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Geistlich reife Frauen geben selbstlos von ihrem Eigenen. Sie unterwerfen ihren Willen Gott und seiner Führung. Aus Liebe zu ihm haben sie das Geheimnis von Philipper 2,3-4 begriffen: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient“ (Luther 1984). Geistlich reife Frauen lassen sich nicht von ihren eigenen Sorgen beherrschen, sondern kümmern sich selbstlos um andere.
Die Herausforderung geistlicher Mutterschaft
Denken Sie daran: Es ist das Wesen Christi, das jemand qualifiziert, eine geistliche Mutter zu sein. Potentielle geistliche Mütter müssen Frauen sein, die Gott fürchten. Das heißt, es muss ihnen wichtiger sein, was Gott von ihnen hält, als was andere Menschen von ihnen denken. Ein schwaches Selbstbild steht geistlicher Mutterschaft im Weg. Das Leben setzt uns unter Druck, uns anzupassen und uns in einer bestimmten Weise zu verhalten; wenn aber die Furcht Gottes über eine Frau kommt, fragt sie Gott, was er über sie denkt. Sie weiß, dass Christus sie dank seines Blutes annimmt und dass seine Liebe bedingungslos ist. Das bringt Freiheit in ihr Leben.
LaVerne sprach auf einer Frauenfreizeit über Gottes bedingungslose Liebe. Hinterher kam eine langjährige Christin auf sie zu und sagte: „Ich glaube, ich begreife Gottes bedingungslose Liebe nicht. Als Heranwachsende fühlte ich mich von meinen Eltern nur dann geliebt, wenn ich ihre Erwartungen zufriedenstellte. Also habe ich in all meinen Beziehungen zu anderen meine Liebe immer mit Bedingungen verbunden.“ Am selben Tag noch sah sie ein, wie verkehrt ihr Denken war, und entschied sich, die unergründliche, bedingungslose Liebe anzunehmen, die Gott zu ihr hatte. Ihr Leben veränderte sich völlig! Gott liebt Menschen, ob sie nun seinen Erwartungen entsprechen oder nicht. Er spendet seine Liebe ohne irgendwelche Bedingungen. Wenn wir das begreifen, dienen wir anderen Menschen nicht mehr aus Pflichtgefühl, sondern aus der Liebe heraus, die er zu den Menschen hat. Und durch eben diese Liebe dienen wir einer dem anderen (vgl. Gal 5,13).
Eine andere Sache, die geistliche Mutterschaft behindert, ist Egoismus. „Ich hab zu viel zu tun.“ „Immerhin hab ich schon meine Kinder großgezogen.“ „Ich bin in Rente – gönnt mir doch meine Ruhe am Strand!“ Das alles sind egoistische Ausreden dafür, sich nicht in das Wachstum einer geistlichen Tochter investieren zu wollen. Naomi, eine der geistlichen Mütter von LaVerne, nahm vor Jahren, im Alter von 48 und nachdem sie sieben eigene Kinder großgezogen hatte, erst einen Pflegesohn und dann noch ihre schon ältere Mutter mit in ihre Familie auf. Von manchen Leuten kriegte sie damals zu hören: „Wäre es nicht an der Zeit, ein bisschen kürzer zu treten?“ Aber diese hingegebene Mentorin fand immer noch die Zeit, sich mit LaVerne zu treffen, um mit ihr zu beten – dafür besorgte sie sich jemand, der sich so lange um ihren Pflegesohn und die alte Mutter kümmerte.
Durch ihre Hingabe hat Naomi bleibenden Eindruck hinterlassen: „Wenn ich keine Lust habe und am liebsten jammern und herummeckern würde“, sagt LaVerne, „habe ich keine Ausflüchte, weil es in meinem Leben eine geistliche Mama gibt, die es alles andere als leicht hat, aber entschlossen ist, in der Freude zu wandeln.“
Um in der Welt von heute eine natürliche oder geistliche Mutter zu sein, braucht man eine ganz spezielle Gnade. Mutter sein ist nicht leicht. Neben der körperlichen Belastung, die der 24-Stunden-Tag einer Mutter mit sich bringt, muss sie auch enorme mentale Kräfte aufwenden. Eine Frau, die das begriffen hat, wird nur allzu gerne zugeben, dass sie absolut auf die Gnade des Herrn angewiesen ist.
So wichtig es auch ist, liebevolle, umsorgende Zweierbeziehungen zu unterhalten – diese Beziehungen müssen sich um die noch wichtigere vertikale Beziehung zu Gott drehen. Eine geistliche Mutter-Tochter-Beziehung muss sich darauf konzentrieren, Gott zu verherrlichen, und sich nach seinem Willen und seinen Zielen richten. In der Küche einer Mutter hängt ein Schild, auf dem steht: „Das Beste, was eine Mutter für ihre Kinder tun kann, ist, ihren Vater zu lieben.“ Diesen Sinnspruch könnte man so übertragen: „Das Beste, was eine geistliche Mutter für ihre geistlichen Kinder tun kann, ist, ihren himmlischen Vater zu lieben!“ Eine solche Beziehung muss ganz und gar darauf ausgerichtet sein, Gott zu verherrlichen.
Das streicht das erste Kapitel des Lukasevangeliums deutlich heraus, in dem wir Zeugen der Unterhaltung zwischen Elisabeth und Maria werden. Elisabeth und Maria hatten eine Menge gemeinsam. Um nur eines zu nennen: beide erlebten sie eine sehr ungewöhnliche Schwangerschaft. Als Maria Elisabeth besuchen kam, hätten sie sich ausgiebig über ihre jeweilige Situation austauschen, über ihre Gefühle reden, sich ineinander einfühlen und sich um ihre eigenen Bedürfnisse drehen können. Doch nein: vom Augenblick ihrer Begrüßung an richteten sie ihre Blicke nach oben. Ihre Beziehung drehte sich nicht darum, was die eine von der anderen brauchte. Gleich einer erfahrenen geistlichen Mutter ermutigte Elisabeth Maria, die daraufhin in einen Lobpreis Gottes ausbrach:
Und es geschah, als Elisabeth den Gruß der Maria hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib; und Elisabeth wurde mit Heiligem Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, wie die Stimme deines Grußes in meine Ohren drang, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und glückselig, die geglaubt hat, denn es wird zur Erfüllung kommen, was von dem Herrn zu ihr geredet ist! Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist hat frohlockt in Gott, meinem Heiland. Denn er hat hingeblickt auf die Niedrigkeit seiner Magd; denn siehe, von nun an werden mich glückselig preisen alle Geschlechter. Denn Großes hat der Mächtige an mir getan, und heilig ist sein Name (Lk 1,41-49).
Sinn und Zweck einer geistlichen Mutter-Tochter-Beziehung ist die Verherrlichung Gottes. Er ist Ihre Hoffnung: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27). Was für ein herrlicher Plan: Christus, der Gesalbte, lebt in Ihnen! Christus ist es, der durch Sie dient. Es geht nicht darum, was Sie für Gott tun, sondern darum, was Gott in Ihnen und durch Sie tut. Wenn Sie zu ihm aufschauen, vollzieht er durch Sie geistliche Mutterschaft.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen in geistlicher Elternschaft
Wie kommt es, dass es Frauen so viel leichter fällt, anderen Frauen zu vertrauen als Männer anderen Männern? Wie machen Frauen das, dass sie praktisch schon beim Betreten eines Raumes offen sind und sich verletzlich machen, indem sie aus ihrem persönlichen Leben und von ihren Familien erzählen – während Männer es maximal fertigbringen, sich über das Fußballspiel von gestern Abend oder die Angeltour von letzter Woche auszutauschen? Gehen Frauen mit Mentorenschaften anders um als Männer? Ich meine, es müsste eigentlich keine Unterschiede geben, und doch scheint es so, dass es den meisten Frauen leichtfällt, Beziehungen einzugehen, aus denen intensives Mentoring erwächst, während das den meisten Männern schwerfällt. Daran ist nichts Verkehrtes; es gibt einfach Unterschiede.
Frauen scheinen so geschaffen zu sein, dass es ihnen von Natur aus leichtfällt, sich auf die Verletzlichkeit einzulassen, auf die eine Mentorenbeziehung aufgebaut ist. Bei Männern ist da ein wenig mehr Überzeugungsarbeit vonnöten. Männer brauchen ein lohnendes Ziel vor Augen. Sie müssen Anfang und Ende überschauen können. Sie brauchen ein Tor, auf das sie zielen können, und eine klare Reaktion von demjenigen, dem sie ihre Zeit widmen. Männer wollen sehen, dass diese Beziehung etwas verändert und zu definierten, messbaren Ergebnissen führt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmte Regeln gelten, und es ist nicht leicht für sie, diese Regeln zu brechen. Solche Regeln sind z. B.: Bringe kein Vertrauen auf, solange dein Gegenüber sich noch nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat. Mach dich nicht allzu früh allzu verletzlich. Achte darauf, dass die Energie, die du in diese Beziehung steckst, in einem vernünftigen Verhältnis zu dem steht, was dabei herauskommt. Pass auf, dass es nicht zu persönlich wird (m. a. W.: Lass dich nicht in etwas hineinziehen).
Zwar hungern Männer nach Freundschaft – aber, wie der Psychologe Dr. Ken Druck sagt: „Wir erlauben es uns nicht, mit Geschlechtsgenossen einfach nur zusammen zu sein, weil wir eben gerne mit ihnen zusammen sind. Es ist nicht ‚sicher’, sich schlicht nach männlicher Gemeinschaft zu sehnen. Wir müssen dieses Gefühl erst legitimieren. Also müssen wir ein Karten- oder Ballspiel oder das eine oder andere Bierchen dazwischenschalten, damit die Begegnung ‚sicher’ wird.“7
Geistliche Väter und Mütter müssen Frieden darüber finden, wer sie sind. Im geistlichen Sinn Vater, Mutter oder eben Mentor zu sein hat nichts damit zu tun, was der Mentor für sich braucht. Viel zu oft werden wir von dem angezogen, was wir meinen, dass wir es bekommen sollten; wenn wir aber so an eine Mentorenbeziehung herangehen, kriegt diese vom Start weg Schräglage. Als Männer müssen wir unsere vorgefassten Meinungen darüber, welche Vorteile uns unsere geistlichen Kinder bringen sollten, ablegen. Der Lohn ist vorwiegend ein ewiger – und selbst an diesen „persönlichen Gewinn“ sollten wir möglichst keinen Gedanken verschwenden.
Viele Male wird uns eine Mentorenbeziehung als Einbahnstraße vorkommen, und sehr oft wird es auch so sein. Warum denn auch nicht? Als Mentor bin ich verantwortlich, die Initiative zu ergreifen: das Telefon in die Hand zu nehmen, Termine anzuberaumen, zu denen wir uns treffen, Anstöße zum gemeinsamen Gebet zu geben, die gemeinsame Lektüre eines Buches oder der Bibel vorzuschlagen. Ich bin der Initiator. Wir müssen Gedanken ablegen wie: „Letztes Mal habe ich ihn angerufen, jetzt ist er mal dran!“ oder: „Wenn ihm unsere Beziehung was wert wäre, könnte er ja auch mal das Essen bezahlen!“
Mir geht es gar nicht darum, dass Männer mit Mentorenbeziehungen so umgehen wie die Mehrzahl der Frauen – ich halte es aber für wichtig, ein paar der Hürden namhaft zu machen, mit denen sich Männer bei dieser Art von Beziehung zweifellos konfrontiert sehen werden. Das Ziel ist nicht, „fraulicher“ zu werden, sondern, so zu werden wie Jesus, dem besten Mentor aller Zeiten. Wenn es Jesus möglich war, die Schranken seiner Männlichkeit hinter sich zu lassen und sich aufs Engste mit seinen Jüngern zu verbinden, dann können wir das auch.8
Der himmlische Vater schuf Mann und Frau unterschiedlich und sagte über diesen Unterschied: „Es ist sehr gut.“ Die Wahrheit ist, dass wir beide Geschlechter brauchen. Männer und Frauen müssen ihr Potential voll ausschöpfen, um Eltern für immer weitere Generationen gesunder geistlicher Kinder zu sein. Werfen wir nun einen genaueren Blick darauf, wie geistliche Eltern durch Mentoring ihre Kinder aufziehen.
Was Eltern für ihre Kinder tun
Ehe Sie ein geistlicher Vater oder eine geistliche Mutter sein können, müssen Sie zuerst Ihre Motive überprüfen. Geistliche Elternschaft ist etwas, das hinter den Kulissen stattfindet. Es ist unwahrscheinlich, dass Ihnen jemand auf die Schulter klopft und sagt: „Mann, du machst da ’nen echt guten Job – bloß weiter so!“ Warum? Weil Vater oder Mutter sein nicht in erster Linie etwas ist, was Sie tun, als vielmehr etwas, was Sie sind. Ich muss niemandem erzählen, dass ich Vater bin. Das wissen die Leute, sobald sie meinem Sohn und meinen drei Töchtern begegnen.
Die Schrift warnt uns davor, uns mit einem beeindruckenden Titel zu schmücken, damit wir Ehrerbietung und Respekt von anderen empfangen: „Ihr sollt auch nicht jemanden auf der Erde euren Vater nennen; denn einer ist euer Vater, nämlich der im Himmel… Der Größte aber unter euch soll euer Diener sein“ (Mt 23,9.11). An mehreren Stellen der Schrift nennt der Apostel Paulus sich selbst einen Vater, aber er gebrauchte das Wort „Vater“ nicht, um damit seine Autorität hervorzukehren, sondern um seine Zuneigung auszudrücken, weshalb er die Brüder der Gemeinde nicht als Söhne anspricht, die ihm zu etwas verpflichtet wären, sondern als seine „geliebten Kinder“ (1 Kor 4,14; eigene Hervorhebung)9. Maßstab der Größe eines geistlichen Vaters ist immer das Maß seiner Dienerschaft und Liebe.
Sehen wir uns an, was ein geistlicher Mentor üblicherweise tut.
Eltern lieben und ermutigen ihre Kinder
Geistliche Eltern lieben ihre Kinder und geben ihnen sanfte Ermutigung, damit sie auf ihrem Lebensweg die richtige Richtung einschlagen. In seinem Brief an die Gemeinde von Thessalonich zeigt der Apostel Paulus, wie sehr er die Thessalonicher als ihr geistlicher Vater liebhatte: „… wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine stillende Mutter ihre Kinder pflegt. So, in Liebe zu euch hingezogen, waren wir willig, euch nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen, weil ihr uns lieb geworden wart“ (1 Thess 2,7 f.). Paulus schätzte die Menschen, deren Mentor er gewesen war, wie eine stillende Mutter, sanft und zart. Wo geistliche Kinder die Zuneigung eines Vaters oder einer Mutter erfahren, erkennen sie das und reagieren darauf.
Mit einem reifen geistlichen Elternteil an ihrer Seite wachsen Kinder rasch heran und lernen schnell und natürlich durch das Beispiel, das sie sehen. Ein Vater oder eine Mutter lehrt, übt ein, gibt ein gutes Beispiel und ist ein Vorbild. Ein geistlicher Vater oder eine geistliche Mutter schärft bei seinen bzw. ihren Kindern das Bewusstsein für Haltungen und Verhaltensweisen in ihrem Leben, die der Veränderung bedürfen. Er bzw. sie hilft ihnen, ihr Leben ehrlich zu betrachten und gewisse Schritte zu tun, damit sich ihr Handeln und ihr Verhalten verändern kann. Nur wenn ein geistliches Kind weiß, dass es geliebt und angenommen ist, hat es die Zuversicht, die es braucht, um Veränderungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die ihm nicht leichtfallen.
Eltern rechnen damit, dass ihre Kinder wachsen
Eltern rechnen in jeder Hinsicht mit dem Wachstum ihrer Kinder: körperlich, geistlich, mental und emotional. Im natürlichen Lauf der Zeit und mithilfe von viel Liebe und dem richtigen Maß an Übung erwartet man von Kindern, dass sie zu gesunden Erwachsenen heranreifen und sich ablösen, um ihre eigenen Familien zu gründen.
21 Jahre nach der Geburt unseres ersten Kindes schritt ich mit meinem ehemaligen „Baby“ am Arm den Mittelgang einer Kirche entlang, um sie zu ihrem Bräutigam zu führen. Mir ging auf, dass ich in den dazwischen liegenden Jahren die ganze Mühe, Zeit und Geld investiert hatte, nur um sie jetzt ihrem Verlobten zu übergeben! Wir zogen sie auf, um sie wegzugeben. Mittlerweile haben sie und ihr Mann drei eigene Kinder und nehmen die Gelegenheit wahr, Eltern zu sein und die nächste Generation zuzurüsten. Elternschaft dreht sich voll und ganz darum, ein Vermächtnis weiterzugeben. Zu geistlicher Elternschaft gehört ein ganzes Paket an Liebe, Übung, Vorbild, Weitergabe und Multiplikation, und das alles in der Erwartung, dass deine Kinder heranwachsen, um das Rad von neuem zu drehen.
Im Kolosserbrief lesen wir, wie Paulus dem Epaphras Vaterschaft vorlebte, indem er sich in einer Zeit der Not zur Verfügung stellte. Es scheint, als wäre Epaphras zum Glauben gekommen und hätte das Evangelium nach Kolossä gebracht. Dank seiner früheren Beziehung zu Paulus suchte Epaphras diesen in Rom auf, um seinen bewährten Rat hinsichtlich der Irrtümer einzuholen, die die Gemeinde der Kolosser bedrohten. In Reaktion darauf schrieb Paulus seinen Brief, den Brief eines Vaters, der tiefen Anteil am Ergehen seiner Kinder nahm. Diesen väterlichen Brief konnte Paulus schreiben, weil er aufgrund seiner Beziehung zu Epaphras eine geistliche Verantwortung für sie empfand (vgl. Kol 1,7-8). Eltern, die auf diese Weise Elternschaft vorleben, erhalten durch ihre Söhne und Töchter ein Vermächtnis aufrecht, indem diese ihrerseits lernen, anderen Eltern zu sein, um sie ins Reich Gottes zu führen.
Mein Freund, der Schriftsteller Peter Bunton, verfügt über jahrelange Erfahrung im Training und Mentoring junger Menschen. Er sagt Folgendes darüber, wie man geistlichen Kindern zur Reife verhilft: „Ein geistlicher Vater oder eine geistliche Mutter sollte bereit sein, Menschen mit verschiedenen Persönlichkeiten und Begabungen zu betreuen. Manchmal braucht man einen Mentor, der ganz anders ist als man selbst, damit man als geistlicher Sohn oder geistliche Tochter Facetten seines geistlichen Dienstes entdeckt, die man sonst gar nicht so im Blick hätte. Der Prüfstein dafür, wie sicher jemand in seiner Rolle als geistlicher Vater ist, besteht darin, ob er jemandem weiterhelfen kann, der begabter ist als er selbst!“
Ich stimme Peter zu. Natürliche Eltern hegen im Allgemeinen den Wunsch, dass ihre Kinder im wahrsten Sinne des Wortes „Größe“ erlangen, mit der sie Gottes Erde zu einem besseren Ort machen. Ebenso sollten geistliche Eltern den Wunsch haben und auch erwarten, von ihren geistlichen Kindern geistlich weit überholt zu werden. Egal, ob das geistliche Kind ohnehin schon reich begabt ist oder viel von dem profitiert, was ihm der Vater bzw. die Mutter beispielhaft vorlebt: die größte Freude des Mentors sollte es sein, den Erfolg seiner Kinder miterleben zu dürfen.
Eltern setzen ihren Kindern ein Beispiel
Wenn Menschen in Gott wachsen sollen, brauchen sie jemanden, der die Wahrheit in ihr Leben hineinspricht und ihnen ein Vorbild dafür ist, was es heißt, im Glauben zu wandeln. „Gedenkt eurer Führer, die das Wort Gottes zu euch geredet haben! Schaut den Ausgang ihres Wandels an, und ahmt ihren Glauben nach!“ (Hebr 13,7). Wenn Mentoren denen, denen sie dienen, ein wahrhaftiges und gottgefälliges Beispiel vorleben, werden ihre Schützlinge sie nur allzu gern nachahmen. Daraus entsteht ein Vermächtnis geistlicher Elternschaft.
In 1. Thessalonicher 2,11 erinnert Paulus die Gemeinde daran, dass er ihr als Vater ein Beispiel gesetzt hat, indem er jeden Gläubigen ermahnte, tröstete und beschwor „wie ein Vater seine Kinder“. Geistliche Mentoren sind Vorbilder zum Nacheifern, damit jüngere Christen heranwachsen und selbst zu fürsorglichen und ermutigenden Erwachsenen werden und schließlich zu fähigen, gesunden Eltern. Es ist kein Geheimnis, dass Kinder aus gesunden, liebevollen Familien zu gesunden, liebevollen Eltern heranwachsen. Anderen ein Beispiel zu geben, das sie nachahmen und nachvollziehen können, ist ein wichtiger Aspekt geistlicher Elternschaft.
Eltern lassen ihre Kinder spüren, dass sie wichtig sind
Ein Ziel eines Vaters oder einer Mutter besteht darin, der Tochter oder dem Sohn ein gesundes Selbstwertgefühl mitzugeben. In seinem Buch Seven Things Children Need („Sieben Dinge, die Ihr Kind braucht“) sagt John Drescher, jedes Kind möchte wahrgenommen und als wertvolle Persönlichkeit anerkannt werden:
Wir können fast unmöglich mit uns selbst leben, wenn wir den Eindruck haben, dass wir wenig wert sind, oder wenn wir uns nicht mögen … Wer sich wie ein Niemand fühlt, wird wenig zum Leben beitragen. Dies müssen wir nachdrücklich betonen, da die große Plage der Minderwertigkeitsgefühle schon früh im Leben anfängt. Wir Menschen brauchen es, beachtet, geschätzt und geliebt zu werden, wie wir sind, um das Gefühlt zu haben, wichtig zu sein.10
Vor einigen Jahren erzählte mir ein junger niederländischer Gemeindegründer namens Bert, wie dankbar er für die geistlichen Väter und Mütter sei, die an ihn und seine Frau geglaubt und auf dem Missionsfeld großen Einfluss auf ihr Leben ausgeübt hatten. „Geistliche Mentoren“, betonte er, „arbeiten daran, ein Christus-Wertgefühl in uns aufzubauen, sodass unsere Identität, unsere Sicherheit, unsere Selbsteinschätzung, unser Wert und unsere Bestimmung in Christus gegründet sind.“
Leiter werden oft erst dadurch zu Leitern, dass jemand an ihre Leiterschaft glaubt. Vor Jahren hatten wir in unserer Kleingruppe einen Gläubigen, der dachte, er könne vor anderen nicht laut beten. Keith gestand, er fühle sich minderwertig unter all den reiferen Christen, denen die Gebete so leicht von den Lippen kamen. Ich gab ihm nicht irgendein Patentrezept mit auf den Weg, sondern sah Potential in ihm und ermutigte ihn, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Eines Tages drängte er mich: „Fordere mich zum Beten auf, wenn ich gerade überhaupt nicht damit rechne!“ Das tat ich nur allzu gern! Schon bald darauf bat ich Keith an einem Hauskreisabend, unsere Gebetsgemeinschaft mit einem Gebet aus einem einzigen Satz zu eröffnen. Es war ein Anfang, und Keith betete, weil ich glaubte, dass er es konnte. Das Vertrauen, das ich zu ihm hatte, half ihm, seine Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden. Er schritt dann weiter voran, wurde Kleingruppenleiter und später Diakon in seiner Ortsgemeinde.
Geistliche Kinder werden an Verantwortung und Leistung zunehmen, wenn jemand an sie glaubt. Eltern müssen ihre Kinder im Licht dessen sehen, was aus ihnen werden kann.
Eltern geben ihren Kindern einen sicheren Ort
Gott möchte Beziehungen schaffen, in denen geistliche Väter und Mütter ihren geistlichen Kindern ein Gefühl des Beschütztseins vermitteln, sodass sie als Christen heranreifen können. Als Eltern ist es uns wichtig, unsere natürlichen Kinder vor all den Verrücktheiten der Welt um sie herum zu beschützen. Wir wollen, dass sie wissen: Wie schrecklich es in der Welt auch werden mag, für sie gibt es immer Trost und Schutz bei einem Gott, der tiefen Anteil an ihnen nimmt und möchte, dass sie Risiken eingehen und Erfolg haben.
In gleicher Weise müssen geistliche Kinder sich so sicher fühlen, dass sie auch Fehler machen und Zuflucht vor den Übeln der Welt finden können. Geistliche Kinder brauchen von ihren Eltern Schutz, Fürsorge, Aufmerksamkeit, Führung und Ermutigung.
Geistliche Eltern: eine Definition
Geistliche Väter und Mütter können wir als Mentoren oder auch Coaches bezeichnen, weil sie Söhnen und Töchtern helfen, mit den Hindernissen umzugehen, mit denen sie auf ihren geistlichen Lebenswegen konfrontiert sind. Ein Coach ist jemand, der einen siegen sehen möchte. Ein Coach sagt einem, dass man es schaffen kann. In schlichten Worten lautet meine Lieblingsdefinition von geistlicher Elternschaft so:
Geistliche Eltern helfen geistlichen Kindern ihr gottgegebenes Potential zu erreichen.
So unkompliziert ist es, und genauso elementar. Bobb Biehl drückt es so aus: „Mentoring hat mehr mit ‚Wie kann ich dir helfen?’ als mit ‚Was könnte ich dir beibringen?’ zu tun.“11
Natürlich lehren geistliche Eltern auch geistliche Wahrheiten, aber sie verwenden mehr Energie dafür, sich um den Sohn bzw. die Tochter zu kümmern und ihnen in den vielen verschiedenen Aspekten ihres Lebens weiterzuhelfen. Eine geistliche Elternbeziehung kann niemals eine formelle Lehrer-Schüler-Beziehung sein, denn Elternschaft ist per Definition und auch ganz praktisch informelle Interaktion, wie sie sich entlang der Haupt- und Nebenstraßen des Lebens mit größter Selbstverständlichkeit vollzieht: Elternschaft ist ein Lebensstil.
1 Kool-Aid ist ein in den USA weitverbreitetes Erfrischungsgetränk. – Anm. d. Übersetzers.
2 Robert Stearns, Bereitet den Weg, Teamwork 17.12, Rosbach-Rodheim 2000, S. 140.
3 David Cannistraci, Apostolische Leidenschaft, Fürth 2001, S. 134/135.
4 Ken R. Canfield, Safe in a Father’s Love, Charisma 6/1991, S. 68-71.
5 Cannistraci, S. 139.
6 Susan Hunt, Spiritual Mothering, Wheaton, IL 1992, S. 12.
7 Ken Druck, The Secrets Men Keep, New York 1987.
8 Mehr zum Jesus-Modell des Mentorings lesen Sie in Kapitel 9.