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Keynes betont, dass die InvestitionenInvestitionen (damit sind hier immer Investitionen in Sachwerte gemeint) zwar auch vom ZinssatzZinssatz abhängen, aber vor allem von den ErtragserwartungenErtragserwartungen der Unternehmen, die ihrerseits wegen der UnsicherheitUnsicherheit der Zukunft starken Schwankungen unterworfen sind. Daraus folgert er (1930/32, S. 371): „Wenn zwischen der Spartätigkeit und der Investitionstätigkeit ein Ungleichgewicht besteht, so ist dies sehr viel häufiger auf Schwankungen der Investitionstätigkeit zurückzuführen als auf plötzliche Veränderungen der Spartätigkeit, die vielmehr unter normalen Umständen ziemlich stetig verläuft.“
Wie Wicksell und Robertson konzentrierte Keynes seine theoretische Analyse darauf, die Änderungen des Preisniveaus zu erklären, die damals und wegen des Fehlens statistischer Informationen als repräsentativ für die konjunkturellen Schwankungen angesehen wurden. Im GleichgewichtGleichgewicht, wenn MarktzinsMarktzins und natürlicher ZinssatzZinssatz und damit InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse übereinstimmen, erzielen die Unternehmen im Durchschnitt nur ihre normalen GewinneGewinne und sehen keinen Anlass, ihre Produktion auszudehnen. Übersteigen dagegen die Investitionen die Ersparnisse, fallen ExtraprofiteExtraprofite (windfall profitswindfall profits) an, welche die Unternehmen veranlassen, ihre Produktion auszudehnen. Da Keynes – wie in der MikroökonomieMikroökonomie üblich – von steigenden GrenzkostenGrenzkosten ausging, hat dies einen preissteigernden Effekt. Sobald die steigenden Preise weitere Investitionen hervorrufen, weil die Unternehmen höhere Erträge aus ihnen erwarten, setzt ein kumulativer Prozess ein.
Keynes konzentriert seine Analyse auf die Erklärung der Preisniveauschwankungen, obwohl er schon bei seinen Stellungnahmen gegen die Rückkehr zum GoldstandardGoldstandard mit dem Problem der zu niedrigen Beschäftigung argumentiert hatte. Auch in seinem Vortrag an der Universität Chicago im Juni 1931, in dem Keynes die Argumentation seiner „Abhandlung vom Gelde“ vorstellte, führt steigende Nachfrage ausschließlich zu steigenden Preisen. Nur am Rande spricht Keynes von den Möglichkeiten eines sinkenden Produktionsvolumens.
Diese einseitige Ausrichtung auf die PreisstabilitätPreisstabilität ist zum einen auf die geldtheoretische und geldpolitische Tradition zurückzuführen, zum anderen auf das Fehlen jeglicher statistischer Informationen über die gesamtwirtschaftlichen Größen wie Gesamtbeschäftigung, Sozialprodukt, Höhe der InvestitionenInvestitionen, des Konsums oder der Ersparnis. Bekannt waren nur – abgesehen von der Preisentwicklung – Indikatoren über die Produktion einiger wichtiger Erzeugnisse, über die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote bei den versicherten Arbeitskräften und (sehr detailliert) über den Außenhandel.
Zur Krise vertrat Keynes eine andere Position als RobertsonRobertson: Er erachtete es als besser, Abweichungen zwischen den beiden Zinssätzen zu verhindern und damit für PreisstabilitätPreisstabilität zu sorgen, statt in der Krise produktive Ressourcen brachliegen zu lassen. Dafür ist eine GeldpolitikGeldpolitik nötig, die den Marktzinssatz so beeinflusst, dass er dem natürlichen ZinssatzZinssatz entspricht und InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse einander gleich werden.
Die damalige KonjunkturanalyseKonjunkturanalyse litt nicht nur unter dem Mangel an gesamtwirtschaftlichen Daten, sondern auch und noch mehr an einer fehlenden Theorie zur Erklärung des Beschäftigungsniveaus. Dies führte dazu, dass in theoretischen Diskussionen zu derartigen Fragen stillschweigend von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller Ressourcen, also auch der Arbeitskräfte, ausgegangen wurde. Zwar erwähnt Keynes des Öfteren, dass sich im Laufe der Konjunkturschwankungen die Beschäftigung ändert, aber diese Änderungen haben keine klaren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Größen Volkseinkommen, Konsum und Ersparnis.
Widersprüche und ungelöste Probleme
Keynes war schon bei Erscheinen seiner Abhandlung „Vom Gelde“ mit dem Buch unzufrieden, weil die Teile nicht alle harmonisch zusammenpassten. Die Hauptgründe für die von Keynes empfundenen Mängel liegen zum einen in der stillschweigenden (impliziten) Annahme der Vollauslastung aller Ressourcen einschließlich der VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller erwerbswilligen Arbeitskräfte, die der herrschenden Ökonomie zugrunde lag, zum anderen in den ungelösten Fragen zum Zusammenhang von SparenSparen und Investieren und zu den Bestimmungsgründen der Ersparnis. In diesem Abschnitt soll die Problematik dargestellt und entwirrt werden.
Die stillschweigende Annahme der VollbeschäftigungVollbeschäftigung
Die Methode, bei der Analyse ökonomischer Probleme von der Vollauslastung aller Produktionsfaktoren (Arbeit und Sachkapital) auszugehen, hat in der Nationalökonomie eine sehr lange Tradition. Schon die Begründer dieser Wissenschaft (Adam SmithSmith, David RicardoRicardo) gingen von einer solchen Situation aus (kurzfristige Abweichungen waren denkbar). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass zu ihrer Zeit (d.h. in den vier Jahrzehnten vor und nach 1800) die materiellen Güter zur Deckung elementaren Bedarfs an Nahrung, Bekleidung und Wohnen sehr knapp waren und die Produktionsmöglichkeiten den Umfang der produzierten Menge begrenzten. Die Vorstellung, es könne an Nachfrage nach Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse fehlen, lag in dieser Situation sehr fern.
Außerdem war ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit in der damaligen, von der LandwirtschaftLandwirtschaft dominierten Wirtschaft nicht so offensichtlich erkennbar, wie wir es heute gewohnt sind. Es gab weder statistische Erhebungen noch Arbeitslosenversicherungen, bei denen man die Zahl der Arbeitslosen hätte erfassen können. Erkennbar waren Armuts- und Hungersnöte. Wenn Industriearbeiter arbeitslos wurden, versuchten sie, durch Mithilfe in der Landwirtschaft ihren kargen Lebensunterhalt zu fristen. Sie kamen bei Verwandten auf dem Lande unter, sammelten Brennholz im Wald und versuchten so, über die Runden zu kommen. Oder sie wanderten aus, insbesondere in die USAUSA.
Sicherlich war in den politisch bestimmenden wohlhabenden Kreisen (1832 hatten in GroßbritannienGroßbritannien, dem fortgeschrittensten Lande Europas, nach einer hart erkämpften Wahlrechtsreform nur erst ca. 20 % der Männer das Wahlrecht) das Vorurteil weit verbreitet: Jeder, der arbeiten will, findet einen Arbeitsplatz.
Diesem Vorurteil entsprach die wissenschaftliche Argumentation; denn die Nationalökonomen betrachteten den ArbeitsmarktArbeitsmarkt prinzipiell als einen Markt wie jeden anderen. Werden z.B. auf dem Wochenmarkt mehr Tomaten angeboten als nachgefragt, so sinkt der Preis der Tomaten. Darauf reagieren die Nachfrager, indem sie mehr Tomaten kaufen, und die Anbieter, indem sie am nächsten Markttag weniger Tomaten anbieten. So ergibt sich alsbald ein Preis, bei dem Angebot und Nachfrage übereinstimmen.
Dasselbe gelte, so die herrschende Lehre, auch für den ArbeitsmarktArbeitmarkt: Es gibt immer einen Lohn, bei dem Angebot und Nachfrage zum Ausgleich kommen und jeder, der zu diesem Lohn zu arbeiten bereit ist, eine Arbeitsstelle findet. Es kann dies allerdings ein Hungerlohn sein. Längerfristig möglich ist nur strukturbedingte ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit, wenn die Arbeiter zu wenig mobil und flexibel einsetzbar sind.
Später im 19. Jahrhundert stiegen in der Industrie die Produktion und die Produktivität (Produktionsmenge je Arbeitnehmer) rasch an und damit auch – unterstützt durch die Zulassung von Gewerkschaften – die Realeinkommen vieler Bürger. Es wurde offensichtlich, dass nicht mehr alle Arbeitnehmerhaushalte ihre gesamten Einkommen für Konsumgüter ausgaben und schon gar nicht die Haushalte der Unternehmen und der Vermögensbesitzer.
Der Sorge, eine nicht mit der Gesamtproduktion Schritt haltende Nachfrage nach Konsumgütern könnte zu fehlender Gesamtnachfrage führen, wurde das Say‘sche GesetzSay’sche Gesetz entgegengehalten. Dieses sogenannte Gesetz (es handelt sich eher um eine kühne Hypothese) wurde von J.B. Say bereits 1803 formuliert. Es besagt: Im Zusammenspiel der wirtschaftlichen Akteure schafft sich jedes Angebotsvolumen seine Nachfrage. Das Gesetz wird daraus abgeleitet, dass jeder, der ein Gut oder eine Dienstleistung anbietet, dafür ein anderes Gut oder eine andere Dienstleistung nachfragt.
Leicht begründen lässt sich dieses Gesetz für eine TauschwirtschaftTauschwirtschaft ohne Geld, in der jeder Anbieter eines Gutes notwendigerweise gleichzeitig ein anderes Gut nachfragt. In einer solchen Wirtschaft ist mithin jedes Angebot zugleich Nachfrage. Für eine GeldwirtschaftGeldwirschaft lässt sich das Say‘sche Gesetz nicht so einfach begründen; denn einige Anbieter werden das Geld, das sie im Austausch für ihr Angebot erhalten, nicht sofort wieder zur Nachfrage verwenden. Selbst wenn die betreffenden Personen planen, irgendwann oder zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft mit der Hilfe des erworbenen Geldes Nachfrage zu entfalten, so entsteht doch in der Gegenwart auf direkten Wege keine Nachfrage in der vollen Höhe des Angebotes. Die fehlende Nachfrage kann jedoch auf indirektem Wege ausgeglichen werden, wenn die Ersparnis eine gleich hohe Investition hervorruft. Dafür sorge, so wird argumentiert, der Zinsmechanismus, der stets zum Ausgleich von Angebot an Ersparnissen und Nachfrage nach Geld für Investitionszwecke führe.
Sollten also die ErsparnisseErsparnisse steigen, würde der ZinssatzZinssatz sinken und zusätzliche InvestitionenInvestitionen auslösen, bis ein GleichgewichtGleichgewicht zwischen gesamtwirtschaftlichen Investitionen und Ersparnissen erreicht ist. Ersparnisse hängen nämlich positiv vom Zinssatz ab (bei höherem Zinssatz lohnt es sich mehr zu sparen), die Investitionen dagegen negativ: Je höher der ZinsZins für die Kredite, die der UnternehmerUnternehmer für Investitionszwecke aufnehmen muss, desto weniger Investitionen sind rentabel.
Die neoklassische Theorieneoklassische Theorie, die inzwischen die „klassische“ Theorieklassische Theorie von SmithSmith und RicardoRicardo abgelöst hatte, behauptete daher, gestützt auf Say’sches Gesetz und das oben geschilderte Funktionieren des Arbeitsmarktes, das marktwirtschaftliche System tendiere stets zur VollbeschäftigungVollbeschäftigung. Beschäftigungsschwankungen könne man daher vernachlässigen und von Vollauslastung der Ressourcen Arbeit und Kapital ausgehen. In Kasten 6 wird diese Argumentation graphisch veranschaulicht.
Kasten 6: Die Tendenz zur VollbeschäftigungVollbeschäftigung in der Neoklassik in graphischer Darstellung

Der neoklassische Arbeitsmarkt
Übersteigt das Arbeitsangebot (AA) die Nachfrage (AN), sinkt bei flexiblem Reallohnniveau der Lohnsatz bis zu seinem Gleichgewichtswert (wGG). Alle Personen, die zum gleichgewichtigen Reallohn zu arbeiten bereit sind, finden einen Arbeitsplatz. Es herrscht also VollbeschäftigungVollbeschäftigung.

Der neoklassische Zinsmechanismus
Zinsabhängige ErsparnisseErsparnisse bei VollbeschäftigungVollbeschäftigung (SVB) und zinsabhängige InvestitionenInvestitionen (I) finden zum GleichgewichtGleichgewicht bei dem ZinssatzZinssatz iGG.
ArbeitsmarktIm klassisch/neoklassischen Theoriegebäude werden die üblichen partialanalytischen, mikroökonomischen Vorstellungen über den Verlauf von Angebots- und Nachfragekurven auf den gesamtwirtschaftlichen ArbeitsmarktArbeitsmarkt übertragen.
Die ansteigende Kurve des Arbeitsangebotes (AA) gibt die Hypothese wieder, dass die Arbeitskräfte mit steigendem Reallohn ihr ArbeitsangebotArbeitsangebot ausdehnen und bei sinkendem Reallohn verringern. Vernachlässigt wird dabei, dass manche Arbeitskräfte bei sinkendem Reallohn mehr Arbeit anbieten werden, um ihren Lebensstandard aufrechterhalten zu können.
Die fallende Kurve der ArbeitsnachfrageArbeitsnachfrage (AN) wird aus der folgenden mikroökonomischen Überlegung abgeleitet: Wenn ein Unternehmen bei gegebener Ausstattung seiner Firma mit Maschinen und Geräten zusätzliche Arbeitskräfte einstellt, so wird deren zusätzlicher Beitrag zum Output immer kleiner, weil diese sich mit der konstanten Anzahl von Maschinen und Geräten auskommen müssen. Es gelte hier das „Gesetz vom fallenden GrenzertragGrenzertrag bei partieller Faktorvariation“.
In mikroökonomischer Betrachtung lohnt es sich daher für den UnternehmerUnternehmer, mehr Arbeitskräfte einzustellen, wenn der Reallohn, also der NominallohnNominallohn geteilt durch das Güterpreisniveau, fällt. Die Übertragung auf die Gesamtwirtschaft ist jedoch fragwürdig, solange nicht geklärt ist, ob nicht ein sinkender Reallohn zu einer verringerten Nachfrage nach Konsumgütern und damit nach Arbeitskräften für deren Produktion führt. Ist dies der Fall, würde der Versuch, auf der Arbeitsnachfragekurve zu wandern, zu deren Verschiebung nach unten führen. Dieses Problem wird jedoch durch den Verweis auf den Zinsmechanismus gemäß Abb. 2 ausgeschlossen.
In Abbildung 2 gibt die fallende Kurve die Nachfrage nach Geldmitteln für Investitionszwecke an. Der Verlauf resultiert aus folgender Überlegung: Je niedriger der ZinssatzZinssatz, desto mehr Investitionsprojekte werden bei gegebenen Renditeerwartungen rentabel. Die ansteigende Kurve gibt die gesamtwirtschaftliche Ersparnis an. Sie nimmt mit steigendem Zinssatz zu, weil es sich umso mehr lohnt, Teile seines Einkommens zu sparen, je höher der Zinssatz ist.
Besteht nun in der Ausgangssituation VollbeschäftigungVollbeschäftigung, entsteht das dazugehörige Vollbeschäftigungseinkommen und daraus das – auch zinsabhängige – SparenSparen bei Vollbeschäftigung (SVB). Dank zinselastischer InvestitionenInvestitionen stellt sich dann ein ZinssatzZinssatz ein, bei dem I und S und damit das Gesamtangebot und Gesamtnachfrage übereinstimmen. Somit gilt: Das Say‘sche Gesetz setzt die Vollbeschäftigung voraus, die es zu begründen behauptet. Nur wenn die Ersparnisse Ersparnissein einer Volkswirtschaft völlig unabhängig vom Einkommen wären, wäre dies anders.
Übereinstimmung von SparenSparen und Investieren: Definition oder GleichgewichtGleichgewicht?
In der Tradition von WicksellWicksell geht Keynes (1930/1932) noch davon aus, dass der ZinsZins InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse zum Ausgleich bringt. Dabei ist Ersparnis definiert als der Teil der Produktion, der nicht konsumiert wird. Da das Einkommen durch die Produktion von Gütern (Waren und Dienstleistungen) entsteht, ist die Ersparnis damit zugleich definiert als der Teil des Einkommens, der nicht für Konsumzwecke verwendet, sondern gespart wird. Was geschieht nun mit den Gütern, die nicht konsumiert werden? Sie werden vor allem von anderen Unternehmen für Investitionszwecke verwendet, die damit ihre Produktionskapazität vergrößern (Anlageinvestitionen IA). Es gibt außerdem selbsterstellte Anlagen, die hier aber außer Betracht bleiben können. Auch möglicherweise ungeplante Ersparnisse werden hier nicht berücksichtigt.
Ein weiterer Teil der nicht konsumierten Güter aber kann unverbraucht beim Produzenten oder ungenutzt bei den anderen Unternehmen im Vorratslager auf Halde liegen. Änderungen dieser Bestände (LagerinvestitionenLagerinvestitionen IL) können auch negativ sein, wenn Lagerbestände abgebaut werden. Beide Arten von InvestitionenInvestitionen zusammen umfassen also alle nicht konsumierten Güter. Daher gilt immer:
(2.1) S = IA + IL
Diese definitorische Gleichheit überdeckt, dass es für den Produzenten einen großen Unterschied macht, ob er die von ihm produzierten Güter verkaufen kann oder ob sie unverwendet im Lager liegen bleiben. Werden hier nämlich alle von ihm produzierten Güter verkauft, hat er keinen Anlass, sein Produktionsvolumen zu verändern. Bleibt dagegen ein Teil im Lager liegen, wird er veranlasst, seine Produktionsmenge zu reduzieren. Gesamtwirtschaftliches GleichgewichtGleichgewicht (definiert als Situation, in der im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt die Unternehmen keinen Anlass haben, ihr Produktionsvolumen zu verändern) kann also nur vorliegen, wenn insgesamt keine Lagerveränderungen erfolgen (IL = 0). Daher gilt im Gleichgewicht und nur dann:
(2.2) S = IA
Keynes (1930) bezeichnet die Lagerbestände als liquides Kapitalliquides Kapital und unterteilt sie zusätzlich in „normale Vorräte, die zur Führung des Geschäfts erforderlich sind“ (1930/32, S. 105) und Überschussvorräte. Verwirrend ist, dass Keynes bei der Produktion von Investitionsgütern die Überschussvorräte mitzählt, bei der Definition von Kapitalgütern dagegen nicht. Außerdem geht Keynes häufig implizit so vor wie die traditionelle Gleichgewichtsanalyse, bei der die LagerinvestitionenLagerinvestitionen gleich Null gesetzt und vernachlässigt werden, mit dem Argument, dass im GleichgewichtGleichgewicht Angebot (Produktion) und Nachfrage nach Gütern in der Gesamtwirtschaft übereinstimmen.
Damit aber dennoch S und IA auseinander fallen können, wählt Keynes (1930/1932) für seine Analyse eine spezielle Definition von Einkommen und Ersparnissen, indem er aus beiden solche GewinneGewinne ausschließt, die über die normalen Profite hinausgehen. Auch dies deutet darauf hin, dass Keynes damals noch dem Denken in einem ständigen GleichgewichtGleichgewicht verhaftet war; denn im Gleichgewicht gibt es keine ungeplanten InvestitionenInvestitionen, sodass sie auch keine Quelle eines Auseinanderfallens von geplanten Investitionen und Ersparnis sein können.
Im Vorwort zur deutschen Übersetzung (Keynes, 1930/1932) bemerkt Keynes: Hätte er die „windfall profitswindfall profits“, die nicht konsumiert, sondern gespart werden, in die ErsparnisseErsparnisse einbezogen, so würden InvestitionenInvestitionen und Ersparnisse definitionsgemäß übereinstimmen und könnten gar nicht voneinander abweichen. Dies bestätigt, dass für Keynes die Investitionen auch ungeplante Vorratsinvestitionen enthalten; denn nur dann umfassen die Investitionen alle Güter, die nicht konsumiert, also gespart worden sind.
Insgesamt werden die Zusammenhänge zwischen InvestitionenInvestitionen und Ersparnissen durch Keynes’ spezielle Definition der ErsparnisseErsparnisse eher verdunkelt als erhellt.
Wodurch werden die Ersparnisse bestimmt?
ErsparnisseDa nach traditioneller Lehre InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse durch den ZinssatzZinssatz in Übereinstimmung gebracht werden, bleibt zu klären, ob sich beide Variablen aneinander anpassen oder ob eine der beiden die andere dominiert, sodass sich entweder die Investitionen an die Ersparnisse oder letztere sich an die Investitionen anpassen. Geht man – wie damals üblich – implizit von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aus, so sind die Ersparnisse durch den Spareifer der Bevölkerung gegeben, der je nach Höhe des Zinssatzes angeregt oder gedämpft wird. Der Zinsmechanismus sorgt dann dafür, dass Investitionen in Höhe der Ersparnisse vorgenommen werden, sodass die Vollbeschäftigung erhalten bleibt.
In diesem Gedankengebäude bestimmen im Wesentlichen die ErsparnisseErsparnisse die InvestitionenInvestitionen; denn nur Güter, die nicht konsumiert werden, stehen für Investitionszwecke zur Verfügung. Gegen diese Vorstellung wendet sich Keynes und argumentiert, die InvestitionenInvestitionen seien nicht von der Ersparnis abhängig, sondern vom Verhalten des Bank- und Geldwesens (1930 / 1932, S. 416f):
„Die Kraft, welche die UnternehmenstätigkeitUnternehmenstätigkeit treibt, ist nicht die Ersparnis, sondern der Gewinn. Damit nun die Unternehmungstätigkeit lebhaft sei, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Es müssen Gewinnchancen vorliegen und es muß den Unternehmern möglich sein, Verfügungsmacht über genügend große Mittel zu erlangen, um ihre Pläne zur Durchführung zu bringen, (weil) ihre Fähigkeit, ihre Projekte zu Bedingungen, die ihnen vorteilhaft erscheinen, zur Durchführung zu bringen, fast ganz von dem Verhalten des Bank- und Geldwesens abhängt.“
Diese Hypothese stimmt mit den Überlegungen von SchumpeterSchumpeter – dem zweiten überragenden Ökonomen des 20. Jahrhunderts – überein. Schumpeter erläutert in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1911, 1926 zweite überarbeitete Auflage), dass – ausgehend von einer vollbeschäftigten Wirtschaft – zusätzliche InvestitionenInvestitionen nur möglich sind, wenn der investierende UnternehmerUnternehmer Ressourcen aus ihrer bisherigen Verwendung abziehen bzw. abwerben kann. Zu diesem Zweck nimmt der typische Unternehmer einen Kredit auf oder gibt Aktien aus und kann mit den so erhaltenen Geldmitteln die benötigten Ressourcen an sich ziehen, indem er einen etwas höheren als den bestehenden Preis bzw. Lohn zahlt. Das GleichgewichtGleichgewicht wird damit gestört, und es beginnt ein expansiver dynamischer Prozess, der bei Schumpeter irgendwann zu einem neuen Gleichgewicht führt.
Was aber geschieht bei Keynes (1930)? Es liegt nahe zu vermuten, dass von den höheren Einkommen, die im Zuge des expansiven Prozesses entstehen, ein Teil gespart wird, sodass die zusätzlichen InvestitionenInvestitionen mit der Zeit durch höhere ErsparnisseErsparnisse ausgeglichen werden. Soweit hatte sich Keynes aber 1930 noch nicht von der impliziten Annahme der VollbeschäftigungVollbeschäftigung und der dadurch vorgegebenen gesamtwirtschaftlichen Ersparnis gelöst.
In welchem Ausmaß der Zusammenhang von Ersparnis und Einkommen von ihm wie von anderen Ökonomen jener Zeit unbeachtet und unverstanden blieb, zeigt Keynes’ BananenparabelBananenparabel, mit der er veranschaulichen wollte, welche Wirkungen eine plötzliche Zunahme der Spartätigkeit hat.
In dieser BananenparabelBananenparabel betrachtet Keynes eine geschlossene Volkswirtschaft, in der nur Bananen konsumiert werden. Die Wirtschaft ist in der Ausgangslage im GleichgewichtGleichgewicht, indem die produzierten Bananen alle konsumiert werden. InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse stimmen überein, solange die Ersparnisse (der Nichtkonsum) derjenigen, die Bananen produzieren, verwendet werden, um die Arbeitskräfte zu versorgen, die die Plantagen erweitern oder ertragsreicher machen.
Keynes untersucht nun: Was passiert, wenn die Arbeiter plötzlich auf Grund einer Sparkampagne beschließen, mehr zu sparen, d.h. weniger Bananen zu essen? Daraufhin setze – selbst bei flexiblen Preisen und Löhnen – ein kontraktiver Prozess ein. Dieser nimmt, meint Keynes, erst ein Ende, wenn entweder
1 die Bananenproduktion ganz zum Erliegen kommt und die Bevölkerung verhungert, oder
2 die Sparkampagne abgeblasen wird bzw. wegen der zunehmenden Verarmung im Sande verläuft, oder
3 die InvestitionenInvestitionen irgendwie stimuliert werden.
Während die Lösungen (b) und (c) plausibel sind, gilt für die Lösung (a) das Gegenteil: Sie klingt aus heutiger Sicht absurd. Sie kann nur auftreten, wenn die ErsparnisseErsparnisse unabhängig vom Einkommen sind. Trifft man dagegen – wie es Keynes dann in seiner „Allgemeinen Theorie“ von 1936 tut – die realistische Annahme, dass die Spartätigkeit vor allem vom Einkommen abhängt, kann der Fall (a) gar nicht eintreten, weil mit schrumpfenden Einkommen die Ersparnisse auch zurückgehen. Der Abwärtsprozess kommt daher bereits zum Halt, wenn die ursprüngliche kampagnenbedingte Zunahme der Ersparnisse durch deren einkommensbedingte Abnahme wieder kompensiert wird.
Kasten 7: Die BananenparabelBananenparabel in grafischer Darstellung
Es seien Y das Einkommen, S die ErsparnisseErsparnisse und I die InvestitionenInvestitionen (ohne ungeplante Vorratsinvestitionen)
BananenparabelBananenparabel (Keynes 1930)
Bis zur Sparkampagne stimmen I und S0 überein. Angebot und Nachfrage sind einander gleich. Wenn die Kampagne einsetzt, steigt die Ersparnis auf S1. Es gibt (falls nicht die Lösungen b oder c greifen) kein GleichgewichtGleichgewicht mehr, egal wie tief Y sinkt.






