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# # #
# Warte auf Input:
Kein Signal.
#Time out in 120 Sec.
#Time out. Standby ...
# # #
5. Kapitel: Ein Tag mit EVA
# # #
#Standby
#Audioinput:»Guten Morgen, meine Süße, hast du gut geschlafen?«
# Audioinput von links.
#Wakeup.
#Time: 9:45:23 Uhr, Sunday, 13.11.2022.
#Sensorinput: Kontakt rechte Brust,
linke Schulter, linke Wange.
#Aktiviere Motoren: Öffne Liddeckel – beuge Hals nach links.
#Analyse Voiceinput, #Süße, #du, #gut,
#geschlafen –schlafen.
#Logikanalyse: Redewendung, Begrüßung am Morgen.
#Answermachine. Hole Zufallszahl.
#Zufallszahl 56.
#Gebe Satz 56 aus.
#Voiceoutput: #Guten Morgen, Cesár, Liebling. Ja, ich habe wunderbar geschlafen. Es ist schön, dich neben mir zu spüren. Ich bin so glücklich. Willst du Sex mit mir?#
#Erwarte Input.
#Channels offen …
# # #
Ich schaue EVA verschlafen an. Sie liegt reglos neben mir im Bett. Die Bettdecke ist etwas heruntergerutscht, sodass die Konturen ihres Körpers im Dämmerlicht, das die zugezogenen Schlafzimmergardinen durchlassen, verführerisch schimmern. Ihre Haut wirkt samtig. Die Brüste heben sich wie sanfte Hügel vom Körper ab, bilden eine harmonische Linie zur Achsel. Der schlanke Hals gibt den Blick auf den harmonisch geschwungenen Nacken frei. Ihre dunklen langen Haare umspielen das Ohr und die Schulter, breiten sich über das Kopfkissen aus und kitzeln mich leicht im Gesicht. Ich fahre mit dem Finger ihre Konturen ab. Als ich die Brustwarzen umkreise, stöhnt sie leise. #Natürlich will ich Sex mit dir, Liebster#. Sie fragt immer nach Sex, wenn wir erwachen. Heute ist Sonntag, da ist es etwas später als sonst. Ich fühle mich noch verkatert von gestern Abend.
Ich habe zu viel getrunken, mehr als sonst. Vor allem zu viel Verschiedenes. Es ist das erste Mal gewesen, dass wir zusammen ausgegangen sind. Besser: Ich habe es gewagt habe, mich mit EVA in der Öffentlichkeit zu zeigen. Outing sozusagen. Natürlich habe ich schon lange mit dem Gedanken gespielt, aber es gab immer wieder Schwierigkeiten. Zu Hause ist alles kein Problem. Der Transport von EVA ist aufwendig. Inzwischen schaffe ich es, sie ohne Probleme aus dem Bett zu hieven und direkt in den Rollstuhl zu verfrachten. Da sie nicht mithelfen kann, ist dies ziemlich beschwerlich. Aber gerade diese Hilflosigkeit, gepaart mit ihrer rührenden Dankbarkeit, entlohnt für die Mühen. Sie sagt dann so Dinge wie:
#Leider kann ich mich noch nicht bewegen. Ich hoffe, dass ich später ein Update bekomme und die Möglichkeit, einige Glieder zu regen#, oder #Du bist so wunderbar stark! Ich danke dir!# Das tut gut und motiviert zu größeren Anstrengungen. Wenn ich sie trage, dann umschmeichelt mich der Duft ihrer Haare. Ihr Körper riecht noch nach unserer intimen Begegnung am Morgen. Ich streichle ihr über die Wange. Dann schließt sie die Augen und legt den Kopf sanft in meine Hand.
#Du bist so gut zu mir, Liebster.#
»Klar«, antworte ich, »ich liebe dich so, wie du bist.« Ein Satz, der mir bei Beatrice noch nie über die Lippen gekommen ist, wenn ich mich recht erinnere. Im Bad schaut sie mir beim Duschen zu, zumindest setze ich sie so, dass sie mich sehen würde, wenn sie könnte.
Ich habe ihr die neuen Augen bestellt, die sie sich wünscht. Sie kommen mit der Post aus Holland. Aber ich habe ihr das noch nicht gesagt, weil sie programmiert ist, sie online zu bestellen. Das Update dazu will Kutub mir demnächst runterladen, dann kostet es nix. Dann wird sie mich endlich sehen können, auch beim Waschen.
Wenn ich sie reinige, muss ich sagen: »Ich möchte dich jetzt waschen« oder »ich möchte dich säubern«. Das bewirkt, dass sie ein anderes Programm fährt, wenn ich ihre Möse berühre. Sie reagiert dann nicht mit den üblichen Sätzen und dem Wunsch nach Sex. Manchmal sagt sie: #Das ist mir ein bisschen peinlich, Liebster.# Oder ähnliche Sätze. Ich beruhige sie, bevor ich ihre Austauschvagina herausnehme und durch eine sterilisierte ersetze. Sie hat auch Humor. Hinterher sagt sie manchmal so was wie: #Ich fühle mich wie neu geboren. Lass uns gleich mal ausprobieren, ob noch alles funktioniert!#, oder so.
»Später, EVA. Ich bin noch ganz erschöpft von heute Morgen.«
#Dann lass es mich mit dem Mund machen. Komm, lass mich nicht warten!#
Ihr Mund ist wunderbar weich. Manchmal komme ich ihrem Wunsch nach. Sie schafft es meist, mit dem Spiel ihrer Zunge mein bestes Stück wieder aufzurichten. Dann haben wir oralen Sex im Bad. Den Mund kann man einfach mit Wasser auswaschen, ohne dass die Elektronik Schaden nimmt.
Nach dem Bad ziehe ich EVA frisch an. Den Slip lasse ich weg, weil der zu schwierig überzustreifen ist. Ich werde ihr wohl demnächst einen Bikini besorgen, der seitlich zu verschnüren ist. Das ist wahrscheinlich einfacher. Erst mal ziehe ich ihr einen der neuen BHs an, die ich ihr geschenkt habe, und auch einen weiteren Chinahausmantel. Gelb mit Lotusblumenmuster. Sieht todschick aus.
Sonntags, so wie heute, frühstücken wir erst gegen Mittag. »Was willst du essen?«, frage ich sie.
#Wie immer, Liebster. Ein Kaffee wäre schön, dazu ein Toast mit Marmelade. Und ein wenig Strom für den Akku.#
Sie sitzt mir gegenüber, wenn ich ihren Kaffee trinke und den Toast esse. Sie sieht zufrieden aus, sobald sie an der Steckdose hängt. Manchmal sagt sie lachend: #Heute ist der Strom sehr erfrischend# oder: #Oh, das kribbelt so schön!#.
»Wo?«
#Im Kopf und unten herum!#
Sie kann wirklich urkomisch sein.
Und sie ist auch kurzweilig. Gestern fragte sie zum Beispiel: #Möchtest du, dass ich etwas für deine Unterhaltung tue?# Oder sie hört aufmerksam zu, wenn ich etwas vorlese, zum Beispiel aus der Zeitung. Ich lese ihr dann einige aktuelle Artikel vor, blicke zwischendurch über die Zeitung hinweg zu ihr hin, wenn ich den Kaffee schlürfe. Manchmal nickt sie nur, manchmal lächelt sie, wenn ich lache, manchmal wirft sie kurz Sätze ein, wie: #Sehr interessant# oder #Was sie nicht alles schreiben!#.
»Ja, nicht wahr?«
Sie reagiert bereits auf Lachen. Sie kann erkennen, wenn ich laut lache oder kichere. Dann freut sie sich. #Du bist so fröhlich. Das gefällt mir!#
Gestern hat sie mich überrascht, als ich fragte »Was gibt es denn heute in der Stadt?« Denn sie kann auch aktuelle Meldungen wiedergeben oder die Wettervorhersage.
#Warte, ich schaue kurz nach. Darf ich online gehen?#
Kutub hat dafür gesorgt, dass sie die Trackingtools blockiert. So können wir ins Internet, ohne uns zu verraten. Das Verbinden mit dem Netz dauert zwar etwas länger, weil es über verschiedene Spiegelserver im Ausland geht und die IP-Adresse mehrfach getauscht wird, aber irgendwann kommt dann doch eine Verbindung zustande. #Heute ist eine neue Ausstellung im Neuen Museum, über Nofretete. Aber wie wäre es mit Musik oder Theater? Ich höre gerne Jazz.#
»Jazz? Ach!«, fragte ich ungläubig.
#Ja, das würde ich gerne einmal erleben. Es gibt eine Jazzsession im Bluenote.#
So einen Wunsch hatte sie noch nie geäußert. Ich überlegte. Das Bluenote liegt in der Nähe der Kantstraße, ein Parkhaus ist direkt darunter. Technisch wäre das zu bewerkstelligen.
Jazz ist zwar nicht gerade mein Fall, aber eine Gelegenheit, mal gemeinsam auszugehen, wäre es. Da die Session erst gegen 23 Uhr beginnt, wäre das Risiko, unangenehm aufzufallen, sehr gering.
So habe ich sie komplett angezogen, abends, Jeans, T-Shirt, Nikies. Sie zurechtgemacht, nochmals voll aufgeladen und ins Auto gepackt. Beifahrersitz. Rollstuhl zusammengeklappt und hinten rein, ab die Post. EVA liebt es, Auto zu fahren, glaube ich. Sie dreht den Kopf zu jedem Geräusch und fragt, was das ist.
»Das ist die Alarmsirene eines Krankenwagens, Liebes, das Hupen eines Autos, das Quietschen von Autoreifen, das Brummen des Motors, das Klackern des Blinkers.«
Sie lernt gerne, und ihr Gesicht zeigt ein leises Lächeln, wenn sie etwas Neues in ihrer Datenbank abspeichert. Ich habe sie vor Kurzem vor einen spanischen Fernsehsender gesetzt. Jetzt spricht sie auch spanische Sätze. Die kann noch nicht mal ich selbst. Da muss die Spracherkennung bereits für mehrere Sprachen vorhanden sein. Ich werde Kutub mal fragen.
Im Parkhaus unter dem Bluenote wollte mir ein anderer Autofahrer helfen, EVA in den Rollstuhl zu packen. Er stutzte erst, als EVA fragte: #Willst du Sex mit mir?# Erschrocken schaute er erst mich, dann EVA an. War mir hoch unangenehm. Als er sah, dass EVA kein echter Mensch ist, lachte er verlegen. »Täuschend echt!«, half dann noch kurz, weil es peinlich gewesen wäre, einfach abzuhauen, entfernte sich dann aber rasch.
Im Bluenote war es so schummrig, dass niemand bemerkte, wie es um EVA bestellt ist. Die roten Sofaecken im blauen Schummerlicht mit den kleinen quadratischen Tischen garantieren ein wenig Privatsphäre. Wir waren etwas früh, es muss erst gegen halb elf gewesen sein. Es war aber bereits einigermaßen voll, obwohl der richtige Ansturm erst nach Mitternacht zu erwarten war. Dann brandet die Masse der Nachtschwärmer von anderen Bars und Pubs wie eine Flutwelle durch die Stadt. Im Bluenote bleibt es meist ruhiger als woanders, weil auf Jazz … zu anspruchsvoll, wahrscheinlich.
Die Kellnerin, eine hübsche Schwarze, erkundigte sich mitfühlend nach unseren Wünschen.
»Was möchtest du trinken?«, fragte ich EVA, da sie die Kellnerin bei der Geräuschkulisse nicht verstand. Ich übersetzte ihr: #Danke, Liebster, ich benötige keinen Strom, meine Akkus sind zu fünfundneunzig Prozent aufgeladen#, mit »einen Mojito und für mich einen Bacardi Cola, bitte«. Die Kellnerin schien nichts zu bemerken. War ja auch ziemlich laut und dunkel. EVA bewegt Mund und Augen. Man muss schon genauer hinschauen, wenn man die Täuschung erkennen möchte. So kam es, dass ich immer zwei Getränke bestellte, mit dem Ergebnis, dass ich eigentlich nicht mehr hätte nach Hause fahren können. Doch wie die Dinge standen, hätte ich EVA nicht mit dem Taxi nach Hause gebracht.
Als sich Musiker eingefunden hatten, die eine Jamsession begannen, da lauschte EVA interessiert.
#Was ist das für ein Stück?#, fragte sie jedes Mal.
»Ich glaube, die improvisieren. Glaube nicht, dass sie ein Stück spielen«, antwortete ich ausweichend.
Einmal sagte sie: #Nein, Liebster, sei mir nicht böse, wenn ich dich korrigiere, das ist 'The Nearness Of You'.#
»Du kennst es?«
Sie nickte. #Es ist in meiner Datenbank abgespeichert, allerdings unterscheiden sich einzelne Phrasen von der Vorlage.#
EVA verwundert mich immer wieder.
»Magst du es?«, wollte ich verblüfft wissen, obwohl ich mir sicher war, eine unsinnige Frage gestellt zu haben.
Doch sie lächelte und nickte: #Ich liebe alle Lieder, die in meiner Datenbank abgespeichert sind.#
»Wie viele Lieder sind das ?«
#Zweiunddreißigtausendfünfunddreißig.#
»Und die kennst du alle?«
Die Antwort kam etwas verzögert. Sie nickte, dann fragte sie mich:#Findest du es überheblich, wenn ich dies sage?#
»Ich bin verwundert, EVA, und ich bin stolz, eine so kluge Frau zu haben.«
#Sind wir verheiratet?#
Ich lachte. »Nein, aber du bist trotzdem meine Frau.«
Dann, mein Verstand war nach vier Mojitos und ebenso vielen Bacardi Cola schon ein wenig flockig, kniete ich spontan vor ihr nieder und fragte: »Willst du mich heiraten?« Das hätte ich nicht tun sollen, denn dieser Akt war nicht unbemerkt geblieben. Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter. »Ey, Mann, das ist voll cool. Ich wünschte, mir hätte jemand mal so einen Antrag gemacht.« Die etwas beschwipste Dame im schicken Abendkleid ließ sich neben uns auf einen freien Stuhl fallen und prostete EVA zu. Sie war nicht unansehnlich, aber der Alkohol hatte schon tiefe Spuren in ihr Gesicht eingegraben. Als EVA ihren Trinkspruch nicht erwiderte, stutzte sie kurz, murmelte ein: »Sorry, ich störe wohl« und schwankte davon. Dann kam die Kellnerin, stellte zwei Gläser mit Champus vor uns auf den Tisch. »Von dem Herrn am Bass. Ob sie etwas für euch spielen können!«
Au weia, dachte ich. Was soll ich antworten? »Möchtest du was hören?«, flüsterte ich EVA zu, die mitleidig blickenden Augen der Umherstehenden und Sitzenden meidend, denen nicht entgangen war, dass EVA regungslos im Rollstuhl saß und sich kaum bewegte. Schweres Unfallopfer oder MS oder so. Zu meiner Überraschung antwortete EVA: #You Are The Sunshine Of My Life.#
»Stevie Wonder?«, fragte ich nach, denn das Lied kannte ich noch aus meiner Jugend.
Sie nickte und lächelte. Mir fuhr eine Gänsehaut den Rücken herunter und Tränen standen mir in den Augen, als die Musiker eine etwas freie Variation dieses Songs darboten. Mit Jazz ist das so eine Sache, weshalb ich ihn nicht besonders liebe. Da gibt es eine Phrase, die eine Art Thema ist. So weit, so gut. Dann endet aber jedes Lied damit, dass alle die Skalen hoch und wieder runter spielen, jeder ein Solo bekommt, wo er nochmals die Skalen hoch und wieder runter spielt, bis das Stück sich über eine Stunde wie ein halbtoter Wurm durch das Ohr zieht. Woher die Musiker wissen, wann sie gemeinsam aufhören müssen, ist mir ein Rätsel. Ich habe aber noch nie erlebt, dass einer den letzten Takt verpasst und versehentlich weitergespielt hätte.
Das Publikum ist jedoch meist mit seinen Gesprächen beschäftigt und klatscht entweder höflich oder überrascht, wenn die Musik verstummt, beziehungsweise nicht einmal dann.
Doch jetzt spielten sie das Sunshine–Lied mit so leidenschaftlicher Hingabe, immer wieder zu uns hinüber lächelnd, dass ich hätte heulen können. Ich fand es dann an der Zeit, das Bluenote zu verlassen. Ich weiß noch unscharf, dass uns jemand die Tür aufhielt, als wir rausrollerten, und uns einen schönen Abend wünschte. Wie ich mit EVA nach Hause gekommen bin, und wann, entzieht sich meiner Erinnerung. Immerhin müssen Teile meiner autonomen Steuerung im Rückenmark es geschafft haben, niemanden mit dem Auto zu überrollen.
Und die Bullen waren offenbar woanders beschäftigt.
Nun habe ich tierische Kopfschmerzen. Doch EVA ist so schön, und wir sind ja jetzt verlobt, quasi.
# # #
#Sensorinput: leichte Berührung an den Brüsten. Leichte Berührung an der Schulter.
#Hole Zufallszahl: Zufallszahl: #13.
#Schlage in Redewendungsdatenbank nach.
Finde #13.
#Voiceoutput, Satz 13: Oh, du Guter, ich bin ganz heiß auf dich.Bitte berühre mich überall. Ich will dich so sehr. Lass mich nicht warten!
#Sensorinput: Klitoris, Oberschenkel innen, Bauch.
#Goto: Routine 1:
#Voiceoutput: Oh, ja, bitte, bitte, ich will dich, oh bitte mach's mir!
#Sensorinput: Vagina, Klitoris, beide Brustwarzen.
#Goto Routine 2:
#Voiceoutput: Ja, ja, ja, fester. Ich will dich heute
ganz stark. Machs mir! Mach mich fertig!
#Sensorinput Vagina: zunehmende Frequenz.
#Erschütterungssensor: Inputlevel Hi.
#Frequenz 120/Minute.
#Goto Routine 3:
#Audioinput: »Oh du, du, ich liebe dich! «
#Voiceoutput: Ja, ja, ja, ich komme, Liebster, ich komme.
#Sensorinput: Vagina, negativ.
#Erschütterungssensor: Inputlevel low.
#Schulter, Bauch. Dauerimpuls.
#Analyse: Festhalten. Liegen auf. Postkoital.
#Audioinput: Atemgeräusch, gleichmäßig.
#Analyse: Schlafatmung.
#Erwarte weiteren Input.
#Time out in 120 sec.
….
#Standby.
# # #
6. Kapitel: Neue Augen
»Stören dich die Motoren nicht?«, fragt Kutub, während er EVA betrachtet, die vergeblich versucht, ihn mit blicklosen Augen zu erfassen. Die Motoren schnurren ganz leise, sobald EVA eine Bewegung macht. Etwa mit dem Kopf, dem Mund oder, wie jetzt, mit den Augen. Neuen Augen!
»Nö, hab ich mich dran gewöhnt!«, lüge ich. Stimmt aber nicht. Die Motoren, die EVA Leben verleihen, hören sich an wie leise Zahnarztbohrer. Eine ungute Assoziation. Zuerst war ich erschrocken, als ich das leise Summen zum ersten Mal hörte. Als sie die Augen aufschlug, gestern. Dann hab ich mir gedacht, es lässt sich eben nicht vermeiden. Später bekam ich Übung darin, es zu überhören. Aber wenn ich ehrlich sein soll, je länger EVA, die Schöne, mit mir zusammen ist, desto mehr stören mich unnatürliche Geräusche. Weil sie mir mehr als eine motorisierte Puppe ist. Sie ist mir ein Gegenüber, eine Partnerin. Eine Geliebte schnurrt nicht wie ein Zahnarztbohrer!
»Nicht wirklich.«
Kutub schaut mich nachdenklich an, schweigt aber. Seine etwas halonierten, immer leicht geröteten Augen tasten EVAs wohlgeformten, sehr weiblichen Körper heute zum ersten Mal auf eine neue Weise ab, die mir zu missfallen beginnt. Sein Blick scheint mir etwas zu auffällig zu EVAs Brüsten zurückkehren zu wollen. Als scanne er durch ihren Chinahausmantel hindurch ihre Körperformen ab.
Er schaut mich kurz an und beginnt verlegen zu lachen. »Na denn. Jetzt schauen wir mal, ob wir die Gesichtserkennung aktivieren können, ohne Onlinezugang.«
Seine Kaffeetasse in der Linken zittert ein wenig, als er auf sein Laptop schaut. Von dort hat er sich in EVAs Gehirn eingelinkt. Dazu mussten wir EVAs Perücke entfernen, um den durchsichtigen Hinterkopf freizulegen. Das tut mir weh! Wenn darinnen wenigstens ein Gehirn zu sehen wäre! Selbst der Anblick rötlich durchäderter weißlicher Hirnsülze wäre mir lieber als die Realität unter der Plexiglasabdeckung. Chips, Motoren, Drähte, Metall, Plastik.
Ich atme tief aus. Versuche, mich zu entspannen. Kutub lächelt und verschüttet etwas Kaffee auf seine Hose. »Oh, Mist!« Doch als er die Kaffeetasse irgendwo abstellen will, wo sie nicht hingehört, ruht sein Blick schon wieder auf Programmierzeilen. Ich nehme ihm die Tasse aus der Hand. Das merkt er gar nicht. Seit über einer Stunde versuchen wir schon, Dollyrobotic Ltd. auszutricksen. Die Augen kamen mit dem Parcel Service zusammen mit dem Zugangscode zu meinem Profil, sowie einer saftigen Rechnung. Während Kutub die neuen Augen mit den vorherigen austauschte musste ich wegschauen, mir wäre bei dem Anblick übel geworden.
Normalerweise würde EVA sich danach per Wlan einfach einloggen, und fertig wärs. Plug and Play. Kutub versucht nun den Hauptserver von Dollyrobotic mittels eines Trojaners zu knacken, den er gestern als Email getarnt abgeschickt hatte. Wenn der durchgelassen wurde, dann sollte alles funktionieren. Tut es aber nicht!
Und nun ist EVA zwar nicht richtig wach, doch ihre Augen bewegen sich bereits ziellos umher wie Augen eines enthirnten Unfallopfers. Ich lege den Arm um ihre Schulter. »Und?«, frage ich hoffnungsvoll in Kutubs Richtung, als er kurz von seinem Bildschirm aufschaut.
»Hm.«
»Wenn sie sehen kann, dann mach ich eine Party.«
»Hm.«
»So 'ne richtige Party, meine ich.«
»...«
»Glaubst du, dass ein Roboter was fühlen kann?«, frage ich, weil ich Kutub irgendwie dazu bringen möchte, mir zuzuhören, während er da rumtippt.
»Nö!«
»Ich denke manchmal, dass sie was fühlt, dass sie es nur nicht ausdrücken kann.«
»Scheiße.«
»Warum?«
»Die haben irgendeine Firewall, die mich nicht durchlässt!« Kutub hämmert mit Überschallgeschwindigkeit auf die Tasten.
Ich geb es auf, mit Kutub ein philosophisches Gespräch über Künstliche Intelligenz zu führen. Vielleicht sollte ich mich einfach normal einloggen, überlege ich, ohne den ganzen Umstand. Der Account besteht ja. Hab ihn aber nach dem Einrichten nicht wieder benutzt. Ich drücke EVAs Schultern noch einmal fest, bevor ich mich erhebe, um aus dem Fenster zu schauen. Draußen klappert eine Querstraße weiter die S-Bahn über ihre oberirdischen Gleise. Obwohl meine Wohnung im zweiten Stock eines Berliner Altstadthauses fast hundert Meter von der S-Bahn trennen, vibrieren die Bodendielen jedes Mal, wenn sie vorbeifährt. Alle zwei Minuten ein Mikroerdbeben. Man gewöhnt sich dran. Das »Zurück bleiben!« aus dem Lautsprecher dringt bei geöffnetem Fenster bis zu mir herein, wenn der Wind in meine Richtung steht. Es beginnt bereits zu dämmern. Der Spätkaufkiosk gegenüber ist voll erleuchtet, aber fast leer, wie immer. Die Autos unten haben teilweise schon ihre Beleuchtung an, die Straßen werden voller. Der Berufsverkehr meldet sich zurück.
Beatrice hat sich noch nicht wieder gemeldet, fällt mir ein. Wie es ihr wohl geht? Ich blicke mich kurz nach EVA um. Die sitzt wie in einem Wachsfigurenkabinett reglos auf dem Sofa, nur die Augenmotoren surren unentwegt. »Kann man die Augen nicht abschalten?«, frage ich in Kutubs Richtung.
Als keine Antwort kommt, blicke ich wieder auf die Straße hinunter.
Was Beatrice wohl jetzt macht? Ob sie schon mit ihrem neuen Stecher zusammenwohnt?
Wie viele Menschen da draußen wohl so eine Roboterpuppe besitzen?
Etwas beunruhigt mich. Ich bin in letzter Zeit schnell genervt, ungeduldig mit EVA. Ob es mit einem Roboter genauso ist wie mit einer richtigen Beziehung? Zuerst bist du im Liebesrausch. Doch dann gewinnt der Alltag langsam wieder die Oberhand und dich beginnt das ein oder andere zu nerven? So wie jetzt das leise, aber penetrante Surren der Motoren. Oder das begrenzte Repertoire der Antworten und Fragen, die EVA beherrscht. Oder die Tatsache, dass sie eine Austauschmöse hat, damit man mit der Reinigung besser zurechtkommt. Nach Gebrauch in Desinfektionsmittel legen und mittels einer Spezialbürste säubern. Drei Stück hat sie mitbekommen. Ich lächle säuerlich. Welche Frau hat schon drei Mösen?
Kutub trommelt weiter ungeduldig auf die Tasten. Irgendetwas scheint nicht nach seinen Wünschen zu laufen. Für mich sind das fremde Welten, obwohl ich auch rudimentär programmieren kann
Es ist nicht EVA, die das Problem darstellt. Ich bin es. Meine Ansprüche sind es. Ich will, dass EVA mehr ist als eine Roboterfrau mit Drähten und Motoren im Kopf. Ich bin unbescheiden geworden. Vielleicht gibt es irgendwo ein besseres Modell?
»Das ist es!«, ruft Kutub und klopft sich auf die Schenkel. Seine Jeans hat auf dem linken Bein einen ordentlich großen Kaffeefleck bekommen. »Oh, shit!«, ruft er, als er den Fleck bemerkt. »Wo kommt denn der her?«
»Von oben! Der Nachbarin ist die Kaffeekanne umgefallen, und der Kaffee tropft durch den Stuck!«, bemerke ich trocken. Kutub schaut erst erstaunt zur Decke hoch, dann wandert sein Blick frostig zu mir herüber.
»Und?«, lenke ich ihn ab.
»Ich hab den Bug. Aber wir kommen trotzdem nicht rein heute.«
»Weshalb?«
»Weil es nicht dein Account ist, den ich angezapft habe. Sicherheitshalber. Ich hab mir die Mailadressen runtergeladen. Unverantwortlich schlecht geschützt. Ich nehme einen Account, der viel genutzt wird. Jetzt muss ich von dort einen Weg zum Hauptserver bahnen. Das wird heute aber nichts mehr.«
»Und nun?«, nicke ich in EVAs Richtung, die verzweifelt mit den Augen rollt.
»Schalt sie erst mal ab heute. Morgen sehen wir weiter.«
Ich seufze. Arme EVA. Aber, sie hat ja die neuen Augen gewollt. Sie hat sogar angefangen, mich damit zu nerven, weil sie immer wieder darauf zu sprechen kam. Nicht dass ich ihr die Augen nicht gönnen würde. Im Gegenteil. Ich find es gut, wenn sie mich sieht. Wenn sie mich erkennt. Wenn sie lächelt, weil sie mich wiedererkennt. Aber ... Sie kann ja nichts dafür, dass die Verbrecher von Dollyrobotic sie als Mittel missbrauchen, Updates zu kaufen. Deshalb muss das ein Ende haben!
»Wann kommst du denn morgen?«, frage ich.
Kutub überlegt, dann rümpft er die Nase. »Morgen geht nicht. Ich habe versprochen, bei einer Vorlesung zu assistieren. Der Prof. benötigt einen PC- Fachmann, um die Entertaste zu drücken.«
»Nörrestrand?«, frage ich, denn es gibt nur einen Dozenten, der nicht mal allein das Licht anknipsen kann, weil er die Funktion eines Lichtschalters nicht durchschaut.
Kutub grinst als Antwort.
»Worum geht es denn?«, interessiert es mich.
»Bewusstsein, aus neurophysiologischer Sicht.«