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a) § 4 StGB: Flaggenprinzip
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§ 4 StGB setzt das Flaggenprinzip in deutsches Recht um. Danach gilt auch für Taten, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, deutsches Strafrecht, sofern das jeweilige Fortbewegungsmittel berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Wer sich auf ein solches Fahrzeug begibt, soll durch das deutsche Strafrecht geschützt werden, unabhängig sowohl von dem Standort des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Tat als auch von dem Verfolgungswillen des Territorialstaats.[94] Unerheblich ist, ob sich das Fahrzeug bereits fortbewegt oder noch bzw. schon wieder zum Halt gekommen ist.[95] Ebenso wenig kommt es auf die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer an.
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Dass mit § 4 StGB keine Erweiterung des Staatsgebiets einhergeht, sondern lediglich ein inländischer Tatort fingiert wird („gilt“),[96] verdeutlicht der Verweis auf die Unbeachtlichkeit des Tatortrechts. Befindet sich der Tatort ohnehin nach den §§ 3, 9 StGB im Inland, kommt § 4 StGB keine gesonderte Bedeutung zu und wird überwiegend § 3 StGB als vorrangige Regelung angesehen.[97]
b) § 5 StGB: Realprinzip und sonstige legitimierende Anknüpfungspunkte
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§ 5 StGB nennt in einem abschließenden Katalog zahlreiche Straftatbestände, die – zum Teil unter bestimmten Voraussetzungen – auch bei Auslandstaten gelten sollen. Als Zweck der Vorschrift wird angesehen, eine Bestrafung als strafwürdig angesehener Verhaltensweisen auch dann zu gewährleisten, wenn diese nach dem – ausdrücklich unbeachtlichen – Recht des Tatortes entweder nicht strafbar sind oder eine Verfolgung im Tatortstaat aus sonstigen Gründen nicht gesichert ist.[98]
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Die meisten Nummern aus dem Katalog des § 5 StGB sind zumindest in erster Linie dem Realprinzip (Rn. 26 f.) geschuldet und postulieren somit ein besonderes Schutzbedürfnis der jeweiligen inländischen Rechtsgüter.[99] Allerdings rekurriert § 5 StGB – wie die durch das 49. StrÄndG vom 21. Januar 2015[100] geänderte Überschrift („Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug“) seitdem klarstellt – darüber hinaus auf weitere Prinzipien.[101] So wird unter anderem vorausgesetzt, dass „der Täter [zur Zeit der Tat] Deutscher ist“ (so Nr. 3 lit. a, Nr. 5 lit. b, Nr. 6 lit. c, Nr. 8, Nr. 9 lit. a und lit. b, Nr. 9a lit. a und lit. b, Nr. 11a, Nr. 15 lit. a und Nr. 16 lit. a; aktives Personalitätsprinzip) oder „seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat“ (so Nr. 3 lit. a, Nr. 5 lit. b und Nr. 9 lit. b; Domizilprinzip). Mitunter werden auch verschiedene Prinzipien kombiniert. So muss sich exemplarisch nach Nr. 6 lit. a die Tat „gegen eine Person richten, die zur Zeit der Tat Deutsche ist“ (passives Personalitätsprinzip; vgl. auch Nr. 15 lit. d und Nr. 16 lit. b)[102] und muss diese Person darüber hinaus „ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland“ haben (Wohnsitzprinzip; vgl. insoweit auch Nr. 6 lit. b und lit. c sowie Nr. 9a lit. b).
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Keine einzelnen Straftatbestände nennen die Nrn. 12 bis 14. Abgestellt wird hier auf die Stellung von Täter bzw. Opfer insbesondere als „Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“. So gilt nach Nr. 12 das deutsche Strafrecht für sämtliche „Taten, die ein deutscher Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Beziehung auf den Dienst begeht“. Bei ausländischen Amtsträgern oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten soll dies gemäß Nr. 13 sogar ohne entsprechenden dienstlichen Bezug gelten. Nr. 14 erfasst schließlich „Taten, die jemand gegen einen [deutschen wie ausländischen] Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung ihres Dienstes oder in Beziehung auf ihren Dienst begeht“. Diese Regelungen beruhen auf der Überlegung, dass zwischen dem Staat und seinen Beamten eine noch engere Beziehung besteht als zu den sonstigen Bürgern, der Amtsträger jedenfalls bei Ausübung seines Amtes einer besonderen Pflicht unterliegt.[103] Nicht zu Unrecht kritisiert wird insoweit, dass nach Nr. 12 sämtliche Straftaten während eines dienstlichen Auslandsaufenthalts erfasst werden, auch wenn diese nicht in einem Zusammenhang mit der Dienstausübung stehen.[104] Dem wird entgegengehalten, dass ein Beamter aufgrund der besonderen personalen Bindung zum Staat auch im Ausland verpflichtet sei, unabhängig von dem Tatortrecht die deutsche Rechtsordnung zu respektieren.[105]
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Es ist hier nicht der Platz, auf die Berechtigung jeder Nummer des § 5 StGB näher einzugehen.[106] Festhalten lässt sich aber jedenfalls die nicht unbedenkliche Tendenz, dass der Gesetzgeber dazu übergeht, bei Neuregelungen im Besonderen Teil des StGB reflexartig auch den Katalog des § 5 StGB anpassen bzw. erweitern zu wollen. So wurden allein seit 2014 die Straftatbestände des § 237 (Nr. 6 lit. c), der § 226 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2, § 226a (Nr. 9a), der §§ 265c, 265d (Nr. 10a) und der §§ 331 bis 337 (Nr. 15) in § 5 StGB aufgenommen. Dies erfolgt nicht zuletzt mit dem Ziel, Umgehungshandlungen im Ausland vorzubeugen.[107]
c) § 6 StGB: Weltrechtsprinzip
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§ 6 StGB dehnt den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts auf bestimmte, abschließend aufgezählte Auslandstaten unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip (Rn. 28 f.) aus. Zu den Straftaten gegen international geschützte Rechtsgüter zählen im Einzelnen bestimmte Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen (Nr. 2), Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (Nr. 3), Menschenhandel (Nr. 4), unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln (Nr. 5), bestimmte Formen der Verbreitung gewalt-, tier-, kinder- und jugendpornographischer Schriften (Nr. 6), bestimmte Geld- und Wertpapierdelikte (Nr. 7), Subventionsbetrug (Nr. 8) sowie schließlich Taten, die aufgrund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden (Nr. 9). Für die in den §§ 6 bis 12 VStGB sanktionierten Straftaten gegen das Völkerrecht, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und aufgezählte Kriegsverbrechen, findet sich eine spezielle Regelung in § 1 VStGB. Das Recht des Tatorts ist jeweils unbeachtlich, liegt die Verfolgung der dem Weltrechtsprinzip unterfallenden Straftaten doch im gemeinsamen Staateninteresse.
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Kritisch zu untersuchen bleibt bei den in § 6 StGB genannten Straftaten, ob den dadurch geschützten Sicherheitsinteressen und Rechtsgütern die notwendige internationale allgemeine Akzeptanz zuteilwird, so dass der Verfolgerstaat seine Strafgewalt auch bei Auslandstaten beanspruchen darf.[108] Problematisch erscheint vor allem § 6 Nr. 6 StGB, der unter anderem die Verbreitung der Erscheinungsformen der Gewalt- und Tierpornographie erfasst und insoweit auf Taten weltweit das deutsche Strafrecht anwenden will.[109] Fraglich ist außerdem, ob der Subventionsbetrug in § 6 Nr. 8 StGB wegen seines primären Schutzes (nur) nationaler finanzieller Interessen oder der Europäischen Union dem Weltrechtsprinzip unterstellt werden kann.[110]
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Bei dem Rückgriff auf § 6 StGB zeigt sich die Rechtsprechung mitunter zurückhaltend, um einer Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten vorzubeugen. So verlangte der BGH wiederholt für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf den bis zum 29. Juni 2002 in § 220a StGB normierten Völkermord nach § 6 Nr. 1 StGB einschränkend einen legitimierenden Anknüpfungspunkt, der im Einzelfall einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt. Ansonsten verstoße die Strafverfolgung gegen den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz.[111] Dem wurde entgegengehalten, dass sich eine solche zusätzliche Voraussetzung nicht mit dem Charakter weltweit allgemein anerkannter Rechtsgüter vereinbaren lasse, deren Schutz eine originäre Aufgabe eines jeden Rechtsstaates darstellt.[112] § 1 VStGB hält nunmehr indessen ausdrücklich fest, dass das VStGB für alle darin bezeichneten Verbrechen (wie nicht zuletzt den Völkermord gemäß § 6 VStGB) auch dann gilt, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. In einem Anfragebeschluss erwog der Zweite Strafsenat vorübergehend, auch für § 6 Nr. 5 StGB (unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln) einen hinreichenden Inlandsbezug zu verlangen, aus dem sich ein inländisches Interesse an der Verfolgung der Auslandstat ergibt.[113] Auf die Erwiderung des Ersten Strafsenats[114] entschied der Zweite Strafsenat sodann aber – jedenfalls für die seinem Urteil zugrunde liegende Fallkonstellation –, dass weder nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 6 Nr. 5 StGB noch wegen der notwendigen Beachtung höherrangigen Rechts oder aus völkerrechtlicher Sicht eine solche einschränkende Auslegung erforderlich sei.[115]
d) § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB: Personalitätsprinzipien
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§ 7 Abs. 1 StGB knüpft an die Staatsangehörigkeit des Opfers als „genuine link“ an. Handelt es sich hierbei um einen Deutschen, steht die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auch bei Auslandstaten im Raum. Dieser Rückgriff auf das passive Personalitätsprinzip scheidet aber aus, wenn sich die konkrete Tat nicht gegen eine natürliche Person im Sinne eines bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren deutschen Staatsangehörigen richtet[116] oder wenn eine Straftat ausschließlich Universalrechtsgüter schützt und damit von vornherein kein Individuum als Opfer haben kann.[117]
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Wer Deutscher im Sinne des § 7 StGB ist, bestimmt sich nach Art. 116 Abs. 1 GG.[118] Danach ist jede natürliche Person Deutscher, welche (auch) „die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“. Juristische Personen sind selbst bei Sitz im Inland nach herrschender Meinung nicht erfasst.[119] Hiervon abweichenden Überlegungen steht nicht zuletzt der Wortlaut des § 7 StGB entgegen, der gerade nicht – anders als etwa § 5 Nr. 7 StGB, der offenbart, dass dem Gesetzgeber die Problematik des Schutzes von Interessen juristischer Personen bekannt ist – auf die Belegenheit des Sitzes eines Unternehmens verweist, sondern von Straftaten gegen einen Deutschen spricht.[120] Nach zunehmender Ansicht soll auch das ungeborene Leben unter den Deutschenbegriff fallen.[121] Dies bleibt jedoch abzulehnen, da die Staatsangehörigkeit erst mit der Geburt verliehen wird und ein Embryo somit zur maßgeblichen Zeit der Tat von vornherein kein Deutscher sein kann.[122]
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Auf das aktive Personalitätsprinzip verweist § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Danach bildet die deutsche Staatsangehörigkeit des Täters einen legitimierenden Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts. Notwendig ist der Rückgriff auf das aktive Personalitätsprinzip vor allem deswegen, weil Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG es untersagt, einen Deutschen an das Ausland auszuliefern.[123]
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Das aktive Personalitätsprinzip wird nach der ausdrücklichen Regelung in Nr. 1 nicht nur dann bemüht, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war, sondern auch wenn er es (erst) nach der Tat geworden ist. Diese sog. Neubürgerklausel wird damit begründet, dass ab dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit das zwischenstaatliche Auslieferungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG zu beachten ist und daher der Staat selbst die Bestrafung übernehmen muss.[124] Deswegen wird die Neubürgerklausel zutreffend als Ausformung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege angesehen.[125] Die nachträgliche Begründung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts erscheint zwar im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht unbedenklich.[126] Dem soll aber dadurch abgeholfen werden können, den Täter jedenfalls nicht härter zu bestrafen als nach dem Recht des Tatorts.[127] Verliert der Täter nach der Tat die deutsche Staatsangehörigkeit, schließt dies die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts hingegen nicht nachträglich aus.[128]
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Einschränkend wird jeweils vorausgesetzt, dass entweder die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt, z.B. wenn die Tat auf hoher See auf einem flaggenlosen Schiff begangen wird.[129] Sollten mehrere ausländische Tatortstaaten existieren, ist das „lex loci“-Erfordernis gewahrt, wenn einer der Staaten die Tat mit Strafe bedroht.[130] Jedenfalls durch die Beachtung der lex loci bleibt der völkerrechtliche Nichteinmischungsgrundsatz bei den Personalitätsprinzipien gewahrt (Rn. 25).[131] Von der notwendigen identischen Tatortnorm kann nur gesprochen werden, wenn die jeweilige Tat (im prozessualen Sinne) zum Zeitpunkt ihrer Begehung mit Kriminalstrafe oder einer vergleichbaren Rechtsfolge bedroht ist.[132] Außerstrafrechtliche Sanktionen wie z.B. Geldbußen genügen nicht, soll die Berücksichtigung des Tatortrechts doch gerade dem Sinn und Zweck dienen, die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zu bestimmen.[133]
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Für die erforderliche Tatidentität genügt es nach herrschender Meinung, wenn das Verhalten des Täters nach konkreter Betrachtungsweise am Tatort nach irgendeiner beliebigen Norm strafbar ist. Ausländischer und nationaler Straftatbestand müssen indessen weder inhaltlich im Konkreten noch in ihrem geschützten Rechtsgut im Allgemeinen übereinstimmen.[134] Sofern die Tat am Tatort gerechtfertigt, entschuldigt oder aus einem sonstigen Grund trotz verwirklichten Tatbestands materiellrechtlich nicht strafbar ist, schließt dies die Ausdehnung der nationalen Strafgewalt aus.[135] Grenzen im Sinne eines allgemeinen internationalen „ordre public“-Vorbehalt existieren insoweit nur, wenn das ausländische Recht universal anerkannten rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht.[136] Verfolgungshindernisse nach Tatortrecht (z.B. Verjährung oder fehlender Strafantrag) sind hingegen nach wohl herrschender Ansicht unbeachtlich, wenn die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts über das aktive oder passive Personalitätsprinzip begründet wird. In diesen Fällen wird schließlich – anders als bei dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege – originäre Strafgewalt ausgeübt.[137]
e) § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB: Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege
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Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist für Auslandstaten deutsches Strafrecht anwendbar, wenn der Täter zur Zeit der Tat zwar Ausländer war (und somit das aktive Personalitätsprinzip nicht einschlägig ist), aber im Inland betroffen und trotz zulässiger Auslieferung nach dem Auslieferungsgesetz nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist. Die Vorschrift soll mit anderen Worten dann eingreifen, wenn eine Verurteilung im Ausland scheitert und mangels Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nach sonstigen legitimierenden Anknüpfungspunkten der Täter im Inland nicht bestraft werden könnte.[138]
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Unter „Ausländer“ sind auch Staatenlose zu verstehen.[139] Im Inland betroffen ist der Täter, wenn dort seine Anwesenheit festgestellt wird.[140] Auslieferungshindernisse (z.B. nach § 8 IRG wegen drohender Todesstrafe im ersuchenden Staat) stehen der Zulässigkeit der Auslieferung (und somit der Ausübung der stellvertretenden Strafrechtspflege) nicht entgegen, sondern nur deren Ausführbarkeit.[141]
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Als angemessene Frist im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB werden drei Wochen angesehen; dieser Zeitraum wird gewöhnlich möglichen Verfolgerstaaten in der üblichen Anfrage eingeräumt, ob ein Auslieferungsgesuch gestellt wird.[142] Vor Ablauf der angemessenen Frist besteht ein vorläufiges Verfahrenshindernis wegen (derzeit) fehlender deutscher Gerichtsbarkeit.[143] Es muss feststehen, dass eine Auslieferung tatsächlich nicht erfolgt, und das Gericht hat sich insoweit um eine Erklärung der für die Entscheidung über ein Auslieferungsersuchen zuständigen Stelle zu bemühen.[144] Allerdings erscheint es nicht unbedenklich, dass bei nicht gestelltem Auslieferungsersuchen generell die deutsche Strafgewalt begründet werden soll. Schließlich kann dieser Entscheidung des Verfolgerstaats auch ein Verzicht auf Strafverfolgung zu entnehmen sein, so dass ebenso wenig mehr von einer derivativen Strafgewalt die Rede sein kann.[145]
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Einschränkend ist wiederum erforderlich, dass die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Schließlich liegt es ohne Berücksichtigung des Tatortrechts fern, von einer stellvertretenden Strafrechtspflege zu sprechen. Auch insoweit soll nach verbreiteter Ansicht – wie bei den Personalitätsprinzipien (Rn. 61) – allein auf die materiellrechtliche Strafbarkeit abzustellen sein.[146] Dem ist entgegenzuhalten, dass der Ergreifungsstaat lediglich eine abgeleitete Strafgewalt ausübt. Verfahrenshindernisse oder auch eine lediglich entgegenstehende Verfolgungspraxis sind daher zu beachten.[147] Da der Täter allerdings zum Zeitpunkt der Tat nicht damit rechnen musste, in Deutschland abgeurteilt zu werden, soll ein ggf. milderes Tatortrecht berücksichtigt werden.[148]
4. Ungeschriebene Beschränkung auf inländische Rechtsgüter
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Auch wenn die Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB erfüllt sind, scheidet die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf eine (Inlands- wie Auslands-)Tat nach allgemeiner Ansicht aus, wenn eine Strafvorschrift nur „inländische Rechtsgüter“ schützt, gegen die sich die jeweilige Tat aber nicht richtet.[149] Umstritten ist, ob sich diese Beschränkung schon aus den – nach dieser Ansicht vorab zu erörternden – §§ 3 ff. StGB ergibt[150] oder insoweit allein auf die Auslegung der einzelnen Straftatbestände zu verweisen bleibt.[151] Veranschaulicht werden kann die fehlende Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts anhand der Staatsschutztatbestände der §§ 80 ff. StGB, die lediglich Deutschland selbst vor Angriffen auf die innere und äußere Sicherheit bewahren sollen. Andere Staaten müssen sich hingegen selbst um ihren eigenen Schutz kümmern. Würde insoweit auf das deutsche Strafrecht zurückgegriffen werden, könnte dies vielmehr als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betroffenen Staaten und als Verletzung ihrer Staatshoheit aufzufassen sein.[152]
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Ob ein Straftatbestand lediglich inländische Rechtsgüter schützt, ergibt sich aus dessen Auslegung. Hierbei wird nicht zuletzt der Sinn und Zweck der Vorschrift besonders zu beachten sein.[153] Strafvorschriften zum Schutz von staatsbezogenen Universalrechtsgütern beziehen sich demnach in der Regel lediglich auf nationale Interessen. Exemplarisch ist insoweit neben den genannten §§ 80 ff. StGB auf die Rechtspflegedelikte z.B. der § 145d, §§ 153 ff. und § 258 StGB zu verweisen,[154] die grundsätzlich nur die inländische Rechtspflege vor Beeinträchtigungen schützen sollen;[155] siehe aber § 162 StGB zur Anwendbarkeit der §§ 153 ff. StGB auf falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht.[156]
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Bei Straftaten, die (zumindest auch) Individualrechtsgüter schützen, geht die Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Interessen ins Leere. Es werden vielmehr sämtliche Rechtsgüter eines Einzelnen unabhängig von seiner Nationalität geschützt, hat jeder Staat doch auch ausländischen Staatsangehörigen jedenfalls einen Mindestschutz zu gewährleisten.[157] Sofern der räumliche Geltungsbereich des deutschen Strafrechts eröffnet ist – insoweit kann nach dem passiven Personalitätsprinzip die Nationalität des Opfers indes eine Rolle spielen –, ist die Staatsangehörigkeit des Opfers daher ohne Bedeutung.[158]
1. Begehungsort der Tat nach § 9 Abs. 1 StGB
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Auch bei dem Begehungsort der Tat gilt es, den völkerrechtlichen Charakter des Strafanwendungsrechts zu berücksichtigen. Ansonsten droht über den Umweg einer weiten Interpretation des § 9 StGB die Begrenzung durch das Territorialitätsprinzip bzw. das Erfordernis eines sonstigen Inlandsbezugs als „genuine link“ entwertet bzw. sogar aufgehoben zu werden. Dass solche Befürchtungen keine Schwarzmalerei sind, zeigen Überlegungen zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Äußerungen im Internet (Rn. 88), die nahezu einer Allzuständigkeit der deutschen Rechtsprechung für sämtliche Kommunikationen im Internet das Wort redeten.
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Der Tätigkeitsort nach § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB befindet sich an jedem Ort, an dem der Täter eine auf die Verwirklichung des Tatbestands gerichtete Tätigkeit entfaltet, die zumindest das Versuchsstadium erreicht.[159] Vorbereitungshandlungen sind unbeachtlich, sofern sie nicht selbstständig mit Strafe bedroht sind.[160] Ebenso wenig erfasst sind Handlungen nach Beendigung der Tat.[161] Bei Dauerdelikten befindet sich der Handlungsort an jedem Ort, an dem ein Teilakt des Delikts ausgeführt wird.[162] Gleiches gilt bei mehraktigen Delikten.[163] Generell liegt eine Inlandstat bereits dann vor, wenn sie auch nur teilweise im Inland begangen wird.[164]
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Beim Erfolgsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB ist zunächst die einschränkende Beschreibung „zum Tatbestand gehörend[e]“ zu würdigen. Demnach genügt nicht jede beliebige Folge einer Tat, sondern bedarf es einer Auswirkung, die für die Tatbestandsverwirklichung erheblich ist.[165] Außertatbestandliche Folgen sind nicht erfasst.[166] Nach herrschender Meinung soll auch der Ort, an dem eine objektive Strafbarkeitsbedingung eintritt, einen Erfolgsort darstellen.[167] Schließlich zielt der jeweilige Straftatbestand gerade darauf ab, den Eintritt solcher Folgen zu vermeiden.[168] Dem wird allerdings entgegengehalten, dadurch die Funktion der objektiven Strafbarkeitsbedingungen als strafbarkeitsbegrenzendes Element nicht zu berücksichtigen.[169]
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Bei Unterlassungstaten liegt zunächst nach § 9 Abs. 1 Var. 2 StGB der Begehungsort an dem Ort, an dem der Täter im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Hierunter fällt unstreitig der Aufenthaltsort des Täters während seines Untätigbleibens, zudem nach verbreiteter Ansicht auch der sog. Vornahmeort, von dem aus der Täter den Erfolg hätte abwenden müssen.[170] Darüber hinaus bleibt als Begehungsort einer Unterlassungstat der sog. Erfolgsabwendungsort anzusehen, an dem der Erfolgseintritt hätte abgewendet werden müssen.[171]
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Konkrete Gefährdungsdelikte weisen ihren Erfolgsort dort auf, wo die tatbestandliche Gefahr begründet wird.[172] Kontrovers diskutiert wird hingegen die Behandlung abstrakter Gefährdungsdelikte; dieser Meinungsstreit erfährt eine zunehmende Bedeutung bei Äußerungsdelikten im Internet, die häufig gerade abstrakte oder abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte darstellen. Jedenfalls sofern es sich hierbei wie in der Regel um Tätigkeitsdelikte handelt, scheint es nahe zu liegen, einen Erfolgsort von vornherein abzulehnen, setzen Tätigkeitsdelikte doch nach ihrer tatbestandlichen Struktur keinen (Tat-)Erfolg voraus und erscheint die Annahme eines „zum Tatbestand gehörende(n)“ Erfolgs daher durchaus fraglich.[173] Zudem ist bei abstrakten Gefährdungsdelikten im Allgemeinen zu bedenken, dass die als Erfolg in Betracht kommende Gefährlichkeit der tatbestandlichen Tätigkeit lediglich das Motiv des Gesetzgebers für den Erlass der jeweiligen Strafvorschrift bildet, nicht jedoch ein Tatbestandsmerkmal.[174] Allenfalls wenn der jeweilige Tatbestand einen sog. Zwischenerfolg in Gestalt einer näher beschriebenen Wirkung (z.B. das Inbrandsetzen bei der Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 StGB) voraussetze, dem eine abstrakte Gefährlichkeit zugeschrieben wird, könne an dem Ort, an dem dieser Zwischenerfolg eintritt, ein Erfolgsort angenommen werden.[175]