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Eine Anmerkung zum Thema Geschlecht und Alter
In diesem Kapitel wollen wir gründlich untersuchen, was die allgemeinen Kennzeichen geistlicher Eltern sind und welche spezifischen Eigenschaften Männer bzw. Frauen als Mentoren mitbringen. Ehe wir aber einen näheren Blick auf geistliches Mutter- und Vatersein werfen, sollte ich noch erwähnen, dass wir die Meinung vertreten, dass Männer Mentoren von Männern und Frauen Mentorinnen von Frauen sein sollten. Das sehen wir in Titus 2: „… dass die alten Männer nüchtern seien, ehrbar, besonnen, gesund im Glauben … Ebenso ermahne die jungen Männer, besonnen zu sein …“ (V. 2.6). „… ebenso [sollen] die alten Frauen in ihrer Haltung dem Heiligen angemessen [sein], … Lehrerinnen des Guten; damit sie die jungen Frauen unterweisen, ihre Männer zu lieben …“ (V. 3-4).
In Seelsorge und Vorbild folgte die frühchristliche Kirche der Mentoring-Methode, dass ältere Frauen für jüngere Frauen da waren und ältere Männer für jüngere Männer. Dafür gibt es gute Gründe. Vater- und Mutterschaftsbeziehungen werden rasch zu engen Freundschaften, und es kann eine haarige Angelegenheit sein, zwischen einem Mann und einer Frau die Grenzen der Freundschaft einzuhalten. Tiefe christliche Liebe kann missverstanden werden, und solche Missverständnisse können zu unangebrachten emotionalen und körperlichen Annäherungen führen.
Meiner Meinung nach ist es der beste Rat, diese Falle einfach zu umgehen. In 1. Thessalonicher 5,22 heißt es: „Von aller Art des Bösen haltete euch fern!“ Ich lese das so: „Vermeidet alles, worin man eher Sünde als Rechtschaffenheit sehen könnte.“ Dagegen halte ich es für völlig korrekt, wenn ein Ehepaar gemeinsam einen geistlichen Sohn oder eine geistliche Tochter als Mentorenteam betreut. In Apostelgeschichte 18,24 ff. lesen wir von den Eheleuten Aquila und Priscilla, die sich als Team engagierten, um Apollos im Hinblick auf sein Evangeliumsverständnis weiterzuhelfen. Aquila und Priscilla „legten ihm den Weg Gottes genauer aus“ (V. 26).
Im Gegensatz zum Geschlecht legt das Lebensalter keineswegs fest, wer wessen geistlicher Vater oder geistliche Mutter sein kann. Geistlicher Mentor können Sie mit sechzehn genauso gut sein wie mit achtzig. Alle unsere drei Töchter wurden im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren im Rahmen ihrer Kleingruppenarbeit zu geistlichen Mentorinnen jüngerer Mädchen. Sie nahmen diese Kinder unter ihre Fittiche und brachten ihnen aus Gottes Wort einfache biblische Prinzipien bei. Sie beteten mit ihnen und kümmerten sich um sie, wenn sie eine Not hatten. Unsere Töchter lernten, indem sie es machten. Aus ihrer Liebe zu Jesus und diesen kleinen Mädchen heraus taten sie einen Gehorsamsschritt. Sie warteten nicht ab, bis sie sich vollkommen zugerüstet fühlten, sondern wurden zu geistlichen Eltern, während sie selbst noch am Lernen waren.
Ich hielt einmal ein Seminar in Medford, Oregon. Nach der Veranstaltung kam eine junge Dame zu mir und bedankte sich dafür, dass ich quer übers ganze Land geflogen war, um in ihrer Gemeinde zu sprechen. Ich fragte sie, was der Herr in ihrem Leben so tue. „Na ja“, sagte sie, „ich hab da ein paar Mädchen in der Schule, mit denen ich mich jede Woche treffe, damit sie in ihrem Leben als Christinnen wachsen.“ Keine Frage, hier hatte ich eine geistliche Mutter vor mir.
„Wie alt bist du denn?“ fragte ich.
„Zwölf“, antwortete sie. Eine geistliche Mutter von zwölf Jahren! Ich begegne vielen Gläubigen zwischen fünfzig und siebzig, die das Gefühl haben, nicht das tun zu können, was für die Zwölfjährige ein völlig normales christliches Leben war. Was ist an diesem Bild verkehrt?
Stets und ständig können Sie jemanden finden, der geistlich jünger ist als Sie selbst und den Sie „jüngern“ und in Gottes Wegen unterweisen können, und Sie werden sehen, es wird gar nicht lange dauern, bis jemand, in den Sie sich investieren, so weit ist, dass er wieder andere unterweisen kann. Wir müssen lernen, wie wir geistliche Eltern aller Altersstufen dazu freisetzen können, dass sie sich reproduzieren. Wenn die Bibel ältere Männer ermahnt, jüngere Männer zu lehren, und ältere Frauen, jüngere Frauen zu lehren, dann heißt das: Wer ein geistlicher Vater oder eine geistliche Mutter ist, sollte ein reifer Christ sein, der Erfahrung ausstrahlt. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass eine Frau, die für eine andere Mentorin ist, an Lebensjahren älter sein muss als diese. Lebensalter hat weniger mit Reife zu tun als Erfahrung. Maßstab dafür, wer wessen Mentor sein kann, sollten Erfahrung und geistliche Reife sein. Unabhängig vom Lebensalter ist es die geistliche Reife einer Person, die sie qualifiziert, Mentor für jemand anderen zu sein.
Das heißt: ein geistlich reifer Christ in den Zwanzigern kann der geistliche Vater eines fünfzigjährigen Mannes sein, der neu im christlichen Glauben ist. Kürzlich frühstückte ich mit einem Arzt, der in den Vierzigern zum Glauben an Jesus gekommen war. Er erzählte mit großer Zuneigung von einem an Jahren viel jüngeren geistlichen Vater in seinem Leben, der ihm geholfen hatte, in seinem neu gefundenen Glauben zu wachsen.
Allerdings wird eine solche Konstellation eher die Ausnahme sein. Ich glaube, viel häufiger und normaler ist es, dass das Mandat geistlicher Mutter- und Vaterschaft mit dem natürlichen Lebensalter einhergeht. Ein älterer Mensch mit jahrelanger Erfahrung, ein reifer Gläubiger, der in seinem Leben schon die verschiedensten Zeiten durchgemacht hat, kann für einen Jüngeren ein weit wirkungsvollerer Mentor sein. Trotzdem werden in beiden Fällen die Altersunterschiede das ihre tun, um die Beziehung zu bereichern.
Jetzt wollen wir untersuchen, auf welch verschiedene Arten geistliche Väter und Mütter ihre Mentorenschaft ausüben, um Reife und Lebendigkeit im Glauben ihrer geistlichen Kinder zu fördern.
Vaterfigur
„Familie“ ist schon lange eine Idee Gottes. Er hat Familienbeziehungen eingesetzt und entworfen: Ich „werde euch Vater sein, und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (2 Kor 6,18). Voll tiefer Zuneigung betete der Apostel Paulus für seine geliebten Epheser: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jede Vaterschaft in den Himmeln und auf Erden benannt wird“ (Eph 3,14-15). Gott ist der Vater einer ganzen großartigen Familie, zu der alle die gehören, die Jesus Christus ihren Herrn nennen. Er ist der Vater, von dem her jede Vaterschaft ihren Sinn und ihre Inspiration gewinnt. Wenn wir begreifen wollen, was gesunde Familienbeziehungen sind, müssen wir seine Vaterschaft verstehen: seine Liebe, seine Vergebung und seine Annahme.
Leider tragen viele heute lebende Menschen ein verzerrtes Vaterbild mit sich herum, da viele Väter ihre Autorität missbraucht haben oder abwesend waren, was bei ihren Kindern angeknackstes Vertrauen und Unsicherheitsgefühle hinterließ. Je weniger überzeugende Vorbilder die Welt anzubieten hat, umso mehr muss Gottes Volk, die Gemeinde Jesu, die Lücke füllen, die fehlende oder grausame Väter gerissen haben, damit die Menschen sehen, wie Gott sich Familie vorstellt.
„Die Gemeinde muss anfangen zu verstehen, dass sie die Aufgabe hat, einen elterlichen Einfluss auszuüben – sie soll eine Gemeinschaft sein, in der Leben im ganzheitlichen Sinne wachsen kann“, schreibt mein Freund Robert Stearns in seinem Buch „Bereitet den Weg“. Folgendes sieht Stearns voraus, wenn wir diese Elternrolle zu begreifen anfangen:
Viele Männer, die das Herz eines Vaters haben, werden von Gott dahin geführt, jungen Männern aus ihrer Gemeinschaft Mentor zu sein … Die älteren Frauen werden die jüngeren unter ihre Fittiche nehmen und ihnen Liebe und Weisheit vermitteln. Starke Familien werden sich um Alleinerziehende kümmern und sich für einen fortwährenden Austausch zwischen den Familien bemühen. Dies führt zu Stärke und hilft dabei, das überwältigende Gefühl der „Einsamkeit“ zu bekämpfen … Wir werden wieder die Freude erleben, die von der Urgemeinde ausging, als alle in Gemeinschaft miteinander und mit dem Herrn lebten.2
Was für ein unglaubliches Bild! Und es wird Wirklichkeit werden, wenn wir erkennen, dass wir nicht mehr länger unabhängig voneinander leben können. Gott möchte in seinem Reich Vater- und Mutterschaft wiederherstellen, und das beginnt mit seiner Verheißung, ein Vater für uns zu sein. Aber damit gläubige Menschen echtes Familienleben erfahren, müssen die Väter ihre Verantwortung als geistliche Eltern annehmen.
Väter bringen Stärke, Stabilität und Ausgewogenheit in die Familie ein. Ein leiblicher Vater sollte Beschützer, Ratgeber und Führer seiner Kinder sein, sodass sie unter der Liebe und Führung ihres Vaters geborgen heranwachsen können. Wenn es ihnen an einem gesunden väterlichen Vorbild fehlt, können Kinder nicht in ihre Bestimmung hineinwachsen. Dr. David Cannistraci zufolge ist gesunde Vaterschaft auf allen Ebenen der Gesellschaft eine notwendige Erfolgsvoraussetzung:
Soziologen bestätigen heute, dass Väter nicht nur eine unersetzliche Rolle zu Hause, sondern auch in der Nation spielen. Viele der Probleme, die heute beispielsweise in Amerika anzutreffen sind – Drogen, Sozialhilfe, Jugendschwangerschaften – haben ihre Wurzeln direkt in dem Nichtvorhandensein von Vätern während der letzten Jahrzehnte … Geistliche Vaterlosigkeit ist in unserer heutigen Zeit eine Schwäche im Leib Christi. Durch den Mangel an göttlicher Vaterschaft wurde ein großes Vakuum geschaffen. Ebenso wie die Gesellschaft ist auch die Kirche von Problemen geplagt. Wir benötigen dieselbe Art von Disziplin und Rechenschaftsablage, die ein natürlicher Vater einer natürlichen Familie abverlangt. Wir haben Weisheit und Reife notwendig, eine feste Hand, die uns leitet, Ausgeglichenheit, die uns am Leben erhält, und Erfahrung, die uns ermutigt.3
Heutige Statistiken zeigen eine Gesellschaft mit besorgniserregendem Gefälle hin zum Verfall der Familie. Ehen gehen kaputt, Eltern sind nicht da – und Kinder zahlen den Preis, den die emotionalen, finanziellen, körperlichen und geistlichen Konsequenzen fordern. Noch vor einigen Jahren war man landläufig der Meinung, externe Faktoren wie Straßenkriminalität, schlechte Schulen und nachteilige wirtschaftliche Verhältnisse seien schuld an der Krise des Familienlebens. Die Kritiker von heute stellen diese Sichtweise in Frage. Heute denkt man, der Zusammenbruch der Familie sei ursächlich für diese und andere soziale Missstände.
Nur wenn es uns gelingt, die Familie wiederherzustellen, kann daraus für unsere Gesellschaft Heilung erwachsen. Ken Canfield sagt es so:
Während viele Stimmen ausrufen, der Staat müsse mehr zum Schutz unserer Familien tun, hört die Kirche auf eine andere Stimme: die Stimme eines Vaters. Gott hat sich als unser Vater offenbart, und er ruft in der Kirche Väter dazu auf, seinem Beispiel zu folgen.4
Ähnlichkeiten zwischen geistlichen und natürlichen Vätern
David Cannistraci sieht „mindestens fünf Ähnlichkeiten zwischen einem geistlichen und einem natürlichen Vater“5. Wenn wir diese Funktionen eines Vaters verstehen, können wir anfangen, dem Vorbild des himmlischen Vaters nachzustreben. Und wir wissen, welche Charakterzüge wir in der nachfolgenden Generation geistlicher Mentoren fördern sollten:
1. Väter zeigen Liebe. Die Liebesbeziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn bietet den idealen Rahmen für die Heranbildung und Ausformung von Leben und Charakter des Sohnes. Ohne Liebe mag ein Sohn zwar heranwachsen, aber gedeihen kann er nicht. Väter geben ihren Kindern Bestätigung und die freundschaftliche Gewissheit, dass es ihnen ohne Wenn und Aber prinzipiell um ihr Wohlergehen geht.
2. Väter unterweisen und erziehen. Väter haben einen kräftigen Anteil daran, dass ihre Kinder klare Wegweisung und Führung hin zu Aktivitäten und Haltungen erfahren, die sie erfolgsfähig machen. Ein wirklicher Vater übernimmt Verantwortung für seine Kinder. Die biblische Vaterrolle besteht darin, dass ein Vater seine Kinder zur Reife und Fruchtbarkeit führt.
3. Väter sind Versorger. „Versorgen“ bedeutet erhalten und bereichern. Womit versorgt ein geistlicher Vater seine geistlichen Kinder? Mit einem Erbe des Segens Gottes. Ein geistliches Vermächtnis kann nur von einem geistlichen Vater auf seine geistlichen Kinder übergehen.
4. Väter reproduzieren sich. Im allergrundlegendsten Sinne sind natürliche Väter Männer, die körperlich dazu beigetragen haben, dass ein neues Leben entstand. Geistliche Väter vermitteln neugeborenen Kindern im Glauben geistliches Leben, indem sie sich als Werkzeuge zur Verfügung stellen, durch die jene Kinder zur Neugeburt gelangen. Dann führen sie ihren Dienst als Väter dadurch fort, dass sie die neugeborenen Kinder auch aufziehen und in deren Leben ihren eigenen geistlichen Dienst reproduzieren.
5. Väter segnen und beschenken. Viele Väter wissen sehr gut, wie sie ihre Kinder lieben, versorgen und heranbilden können; doch die Fertigkeit, die die großen apostolischen Väter der frühen Kirche so gewinnbringend einsetzten, geht ihnen ab: nämlich geistlichen Segen auszuteilen. Der Apostel Paulus stellte Gott den Vater als denjenigen dar, der uns als seine Kinder durch unsere Beziehung zu Christus mit allen geistlichen Segnungen segnet (vgl. Eph 1,3). Paulus legte seine Hände auf seinen geistlichen Sohn Timotheus und wurde von Gott gebraucht, ihm Gaben und Segnungen weiterzugeben, mit denen Timotheus seinerseits in Verantwortung umgehen sollte (vgl. 2 Tim 1,6). Diese Weitergabe göttlichen Lebens ist eine der vornehmsten Verantwortlichkeiten eines geistlichen Vaters. Aus eigenem Erleben kann ich sagen: Das ist eine der größten Erfahrungen, die ein geistlicher Sohn überhaupt machen kann.
Das Vertrauen in die Väter wiederherstellen
Wenn das Herz der Väter – sowohl der natürlichen als auch der geistlichen – sich nicht wieder ihren Kindern zuwendet, wird der Herr „das Land mit dem Bann“ schlagen bzw. verfluchen, betont Maleachi 3,24. Wenn die Generationen einander entfremdet werden, sind sie geradezu buchstäblich verflucht. Gott möchte eine Generation, die durch den Zusammenbruch der Familienbindungen verflucht ist, an die Hand nehmen und ihr Vertrauen wiederherstellen. Sein eigener Sohn, Jesus, ist gekommen, um zerbrochene Beziehungen zu heilen – sowohl die Beziehung zwischen dem himmlischen Vater und der Menschheit als auch die Beziehung zwischen Vätern und ihren Kindern. Diese Familienbande sind ein Mittel des Segens und der Wiederherstellung zwischen den Generationen.
In unserer heutigen Gesellschaft zerbricht das Vertrauen häufig daran, dass Eltern im Interesse ihres eigenen Lebensglücks oder schlicht aufgrund ihrer vollen Terminkalender ihre Kinder vernachlässigen. Scheidungen lassen Kinder verwundet zurück – Kinder, die hin- und hergerissen sind zwischen streitenden, mitunter einander feindseligen Eltern, und häufig frustriert, verwirrt und unsicher werden. Dieselbe Art von Fluch kann sich auch zwischen geistliche Eltern und ihnen entfremdete geistliche Kinder legen. Leiter in der Gemeinde Jesu sind oftmals so ausgelastet von ihren Gemeindeprogrammen und diversen Besprechungen, dass sie keine Zeit haben, ihre geistlichen Kinder zu künftigen geistlichen Eltern heranzuziehen. Das liegt wie Mehltau auf der Kirche und lässt künftige Leitergenerationen verkümmern.
Ich habe gehört, Kinder sollten ihren Eltern vergeben, dass sie nicht perfekt sind, und Eltern sollten alle Mühe daranwenden, dass ihre Kinder ihnen so wenig zu vergeben haben wie irgend möglich. Wenn der Schaden aber schon passiert ist, müssen sowohl natürliche als auch geistliche Kinder eine gewisse Reife erlangen, die ihnen ermöglicht, ihren achtlosen Eltern zu vergeben, sonst werden sie voller Zorn und Misstrauen heranwachsen.
Unser Gott möchte natürliche und geistliche Väter, die ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind und sich hauptsächlich um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert haben, von ihren Versäumnissen überführen. Nur er allein kann den Schaden heilen und Väter wieder mit ihren vereinsamten Kindern in Verbindung bringen. Väter müssen über ihre Selbstsucht und Nachlässigkeit Buße tun und sich auf den langen Prozess einlassen, das Vertrauen ihrer Kinder wiederaufzubauen. Der Herr möchte die Beziehungen zwischen Jung und Alt wiederherstellen, damit ein kraftvolles geistliches Vermächtnis bewahrt bleibt und sich vermehren kann.
Die Liebe einer Mutter
Eines Tages stieg der neunjährige Joey aus dem Schulbus und sagte: „Mama, der Bus ist so leer, dass jeder von uns ’ne ganze Sitzreihe für sich allein haben könnte. Aber die dämlichen Mädchen quetschen sich allesamt in eine einzige rein!“ In seiner Männlichkeit konnte er nicht begreifen, dass weibliche Menschen beieinander hocken müssen.
Gott schuf Mann und Frau einzigartig im Hinblick auf ihre Beziehungen zueinander. Die Verschiedenheit von Mann und Frau ist als Segen gedacht; sie soll unser Leben ausgewogen machen, damit wir die Liebe des Vaters zu uns nur umso reicher und völliger begreifen können. Frauen scheinen auf Intimität und tiefe Freundschaften angelegt zu sein. Weibliche Wesenszüge werden oft mit Attributen wie sanft, pflegend, intuitiv und empathisch beschrieben. Wenn Frauen zusammenkommen, reden sie oft über ihre Gefühlen und Beziehungen, ihre Arbeit und ihre Familien, und in ihren Gesprächen untereinander treten oft ihre nährenden, mütterlichen Wesenszüge hervor. Frauen sehen sich in Beziehung mit den Menschen in ihrem Umfeld und sie ziehen intime Nähe der Isoliertheit vor. Dadurch können Frauen einzigartig mit engen Beziehungen umgehen.
Die Fähigkeit der Frauen zu lieben übersteigt häufig die der Männer und zeigt überdeutlich den weiblichen Zug, Ernährerin zu sein. Sprüche 10,1 sagt: „Ein weiser Sohn erfreut den Vater, aber ein törichter Sohn ist der Kummer seiner Mutter.“ Es ist normal, dass eine Mutter tieferen Schmerz empfindet, weil ihre Liebe zu ihren Kindern sogar noch zarter ist als die eines Vaters.
Natürlich müssen Sie keine Mutter im biologischen Sinn sein, um Zartheit und Mitgefühl zu zeigen. Jede Christin, die Gottes Herz und seine ewige Liebe begreift, entwickelt umsorgende, mütterliche Wesenszüge. Woher wissen wir, dass Gott das zarte, fürsorgliche Herz einer Mutter hat? Textstellen wie Jesaja 49,15 und 66,13 schildern, dass Gott sein Volk so liebt wie eine Mutter ihre Kinder. Diese Stellen zeigen Gottes Zartheit und seinen Wunsch, uns zu umhegen und fruchtbar zu machen.
Immer wieder porträtiert die Heilige Schrift uns Gott in seinen umsorgenden, mütterlichen Zügen: „Vergisst etwa eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde dich niemals vergessen. Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet“ (Jes 49,15-16). Etwas weiter hinten im Jesajabuch sagt der Herr: „Wie einen, den seine Mutter tröstet, so will ich euch trösten“ (66,13). Gottes tiefe, bleibende Liebe zu uns ist sogar noch größer als die stärksten Bande zwischen einem Neugeborenen und seiner Mutter.
In Matthäus 23, wo Jesus sein Mitleid mit denen zeigte, die ihn zurückwiesen, bietet sich uns ein weiteres Bild vom umhegenden, zärtlichen Mutterherzen Gottes:
Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! (Mt 23,37).
Jesus sehnte sich danach, seine wundervolle Gnade und Gunst jenen geistlich blinden religiösen Führern in Jerusalem zukommen zu lassen. Auch wenn sie seine Liebe zurückwiesen, bot er sie ihnen doch an, voller Mitleid, wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln schart, um sie zu schützen, zu bergen, zu wärmen und zu trösten.
Das Titus-2-Mandat
Meine Frau LaVerne hatte in der Anfangszeit unseres geistlichen Dienstes als junge, 28-jährige Pastorenfrau ihre Kämpfe damit, dem Erwartungsdruck standzuhalten, dem sie sich ausgesetzt fühlte, auch ja dem einer Pastorenfrau zugeschriebenen Rollenklischee zu entsprechen, nämlich Frauengruppen, Frauentreffen und Frauenprogramme auf die Beine zu stellen. Sie selbst sagt dazu: „Ich wusste, ich würde niemals die typische Pastorenfrau sein, die Klavier oder Orgel spielte und sang. Ich fühlte mich einfach nicht dazu berufen, eine öffentliche Rolle zu spielen. Ich wusste, dass Gott mich nicht beauftragt hatte, meine Zeit mit der Leitung irgendwelcher Gremien und der Planung von Frauenveranstaltungen zu verbringen. Jedes Mal, wenn ich auf die Knie ging, wusste ich, wozu Gott mich berufen hatte. Es war klar und deutlich: Schule eine kleine Gruppe von Frauen gemeinsam.“
Deshalb verbrachte LaVerne die nächsten paar Jahre damit, genau das zu tun. Sie begann ihr Leben in eine Handvoll Frauen zu investieren, die in der Gemeinde als Kleingruppenleiterinnen mitarbeiteten – keine Aufgabe für Furchtsame! Die Beziehungen, die sie aufbaute, erforderten Zeit und Anstrengung. Und sie stand nicht im Rampenlicht, um im Applaus eines sie bewundernden Publikums zu baden.
Jahrelang schulte sie Frauen hinter den Kulissen. Liebevoll fragte sie sie immer wieder, wie es um ihre Ehen stehe. Sie betete und weinte mit ihnen, wenn sie durch die tiefen Täler des Lebens gehen mussten, und freute sich mit ihnen, wenn es etwas zum Freuen gab. Diese Frauen wurden zugerüstet, das, was sie von LaVerne empfangen hatten, ihrerseits anderen Frauen weiterzugeben. Im Ergebnis haben sich LaVernes anfängliche Bemühungen um eine Handvoll Frauen immer und immer wieder multipliziert.
Auch heute noch stellt LaVerne sich Frauen für Mentoring-Zweierschaften zur Verfügung. Wenn sie vor größeren Gruppen spricht, hört sie immer wieder den Schrei der jüngeren Frauen: „Wo sind denn bloß die älteren Frauen? Wo gibt es denn eine geistliche Mutter für mich, die meine Mentorin sein kann und mir hilft, in meinem Leben als Christin zu wachsen?“ Mit tränenüberströmten Gesichtern sagen jüngere Frauen: „Manchmal bräuchte ich einfach nur eine Stunde zusammen mit einer geistlich reifen Frau. Ich brauche so dringend jemand, der mich ermutigt, zum Vater aufzuschauen. Ich brauche jemand, der geistlich reifer ist als ich und mir wertvolle Erfahrungen weitergeben kann. Ich brauche jemand, der mir sagt, dass ich es schon schaffen werde, was auch immer im Leben auf mich zukommen mag – eine Frau, die mir sagt, dass ich diese Woche überlebe!“ Frauen suchen Freundinnen, Trainerinnen, Ermutigerinnen, die sie auf Jesus hinweisen können.
Ich glaube, der Herr ruft geistliche Mütter, die heute seinem Ruf gehorchen wollen, geistliche Töchter unter ihre Fittiche zu nehmen. Christliche Frauen brauchen geistliche Mütter, die ihnen helfen, zu gesunden Frauen Gottes heranzuwachsen. Eine geistliche Mutter geht Seite an Seite mit einer anderen Frau, legt ihr den Arm um die Schulter und sagt: „Du schaffst es!“ In ihrem Buch „Spiritual Mothering“ schreibt Susan Hunt, geistliche Mutterschaft geschehe da, „wo eine Frau, die Glauben und geistliche Reife besitzt, eine fürsorgliche Beziehung zu einer jüngeren Frau eingeht, um diese zu ermutigen und zu einem Leben zur Ehre Gottes zuzurüsten“6.
Gottes Wort gibt Frauen einen klaren Auftrag zu geistlicher Mutterschaft und zugleich ein Modell davon. Paulus lehrte Titus, wie er geistliche Elternbeziehungen einführen konnte, und in diesem Zusammenhang ermahnte er die älteren Frauen, ihre Kräfte in die Schulung jüngerer Frauen zu investieren:
… ebenso [unterweise] die alten Frauen in der Haltung, wie es der Heiligkeit geziemt, nicht verleumderisch, nicht Sklavinnen von vielem Wein, Lehrerinnen des Guten; damit sie die jungen Frauen unterweisen, ihre Männer zu lieben, ihre Kinder zu lieben, besonnen, keusch, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, gütig zu sein, den eigenen Männern sich unterzuordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert werde (Tit 2,3-5).
Paulus wusste, es würde die Gemeinde verändern, wenn die älteren Frauen anfingen, die jüngeren durch ihren gottgefälligen Lebensstil zu unterweisen. Das Reich Gottes schreitet voran, wenn reife Frauen etwas von sich selbst geben und ihre Kräfte in jüngere Frauen investieren. Gott möchte geheiligte – gottesfürchtige – Frauen gebrauchen, die sich von Geschwätz fernhalten und nicht irgendwelchen Süchten ergeben sind. Solche reifen Frauen sind in der Lage, geistliche Mütter zu sein.