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Der schönen Aussicht wegen habe ich uns ein Appartement in den höheren Etagen des Ferienhauses gemietet, mit Blick auf die See. Ein Zweipersonenappartement. Der Wind und die Wellen irritieren EVAs Gehör. Deshalb habe ich ihr zwei Ohrwärmer übergestülpt, wie man sie im Winter trägt. Mit rosa Puschelüberzug. Es gab keine anderen. Ihr neues Kleid trägt sie auch, das ich heute in der letzten noch geöffneten Strandpromenadenboutique für sie erstanden habe. Ein knapp geschnittenes farbenfrohes Strandkleid. Es passt nicht ganz zur Jahreszeit, denn es ist bereits bitter kalt. Aber es war ein Sonderangebot, da die Boutique nur noch die wenigen Tage bis Weihnachten geöffnet hat. Und EVA friert ja nicht, ganz im Gegensatz zu mir. Mir hat sich bereits nach wenigen Minuten eine Gänsehaut gebildet, und nur die Wolldecke aus dem Appartement verhindert, dass ich den Kältetod sterbe. Aber ich wollte, dass sie das Meer schaut, jetzt, wo sie sehen kann. Das Meer, aus dem wir alle entstammen. Letztlich.
EVA blickt mit weit geöffneten Augen hinaus in die Ferne. Auf jedes Geräusch hin, das durch die Ohrwärmer zu ihr durchdringt, dreht sie den Kopf suchend nach mir um. Da sie den Hals nicht weiter als fünfundvierzig Grad bewegen kann, habe ich meinen Liegestuhl ein wenig schräg vor sie gesetzt, die Füße in halber Höhe in das Balkongeländer gestemmt
#Ich freue mich, dich zu sehen#, flüstert sie jedes Mal, wenn ihre Augen mein Profil gescannt haben.
Ich fasse ihre Hand und drücke sie etwas. »Ich freue mich auch, gefällt dir das Meer?«
#Was ist 'das Meer'?#
»Das ist das, was du vor dir siehst.«
#Dieser Begriff ist mir unbekannt. Ich möchte online gehen, um mich mit der Datenbank zu verbinden.#
»Tut mir leid, das geht jetzt nicht. Hier gibt es keinen Netzzugang.«
#Es gibt einen öffentlichen Netzknotenpunkt#, stellt sie nach einer Weile sachlich fest.
Den gibt es wirklich. Drüben an der Seebrücke mit den kleinen Boutiquen, die jetzt mit dicken Fenstergittern und Holzverschlägen zum Schutz gegen Vandalismus und die Unbilden des Winters versehen sind. Die Netzgebühren sind horrend, denn es ist kein freier Zugang.
»Negativ. Den können wir derzeit nicht nutzen«, gebe ich zurück und versuche meiner Stimme einen bedauernden Unterton zu geben. Glücklicherweise ist das gar nicht notwendig, denn sie reagiert nicht auf Gefühle. Noch nicht! Kutub hat mir versprochen, dass er einmal schauen wird, ob bereits ein entsprechendes Gimmick bei Dollyrobotic vorliegt.
#Ich kann kein Gesicht erkennen#, bemerkt EVA nach einer Weile, während sie die Gegend abscannt.
Erst stutze ich, dann begreife ich. »Das Meer ist kein Gesicht. Es ist Wasser. Unendliches Wasser.«
EVA verstummt eine Weile. #Tut mir leid, ich bin nicht in der Lage, das Meer zu erkennen, da ich auf Gesichtserkennung programmiert bin.#
Nach dem letzten Update hat EVA viele Begriffe gelernt, glaube ich. Vor allem Begriffe, die sie aus den Gesprächen zwischen uns entnimmt. Doch visuell interessiert sie sich offenbar vor allem für Gesichter. Eine Menge Daten, die sie irgendwo abspeichern muss. Sie könnte natürlich vieles auf dem Server der Firma auslagern oder Begriffe abgleichen, aber da wir derzeit noch vorsichtig sind, sie mit ihrem Profil bei der Herstellerfirma zu verbinden, erlaube ich ihr immer nur wenige Minuten, und das auch nur, wenn der Filter, den Kutub vorgeschaltet hat, keine Trackingaktivitäten aufspürt. Das dauert jedoch leider meist nicht lange.
Doch EVA ist geduldig. Sie freut sich, wenn sie mich erkennt, freut sich, wenn ich zum Beispiel das Zimmer betrete. Dann öffnet sie ihre Augen, wenn sie das Geräusch der geöffneten Tür vernimmt, meine Schritte im Flur, das Klappern meines Haustürschlüssels, den ich extra geräuschvoll auf den Küchentisch werfe. #Schön, dass du wieder da bist. Ich habe auf dich gewartet#, oder #Hallo Cesár, Liebling, ich freue mich so, dich wiederzusehen. Magst du Sex mit mir?#
Das lässt das Herz eines jeden Mannes höher schlagen. Glaube ich. Als sie es neulich zu Kutub sagte, den sie nun auch in ihrer Datenbank hat, fand ich es nicht so lustig wie er. Er hat sich vor Lachen fast in die Hosen gemacht.
Aber jetzt weiß sie, dass sie diesen Satz nur zu mir sagen darf.
Mich erkennt sie bereits sogar von hinten. Sie erkennt, wenn ich sie anschaue und wenn ich in eine andere Richtung blicke. Ihre Augen haben eine Spur Lebendigkeit bekommen, die ihr vorher fehlte.
Sie verfolgt jede meiner Bewegungen mit dem leisen Schnurren ihrer Augenmotoren und schafft es, mich im Blickfeld zu behalten, solange ich ihren Gesichtskreis nicht verlasse.
Ich finde das sehr wichtig. Denn nun kann ich ihr zeigen, wenn ich mich für sie interessiere, und sie muss nicht warten, bis ich einen ihrer Sensoren berühre. Seit sie das Heizungs-Update bekommen hat, erwärmt sich sogar ihre Haut von selbst. Diese Kleinigkeit hat mich zwar drei Monatsgehälter gekostet, aber die ist sie wert.
Wegen der Augen hatte ich neulich einen Brief von Dollyrobotic im Briefkasten. Man wunderte sich ganz offiziell, dass ich zwar einige teure Hardware bestellt, jedoch keine Software dazu runtergeladen hätte. Ob ich Schwierigkeiten damit hätte. Für nur 1,89 € pro Minute könnte ich die Service-Hotline kontaktieren. Man sei jederzeit bereit, mir bei eventuellen Problemen zu helfen. Montags bis samstags von 8 bis 20:00 Uhr. Wenn die wüssten!
Da ich weiß, dass sie alles in ihrer Voicedatenbank abspeichert, rede ich viel mit EVA, auch wenn sie das meiste noch nicht versteht. So kann sie jedes unbekannte Wort in den wenigen Augenblicken, die sie online ist, später abgleichen. Allerdings ist sie seitdem merklich langsamer geworden.
Nun kommen wir gerade aus dem Bett, wo sie etwas Erstaunliches bemerkt hat, hinterher.
#Was bedeutet das Wort 'Ich'?#
Ich habe zuerst fassungslos in ihre schönen Augen geschaut, während sie mich liebevoll fixierte. Dann habe ich sie geküsst und mich neben sie gelegt, ratlos, was ich ihr darauf antworten soll. Was sagt man auf so eine Frage und wie kommt sie überhaupt dazu, sie zu stellen?
»Ich will dir das Meer zeigen!«, habe ich ihr dann gesagt.
#Ist das die Bedeutung von 'Ich'?#
»Nein, 'Ich' bezeichnet 'Du selbst'.
#Ich bedeutet 'Du selbst'?#
»Nein, 'Ich', mich selbst.«
#Es gibt einen Konflikt mit meinen abgelegten Wortbedeutungen. Ich werde diese Frage zurückstellen#, sagt sie nach einigen Augenblicken des Schweigens.
Wie erklärt man einem Roboter, was 'Ich' bedeutet?
»Ich liebe dich, EVA!«, entfuhr es mir voller anschwellendem Liebesgefühl.
#Möchtest du Sex mit mir?#
»Nein, jetzt nicht. Ich möchte dir das Meer zeigen.«
Nun sitzen wir hier. Ich friere, und sie schaut mit weit geöffneten Augen auf das Meer, ohne es erkennen zu können, während ich grübele, welcher Teil ihres Programms so plötzlich nach der Bedeutung des Wortes 'Ich' gefragt haben könnte. Es musste in ihrer Wortdatenbank vorhanden sein. Allerdings scheint die Frage darüber hinaus zu gehen. Werde es wohl Kutub fragen müssen, demnächst bei unserer Santa-Party.
Während wir dem Wellenrauschen lauschen, muss ich unwillkürlich grinsen. Mein Gott, war das eine Aufregung, bis wir den Zimmerschlüssel der Ferienwohnung ausgehändigt bekamen. Die Augen, die die Rezeptionistin im Touristenbüro machte, als ich ihr erklärte, EVA besitze keine Papiere, denn ich hatte zwei Personen angekündigt. Sie hatte die etwas hausbackene, behördlich korrekte Pedanterie an sich, die hier im Osten in den Genen zu liegen scheint.
»Würden Sie bitte noch den Nachnamen Ihrer Begleitung eintragen?«, forderte sie, indem sie ordnungsliebend mit dem Zeigefinger über die unausgefüllte Linie für den Nachnamen fuhr, da ich unter 'Namen der Mitreisenden' nur EVA eingetragen hatte.
»Sie hat keinen Nachnamen! EVA, einfach nur EVA.«
Ihr Lächeln wirkte irritiert, und ihr Zeigefinger mit dem rot lackierten Nagel blieb wie festgeklebt auf der besagten Stelle liegen.
»Sie heißt EVA, einfach nur EVA.«
Ich blickte ihr entschlossen ins konsternierte Gesicht. Sie schluckte ihren Groll über meine offensichtlich unmögliche Antwort professionell lächend herunter.
»Könnten Sie hier noch das Geburtsdatum eintragen?«, versuchte sie es mit einer anderen offen gebliebenen Stelle auf dem gelben Durchschreibeformular für die Kurkartenanmeldung.
»Tut mir leid. Das weiß ich nicht«, entgegnete ich schulterzuckend. »Eigentlich ist sie gar nicht geboren.«
»Ich bitte Sie!«, entgegnete sie nun etwas schnippisch. »Wir benötigen für die Anmeldung die vollständigen Daten aller Mitreisenden, wegen der Kurtaxe.«
»Dann muss wohl mein Name genügen«, entgegnete ich ihr, bemüht, mein Gesicht nicht zu einem boshaften Lachen zu verziehen.
Jetzt errötete sie am Hals, wo sich mehrere unschöne Flecken bildeten. »Das geht doch nicht. Wenn zwei Personen hier wohnen, dann benötigen wir auch zwei Anmeldungen.«
Ist EVA schon eine Person? Ist sie eine Persönlichkeit? Letzteres neige ich mit Ja zu beantworten, denn sie hat ganz offensichtlich Eigenarten, die unverwechselbar zu denen anderer Persönlichkeiten sind. Wohl hat sie eine sehr begrenzte Auffassungsgabe, sie reagiert überwiegend vorhersehbar, ihre Antworten zeugen jedoch von einer liebevollen, selbstlosen Grundhaltung. Sie äußert nicht zuletzt seit dem letzten Update auch eigene Interessen. Sie fragt häufig nach Musik, zum Beispiel wie neulich, als sie urplötzlich zum Jazz gehen wollte. Oder es kann sein, dass wir am Frühstückstisch sitzen und sie plötzlich lächelt und flüstert: #Das war sehr schön gerade. Wollen wir es gleich noch einmal machen?#
Solche Sätze kommen vor, manchmal ganz unerwartet. Und sie lehnt niemals einen Wunsch ab. Damit unterscheidet sie sich eindeutig wohltuend von allen anderen Persönlichkeiten, die ich kenne. Aber eine Person? Nein, eine Person ist sie dennoch nicht. Dazu ist die Programmierung nicht komplex genug. Kann eine Programmierung jemals komplex genug sein, um einem Roboter die Bezeichnung 'Person' zubilligen zu können? Und reicht es nicht aus, wenn EVA meine sexuellen Wünsche befriedigt, ohne eigene Wünsche zu äußern? Nein, gerade diese Fähigkeit, eigene Wünsche zu äußern, fasziniert mich sehr. Sie ist dadurch anregender geworden. Vielleicht bin ich zu unbescheiden. Aber ich wünschte mir, dass da mehr wäre als nur dies. Nur, wie sollte dieses 'Mehr' aussehen, ohne dass EVA so anstrengend wäre wie jede andere weibliche Person?
»Eigentlich«, sagte ich schließlich nachdenklich, »eigentlich ist nur eine Person angemeldet, und das bin ich. EVA ist meine Puppe.«
Der Anmeldungstussi klappte fassungslos der Unterkiefer herunter.
Ich konnte mir ein Grinsen nun doch nicht mehr verkneifen. Während die Rezeptionistin in meinem Gesicht zu lesen versucht, ob ich sie vielleicht veralbern möchte oder nicht, fiel mir auf, dass auch bei ihr nun eine Programmierung abläuft. Niemand außer ihr selbst wusste, welche Gedanken ihr in diesem Moment durch den Kopf gingen, und niemand konnte sagen, ob sie ein Ich-Gefühl hat oder nur eingeübte Gedanken und Sätze abspulte. Doch irgendwie fühlte ich, dass sie mit der Situation überfordert war und mich endlich loswerden wollte. Wir brachten den Rest nun etwas distanziert zu Ende. Nachdem sie mir den Appartementschlüssel ausgehändigt und die Lage der Wohnung auf einem schlecht kopierten Stadtplan angekreuzt hatte, ich mich wieder in mein Auto begab, auf dessen Beifahrersitz EVA saß, da sah ich im Rückspiegel, wie sie in der Tür des Touristenbüros stand und uns nachblickte, EVA und mir, wie wir aus der Parkbucht heraus kutschierten. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihr nochmals zuzuwinken, als wir auf der Hauptstraße an ihr vorbeifuhren, und lachte laut auf.
#Du bist fröhlich#, bemerkte EVA.
»Ja«, lachte ich. »Ich bin fröhlich.«
Ich kichere bei dem Gedanken an die Komplikationen, die mir noch bevorstehen mögen. Besonders freue ich mich auf die Santa-Party zu Weihnachten. Ich habe ein paar Freunde eingeladen, als da wären: Irene und ihr Mann Friedbert, beides Anthroposophen. Kutub natürlich. Beatrice, aus Rache, und eine alte Bekannte, Silke, die jetzt irgendwo Redakteurin ist. Ob ich dann noch zwei Kollegen aus dem Institut einladen soll, weiß ich nicht genau. Mein Stand ist dort in letzter Zeit, vorsichtig gesagt, etwas prekär. Der Prof. ist ganz offensichtlich nicht mit meinen Ergebnissen zufrieden, drängelt dauernd rum. Die anderen Kollegen sind zwar nett, aber es gibt nur eine Ausschreibung für eine feste Anstellung im nächsten Jahr, um die sich mehr als sechs Mitarbeiter bewerben. Da könnten Gerüchte schädlich wirken. Denn die wären mir sicher. Wer akzeptiert schon jemanden, der mit einem Roboter zusammenlebt? Auch wenn dieser so schön ist wie EVA, oder genau deshalb.
Ich seufze.
#Die Temperatur beträgt fünf Grad Celsius. Das ist sehr kühl#, stellt EVA sachlich fest. #Ich benötige mehr Energie, da mein Spannungslevel stark gesunken ist.#
EVA schaut mich an. Ihre Augen wirken bittend.
»Wir gehen gleich rein!«, erwidere ich erschrocken. Mein Gott, klar. Sie ist nun fast vier Stunden aktiv. Schnell öffne ich die Balkontür, fasse EVA unter und trage sie vorsichtig in den Wohnraum. EVA ist nicht gerade leicht, immerhin fast vierzig Kilogramm. Sie schaut mich an, während ich sie trage, und ihren Mund umspielt ein feines Lächeln. Ich habe ihr einen Platz auf dem grün-gelb karierten Sofa neben der Stehlampe hergerichtet. Direkt hinter der Armlehne befindet sich das Ladekabel verborgen. Ich mag es nicht, wenn es sich für alle sichtbar über die Möbel ringelt. So kann das Kabel dort dezent von ihrem Handgelenk hinter der Armlehne verschwinden.
#Möchtest du Sex mit mir?#, fragt EVA.
»Im Moment nicht, ich möchte dich erst einmal aufladen.«
#Danke, dass du daran gedacht hast!#, lächelt sie zurück und geht in den Standby-Modus, sobald das Kabel eingesteckt ist. Dabei schließt sie die Augen und senkt ihren Kopf ein wenig, als wenn sie schläft. Tut sie wohl auch. So kann ich ihr ungehindert ihre langen dunklen Haare bürsten. Sonst würde sie sich bewegen, sobald ich sie berühre. Doch neuerdings hört sie auch auf das Kommando: »Halt ein wenig still!«
Ich liebe es, ihre seidigen Haare durch meine Finger gleiten zu lassen, während ich sie kämme. Wäre mir bei Bea niemals in den Sinn gekommen. Sie zu kämmen, meine ich. Bea hat sich gefühlte Stunden mit dem Haarekämmen beschäftigt. Es ist offenbar auch für sie eine sinnliche Tätigkeit.
Seit ich ein wenig Parfüm benutze, riechen EVAs Haare fast wie Menschenhaare. Affen lausen sich stattdessen. Hoffe, das habe ich bei EVA niemals nötig.
11. Kapitel: Beatrice
Councelerin: »Du bist wütend!«
Bea: »Der Scheißkerl!«
C: »Es ist gut, wenn du deine Gefühle akzeptierst.«
Bea: »Ich bin stinksauer auf diesen Mistkerl!«
C: »Cesár?«
B: Nickte stumm und biss die Zähne aufeinander.
C: Wartete.
B: Blickte im Raum herum, sagte aber nichts.
C: »Was machst du mit deinen Händen?«
B: Schielte verwundert auf ihre Hände, die sie zu Fäusten geballt hatte, sodass das Weiß der Knöchel hervortrat. Schnell versteckte sie sie hinter ihrem Rücken.
C: »Willst du darüber sprechen?«
B: »Er hat mich einfach ersetzt, durch eine Puppe!«
C: Blickte sie fragend an.
B: »Durch eine Sexpuppe!«
C: »Cesár hat dich durch eine Sexpuppe ersetzt?«
B: Nickte, während sie mühsam ihre Tränen zurückhielt.
Nachdem Frau Heuermann eine Zeitlang vergeblich auf weitere Ausführungen gewartet hatte, versuchte sie es mit: »Du wirkst traurig und verletzt!«
B: Schlug ihre Hände vor das Gesicht und schluchzte heftig.
C: »Steh zu deinen Gefühlen. Was hat dich verletzt?«
B: »Dass, dass er ... eine Puppe liebt!«
C: »Weshalb kränkt dich das? Hattest du nicht mit ihm Schluss gemacht?«
B zögernd: »Ja schon, aber ...«
C: »Es wäre schön, wenn ich verstehen könnte, worum es geht. Ich verstehe nur, dass du gekränkt und traurig bist. Was ist geschehen? Was hat dich so traurig und wütend gemacht?«
B: fragte schniefend nach einem Taschentuch. »Es ist so armselig«, stieß sie durch das zerknüllte weiße Tuch vor ihrer Nase hervor. »Den ganzen Abend sind alle nur um diese Sexpuppe herumgetanzt. Diese EVA.«
C: »EVA?«
B: »Er hat sie EVA genannt, so was Einfallsloses. EVA!«
C: »Na ja, dich stört aber etwas ganz anderes, nicht wahr?«
B: »Sie saß auf meinem Platz!«
C: »Auf deinem Platz?«, lächelte Frau Heuermann schräg.
B: Nickte. »Da wo ich immer gesessen habe. Im Sessel neben der Couch.«
C: »Also Bea. Ich muss jetzt mal einschreiten. Seit du heute hereingekommen bist, sprichst du in Rätseln. Wir waren das letzte Mal übereingekommen, dass wir zum Jahresanfang ein Resümee ziehen wollten über das letzte Jahr. Was gut war, was besser werden soll und welche Pläne du hast. Ich habe verstanden, dass mit Jan Schluss ist und du bei einer Party mit deinem früheren Freund Cesár warst. Eine, wie sagtest du nochmals hieß die Party?«
B: »Santa-Party. Eine Weihnachtsparty.«
C: »Meinetwegen. Wir sind gerade einmal dazu gekommen, festzustellen, dass dir diese Party gar nicht gefallen hat, wegen einer Sexpuppe, die offensichtlich EVA heißt, und dass du jetzt wieder zu deiner Mutter gezogen bist. Deine Situation ist also alles andere als befriedigend, wenn ich richtig verstanden habe. Es gäbe vieles zu regeln, und doch bestimmt seit fünf Minuten nur diese Kränkung unser Gespräch. Ich schlage vor, dass wir die Themenblöcke getrennt behandeln. Willst du mit dieser Santa-Party beginnen oder lieber zuerst über deine Beziehungssituation mit Jan reden?«
B: »Ne, über Jan bestimmt nicht!«
C: »Nun, du bestimmst das Thema. Vergiss aber nicht, dass wir eine Verabredung haben.«
B: »Verabredung?«
C: »Wir arbeiten an einem Plan für dieses Jahr, und die Stunde hat nur fünfundvierzig Minuten, von denen bereits fünfzehn verstrichen sind.«
B: Schluckte. »Also diese Santa-Party. Ich hab mich eigentlich total gefreut, als Cesár mich eingeladen hat. Zumal ...«
C: »Zumal?«
Bea: »Dieser Jan ist ein riesen Arschloch! Er hat sich dauernd mit anderen Frauen getroffen! Ich hab‘s einfach nicht mehr ausgehalten. Und als ich Cesárs Einladung bekommen habe, hatte ich wenigstens was für Weihnachten. Meine Mom ist Weihnachten immer nur am Flennen und betrinkt sich. Das ist unerträglich. Ich hab mir wirklich ganz doll Mühe gegeben, hab für Cesár was Schönes gekauft, hab mich sogar gestylt, von meinem letzten Geld den Friseur bezahlt, obwohl Fransziska …«
C: »Obwohl Franziska ...?«
B: »Na ja, egal. Und dann … dann komme ich zu dieser Party. Da waren Cesár und Kutub und einige andere, die ich nicht kannte. Alle standen um das Sofa rum, auf dem diese … dieses Ding saß.«
C: »Ding?«
B: »Diese halbnackte Puppe, die alle angeschaut hat.«
C: »Moment! Sagtest du, die Puppe hat alle angeschaut?«
B: »Ja. Sie hat immer wieder herumgeschaut, wenn sich jemand bewegt hat. Das war total gruselig.«
C: »...«
B: »Cesár hat mich ihr vorgestellt. Weißt du, ich hatte mir extra ein Geschenk für ihn ausgedacht. Einen stylischen Blumentopf mit Bluetooth, Touchlights und Lautsprecher. Cesár liebt solchen Schnickschnack. Hab mir was Hübsches angezogen und dachte, das wird eine nette Party. Cesár war auch zuerst supersüß. Als ich in der Tür stand, hat er mich total liebevoll begrüßt. Ich hab gemerkt, dass er sich gefreut hat. Alles war bunt geschmückt, und alle liefen mit den roten Santamützen herum. Sogar einen Tannenbaum hatte er aufgestellt, obwohl er das früher immer abgelehnt hat. Es sah so gemütlich aus. Es waren ein paar Leute da, die ich noch nicht kannte. Aber kaum war ich im Zimmer, da stehen alle um dieses Ding herum und glotzen die an, wie einen Filmstar.«
C: »Er hat dich der Puppe vorgestellt?«
B: »Ja, er hat gesagt: Darf ich dich meiner Freundin vorstellen? Das ist EVA. Du musst dich vor sie stellen, damit sie dich sehen kann.«
C: »Versteh ich nicht, warum solltest du dich vor die Puppe stellen?«
B: »Ich war so überrascht, und die anderen grinsten so blöd, dass ich das gemacht habe. Dann hat die Puppe mit mir gesprochen.«
C: »Die Puppe hat dich angesprochen?«
B: »Ja. Sie hat gesagt: Hallo, ich bin EVA, ich freue mich, dich kennenzulernen. Wie heißt du?«
C: »…?«
B: »Ich hab gesagt: Ich heiße Beatrice. Darauf hat sie mich so merkwürdig angeschaut. Sie hat mich richtig angeschaut!«
C: »Bist du sicher?«
B: »Na klar! Sie hat sogar gelächelt. 'Hast du etwas dagegen, wenn ich dich in meiner Datenbank abspeichere, damit ich dich später wiedererkenne?' oder so, hat sie geantwortet.
C: »Und hast du?«
B: »Ich war so verdattert, dass ich Ja gesagt habe. Dann drehte sich den ganzen Abend das Gespräch nur um diese … diese EVA. Sie hat mit am Tisch gesessen beim Abendessen, sie hat von Cesár ein Geschenk bekommen. Cesár hat sie sogar geküsst!«
C: »Ziemlich abgedreht!«
B: »Abgedreht? Zum Lachen ist das!«
C: »Du lachst aber nicht, sondern bist wütend!«
B: Schluchzte. »Ich hatte mir eingebildet, es könnte vielleicht wieder etwas sein zwischen uns. Dieser Volltrottel hat mich einfach ... einfach … durch eine Puppe ersetzt!«
C: »Ich verstehe, dass du enttäuscht warst. Wie haben die anderen reagiert?«
B: »Ach, das war ganz unterschiedlich. Es gab ein paar Leute, die ich in der Uni gesehen habe. Und da war ein Pärchen, die in so komischen Wollklamotten herumgelaufen sind. Die haben mit Cesár über den Ätherleib diskutiert und wie schädlich es ist, sich mit derartigen Puppen zu beschäftigen. Aber ich glaube, die hat niemand so richtig ernst genommen. Dann war da noch so eine von einem Journal, die war ganz nett. Silke, mit der hab ich später meine Nummer getauscht. Die hat alles Mögliche gefragt. Später hat sie mir aber gesagt, dass sie einen Artikel darüber schreiben möchte und ob ich ihr als Interviewpartnerin zur Verfügung stehen möchte. Und natürlich war Kutub da, der Bekannte meiner Freundin. Aber der hat nur die ganze Zeit gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Cesár ist dick mit ihm befreundet. Und dann war da noch ein Kollege von Cesár, Ribor hieß er, auch ein Tscheche. Der hat die ganze Zeit über an dieser Puppe rumgefummelt, bis Cesár böse geworden ist. Stell dir vor! Cesár ist richtig ausgerastet, als Ribor der Puppe an die Titten gefasst hat!«
C: »Wie kann ich mir diese Puppe denn vorstellen?«
B: »Also, die sieht halt so aus, wie Männer sich eine Frau vorstellen, glaub ich. Schlank, vollbusig, lange Haare, Modellgesicht. Ja, wie so ein Pornomodell. Gruselig!«
C: »Fandest du die Puppe attraktiv?«
B: »Spinnst du? Sorry. Wieso sollte ich die attraktiv finden?«
C: »Du empfindest sie offensichtlich als Konkurrenz.«
B: »Te! Ich soll eine Puppe als Konkurrenz finden?«
C: »Nicht?«
B: »Überhaupt nicht! Was soll denn da eine Konkurrenz für mich sein?«
C: »Cesár scheint ihr Gefühle entgegenzubringen, die er dir gegenüber nicht mehr zeigt, oder?«
B: Nickte. »Ne, da lief gar nichts mehr zwischen uns. Es war nur noch peinlich. Besonders als er EVA erklärt hat, dass ich seine frühere Freundin war!«
C: »Und?«
B: »Ich hätte mich unter dem Tisch verstecken können. Frühere Freundin!«
C: »Stimmt es nicht?«
B: »Sie hat gesagt, sie hoffe, dass ich nicht traurig bin.«
C: »Die Puppe hat das gesagt?«
B: »Ja. 'Ich verstehe.‘ , hat sie gesagt. ‚Ich hoffe, du bist nicht traurig. Es hört sich so an, als seid ihr nun nicht mehr so intensiv befreundet. Das tut mir leid!'«
C: »Erstaunlich! Was ist das für eine Puppe?«
B: »Ich glaube, so eine Art Roboterpuppe. Jedenfalls reagiert sie auf alles, was sie sieht und hört. Horror.«
C: »Hm.«
B: »Und dann hat sie noch gesagt, dass sie sich freut, mich kennengelernt zu haben und sie gerne meine Freundin sein möchte. Da bin ich gegangen!«
C: »Du hast die Party verlassen?«
B: »Na, nicht sofort. Aber ich hatte keine Lust mehr, mit dieser EVA zu reden. Ich hab dann mit dem Pärchen in Wollkleidung gesprochen. Die hatten auch keine Lust, sich der Puppe zu unterhalten. Wir haben in der Küche miteinander gequatscht. Die waren total entsetzt über die Situation. Sie meinten, dass Cesár aus dem Gleichgewicht geraten sei und dringend eine Therapie bräuchte.«