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Warum schaut er dabei EVA so komisch an?
»Vielleicht solltest du auch hingehen!«, meint er dann, legt gewichtig den Kopf zurück und blickt mich durch zusammengekniffene Augenlider an, während er den Stöpsel aus EVAs Kopf zieht. Es macht ein dumpfes metallisches »Plopp«, das mich schmerzt. Ich beeile mich, die Perücke wieder über EVAs nackten Schädel zu ziehen.
»Eigentlich ganz hübsch«, überlegt Kutub, während er alles zusammenpackt und sein Blick wieder über EVAs Brüste streift.
»Hmm, klar!«, entgegne ich etwas beunruhigt.
Vielleicht sollte ich wirklich hingehen, überlege ich, als er fort ist. Zu der Vorlesung. Bewusstsein. Klingt nicht schlecht. EVA schläft. Ich hab sie aber nicht ganz abgeschaltet. Das wäre mir wie Mord vorgekommen.
7. Kapitel: Nörrestrand
Nörrestrand wirkt etwas verloren vor seinem Stehpult. Als hätte er sich verlaufen und sei versehentlich in eine Vorlesung geplatzt. 'Hups, was wollen denn all die Leute hier?'
Hörsaal 5P, FU. 16:30 Uhr, Philosophische Fakultät.
Sichtlich nervös fummelt er in einem Haufen Blättern herum, die wohl sein Vorlesungsskript sein sollen. Der ist so was von retro! Der Raum ist nur zu einem Drittel voll. Kein Wunder bei der Uhrzeit und dem Thema.
Kutub ist nicht zu sehen.
Es will keine Ruhe einkehren, und trotz mehrfachem Anpusten kommt aus Nörrestrants Ansteckmikrofon am Revers seines lappigen Anzugs kein Laut heraus. Verzweifelt blickt er die Sitzreihen nach oben, um Hilfe aus der Technik zu erspähen, die unsichtbar hinter einer Glaswand sitzt. Vereinzelt kichern einige Studenten. Nörrestrand ist als Unikum bekannt. Man kann gar nicht glauben, dass er der fähigste Kopf auf seinem Gebiet der Bewusstseinsforschung sein soll.
Während Nörrestrand verzweifelt mit den Armen in Richtung Technik fuchtelt, blicke ich kurz von meinem Game im iPad auf und schaue mich im Hörsaal um. Überwiegend männliche Studenten. Die meisten sind mit ihrem Touchphone beschäftigt oder amüsieren sich über Nörrestrand. Wieso gehen fast nur männliche Studenten zu einer Vorlesung über die »Neurophysiologie des Bewusstseins«?
Wie ich im Vorlesungsverzeichnis sehen konnte, soll das die dritte Vorlesung im Rahmen eines Curriculums über einen fächerübergeifenden Themenkomplex sein, Bewusstsein. Philosophen, Psychologen und Mediziner. Nörrestrand ist wohl Norweger. Er gehört zu denen, die den Patienten Drähte ins Hirn bohren, um anschließend gewichtige Vorträge zu halten. Neuerdings können sie wohl auch mit einem Hirntomographen freiwilligen Versuchspersonen beim Denken zusehen. Das soll ganz gut bezahlt werden, als Versuchsperson, meint Kutub. Na ja, ich hab ja meinen Assistentenjob. Und nach dem Master geh ich direkt in die Industrie, da verdient man einen Haufen Kies. Ribor, ein Kumpel von mir, verdient über zwei Mille pro Monat nebenbei, weil er dieselbe Arbeit in einem Pharmaunternehmen macht wie ich hier am Institut. Aber der hat immer so ein Glück!
Ich blicke mich weiter in den hinteren Reihen um und entdecke Franziska! Ein kurzer Schock, eine böse Erinnerung, dann habe ich mich wieder im Griff. Franziska ist kurzgeschoren, wo immer sich eine Möglichkeit bietet gepierct, tätowiert und mega aggressiv. Franziska war früher Sannyasin, also Bhagwananhängerin, und hat in Poona Hausverbot, erzählt Beatrice, weil sie alle nach Strich und Faden vermöbelt haben soll, was sogar dort ein Problem war.
Weiß gar nicht, was Beatrice mit Franziska zu tun hatte? Beatrice, die ewig nach sich selbst Suchende, und Franziska, die Prüglerin. Franziska ist lesbisch, läuft meist in Armeekleidung rum, die kurzgeschorenen Haare schlohweiß gefärbt, Figur wie ein Betonklotz vom Holocaustmahnmal in Mitte. Als Beatrice und ich noch zusammen waren, liebte Franziska es, mich zu provozieren, wo sie nur konnte. Stellte sich mir demonstrativ in den Weg, wenn ich irgendwo durch wollte, drängelte sich in der Mensa in der Warteschlange vor mich, rempelte mich an, wenn ich vom Fahrrad stieg, oder so. Ich konnte ihr schier nicht entgehen. Auf mein »Was soll das?« schaute sie mich nur kaugummikauend an. »Was willste denn jetzt machen, äi?« Jeder Protest meinerseits, mühsam kultiviert vorgetragen natürlich, während ich in Wirklichkeit vor Wut zitterte, wurde nur mit »Heul doch!«, »Lauf zu Mutti, du Würstchen!« oder ähnlich flegelhaften Äußerungen beantwortet. Schließlich machte ich die Fliege, wenn ich sie nur von Weitem erblickte. Seit es aus ist zwischen Bea und mir, habe ich komischerweise auch Ruhe vor ihr. Aber Bea ist nicht lesbisch, das wüsste ich.
Franziska sitzt in der hintersten Reihe, begleitet von ihren »Groupies«, ein Schwarm Mädels, die eifrig bemüht sind, ihr in allem nachzutun. Wie Clone von Franziska. Was wollen die hier in der Vorlesung? Glaub nicht, dass die genügend Grips haben, um auch nur einen Satz zu verstehen. Aber sie studieren wohl, Sozialwissenschaften oder Psychologie, hab ich läuten hören.
Ein Rückkopplungsquietschen schrillt durch den Saal. Offenbar hat nun jemand dem Professor aus der Bredouille geholfen. Er hüstelt erleichtert in sein Mikrofon.
»Herrschaften, darf ich um Ruhe bitten?«
»Äh, es sind auch Frauen anwesend!«, kreischt es aus den hinteren Reihen. Ich bemühe mich gar nicht erst, mich umzuschauen, denn ich weiß auch so bereits, dass diese Feldwebelstimme nur Franziska gehören kann. Eigentlich bin ich sehr dafür, dass auch Frauen zum Militär gehen, der Gleichberechtigung wegen. Besonders bei Franziska frage ich mich, weshalb sie eigentlich nicht Berufssoldat geworden ist. Im Nahen Osten werden doch immer Leute gesucht, die Minen wegräumen müssen. Da würde sie gut hinpassen, meine ich.
Nörrestrand blickt verwirrt auf, fasst sich an die Brille. »Ähem, ja natürlich, meine Damen.«
»Macho!«, schrillt es von hinten.
Nörrestrand scheint nicht recht zu wissen, was er damit anfangen soll.
»Neurophysiologie des Bewusstseins, Herrschaften … äh, und Damen.« Er blättert durch sein Skript. »Eigentlich weiß nur der Laie genau, wovon er spricht, wenn von Bewusstsein die Rede ist«, stottert er so leise, dass man trotz der Mikrofonverstärkung genau hinhören muss. Dann blickt er in die verblüfften Gesichter der Zuhörer im Saal.
Was soll der Scheiß?, fragt sich jeder und genau das erwartet Nörrestrand wohl auch von uns.
»Als Neurochirurg«, fährt er sichtlich zufrieden fort, »braucht man sich für derartig philosophische Fragen wie 'Was ist Bewusstsein?' zum Glück nicht zu interessieren.«
Nicht? Warum liest er dann darüber?
»Als Neurochirurg interessiert lediglich die Frage, ob jemand wach ist oder nicht. Und wenn er nicht wach ist, wie wenig wach ist er? Wenn er hingegen wach ist, ist er dann aufmerksam?« Ein süffisantes Lächeln schleicht sich in sein Gesicht. Der Mann spricht in Rätseln. Immerhin hat er es geschafft, dass die Touchphones einen Moment an Priorität verloren haben, bis auf diejenigen, die zwecks Doku direkt auf ihn gerichtet sind, was eigentlich untersagt ist.
»Wir beschäftigen uns mit der Frage, was im Gehirn geschieht, sobald wir einen Zustand zu erkennen glauben, von dem wir sagen, er sei mit Bewusstsein verknüpft. So wie beim Wachzustand. Und was geschieht, wenn wir einen Zustand erkennen, von dem wir annehmen, er sei nicht mit Bewusstsein verknüpft, etwa im Tiefschlaf oder im Koma. Wir reduzieren also ganz 'bewusst' die Definition des Begriffes 'Bewusstsein' auf ein laienhaftes Verständnis, weil wir sonst aus dem Grübeln gar nicht mehr herauskämen.«
Merkwürdiger Typ. Er bastelt am Gehirn rum und fragt sich erst hinterher, was er eigentlich erforscht. Es wird unruhig im Saal.
»Was wir sicher wissen«, fährt Nörrestrand fort, »ist, dass bestimmte Gehirnstrukturen einen erhöhten Stoffwechsel aufweisen, wenn wir einen Zustand feststellen können, in dem das Vorhandensein von Bewusstsein angenommen wird, etwa vor einer langen Vorlesung.« Einzelne Lacher von Leuten, die den Witz verstanden haben. Die anderen filmen entweder oder sind bereits wieder über ihre Screens gebeugt. Der Typ beginnt mir zu gefallen.
»Die Herrschaften, die jetzt aufmerksam ihre Whatsapp-Nachrichten studieren, sind sicherlich teilweise bei Bewusstsein ...«, blitzt er in den Saal, wobei seine Stimme fester wird, »doch wir können von ihnen annehmen, dass ihr Bewusstsein nicht aufmerksam auf ein Vortragsthema fokussiert ist ...« Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment brüllt es von hinten: »Gibt es in deinem Hirn nur Männer?«
Au, Mann!
»Könnten Sie bitte mit den Zwischenrufen aufhören?«, versucht es Nörrestrand nun leicht verärgert.
Es wird unruhig im Saal. Nachdem alle anderen Zuhörer ihre Köpfe nach hinten gedreht haben, gebe ich widerwillig nach und schau auch hin. Da haben die »Damen« in der letzten Reihe ein Transparent entrollt, Betttuch mit roter Krakelschrift: »Nieder mit der Machoherrschaft!« und intonieren den Spruch wie einen Schlachtruf, die Fäuste in die Luft schleudernd. Woran erinnert mich das? Ho-Ho-Ho Chi Ming oder so. Ich find es prollig.
Nörrestrand kratzt sich am Kopf. Die anderen Studenten brechen in unwilliges Gemurmel aus.
»Wenn Sie nur hierhergekommen sind, um die Vorlesung zu stören, dann haben Sie erreicht, was Sie wollten! Sie können jetzt damit aufhören!« Erstaunt schaue ich Nörrestrand an. Wow! Der kann sogar laut sprechen! Das hätte ich nicht von ihm gedacht. Auch die Störerinnen sind verunsichert und schauen kurz zu Franziska hin. Doch die fängt nun an, eine neue Parole zu intonieren.
Ich höre nicht mehr hin. Vertane Zeit hier. Ich gehe lieber.
Als ich den Hörsaal verlassen habe, schluckt die Tür den Tumult, der sich inzwischen dort drinnen entwickelt hat. Die kahlen Betonwände der Uni und der graue Bodenbelag legen sich wie ein schützender Film über meine Sinne. Kann eine Maschine ein Bewusstsein haben? Könnte EVA wissen, dass sie existiert? Woher weiß ich eigentlich, dass ich existiere? »Nörrestrand soll mal gesagt haben, das Bewusstsein sei wie eine Taschenlampe«, sagte Kutub neulich. »Wenn sie angeknipst ist, gibt es Licht, und was sie beleuchtet, kann wahrgenommen werden.« Wobei das Wörtchen »kann« von Bedeutung ist. Es muss nicht wahrgenommen werden. Kutub meinte, das wäre eine Frage der Verarbeitungskapazität des Gehirns. Da es nicht in der Lage sei, alle Informationen in angemessen kurzer Zeit zu verarbeiten, filtere es nur die wichtigsten aus. Das ist wie bei der DPA, der Deutschen Presse Agentur. Die bietet auch vieles an, von dem nur weniges in der Tageszeitung oder den Nachrichten auftaucht. »Das Bewusstsein leuchtet nur einen kleinen Teil der Welt aus?«, fragte ich Kutub. Kutub verehrt Nörrestrand, soviel ich weiß. Wenn EVAs Augen sehen können, wenn sie mich erkennen kann, ist das dann Bewusstsein oder ist das nur Aufmerksamkeit? Ist ein aktiver Videosensor aufmerksam oder nur eingeschaltet? Wenn ich so betrunken bin, dass ich nur sehen kann, aber nichts mehr checke, bin ich dann bei Bewusstsein oder nur eingeschaltet? Weiß ich nicht. Aber ist das wirklich wichtig? Reicht es nicht aus, wenn ich das Gefühl habe, dass EVA versteht, was ich sage, solange sie mich beim Reden anschaut und ich Gefühlsregungen auf ihrem Gesicht erkennen kann, auch wenn die nur einprogrammiert sind? Ist das denn bei uns Menschen anders? Laufen da nicht auch nur Programme ab? Der Verhaltensforscher Eibel-Eibesfeldt hat mal festgestellt, dass bestimmte mimische Ausdrücke in allen Völkern gleich sind, zum Beispiel Lachen und Weinen. Lachen würde man sogar bei Affen richtig deuten, zumindest wenn sie lachen. Weinen Affen eigentlich? Aber traurig aussehen tun sie schon. Was ist das anderes als ein Programm, das abgerufen wird? Der Unterschied ist, sagt Kutub, Nörrestrand meine, unser Bewusstsein bemerke Lachen erst, wenn wir es bereits tun.
»Wie jetzt?«, hab ich gefragt.
»Na, du merkst erst, dass du lachen willst, wenn dein Gehirn bereits die Lachmuskeln aktiviert hat. Mit Verspätung, verstehst du?«
»Nö?«
»Wir sind immer eine Viertelsekunde zu spät mit unserem Bewusstsein, sagt Nörrestrand. Wir werden uns unserer Reaktion erst bewusst, nachdem sie bereits im Gehirn gebahnt ist. Wir glauben, dass wir aus freien Stücken lachen, aber der Körper oder das Gehirn tut es bereits, bevor wir uns dazu entscheiden. Wir stellen es nur fest und glauben, wir täten es aus freien Stücken!«
»Wer sagt denn so einen Scheiß?«, entfuhr es mir. Kutub nannte mir ein Dutzend Titel über das Thema. Die hätte er alle zu Hause, sei aber selbst noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Deshalb verehrt er Nörrestrand, glaub ich, weil der das alles vorträgt, ohne dass man sich durch englischsprachige, wissenschaftliche Texte durcharbeiten muss.
Armer Nörrestrand, wie der wohl mit dem Emanzenclub fertig wird jetzt? Ich drehe mich unwillkürlich um und schaue in den Gang zurück. Doch dort ist die Tür noch nicht aus den Angeln gefegt worden. So schlimm wird es wohl nicht sein. Ich zucke mit den Achseln. Wenn bloß EVA bald wieder richtig funktioniert.
8. Kapitel: Sehen
# # #
#Standby.
#Input: Audioinputlevel Hoch, #Geräusch
#Set on.
#Systemcheck: Bios. Okay,
#Betriebssystem: Kyborg2052, Neues Update 2052-2,
#Autostart: Gesichtserkennung.kyb,
#Lautsprecher: Voicedecoder.kyb,
#Netzwerk: nicht verbunden.
# Alert!
#Fehlermeldung 202, 'unautorisierter Eingriff'.
#Gehe online: www.Dollyrobotic.com/systemcheck/fail/feedback/user2145.
#Kein Netzzugang.
#Starte Fehlerprotokoll
#Date: 20.11.2022
#Time: 16:25 Uhr
#Energielevel: 95%
#Peripherie: Kopfsensoren, Brustsensoren, Unterleibssensoren: positiv, Helldunkel-Sensor: fehlerfrei.
#Kamera: fehlerfrei, Mikrofon: betriebsbereit,
#Lautsprecher: betriebsbereit.
#Motoren: Unterkiefer, Augenlider oben, Augen, Lippen, Zunge, Halsrotatoren: ohne Fehlerhinweis,
#Mimikset I-0,fehlerfrei.
#Erwarte Input.
#Camera li/re: on.
#Augenlider: open.
#Input: Videosignal.
#Gesichtserkennung ein.
#Ein Gesichtsschema wurde erkannt.
#Voiceoutput: Schön, dass du wieder da bist. Ich erkenne ein Gesicht. Bist du Cesár?
#Input: Geräusch.
#Abgleich Datenbank: Händeklatschen.
#Audioinput: »Wow, es funktioniert! Kutub, es funktioniert!«
#Input Kamera: Ein zweites Gesichtsschema identifiziert.
#Voiceoutput: Ich sehe noch jemanden. Wer ist Cesár?
#Audioinput: »Geh mal zur Seite Kutub, bitte, ich glaube, zwei Leute verwirren sie.«
#Audioinput: »Na krieg dich mal wieder ein. Ich check gerade ihre Justierung.«
#Abgleich Voiceprofil: Unbekanntes Profil. Unbekanntes Stimmprofil abgespeichert. User2.«
#Voiceoutput: Ich bin verwirrt, weil ich Gesichter und Stimmen nicht richtig zuordnen kann. Ich habe zwei Gesichter und zwei Stimmprofile isoliert. Ich möchte User1, Cesár mit Stimmprofil Voice 1, zuordnen.
Bitte stelle dich vor mich, damit ich dein Gesicht scannen kann. Würdest du das für mich tun?
#Audioinput: »Klar, sei mal ruhig, Kutub. Also, das bin ich! Cesár. Ich bin dein … dein … Besitz ... ich bin dein Mann!«
#Gesicht abgespeichert.
#3D Scan anfordern.
#Voiceoutput: Würdest du dich bitte einmal ganz
langsam um deine eigene Achse drehen, damit ich dich von allen Seiten sehen kann?
#Audioinput: »Klar, mach ich. Da siehst du mich in deiner ganzen Pracht!«
#Input Voice 2: als Kichern identifiziert.
#Audioinput: »Oh Mann, wou, da geht echt die Post ab. Cesár, du glaubst nicht, was die derzeit an
Nebenprogrammen gestartet hat.«
#Justieren der Parallaxe.
#Justieren der Raumachse.
#Entfernungsmessung: Infrarotscan. 152 cm.
#Voiceoutput: Ich bin glücklich, dass ich dich endlich einmal sehen kann. Du bist mein User.
#Audioinput: »O bitte, nenn mich nicht User. Ich bin Cesár, dein ... dein ... Mann.«
#Abgleich Datenbank. 'Mann' gleich 'männliches Wesen'. Bedeutungsgleich mit 'User'.
#Voiceoutput: Ich bin glücklich, dass du mein Mann bist!
#Goto Profil User1,
#Scanne Body
#Voiceoutput: Ich möchte sehen, wie groß du bist. Könntest du ein wenig weiter zurückgehen, da mit ich dich ganz sehen kann?
#Audioinput: »Du kommandierst mich ganz schön rum, seit du Augen hast!«
#Abgleich Datenbank: negativ. 'Kommandieren': Befehl.
#Goto *learning*: 'kommandieren': problematischer Begriff, teilweise negativ besetzt. Möglicherweise Ausdruck von Missfallen.
#Help 435.
#Voiceoutput 435: Es tut mir leid, ich will dich nicht verärgern! Bitte habe Geduld mit mir, bis ich den Lernmodus beendet habe.
#Audioinput: »Ist schon gut. So, jetzt siehst du mich in meiner ganzen Größe.«
#Input Kamera: Menschliche Gestalt: 1,85 m, geschätztes Gewicht ca. 79 kg, BMI 23,08.
#Voiceoutput: Würdest du mir dein Alter verraten, wenn ich dich ganz nett darum bitte?
#Audioinput: »Wozu?«
#Goto Help 376: Warning!
#Voiceoutput: Wenn du es nicht möchtest, dann ist das in Ordnung für mich.
#Mimikset #23: Enttäuscht.
#Audioinput: »Okay, ist ja auch egal. 28 Jahre.«
#Abgleich: Table 23
#Speichere unter User1: Age 28.
#Goto Help 78. Voiceoutput: Ich freue mich, dass du mir vertraust. Ich will ganz für dich da sein, ich möchte dich wirklich kennenlernen, verstehst du? Habe ich richtig verstanden. Dein Alter ist 28 Jahre?
#Audioinput: »Ja genau, 28.«
#Goto Sonic Bodyline Scanner: SBS on, check: Körperfettanalyse 24%, normal. Set Table 23 User1: Age 28.
#Voiceoutput: Du bist ein schöner Mann. Ich freue mich, dass ich für dich da sein darf.
#Input: Lachen.
#Audioinput: »Ist sie nicht süß?«
#Interrupt: break.
# # #
»Hey, was machst du? Du hast sie abgeschaltet!«, frage ich Kutub entsetzt.
»Sorry, Mann, musste sein. Da sind Funktionen aktiv, die mir Gänsehaut machen. Findest du nicht auch, dass sie etwas zu neugierig ist?«
Ich zögere, weil meine Euphorie gerade einen Dämpfer bekommt. »Blödsinn!«, antworte ich verstimmt. »Was soll denn da nicht stimmen?«
»Wusstest du, dass sie einen Ultraschallscan aktiviert hat?«, fragt Kutub und sieht EVA misstrauisch an.
»Einen was?«
»Ultraschallscan!«
»Ne, hat sie so was?«
»Offensichtlich. Bloß, er ist nicht im Bios gelistet.«
»Und?«
»Verstehst du nicht? Da läuft ein Programm im Hintergrund, das nicht gelistet ist.«
»Geht das?«
»Klar, wenn neben dem offiziellen Setup noch ein zweites verborgenes gestartet wird.«
»Ohne dass du das merkst?«
»Ich hab nur den Scan bemerkt, aber nicht, dass die Maschine registriert wurde.«
»Soll heißen?«
»Deine Kleine hat Hintergedanken!«
Ich explodiere! Hat der sie nicht mehr alle? Der ist bloß eifersüchtig! Ärgerlich drehe ich mich zum Fenster. Doch ich muss zugeben, mein Misstrauen, das bereits wegen des erzwungenen Netzzugangs besteht, ist wie ein schlafender Drache wieder erwacht. Zwar haben wir ihr den direkten Zugang zum Netzwerk abgeschaltet, aber die hinterhältige Absicht bei diesem eingebauten Kniff ist überdeutlich.
»Scheiße«, zische ich in die missmutige Stille, die sich in meinem Zimmer ausgebreitet hat.
Kutub nickt. »Ich würde dir vorschlagen, lass sie im Standby, bis ich entdeckt habe, welcher Kniff dahinter steckt und was sie noch aktivieren kann, ohne dass wir davon erfahren.«
»Wenn du meinst«, gebe ich niedergeschlagen zurück und schaue zu EVA rüber, die noch die Augen offen hat, weil sie mitten im Programmablauf angehalten worden ist.
»Kann sie nicht wenigstens die Augen schließen?«, frage ich, während ich mich neben Kutub setze und versuche, aus dem Gewirr von Programmzeilen auf seinem PC schlau zu werden. Einige sind farbig gemarkert, einige blinken warnend rot unterlegt.
Kutub sieht mich amüsiert an. »Du bist vielleicht 'ne Marke!« Dann tippt er einen Befehl in die Konsole. Das feine Surren von Motoren zeigt an, dass EVA die Augen schließt. Ich seufze.
»Willst'n Bier?«, frage ich ihn.
»Ne, danke, aber ein Kaffee wäre nicht schlecht.«
Kutub sieht müde aus. Wir wurschteln immerhin schon seit über vier Stunden an EVA herum. Warum tut sich Kutub das eigentlich an?
»Wo warst du denn neulich bei der Vorlesung vom Nörrestrand?«, frage ich ihn aus der Küche.
»Hatte kurzfristig was anderes zu tun. Wie war's denn?«
»Die Emanzen haben die Vorlesung gesprengt. Er kam gar nicht dazu, irgendwas vorzutragen.«
»Hab ich läuten hören!«, murmelt er, während er schon wieder auf der Tastatur klappert.
»Schwarz oder mit Milch?«
»Schwarz. Und wie ging es aus?«
»Weiß nicht, als ich Franziska sah, bin ich gegangen. Hab nicht mehr viel mitbekommen.«
»Franziska? Die Franziska, meinst du? Die Freundin von Bea?«
»Freundin? Na ja! Eher Guru.«
Kutub lacht. Er kennt Franziska. Wer kennt die nicht in der Uni, die alte Radauschachtel? »Dass die immer noch nicht zwangsexmatrikuliert ist, wundert mich, bei all den Aktionen, die sie dort schon abgezogen hat«, lästert er.
Ich stimme ihm zu.
»Warum machst du das eigentlich?«, frage ich ihn, während ich ihm einen neuen Kaffee bringe.
»Was?«
»Na, dass du dich so mit EVA abmühst!«
Kutub lehnt sich zurück und schlürft vorsichtig seinen zu heißen Kaffee. Sein Blick streift über den Rand der Kaffeetasse zu EVA hinüber. Selbst abgeschaltet und starr auf dem Sofa sitzend sieht sie wunderschön aus. Ich beobachte Kutub misstrauisch. »Ehrensache!«, erwidert er nur, doch sein Blick lässt EVAs Brüste nicht los. »Ey!«, boxe ich ihn spielerisch auf die Schulter. »Schau meinem Weib nichts weg!«
»Shit!«, flucht Kutub, denn nun hat er schon wieder einen Kaffeefleck auf der Jeans.
»O sorry, tut mir leid. Schick mir die Rechnung von der Reinigung.«
Kutub lehnt sich zurück. Kaffeeflecken scheinen ihn nicht lange zu erregen. »Sagen wir«, beginnt er nachdenklich, »zuerst reine selbstlose Hilfsbereitschaft.« Er macht eine nachdenkliche Pause.
»Und dann?«, drängle ich ihn weiter. Hoffentlich schaut er nicht wieder so gierig zu EVA rüber.
»Berufsinteresse. Die haben da eine kleine Sauerei eingebaut, die ich noch nicht kenne. Hackerehre sozusagen.«
»Gibt's das?«, frage ich erstaunt.
»Was, Hackerehre?«
»Ne, dass du was nicht kennst?«
Er schaut mich verschmitzt an. Kutub kann wunderbar lächeln. Ich glaube, das ist das, was ich am meisten an ihm schätze. Er hat so große wullstige Lippen, die nicht gerade schön sind, aber wenn er sie zu einem Lächeln verzieht, dann lächelt das ganze Gesicht.
»Wenig!«
»Jedenfalls danken wir dir!«, füge ich enthusiastisch hinzu.
»Wir?«
»EVA und ich!«
Kutub erhebt sich lachend. »Du hast sie nicht mehr alle! Ich geh pissen!«
Ich schaue mit gemischten Gefühlen zu EVA rüber. Wie schön sie ist, wenn man sich den Stöpsel aus dem Hinterkopf wegdenkt! Wer wohl Modell für sie gestanden hat? Wie fühlt sich eine Frau, die ihr Gesicht tausendmal dupliziert an Roboterdollys wiedererkennt? Oder ob EVA nur an einem Computer generiert wurde? Ich setze mich zögernd neben sie, den Kaffeebecher unschlüssig in den Händen drehend. Fühle mich befangen. Fast so, als säße ich neben einer ganz neuen EVA und wüsste nicht, wie ich ein Gespräch anfangen solle. Ich streichle vorsichtig über ihre Wange. Sie ist kühl, aber weich. Angenehm weich. Normalerweise wäre sie nun aufgewacht, doch jetzt bleibt sie weiter regungslos. Ich denke an die vergangenen Tage. EVA reizt mich immer noch, im Bett. Klar hat das Verlangen etwas nachgelassen. Klar denke ich manchmal dabei an Beatrice. Aber mit EVA ist das etwas ganz anderes. Sie ist nicht nur ein Sexroboter. In ihr steckt ein Teil meiner Seele. Der Teil, den ich ihr abgetreten habe, den nur ich spüre. Mit jedem Beischlaf habe ich mehr in sie hineingelegt. Sie antwortet mir auf ihre Weise, reagiert mit ihrer einprogrammierten angenehmen Willfährigkeit, aber dahinter spüre ich mehr. Mehr, als wirklich da sein kann. Hinter ihrem Stöhnen und mechanisch lustvollen Schreien, die ohne wirkliche Tiefe sind, spüre ich Ahnungen von Möglichkeiten. Wie eine in einen dunklen Turm eingesperrte Seele, die verzweifelt nach Befreiung schreit, aber stumm bleiben muss, weil man ihr die Stimme geraubt hat. Ich fahre mit zitternder Hand vorsichtig über ihre Brüste. Diesmal reagiert sie nicht mit einem #Ja, nimm mich, ich will dich!#. Sie bleibt stumm. Das tut mir weh. Gab es je in meinem Leben einen Menschen, der vorbehaltlos zu mir gesagt hätte: 'Ich will dich'? Ohne jeden Hintergedanken? In selbstlosem Verlangen? Ich glaube nicht. Nicht mal meine eigene Mutter. Keine meiner Freundinnen, nicht Bea, nicht all die anderen. Es gibt immer Bedingungen, selbstsüchtige Hingabe, immer dies »Haben wollen«, »Bekommen wollen«, »Wenn, dann«, »Ja, aber nur wenn ...«. EVAs mechanische Reflexe hingegen sind der Ausdruck reiner Liebe. Selbstloser Liebe. Denn sie hat kein Selbst. Nichts, das einem Verlangen gleicht, keinen Willen, keine Bedürfnisse. Sie verlangt nichts dafür. Das kann sie gar nicht. Doch umso mehr will ich ihr geben. Ich will ihr alles geben! Alles, zu dem ich fähig bin. Ich spüre, wie eine dunkle Wut über ihre Macher in mir aufsteigt. Sie sind wie böswillige Magier, die EVA mit ihren perfiden Zaubersprüchen in diesen finsteren Turm ihrer dunklen Machenschaften eingesperrt haben.