurden diesen Rechtschreibregeln angepasst.
Lektorat: Brigitte Krause, Manfred Mayer
Satz: Manfred Mayer
Umschlaggestaltung: Jens Neuhaus, www.7dinge.de
Foto: james-donovan-OqBAhbdRsFg-unsplash
ISBN (epub): 978-3-95578-479-9
ISBN (Druck): 978-3-95578-379-2
Mehr als alles,
was man sonst bewahrt,
behüte dein Herz!
Denn in ihm entspringt
die Quelle des Lebens.
Sprüche 4,23
Inhalt
Vorwort
1 Begegnung mit GESCHICHTE
2 Wen kennst du wirklich?
3 Wie unten so oben
4 Bist du eine Zisterne …
5 … oder bist du eine Quelle?
6 Hörst du wirklich zu?
7 Geburtswehen
8 Der Staudamm
9 Die Frucht des Geistes
Freude
Güte
Treue
Sanftmut
Integrität
Geduld
Freundlichkeit
Friede
Liebe
10 Aufstieg
11 Die Herren der Wüste
12 Parasiten
13 Engel
14 Der Dienst der Heiligung
15 Erinnern
16 Trink!
17 Der Krieg um das JETZT
18 GESCHICHTES Berufung
19 Gefährten
Nachwort
Über den Autor
Es war einmal vor langer, langer Zeit …
Diese Worte könnte man passenderweise den folgenden Visionen voranstellen, da sie sich vor vielen Jahren begaben, noch bevor ich mein allererstes Buch „Hirtenherz“ schrieb. Sie fielen mir neuerdings beim Stöbern in alten Texten in die Hände und lasen sich für mich wie ein Märchen über meine eigene Vergangenheit. Ich staunte nicht schlecht, wie seltsam zeitlos die „alten Geschichten“ doch sind und sich in den kommenden Jahren meines Lebens wie die Äste eines Baumes in so viele Bücher hineinentfaltet haben. Das innere Leben dieses Baumes ist vielfältig zum Ausdruck und zur Reife gekommen.
Im Folgenden lasse ich den Leser an einigen meiner „Wurzel“-Erkenntnisse teilhaben. Mögen sie dazu anregen, die eigenen inneren Wachstumsprozesse anzusehen – vielleicht in einem neuen Licht oder unter anderem Blickwinkel.
In diesen alten Visionen kommt ein Mann namens „GESCHICHTE“ vor, der mich in die Tiefen meines eigenen Herzens führt. Diese Tiefen waren mir kaum bewusst, obgleich sich herausstellte, dass eben dort die Quelle des Lebens entspringt, ganz so, wie es der weise König Salomo in Sprüche 4,23 schon vor dreitausend Jahren formuliert hat.
Man sagt, unser Bewusstsein sei wie die Spitze eines Eisbergs, die aus dem Wasser ragt. Die 90 %, welche unterhalb des Wasserspiegels liegen, stellen unser Un(ter)bewusstsein dar. Dieser Zustand wird uns als „normal“ vermittelt, wobei ich das noch nie akzeptieren konnte. Wieso sollte dieses Verhältnis normal sein? Warum sollte unsere bewusste Wahrnehmung dermaßen beschränkt sein, dass wir – um im Bild zu bleiben – kaum den Kopf über Wasser halten können?
In diesem Buch begegne ich der skurrilen Gestalt eines zeitlos alten Mannes mit tief ins Gesicht gezogenem Hut und einer Fackel in der Hand. „Herr GESCHICHTE“, wie ich ihn nenne, kam an einigen Wendepunkten meines Lebens bei mir vorbei und besprach mit mir meinen Werdegang, aber auch den meiner Familie und der ganzen Welt, da ich mich auch in deren Historie bewege. Zudem deckte er mir sogar einige der Dinge auf, die im Himmel vor sich gehen, weil ich ja ebenfalls Teil dieser höheren, ewigen und göttlichen Geschichte bin. So viele Geschichten! Das kann ganz schön verwirrend sein …
Zur Erfassung und darüber hinaus zur aktiven und fruchtbaren Teilnahme an diesen Geschichten braucht es meines Erachtens eine persönliche Erweckung. Für mich bedeutet „Erweckung“, dass wir immer wacher und bewusster werden, dass sich also die 10 % Wachbewusstsein zu 20 % verschieben, was immerhin schon das Doppelte des Gewohnten wäre und uns entsprechend vor eine gigantische „Bewusstheits-ARBEIT“ stellt.
Ich habe entdeckt, dass manche Leute wohl eine Art „Erleuchtung“ erleben, sich dann aber scheuen, die immense „Erleuchtungs-ARBEIT“ zu tun, die mit dem größeren Licht, das sie empfangen haben, einhergeht. Wird diese Integrationsarbeit der größeren Bewusstwerdung nicht getan, dann werden Visionen destruktiv und wirken manchmal sogar desintegrierend. Solche Menschen landen nicht selten in der Psychiatrie, und man muss ihnen helfen, nicht bewusster zu werden, weil sie das so nicht verkraften.
Ich weiß, die meisten Christen verstehen unter Erweckung ganz etwas anderes: Dass die Leute sich bekehren und die leeren Bänke in der Kirche füllen. Das ist jedoch ein recht dürftiges Konzept, das mit der wirklichen Erweckung nicht viel zu tun hat. Wenn Menschen ein Licht aufgeht und sie sich auch der spirituellen Dimension ihres Seins bewusst werden, wenn die inneren Augen ihres Herzens geöffnet werden und sie die Realität von Himmel und Hölle zu erkennen beginnen, dann bekehren sich durchaus viele zu Jesus. Vielleicht nicht sofort und womöglich nicht zu dem Jesus, wie wir ihn predigen, sondern zu dem, wie sie ihn erleben und wie er selbst sich ihnen zeigt.
Dann finden sie sich nicht selten in einem Zwiespalt wieder, der ihnen schwer zu schaffen macht, denn der gepredigte und kirchlich „verarbeitete“ Jesus entspricht nicht dem Jesus, den sie erleben. Welcher ist jetzt der richtige? Es kann sehr verwirrend und verletzend sein, wenn die Gemeinde die „Erleuchtungserfahrungen“ und Visionen der Leute rund heraus und pauschal als esoterisch ablehnt und, mehr noch, als gefährlich bezeichnet. Sie bindet die Seelen an sich und an ihre „Einzig-richtige-von-lizensierten-Geistlichen-vorgegebene-Auslegung-der-Schrift“, sie beanspruchen also die Deutungshoheit des „Wortes Gottes“ und des geistlichen Lebens.
Dieses Problem hatte seinerzeit auch Jesus mit den Pharisäern. Sie hüteten die Rechtgläubigkeit und lehnten Jesus empört ab. Sie hassten ihn mit seinen Gleichnissen und Wundertaten, da er so schrecklich unabhängig von ihnen und so unkontrollierbar abhängig vom dem war, „was er den Vater tun sah“. Dabei bewegte sich Jesus durchaus im Kontext der Heiligen Schrift – aber nicht, wie die Schriftgelehrten es verstanden, sondern ganz anders. Dies versuchten sie zu korrigieren, aber vergeblich. Also beseitigten sie Jesus als Irrlehrer und Gotteslästerer. Jesus warnt uns, dass diese perverse Situation immer so war und immer so bleiben wird. Die institutionelle Religion wird immer die „Erleuchteten“ als Häretiker verfolgen und töten, weil sie sich nicht ihren Vorgaben und Autoritätsansprüchen beugen.
Auf der anderen Seite macht uns Erleuchtung nicht per se zu „Propheten“ und „Aposteln“ oder dergleichen. Sie macht uns, wenn alles gut läuft, zu Menschen. Erweckung widerfährt uns, um uns zu unserer eigenen menschlichen Wirklichkeit, Identität, Möglichkeit usw. aufzuwecken – im Angesicht Christi, dem wahren Menschen. Dabei wachen wir nicht auf einen Schlag ganz und gar auf; die Menge an Licht und Wahrheit würde uns völlig überfordern.
Die Versuchung eines Erwachenden, der sich inmitten Schlafender wiederfindet, sich als besonders, erwählt und gesandt zu fühlen, ist durchaus gegeben. Muss er nicht auf der Stelle den anderen von dem Licht künden, das ihm widerfahren ist, und sie mit seinen Visionen beglücken und mit seinen hohen Erkenntnissen missionieren? Nein, er muss sich um seine eigene Integrität kümmern und Tag und Nacht ein Leben im Licht üben. Er kann sich nicht auf seinen initialen Erlebnissen ausruhen und sie verklären, als seien sie das Ende der Reise und nicht der Anfang.
Leute, die nicht nur etwas über Erweckung wissen, sondern ihren Weg gehen – von Wachheit zu mehr Wachheit – können nach einigen Jahren nur den Kopf darüber schütteln, wie eingebildet, ja größenwahnsinnig sie am Anfang waren. Da hat sich doch ihr EGO noch voll an den Offenbarungen vergriffen, um dadurch „groß“ zu sein! Aber mit wachsender Einsicht werden auch die betrügerischen und subtilen Methoden des Egos durchschaut und der „Erleuchtete“ bzw. Erweckte wird immer vorsichtiger und wachsamer, was das Thema Selbsthaftigkeit auf der einen und Selbstlosigkeit auf der anderen Seite angeht.
Das Licht der Offenbarung und Erkenntnis ist einerseits wunderbar, das stimmt, andererseits jedoch auch unerbittlich. Es deckt das Gute und das Schlechte gleichermaßen auf. Die Unterscheidung zwischen falschem und echtem Selbst nimmt im Licht zu, aber es braucht Zeit, das klarzukriegen. Die Erkenntnis der abgrundtiefen Verdorbenheit des falschen Sünden-Selbst setzt noch jedem Erwachenden zu, und manche gehen dann lieber wieder schlafen. Die Erfahrungen des heiligen und reinen Selbst aber sind eine mächtige Inspiration und Motivation, um auf dem Weg aus der Finsternis ins Licht voranzuschreiten.
Die Reise, die ich mithilfe von GESCHICHTE antrat, führte mich zu erstaunlichen, allerdings nicht nur erfreulichen Selbsterkenntnissen, die jedoch im Ergebnis zur Beseitigung einer Menge innerer Blockaden führten. Ohne diese Einsichten und Befreiungen hätte ich meinen Weg nicht fortsetzen können und hätte in den kommenden Jahren ein wesentlich fruchtloseres Leben geführt, als es in der Folge kam. Die Quelle meines Herzen wäre nicht zum „Ausbruch“ gekommen und mein Leben „trocken“ geblieben. Möge diese Geschichte meinen Lesern dienen, den Zustand ihres eigenen Herzens neu zu erforschen und eine größere Freisetzung ihrer inneren Schleusen zu erfahren!
Kapitel 1: Begegnung mit GESCHICHTE
Kommt, wir wollen unser Leben sorgfältig prüfen
und wieder zurückkehren zum HERRN!
Ihm wollen wir unsere Herzen öffnen,
zu unserem Gott im Himmel die Hände erheben.
Klagelieder 3,40-41
Es liegt Jahrzehnte zurück. In einer großartigen Vision1 zog ich damals aus, um das Wasser des Lebens zu finden. Aber nicht nur das, ich suchte auch nach einer Perspektive für meine ZUKUNFT. Nach Jahren des bemühten Drehens im Kreis und Laufens im Hamsterrad sowie des kultivierten Stillstandes in der Gemeinde war ich ernüchtert, frustriert und nicht mehr bereit, so weiterzumachen. Ich sagte mir, ich lebe doch nur einmal und kann nicht noch ein weiteres Jahr in diese Wiederholungschleife investieren – in der Hoffnung, dass sich wie durch ein Wunder alles auf einmal verändert.
Nein, ich wollte anhalten, wollte fasten und beten und in gewisser Weise lieber sterben, als so weiterzu„leben“, wie die Jahre zuvor. Meiner Erfahrung nach sind es immer wieder solche Tiefpunkte im Leben, die uns aus der Komfortzone heraustreiben und ein Risiko eingehen lassen.
Ich wusste ganz genau, dass irgendetwas nicht stimmt, dass mein Leben und auch mein Glaube nicht stimmig waren, der Wirklichkeit nicht gewachsen. Irgendetwas Aufgesetztes und Irreales haftete ihnen an und ich konnte einfach nicht mehr länger darüber hinwegsehen und so tun, als sei alles in Ordnung. Allem fehlte die Tiefe … und die Höhe … und auch die Weite. Ich fühlte mich wie eingeschlossen in einer kleinen Box, die mich erfolgreich von dem Feuer und Sturm, der Flut und Dynamik des Reiches Gottes abhielt. Etwas in mir hielt verkrampft an dieser „Schachtel“ fest, um sich in dieser kontrollierten Umgebung sicher zu fühlen. Ein anderer Teil in mir aber wusste, dass dies unvereinbar war mit dem Jesus der Evangelien und mit der Freiheit, die er uns durch seine Erlösung aufgeschlossen hat. Weder das Evangelium noch die Erlösung, geschweige denn die Herrlichkeit passten in meine Box hinein, das war mir klar.
Ich spürte, dass der echte Jesus und der „Kirchen-Jesus“ nicht miteinander vereinbar waren; der eine war mächtig und unberechenbar, der andere zahm und geregelt bis ins Letzte. Nein, so konnte es nicht weitergehen! Ich musste eine Entscheidung treffen, aus dem Boot (der Box) auszusteigen, wie es einst Petrus tat. „Wenn das wirklich du bist“, hatte er zu Jesus gesagt, „dann befiel mir, zu dir zu kommen!“ Und Jesus tat es: „Komm!“, sprach er. Und Petrus stieg tatsächlich über die Reling aus dem sicheren Boot aus, in dem auch die anderen Jünger sich befanden. Er begab sich in den Sturm und auf die Wellen und ging auf Jesus zu. Ja, er bekam Angst, und ja, er hatte keinerlei Halt und Sicherheit, außer dem Ruf Jesu. Als er auf die Wellen schaute, begann er zu sinken, aber Jesus hielt ihn fest. Auch damit machte er eine große Erfahrung, dass eben diese Hand der wahre Halt ist.
In dieser lang zurückliegenden Vision bewegte ich mich durch eine mir unbekannte Gegend, die ein Abbild meines Lebens als Naturlandschaft darstellte. Ich lief ohne Weg über Wiesen und Felder einfach immer weiter, bis ich schließlich in einen Wald kam. Die Frische des Gehölzes tat gut, und ich suchte nach einem Bach, fand aber keinen. Intuitiv jedoch wusste ich, dass da ein Bach oder Fluss zu finden sein sollte. Stattdessen stieß ich auf eine Höhle, die mich einlud, einzutreten und ein wenig in ihrem Eingang zu verweilen, um auszuruhen, vielleicht auch zu übernachten. Nachdem ich gebückt in die Höhle blickte, fand ich dort zu meinem Erstaunen jemanden sitzen.
Verwundert zögerte ich, näherzukommen, da die Person sich nicht rührte. Sie saß mit tief ins Gesicht gezogenem Hut an einem kleinen Feuer, dass kaum Rauch entwickelte. Wer sollte das sein, war denn das nicht mein Land bzw. Leben hier?
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und dachte schon daran, einfach weiterzugehen, als ich mich vage erinnerte, diese Gestalt in einer anderen, noch weiter zurückliegenden Vision schon einmal getroffen zu haben. Nachdem sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit der Höhle gewöhnt und meine Erinnerung ein paar alte Dateien gefunden hatte, verfestigte sich mein Eindruck: Das war „Herr GESCHICHTE“!
Er war mir in meiner ersten Episode begegnet, die ich über mich und meine Zwillingsschwester geschrieben hatte. Ein ganz absonderlicher Kauz, mürrisch und unhöflich, der uns jedoch einen tiefen Aufschluss über unsere Lebensgeschichte gab. Dieses Geschehnis damals war der Auftakt einer ganzen Reihe von visionären Abenteuern mit meiner Schwester gewesen, wodurch meine Erfahrung mit einer solchen Art von Inspirationen mächtig erweitert wurde. Viele Grenzen dessen, was ich für möglich hielt, wurden dabei überschritten, und oft konnte ich nicht mehr weiterschreiben, so „abgefahren“ kamen mir diese Erlebnisse vor. Aber meine Frau ermutigte mich, dranzubleiben und meine Erfahrungen niederzuschreiben. Bald schon erkannte ich den unschätzbar therapeutischen Wert der Offenbarung, um tiefer zu mir selbst zu finden und überhaupt innerlich – im Herzen – belebt und erweckt zu werden. Darüber handelt die vorliegende Erzählung, in der es um die „neun Schleusen des Herzens“ geht.
„Alles auf Anfang“, dachte ich beim Anblick von „Herrn GESCHICHTE“ und trat beherzt in die Höhle ein. Ich blieb an dem Feuer stehen und nickte dem schweigenden Mann zu. Er hatte, wie gesagt, immer noch diesen verblichenen Hut von damals auf, so tief ins Gesicht gezogen, dass man dieses kaum sehen konnte, im Dämmerlicht der Höhle schon gar nicht.
Ich traute mich nicht, mich zu setzen, und stand etwas unbeholfen da. Dabei erinnerte ich mich an das, was er in jener ersten Begegnung zu meiner Schwester und mir über unsere Geschichte gesagt hatte. Er wusste, woher wir gekommen waren und wohin wir gehen würden – und wer wir im Lichte der Geschichte sind. Darum hatte ich ihn den Geschichtserzähler genannt. In gewisser Weise erzählte er sie aber nicht nur, er war die Geschichte in Person. Höchst erstaunlich! Was er uns damals erklärte, war überaus aufschlussreich und bildete den Auftakt zu einer Reihe von weiteren Erlebnissen. Er hatte uns damals geraten:
Ihr könnt klugerweise fragen, wo in der Geschichte ihr steht, was eure Aufgabe in diesem Moment des Zeitgeschehens ist, was ihr dafür empfangen habt und was ihr weitergeben müsst. Identität hat immer mit Geschichte zu tun.
Er hatte uns bereits damals klargemacht, dass Verbundenheit einer der wichtigsten Schlüssel zur Geschichte und unserer Bedeutung in ihr ist, da sie ein Gewebe aus Beziehungen darstellt. Wir stehen in einer langen Kette von Generationen, von Geborenwerden und Vergehen, vom Anfang bis zum Ende der Menschheitsgeschichte. Dies zu begreifen, befand der Alte damals als Weisheit und Schicksalsfrage. Er sagte:
Ihr seid in einem bestimmten Moment einer großen Geschichtskonstruktion dazugekommen, um euren Beitrag für das Fortkommen des Ganzen zu leisten, und je größer euer Verständnis – und noch viel nötiger: euer Gefühl – für das Ganze und eure Verbundenheit damit ist, desto besser für euch und für alle. Heute sind so viele Menschen so vereinzelt, verloren und dermaßen verwirrt, dass jetzt ein kritischer Punkt der Gesamtgeschichte erreicht ist.
Dieser kritische Punkt ist meines Erachtens lange schon erreicht, die Krise ist auf dem Höhepunkt und schleppt sich im Zeitlupentempo voran. Die Kräfte, die zurückreißen wollen, was über den Zenit kippen will, sind hochkonzentriert und angespannt. Was wird ihre Entladung diesmal für einen Krieg entfesseln oder was für eine Katastrophe heraufbeschwören? Die Gewalten und Mächte wurden noch immer sehr böse, wenn die Geschichte sich nicht ihrem Willen beugte, sondern umgekehrt, von ihnen verlangte, ihr zu dienen. (Das schrieb ich vor vielen Jahren; jetzt rollt der Stein, der über den Gipfel geschoben wurde, auf der anderen Seite den Berg hinunter und nimmt mächtig an Fahrt auf. Alles geht im Vergleich zu vorher auf einmal unheimlich schnell.)
Was machte der Geschichten-Erzähler denn nun in diesem Wald und am Rande meines (unklaren) Wegs? Warum saß er da an einem Feuer in der Höhle, während draußen das schönste Wetter war? Hatte es mit dieser Höhle etwas Besonderes auf sich?
Ehe ich mich traute, ihn anzusprechen, vergegenwärtigte ich mir noch eine weitere Aussage, die er meiner Schwester und mir damals mitgab und die vielleicht etwas mit der Höhle hier zu tun hatte:
Tiefe braucht Verborgenheit. Wer bis zu den Wurzeln gelangen will, der muss in die Verborgenheit gehen, wo viele sich nicht hinwagen. Du hast früher schon einmal vom großen König gehört, dass du ein Experte für Wurzeln werden sollst. Ihr beiden – du und deine Schwester – wollt die verborgenen Zusammenhänge erkennen und die gewobenen Muster und Stränge zwischen euren prüfenden Fingern spüren und genau verstehen. Wenn ihr dann aus der „Unterwelt“ herauskommt mit dem „Elixier“ der Erkenntnis in der Hand, also der Einsicht, die ihr dort in der Tiefe der Wurzeln gewonnen habt, seid ihr diejenigen, die gute Führer und Mentoren sein können, weil sie den Kreis durchschritten haben.
Immer wenn GESCHICHTE von dem „großen König“ sprach, meinte er Jesus. Ich erinnerte mich auch daran, dass der Alte etwas streng und unduldsam gewesen war, also besser, er musste nun nicht wiederholen, was er mir bereits mitgeteilt hatte, weil ich alles wieder vergessen hatte!
Das mit dem Vergessen ist ja so ein Punkt. Alles muss uns zehn Mal gesagt werden, ehe wir es überhaupt zur Kenntnis nehmen – mir jedenfalls. In einer Welt unendlicher Ablenkungen fällt es uns schwer, bei einer Sache zu bleiben und sie wirklich zu erfassen und zu integrieren. Wir sitzen wie in einem Reisezug und halten nur kurz an einem Bahnhof an, dann geht es weiter …
1 Wie ich den Begriff „Vision“ verstehe, lege ich genauer in meinem Buch „Die Geisterstadt“ dar. Siehe auch die Leseprobe dazu: https://www.autor-frank-krause.de/files/Lpr/Leseprobe - Die Geisterstadt.pdf