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Begeistert und sprudelnd vor Lebendigkeit verliebt sich Hannah, »die Grüne« genannt – sie trug oft ein schönes Kleid dieser Farbe –, in den Professor, der seinerseits leidenschaftlich angezogen wird durch ihre Schönheit und die Tiefe ihres Denkens. Die geheime Idylle beginnt im Februar 1924; Hannah ist achtzehn Jahre alt, Martin Heidegger fünfunddreißig. Der vor kurzem publizierte Briefwechsel von Hannah Arendt und Heidegger ergänzt das polemische Buch von Elzbieta Ettinger und ermöglicht es, die Kraft dieser Verbindung nachzuvollziehen, der nur noch ihre eigene Unmöglichkeit gleichkommt.21 Heidegger, mit Elfriede verheiratet – einer dynamischen Frau mit nationalsozialistischer Gesinnung und dabei einigermaßen »feministisch« – und Vater von zwei Söhnen, hat keineswegs die Absicht, sich scheiden zu lassen. Dennoch beseelt eine intensive Leidenschaft den Professor. So kann man folgenden Absatz in einem Brief aus der Hand Heideggers vom 13. Mai 1925 lesen:
»Diesmal versagt sich mir alle Rede – und ich kann nur weinen, weinen – und das Warum hat auch keine Antwort – und versinkt – vergeblich wartend – im Danken und Glauben. […] Und Deine große Stunde – wo Du eine Heilige wirst – wo Du ganz offenbar wirst. Die Linien Deines Gesichtes sich straffen – gedrängt von der inneren Kraft einer – Sühne, die Dein Leben trägt. Kind – daß Du das kannst – und darin ehrfürchtig und groß geworden bist. Der Ehrfurcht erschließt sich das Leben – und gibt ihm Größe.«22
Codiertes Ritual der heimlichen Treffen; Entfernung Hannahs nach Heidelberg, wo sie – aus offensichtlichen gesellschaftlichen und deontologischen Gründen – unter der Leitung von Karl Jaspers, Korrespondent und Freund Heideggers, an ihrer Doktorarbeit schreibt; die Komplexität dieser Beziehung verzehrt die Studentin. Verletzt, jedoch stolz, verteidigt sich die junge Muse, so gut sie kann. Sie schützt sich hinter einem Schild von Freunden und Liebhabern: Hans Jonas, Zionist; Erwin Löwensohn, Essayist und expressionistischer Schriftsteller; Benno von Wiese, der Nationalsozialist wird und nach dem Krieg als herausragender Professor deutsche Literatur an der Bonner Universität lehrt; und Günter Stern, den sie 1929 heiratet. Günter Stern ist ebenfalls Schüler Heideggers und arbeitet an einer Dissertation über die Philosophie der Musik, die ihm die Kritik Theodor Adornos einträgt, bevor das Vordringen des Nationalsozialismus sich für seine Universitätslaufbahn als fatal erweisen wird.
Heidegger tut so, als ob er nicht versteht, daß diese Verteidigungsstrategie ein glühender Appell an seine ausschließliche Liebe ist, die ihr zu gewähren für ihn nicht in Frage kommt. Die künftige Philosophin gibt sich daraufhin jener Melancholie hin, die sie bereits in »Traum«, »Müdigkeit« und »Adieu« (1923–1924) ausgedrückt hatte, Gedichte, die auf ihre Beziehung mit Ernst Grumbach anspielten. 1925 schickt Hannah Heidegger ein Selbstporträt in Die Schatten, dem im folgenden Jahr weitere Gedichte folgen. In der dritten Person und in Heideggers Vokabular verfaßt, versuchen diese Verse, ihre Angst zu zähmen, ihre Gefühle der Fremdheit und Entfremdung in der Welt ebenso wie das bittere Bewußtsein ihrer Andersartigkeit. Eine grausame Angst, eine schreckliche Phobie – »In diesem Zustand überfiel die Hingestreckte die Angst vor der Wirklichkeit, diese sinn- und gegenstandslose, leere Angst, vor deren blindem Blick alles Nichts wird, die Wahnsinn, Freudlosigkeit, Bedrängung, Vernichtung bedeutet […] mit fast sachlich abwägender Erwartung irgendeiner Roheit […] es sei sie versuchte in gefügiger Freundlichkeit sich anzuschmiegen, blass und farblos und mit der versteckten Unheimlichkeit eines über den Weg huschenden Schattens« –, kaum moduliert von der Eitelkeit der Liebenden, die befürchtet, wegen ihrer erotischen Geschichte könnten die anderen denken, daß sie »hässlicher und gewöhnlicher wurde bis zur Stumpfheit und Zuchtlosigkeit«.23
Die Niederschrift der Vita der Rahel Varnhagen kommt gerade recht: Indem sie sich in dieser Biographie entwirft, indem sie das Leben einer anderen enttäuschten Liebhaberin erzählt, einer assimilierten Jüdin, die schließlich zur »bewußten Paria« wird, und indem sie an ihre Ursprünge anknüpft, scheint Hannah Arendt einen kathartischen Akt zu vollziehen, wenn nicht gar einen selbstanalytischen. Parallel und dank des Einflusses von Kurt Blumenfeld und seiner zionistischen Freunde wird sie sich des Ernstes der politischen Situation in Deutschland bewußt und schließt sich schrittweise dem Lager des Widerstandes an: In Berlin beteiligt sie sich an der Rettung von Regimegegnern, hilft im Frühjahr 1933 Kommunisten, übernimmt einen Auftrag der Deutschen Zionistischen Vereinigung, wird von der Polizei verhaftet und kann – wie durch ein Wunder – fliehen. Im August 1933 verläßt sie schließlich Deutschland, um mit ihrer Mutter nach Frankreich zu gehen.
In diesem Frühjahr 1933 löst Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg seinen sozialdemokratischen Vorgänger ab, der entlassen wird, weil er sich geweigert hatte, jene Mitteilung zu plakatieren, die den Juden die Lehre verbietet. Heidegger glaubt, die Kultur zu retten, wenn er diese »Rettung des Seins«, für die ursprünglich allein seine philosophische Meditation zuständig war, auf das nationalsozialistische Projekt und den Kult des Volkes überträgt.
Hannah hatte sich 1929 verheiratet, ihre Beziehungen zu Martin brachen 1930 ab.24 »Daß Du jetzt nicht kommst – ich glaube, ich habe verstanden«, hatte sie ihm im April 1928 geschrieben. »Der Weg, den Du mir zeigtest, ist länger und schwerer als ich dachte. Er verlangt ein ganzes Leben.« Hannah erklärt sich bereit, diesen Weg der Einsamkeit zu gehen, da er ihr »die einzige Lebensmöglichkeit« zu sein scheint. Für sie heißt Leben Heidegger lieben: »Ich hätte mein Recht zum Leben verloren, wenn ich meine Liebe zu Dir verlieren würde.« Ohne das gewöhnliche Deine Hannah beendet sie ihren Brief wie folgt: »Und wenn Gott es gibt / Werd ich Dich besser lieben nach dem Tod.«25
Hannah Arendt wird dieses Versprechen halten, dessen Sinn sich in und mit der Zeit wandeln wird: Zunächst engagiert sie sich im politischen Kampf und in einer Reflexion, die keine Gemeinsamkeiten mit der philosophischen Arbeit Heideggers aufweist; im letzten Teil ihres Lebens schließt sie sich seinen grundsätzlichen Überlegungen in wachsamer, vielleicht auch ironischer, aber ganz sicher divergierender Nähe an, was sie dazu führt, eine echte Dekonstruktion des Denkens des Seins durchzuführen. Man könnte sich fragen, ob nicht eine gewisse weibliche Abhängigkeit, im Sinne einer unterwürfigen Passivität, diesen Weg heimlich begleitet. Tatsächlich distanziert sich Arendt nach dem Krieg deutlich von Heidegger26, den sie für die Entlassung Husserls an der Universität Freiburg verantwortlich macht – ein Irrtum, den Jaspers im Briefwechsel korrigiert.27 Sie legt Wert darauf, diesem mitzuteilen, daß sie ohne Einschränkung die Pathologie der Person Heidegger und sein Desinteresse an ihrem Werk, dem Werk einer Frau, verurteilt: »Mir hat immer geschienen, daß Heidegger in dem Moment, wo er seinen Namen unter dies Schriftstück zu setzen hatte, hätte abdanken müssen. Für wie töricht man ihn auch halten mag, diese Geschichte konnte er verstehen. […] kann ich nicht anders, als Heidegger für einen potentiellen Mörder zu halten. […] Nichts als törichte Lügnereien, mit einem, wie mir scheint, ausgesprochen pathologischen Einschlag.«28 »Ich habe ihm gegenüber mein Leben lang gleichsam geschwindelt, immer so getan, als ob all dies nicht existiere und als ob ich sozusagen nicht bis drei zählen kann, es sei denn in der Interpretation seiner eigenen Sachen; da war es ihm immer sehr willkommen, wenn sich herausstellte, daß ich bis drei und manchmal sogar bis vier zählen konnte. Nun war mir das Schwindeln plötzlich zu langweilig geworden, und ich habe eins auf die Nase gekriegt. Ich war einen Augenblick lang sehr wütend, bin es aber gar nicht mehr, bin eher der Meinung, daß ich es irgendwie verdient habe – nämlich sowohl für Geschwindelt haben wie für plötzliches Aufhören mit dem Spiel.«29
Dennoch besucht sie ihn 1950 und auch 1952. Sie führen erneut einen Briefwechsel, und von 1967 an bis zu seinem Tod 1975 begibt sich Arendt jedes Jahr nach Deutschland, um Heidegger zu sehen. Seine Briefe zeigen ihn gerührt und besonders beeindruckt durch die Beziehung, die er zwischen Hannah Arendt und Elfriede Heidegger, seiner Gattin, zu fördern sucht. Nachdem er an die Rolle seiner Frau Elfriede bei der Errichtung seiner Arbeitsstätte, der »Hütte«, erinnert hat und sich auf das neue vorausgesetzte – gewünschte – Verstehen zwischen Elfriede und Hannah bezieht, schreibt Heidegger am 8. Februar 1950: »So mag der gewordene Einklang künftig eingetönt werden in den warmen Ton der Holzwände dieser Stube. Ich bin froh, daß Dein Herdenken sich jetzt im Einblick in diese Werkstatt und durch ihren Ausblick auf die Wiesen und Berge bewegen kann.«30
Einen Monat später, am 19. März 1950, kommt Heidegger auf Hannahs ersten Besuch nach dem Krieg zurück: »Ich wußte dies, als ich Dir am 6. Februar wieder gegenüber stand und ›Du!‹ sagte. Ich wußte, daß jetzt für uns ein neues Wachstum beginne, aber auch die liebende Mühe, alles in ein offenes Vertrauen zu pflanzen. Wenn ich Dir sage, daß meine Liebe zu meiner Frau jetzt erst wieder ins Klare und Wache gefunden, so danke ich es ihrer Treue und ihrem Vertrauen zu uns und Deiner Liebe.«
Heidegger beschwört Hannah, sich seiner Gattin zu nähern: »Ich brauche ihre Liebe, die still die Jahre hindurch alles getragen hat und zu wachsen bereit geblieben ist. Ich brauche Deine Liebe, die, in ihren frühen Keimen geheimnisvoll gewahrt, das Ihre aus ihrer Tiefe bringt. So möchte ich auch eine stille Freundschaft zu Deinem Mann im Herzen nähren, der Dir in diesen leidvollen Jahren Gefährte wurde.«31 Zu dieser Idylle zu viert kommen die Landschaftsklischees, die die deutsche Erde feiern: »Denke, Hannah, wenn die große Stadt allzu rasend an Dir reißt, an die steilen Tannen, die auf den winterlichen Bergen vor uns in die leichte Luft der mittäglichen Höhe ragten.«32
Das grüne Kleid ist jetzt plötzlich braun. Am 12. April 1950 betont der treu sein wollende Liebhaber in seltsamer Weise die Symbolik der … braunen Farbe und ihrer erdhaften Konnotationen, wobei er das Wiederfinden in Freiburg mit ihrer ersten Begegnung fünfundzwanzig Jahre zuvor in Marburg in Zusammenhang bringt: »Als Du beim ersten Wiedersehen in Deinem schönsten Kleid auf mich zukamst, schrittest Du gleichwohl für mich durch die vergangenen fünf Jahrfünfte. Hannah – kennst Du das Braun eines frisch umgepflügten Ackers im Lichte der Abenddämmerung? Alles überstanden und zu allem bereit. Für jenen Augenblick des Wiedersehens bleibe Zeichen mir Dein braunes Kleid. Dieses Zeichen werde uns immer zeigender.«33
1969 veröffentlicht Arendt »Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt«, einen Text, der »den Wind seines Denkens« und seiner Gefahren lobt, jedoch unter der Hommage den Hinweis auf den skandalösen Kompromiß von Denkern wie Platon und Heidegger mit Tyrannen und Diktaturen kaum versteckt. Im Lauf der Jahre bemüht sich Arendt, das Denken Heideggers in den Vereinigten Staaten zu verteidigen und bekannt zu machen. Sie widersteht den gegen ihn gerichteten Angriffen und entwickelt ihr eigenes Werk in enger Beziehung zu dem ihres Lehrers: »…es […] schuldet Dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles«, schreibt sie ihm anläßlich der Vita activa34, und auf einem getrennten Blatt, das sie nicht abschickt, heißt es: »Re Vita activa: / die Widmung dieses Buches ist ausgespart. / Wie sollte ich es Dir widmen, / dem Vertrauten, / dem ich die Treue gehalten / und nicht gehalten habe, / Und beides in Liebe.«35 So wie sie zuvor die »Falle« des »Fuchses« befragte.36
Treu und untreu: So entdecken wir sie, ihrer intellektuellen Erfahrung folgend. Als Kontrapunkt zur Einsamkeit des Daseins entwickeln die Schriften von Arendt ein Denken des Lebens und der Tat, das bescheiden scheinen mag, verglichen mit dem Ruhm des Seins in seiner Lichtung. Nichtsdestotrotz bleibt das Arendtsche Abenteuer kühn verglichen mit den Sackgassen des »professionellen Denkers« und seines »Werkes«, wenn diese wagen, sich der Pluralität der Welt zu stellen.
Im Augenblick jedoch befinden wir uns im Jahre 1933: Das Leben der jungen Philosophin verschmilzt mit der Geschichte ihres Volkes und der Völker des zwanzigsten Jahrhunderts, ohne daß Hannah aufhört, die Existenz einer begehrenden, ihre Leidenschaften erzählenden Frau zu führen. Sie gesteht sie indirekt, wenn sie von den Leidenschaften Rahels37 berichtet. Schließlich werden sie Teil einer einzigartigen Mischung von Selbstverleugnung und Sublimierung in ihrer Meditation der conditio humana. Ihre intellektuelle Erfahrung offenbart sich schlicht als durchdachtes Leben, das heißt als durch die Arbeit, das Werk und vor allem das Handeln der Biologie entrissenes Leben, in dem jene höchste Form der menschlichen Existenz – das plurale und unvollendete Denken – gipfelt: wenn, und nur wenn es in einer vielfältigen und widersprüchlichen Welt geteilt wird. »Die Welthaftigkeit der Lebewesen bedeutet, daß kein Subjekt nicht auch Objekt ist und als solches einem anderen erscheint, das seine ›objektive‹ Wirklichkeit gewährleistet.« Und in Vom Leben des Geistes schreibt sie, daß die »Mehrzahl […] das Gesetz der Erde« sei.38
Arendt begegnet Heinrich Blücher (1899–1970) zu Beginn des Frühlings 1936 in Paris. Man kann beim Lesen ihrer Skizze des Porträts von Leo Jogiches, des Gefährten von Rosa Luxemburg, erraten, wie sie ihn wahrnimmt: »In Rosa Luxemburgs Augen war er entschieden masculini generis, was für sie von großer Bedeutung war. […] in einer Ehe ist es nicht immer einfach, die Gedanken der einzelnen Partner auseinanderzuhalten.«39 Schwer einzuordnen, war Blücher nacheinander: Kommunist, Spartakist, verhinderter Revolutionär, Freund von Kurt Blumenfeld, zionistischer Parteigänger, ohne Jude zu sein. Die Biographen stimmen jedenfalls darin überein, ihn als einen Anarchisten zu definieren. Zweimal verheiratet, bevor er Hannah heiratet, Autodidakt mit weiter politischer und künstlerischer Bildung, wird dieser Drahtzieher – ein Beruf, den er gern in seinen Ausweisen angab – in den Vereinigten Staaten Philosophieprofessor. Blücher – »masculini generis« – vervollkommnete die politische Bildung Hannahs, indem er ihr Marx und Lenin zu lesen gab, aber vor allem erlaubte er ihr, ihr Gefühlsleben zu stabilisieren und sich ganz dem Denken zu widmen, doch stets in Kontakt mit der Welt des Lebens, wie der Briefwechsel40 der beiden Liebenden, die bald Ehegatten sein sollten, zeigt. Fand der strippenziehende Bohemien einen Gleichklang mit dem kleinen überschwenglichen Mädchen von vor dem Tod ihres Vaters? Unser Kind erzählt, daß sie zu ihrem sechsten Geburtstag ein Puppentheater bekommen hatte. Das kleine Mädchen hatte ein so kompliziertes und leidenschaftliches Schauspiel erfunden, daß es mit einem Tränenausbruch endete!
Heinrich Blücher war überaus vielseitig und einfallsreich – eine Zeitlang war er Assistent des von Adler beeinflußten Psychoanalytikers Fritz Fränkel gewesen und rühmte sich, eine depressive Hysterikerin ohne irgendeine Interpretation geheilt zu haben: Er hatte einfach das Bett, von dem die Kranke sich angeblich nicht erheben konnte, mit Kerosin übergossen und angezündet. Ebenso wirksam gelang es Blücher, wie es scheint, die berühmten morgendlichen Melancholien von Hannah zu heilen, die einst ihre Mutter in Angst versetzten: Er achtete überhaupt nicht auf sie, sondern schlief skrupellos weiter. Die Krankheit als Erpressung der Mutter: Blücher machte sich nichts vor. Wie man weiß, hat Hannah Arendt indessen die Psychoanalyse zeit ihres Lebens verachtet …
Arendt gelingt es, nach fünf Wochen aus dem Lager von Gurs zu fliehen, in dem sie gemeinsam mit den »Ausländern deutscher Herkunft« interniert war, worauf sie Blücher 1940 in zweiter Ehe heiratet. Der fehlende Mann, dessen »Schatten« die Kindheit und Jugend der jungen Hannah verdunkelte, ist endlich wiedergefunden. Fremd, Fremder: Nicht-Jude, Deutscher und Proletarier, war das nicht die Voraussetzung, sie nicht zu erdrücken, die Entfaltung ihrer eigenen Männlichkeit, aber auch ihrer wahren Weiblichkeit zu ermöglichen?
»… ich habe immer gewußt – schon als Gör –, daß ich wirklich nur existieren kann in der Liebe. Und hatte gerade darum solche Angst, daß ich einfach verloren gehen könnte. […] als ich Dich dann traf, da hatte ich endlich keine Angst mehr […] Immer noch scheint es mir unglaubhaft, daß ich beides habe kriegen können, die ›große Liebe‹ und die Identität mit der eigenen Person. Und habe doch das eine erst, seit ich auch das andere habe. Weiß aber nun endlich auch, was Glück eigentlich ist.«41 Die Liebe und das Vertrauen lösen die archaische Angst auf, die Hannah seit dem Tod ihres Vaters gefangenhielt und die das Verhältnis mit Heidegger keineswegs erleichterte, sondern vielmehr verschärfte. In einer Mischung aus schamhafter Zurückhaltung und Aufrichtigkeit drückt Hannah Arendt ihr sinnliches und persönliches Aufblühen aus, worauf der Liebende antwortet: »Ich habe Dir gezeigt, was Glück ist? Ich mache Dich glücklich wie Du mich? Denn Du bist doch mein Glück, also habe ich Dir etwa Dich gezeigt? Du wurdest die Du bist? Ich auch. Ich habe Dich also, mein Kleines, aus einem Mädchen zum Weib gemacht? Wie wunderbar – wie habe ich das bloß gemacht, denn ich wurde ja erst durch Dich richtig zum Mann.«42 Ein Jahr zuvor hatte er zärtlich seine Achtung ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht: »Ja, natürlich sollst Du mir alles zumuten, was Du Dir zumuten kannst, und sollst mich so behandeln, wie Du Dich behandelst – nur sollst Du Dich eben etwas besser behandeln; das aber will ich wenigstens tun: Dich etwas besser behandeln als Du Dich selbst. Bedaure mich nicht wegen der 10 Jahre usw. Ich weiß, was ich habe und was Du als Frau bist und weiter sein und weiter werden wirst, laß das doch mich beurteilen, denn was kannst Du davon schon wissen.«43 Und sie: »Und bei der Liebe der andern, die mich für kalt erklärten, dachte ich immer: habt ihr’ne Ahnung, wie gefährlich das ist und für mich wäre.«44 Oder er, wiederum die beiden Seiten seiner Frau hervorhebend: »So habe ich beides, ich habe Dich so unabhängig und frei, wie ich Dich als Mensch mag, und ich habe Dich so abhängig, wie ich Dich als Weib will.«45 Trotz mütterlicher Mißbilligung – oder gerade deswegen? – ist Hannah überglücklich: Dem wunderlichen Blücher gelingt es, Geliebter, Freund, Gatte, Bruder und Vater zu sein. Als er stirbt, wünscht sich Hannah für ihn, der nicht Jude war, ein Begräbnis mit Kaddisch.
Frei und unabhängig gründen Blücher und Arendt die Beziehung auf ihre sexuelle und intellektuelle Autonomie und zugleich auf eine tiefe Übereinstimmung. Stets betonen sie, wie glücklich diese Wahl ist, ungeachtet ihrer Gefahren und Schwierigkeiten. Trotzdem verletzen die Frauenbeziehungen Blüchers Hannah, der es jedoch gelingt, sich zu beherrschen und an das Wesentliche zu halten. »Meine Schöne, welches Glücksgeschenk, ein Gefühl zu haben, von dem man so stark fühlt, daß es das ganze Leben lang hält und sich nicht ändern wird, es sei denn, daß es noch zunimmt.«46 Oder auch: »Nun noch ein Hauptgrund für meine Liebe: Unsere Ansichten über die großen Fragen des Lebens sind immer die gleichen. Es gibt keine Differenzen zwischen uns. So ist es, und so wird es bleiben.«47
Das Exil verstärkt noch diese Übereinstimmung und erklärt das Bedürfnis Hannahs, sich hinter den »vier Wänden« des Paares zurückzuziehen: » Stups – um Gottes willen die vier Wände, die Du bist.«48 »Glaub mir, mein Herz, die Weiber können nur in einer Ehe leben.«49 Und Blücher, der nie schreibt, gibt diese schöne Definition vom Paar, zögernd, ironisch, aber nichtsdestotrotz überzeugt: »als magische Formel meine Definition der Ehe […]: die Ehe verdoppelt alles. Es ist eine wahrhaft lebendige Formel, denn sie enthält genau soviel Ernst und Ironie wie das Leben selbst. Wer möchte wohl ein einfaches Leben leben, wenn er ein doppeltes haben kann, und andererseits, wer glaubt denn, er könne so etwas wirklich wagen? […] eines ist richtig. Hat man einmal angefangen, doppelt zu leben, so halbiert einen die Trennung. Du hast keine Ahnung, und auch ich hatte keine richtige, wie du mir fehlst. Es gab diesmal keine Freude am Alleinsein, nicht einen Tag lang. […] Einsamkeit, wie wir sie uns gegenseitig garantieren, und Einsamkeit, in der wir uns gemeinsam der Welt gegenüber befinden mögen – beide Arten sind auf der stillschweigenden Grundlage der Zweisamkeit errichtet.«50
Vom Verhältnis zwischen Hannah und dem Weisen von Todtnauberg erfuhr Blücher erst spät, vermutlich nach dem Krieg, als Heidegger des Nazismus angeklagt wurde. Blücher scheint die Intensität der Beziehung unterschätzt zu haben, es sei denn, der »Drahtzieher« hielt vorgetäuschte Gleichgültigkeit für eine notwendige List, damit das Paar fortdauern und Hannah die Konfrontation mit dem Denken Heideggers gut zu Ende führen könne, die sie so beschreibt: »ich bin eindeutig denen beigetreten, die jetzt schon einige Zeit versuchen, die Metaphysik […] zu demontieren.«51
Allerdings hatte ihre Art »beizutreten« nichts von Unterordnung. Hannah war keineswegs gehorsam und behauptete sich in allen möglichen vielfältigen Handlungen, auf diese Weise ihr anderes Denken und Urteilen betonend, besonders und vor allem gegenüber Heidegger. Die Forderung nach Singularität schien ihr der Gipfelpunkt des menschlichen Lebens zu sein (sie führte sie auf Duns Scotus zurück, den sie häufig und mit Nachdruck herausstellte), ohne sie jedoch irgendwann als Forderung nach weiblicher Differenz zu formulieren.
Leidenschaft für Politik und Vorliebe für das Erscheinen als Sonnenseite der Persönlichkeit Arendts seit ihrer Geburt entfalten sich also im Kontakt mit Blücher. Zwischen der Einsamkeit des weisen Philosophen, der sich in der Geschichte irrt (Heidegger), und dem Feuer des ungestümen Komödianten, der sich in der Politik irrt, wobei er allerdings die Authentizität eines Lebens in Aufruhr sichtbar macht (Blücher), beschränkt sich Hannah nicht darauf, zu wählen oder nur zu vermischen. Sie war auch die Schöpferin dieser Gefährten des Körpers und des Geistes, wenigstens was deren Für-sie-Sein betrifft. Heinrich, der »Professor« in Politik, hat viel von der philosophischen Tiefe und der Lebensgenauigkeit seiner Frau gelernt: Ihre Briefe bezeugen diesen gegenseitig bereichernden Dialog. Im Gegensatz dazu läßt die geringe Begeisterung – wenn nicht das Widerstreben – Heideggers, die Arbeiten von Arendt zu lesen, vermuten, daß der »Denker von Gewerbe« keinen Nutzen aus den Fragen seiner jungen Schülerin zog. Dennoch offenbart die Veröffentlichung ihres Briefwechsels zum Ende ihres Lebens einigen intellektuellen und politischen Austausch: Hat der Weise von Todtnauberg nach dem Krieg die gesellschaftliche Stellung seiner Geliebten aus der Zeit vor dem Nazismus zynisch ausgenutzt? Brauchte Arendt diese Nähe zum Denken Heideggers, um ihr Denken in eine wesentliche Tradition zu verwurzeln, um ihr Denken ein- und abzugrenzen? Wie es auch sei, Hannah Arendt konstruiert ihr originelles Denken »dazwischen«, wie auf einer griechischen Agora oder auf einer dieser Theaterbühnen, wo der Zuschauer urteilt, aber auch improvisiert und am Stück teilhat, indem er es nachschafft: zugleich Abstand und Teilhabe am Handeln.
Viele Zeitgenossen bezeugten ihre Verführungskraft als Frau – die einen in den New Yorker Salons, die sich abfällig über die Weimar Flapper äußerten; andere, wie Hans Jonas, der es bewunderte, daß seine Freundin in den Genuß der Aufmerksamkeiten kam, die Männer Frauen vorbehalten, und dabei zugleich eine der Frauen mit dem größten Geist unseres Jahrhunderts war. Weder »Denkerin« (Definition, die dem entspräche, was das Teil dem Ganzen ist) noch »Person« (der Begriff ist geschlechtslos), sondern »Frau«, betont Jonas.52 Dennoch äußert sich Arendt über die Lage der Frauen nur, wenn sie dazu gedrängt wird: Ist sie femininer als die Feministinnen, wie man oft behauptete? Sie sah keinen Anlaß, die »Sache« der Frauen zu unterstützen. Wenn man sie darauf aufmerksam machte, daß der Beruf des Philosophen zumeist von Männern ausgeübt wird, begnügte sie sich damit, zu antworten: »Es könnte ja durchaus sein, daß eine Frau einmal eine Philosophin sein wird…«, wobei sie hinzufügte, daß nicht sie gemeint sei, da sie sich »keineswegs als Philosophin« fühle und auch nicht in den Kreis der Philosophen aufgenommen worden sei. Sie sah die »politische Theorie« als ihren »Beruf« an, wenn sie sich nicht gar als »politische Journalistin« betrachtete.53 »Es sieht nicht gut aus, wenn eine Frau Befehle erteilt. Sie soll versuchen, nicht in solche Positionen zu kommen, wenn ihr daran liegt, weibliche Qualitäten zu behalten. […] Das Problem selber hat für mich persönlich keine Rolle gespielt«54, erklärt sie jenen, die darauf bestehen, daß sie sich zum Emanzipationskampf der Frauen äußere.