Franz Kugler: König Friedrich II von Preußen – Lebensgeschichte des "Alten Fritz"

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Sechstes Kapitel – Fluchtversuch
Sechstes Kapitel – Fluchtversuch
Nach wenigen Wochen bereits fand sich eine neue Gelegenheit, welche die Flucht des Kronprinzen besser zu begünstigen schien, als der Besuch im sächsischen Lager. Der König unternahm eine Reise nach dem südlichen Deutschland, auf welcher ihn Friedrich begleiten musste. Er hatte bei seinem Verdacht gegen den Kronprinzen längere Zeit geschwankt, ob es besser sei, ihn mitzunehmen oder zu Hause zu lassen; er hatte sich für das Erstere entschieden, weil er ihn unter seinen Augen besser beaufsichtigt glaubte; auch hatte er, um ganz sicher zu gehen, dreien der höheren Offiziere, die ihn begleiteten, den Befehl gegeben, diese Aufsicht zuteilen, so dass stets einer im Wagen des Kronprinzen neben diesem sitzen musste. Friedrich hatte indes im Einverständnis mit Katte – obgleich von diesem zu Anfange mehrfach abgemahnt – seine Maßregeln genommen. Schon aus dem sächsischen Lager hatte er an den König von England geschrieben und diesen gebeten, ihm an seinem Hofe Schutz zu gewähren. Doch war von dort eine sehr ernstlich abratende Antwort erfolgt. Nichts desto weniger blieb der Kronprinz bei dem Plane, über Frankreich nach England zu gehen. Katte sollte, sobald der Prinz ihm von seiner Entweichung Nachricht gegeben haben würde, voraus nach England flüchten und dort für seine Wünsche unterhandeln; er sollte zu dem Zwecke sich Urlaub unter dem Vorwande verschaffen, dass er auf Werbung gehen wolle. Zugleich waren ihm die Gelder, die Kleinodien, die Papiere des Kronprinzen anvertraut. Außer Katte war auch Keith in Wesel von dem Vorhaben des Kronprinzen unterrichtet worden, um dasselbe durch seine Teilnahme zu begünstigen. Am 15. Juli 1730 war die Reisegesellschaft von Berlin aufgebrochen und über Leipzig nach Anspach gegangen, wo der König seine zweite Tochter, die im vorigen Jahre mit dem jungen Markgrafen von Anspach vermählt worden war, besuchte. Schon hier suchte Friedrich Gelegenheit zu entkommen; wiederholt und dringend bat er seinen Schwager, ihm eins seiner besten Pferde, angeblich zu einem Spazierritte, anzuvertrauen; aber vorsichtig wich dieser der Bitte aus, denn schon war das Gerücht von Friedrichs Vorhaben von Berlin nach Anspach gedrungen, indem Katte, selbst in einem so kritischen Momente, es nicht über sich gewinnen konnte, seiner prahlenden Schwatzhaftigkeit Zügel anzulegen. In Anspach erhielt Friedrich einen Brief von Katte, worin ihm dieser meldete, dass er noch immer nicht den nachgesuchten Urlaub habe erhalten können; er bat ihn somit, seine Entweichung bis zur Ankunft in Wesel zu verschieben, von wo er ohnedies am schnellsten, über Holland, nach England würde entkommen können. Friedrich antwortete, dass er so lange nicht mehr warten könne; er sei entschlossen, in Gemäßheit des von dem Könige vorgeschriebenen Reiseplanes schon in Sinsheim, auf der Straße zwischen Heilbronn und Heidelberg, das Gefolge des Königs zu verlassen; Katte werde ihn unter dem Namen eines Grafen von Alberville im Haag treffen. Zugleich versicherte er nochmals, dass die Flucht gar nicht fehlschlagen könne, und dass, wenn man ihm nachsetzte, die Klöster auf dem Wege als sichere Zufluchtsörter betrachten seien. In der Hast aber, mit welcher Friedrich diesen Brief schrieb, vergaß er, ihn nach Berlin zu adressieren; er hatte nur darauf gesetzt: „über Nürnberg,“ und so ging der unselige Brief nach Erlangen, zu einem Vetter Kattes, welcher daselbst auf Werbung stand.
Von Anspach ging die Reise des Königs über Augsburg nach Ludwigsburg, wo man den Herzog von Württemberg besuchte. Von da wurde der Weg nach Mannheim eingeschlagen. Auf diesem Wege hatte man jenes, von Friedrich genannte, Sinsheim zu berühren. Der Zufall wollte, dass das Nachtquartier nicht an diesem Orte, sondern ein paar Stunden vor demselben, in dem Dorfe Steinfurth, genommen wurde. Hier übernachtete man in verschiedenen Scheunen, indem der König in solchen Fällen, nach weichlicher Bequemlichkeit wenig lüstern, einen luftigen Aufenthalt der Art der beklemmenden Schwüle der Wirtshausstuben vorzuziehen pflegte. Der Kronprinz, der mit dem Obersten von Rochow und seinem Kammerdiener gemeinschaftlich eine Scheune zum Nachtlager erhielt, machte schnell seinen Plan der Gelegenheit gemäß. Er benutzte die gutmütige Leichtgläubigkeit eines königlichen Pagen – es war ein Bruder seines Freundes Keith – indem er ihm vertraute, er habe ein verliebtes Abenteuer unfern des Ortes, wozu er ihn des anderen Tages früh um vier Uhr wecken und ihm Pferde verschaffen möge. Das Letztere war leicht zu bewerkstelligen, da gerade an dem Orte Pferdemarkt war. Der Page war gern dazu bereit; anstatt aber den Prinzen zu wecken, verfehlte er das Bett und weckte den Kammerdiener. Dieser hatte Geistesgegenwart genug, sein Befremden über das verdächtige Vorhaben zu unterdrücken; er blieb ruhig liegen, um das Weitere abzuwarten. Er sah nun, wie der Prinz aufsprang und sich schnell ankleidete, doch nicht die Uniform, sondern ein französisches Kleid und einen roten Überrock, den er sich heimlich auf der Reise hatte machen lassen, anlegte. Kaum, hatte der Prinz die Scheune verlassen, so benachrichtigte der Kammerdiener augenblicklich den Obersten Rochow von dem, was vorgegangen; der Letztere weckte eilig drei andere Offiziere aus des Königs Gefolge, und man machte sich, nichts Gutes ahnend, auf den Weg, den Prinzen zu suchen. Nach kurzer Zeit fanden ihn die Offiziere auf dem Pferdemarkte, an einen Wagen gelehnt und nach dem Pagen ausschauend. Seine französische Kleidung vermehrte ihren Verdacht, doch fragten sie ihn mit schuldiger Ehrerbietung, weshalb er sich so früh aufgemacht. Der Prinz war über die störende Dazwischenkunft von Wut und Verzweiflung erfüllt; er wäre des Äußersten fähig gewesen, hätte er Waffen bei sich gehabt. Er gab ihnen eine kurze und raue Antwort. Rochow bemerkte, der König sei bereits aufgewacht und werde in einer halben Stunde weiter reisen; er möge also aufs Schleunigste seine Kleidung verändern, damit sie dem Könige nicht zu Gesicht komme. Der Prinz verweigerte es und sagte, er wolle spazieren gehen; er werde schon zu rechter Zeit zur Abreise bereit sein. Indes kam der Page mit den Pferden. Der Prinz wollte sich nun rasch auf das eine derselben werfen; aber die Offiziere ließen ihn nicht dazu kommen und zwangen ihn, der sich wie ein Verzweifelter wehrte, mit ihnen zur Scheune zurückzukehren und die Uniform wieder anzulegen.
Der König war von diesem Vorgange benachrichtigt worden; doch ließ er sich gegen den Kronprinzen nichts merken, indem es ihm daran lag, vorerst noch bestimmtere Beweise von seinem Plane zu erhalten. Nur, als die Reisegesellschaft an einem der folgenden Tage, nachdem man bereits Mannheim hinter sich hatte, in Darmstadt ankam, sagte er ihm spottender Weise, wie er sich wundere, ihn hier zu sehen, er habe ihn inzwischen schon in Paris vermutet. Der Kronprinz erwiderte trotzig, dass, wenn er es nur gewollt, er Frankreich schon dürfte erreicht haben.
Aber schon war das Unheil näher, als er glauben mochte. Kaum war man in Frankfurt angekommen, von wo die Reise zu Wasser den Main und den Rhein abwärts bis Wesel fortgesetzt werden sollte, als der König von Kattes Vetter aus Erlangen eine Stafette erhielt, durch welche dieser jenen Brief des Kronprinzen übersandte, dessen bedrohlichen Inhalt er nicht unterschlagen zu dürfen glaubte. Der König befahl, den Kronprinzen unverzüglich auf einer der bestellten Jachten in festen Gewahrsam zu nehmen. Erst am folgenden Tage betrat er selbst das Schiff, kaum aber erblickte er den Prinzen, so übermannte ihn sein mühsam zurückgehaltener Jähzorn; er fiel über ihn her und schlug ihn mit seinem Stocke das Gesicht blutig. Mit verbissenem Schmerze rief Friedrich aus: „Nie hat ein brandenburgisches Gesicht solche Schmach erlitten!“ Die anwesenden Offiziere entrissen ihn den Händen des Königs und brachten es dahin, dass der Letztere die Erlaubnis gab, dass der Kronprinz die Reise auf einem zweiten Schiffe machen durfte. Dieser wurde nun wie ein Staatsgefangener behandelt; Degen und Papiere wurden ihm abgefordert; doch hatte er glücklicherweise noch zuvor Gelegenheit gefunden, seine Briefe, die manch einen zu kompromittieren geeignet waren, durch seinen Kammerdiener verbrennen zu lassen.
Selten wohl ist eine Lustreise auf dem schönen Rheinstrom unter traurigeren Verhältnissen gemacht worden. Die Besuche bei den geistlichen Fürsten, welche abzustatten man nicht umhin konnte, wurden so viel als möglich abgekürzt. Der Kronprinz war nicht um sich, sondern nur um das Schicksal der Freunde, die er mit ins Verderben gerissen, besorgt. Doch war er überzeugt, dass Katte, schon zur Flucht gerüstet, Geistesgegenwart genug haben würde, für seine Sicherheit zu sorgen. Keith empfing, ehe der König nach Wesel kam, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel von des Kronprinzen Hand, mit den Worten: „Rette dich, alles ist entdeckt.“ Er verlor die rechte Zeit nicht, setzte sich augenblicklich zu Pferde und erreichte im Galopp die holländische Grenze. Selbst noch im Haag durch einen preußischen Offizier verfolgt, den der König zu seiner Verhaftung nachsandte, entkam er glücklich auf einem Fischerboote nach England und ging von da nach Portugal, wo er Kriegsdienste nahm.
Nachdem man in Wesel angelangt war, wurde der Kronprinz gefangen gesetzt und sein Gemach durch Schildwachen mit bloßen Bajonetten verwahrt. Am folgenden Tage erhielt der Festungs-Kommandant, Generalmajor von der Mosel, Befehl, den Prinzen vor den König zu führen. Sobald der Kronprinz zu dem Könige eintrat, fragte ihn dieser mit drohendem Tone, warum er habe desertieren wollen. „Weil Sie mich“, antwortete der Prinz, „nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen Sklaven behandelt haben.“ – „Du bist ein ehrloser Deserteur“, rief ihm der König entgegen, „der kein Herz und keine Ehre im Leibe hat!“ – „Ich habe dessen so viel wie Sie“, versetzte der Prinz, „und ich tat nur, was Sie, wie Sie es mir mehr als hundertmal gesagt haben, an meiner Stelle getan haben würden!“ – Diese Worte erregten aufs Neue des Königs ganzes Ungestüm; er zog seinen Degen und würde den Prinzen durchbohrt haben, wäre ihm nicht der General Mosel in den Arm gefallen. Vor den Prinzen tretend rief dieser würdige Mann aus: „Töten Sie mich, Sire, aber schonen Sie Ihren Sohn!“ Die Kühnheit des Generals machte den König zaudern, und jener benutzte den Moment, den Prinzen hinauszuführen und in seinem Zimmer vorläufig in Sicherheit zu bringen. Die übrigen Generale vermochten es über den König, dass er sich entschloss, den Prinzen nicht mehr zu sehen und ihn der strengen Obhut einiger Offiziere, auf die er sich verlassen konnte, anzuvertrauen. Er selbst reiste einige Tage darauf nach Berlin ab.
Jene Offiziere hatten den Auftrag erhalten, mit dem Kronprinzen etwas später von Wesel aufzubrechen und ihn so schnell und so geheim als möglich nach Mittenwalde zu führen, wo er zunächst in Verwahrsam bleiben sollte. Es war ihnen verboten, auf der Reise das hannoversche Gebiet zu berühren, damit der Prinz nicht etwa durch englische Hilfe entführt werden möchte. Zugleich war ihnen anbefohlen, den Prinzen durchaus streng zu halten und ihn mit niemand sprechen zu lassen. Doch fehlte wenig, dass Friedrich, trotz dieser Vorsicht nicht schon in Wesel seiner Haft entkommen wäre. Er war im Volke, im Gegensatz gegen die bekannte Strenge des Königs, allgemein beliebt; jetzt hatte sein Unglück einen förmlichen Enthusiasmus für ihn hervorgerufen. Manch einer hatte sein Leben gewagt, um nur ihn in Freiheit zu wissen. Schon hatte er heimlich eine Strickleiter und das Kleid einer Bäuerin erhalten, schon war er in dieser Vermummung bei nächtlicher Weile aus dem Fenster gestiegen, als die Schildwache unter seinem Fenster, die er nicht bemerkt hatte, ihn anrief. Nun blieb ihm nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben, und willig ließ er sich am folgenden Tage von Wesel abführen. Auf der Reise selbst machte er keine weiteren Versuche zur Flucht, obschon der Landgraf von Hessen-Kassel und der Herzog von Sachsen-Gotha nicht abgeneigt gewesen wären, ihn vor dem Zorne des Vaters zu schützen, was er freilich vielleicht nicht wusste.
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Siebentes Kapitel – Das Gericht
Siebentes Kapitel – Das Gericht
Katte war inzwischen auf keine Weise für seine Sicherheit besorgt gewesen. Schon verbreitete sich ein dumpfes Gerücht von der Verhaftung des Kronprinzen in Berlin. Von verschiedenen Seiten kamen ihm, dessen Verhältnisse zum Prinzen nur allzu bekannt waren, warnende Stimmen zu Ohren; aber er wartete geduldig auf die Vollendung des schönen französischen Kuriersattels, den er sich bestellt hatte, um in den verborgenen Behältnissen desselben Papiere, Geld und dergleichen umso sicherer mitnehmen zu können. Endlich erbat er sich – es war am Abend vor der Nacht, in welcher sein Verhaftsbefehl ankam – von einem Vorgesetzten die Erlaubnis, am nächsten Tage Berlin verlassen zu dürfen, angeblich, um einer Jagdpartie in der Nähe beiwohnen zu können. Man zögerte mit der Ausführung des Befehles, bis man ihn genügend entfernt glaubte; als man sich endlich in seine Wohnung verfügte, fand man ihn erst im Begriffe das Pferd zu besteigen. Nun war sein Schicksal entschieden; er musste sich gefangen geben. Eine versiegelte Kiste, welche die Papiere und Kleinodien des Kronprinzen enthielt, ließ er der Königin überbringen.
Gleichzeitig mit Kattes Verhaftungsbefehl kam ein Schreiben des Königs an die Oberhofmeisterin der Königin, worin diese gebeten wurde, die Letztere von der versuchten Desertion des Kronprinzen und von seiner Gefangennehmung zu benachrichtigen. Die Bestürzung in der königlichen Familie war groß; erhöht wurde sie durch den Empfang jener Kiste, die man nicht unterschlagen durfte, die aber sehr Bedrohliches, nicht nur für den Kronprinzen, sondern auch für die Königin selbst und namentlich für die älteste Prinzessin enthalten konnte. Man hatte ohne Wissen des Königs eine sehr ausgedehnte Korrespondenz miteinander geführt, in welcher die Ausdrücke nicht immer mit genügender Ehrerbietung gegen den König abgewogen und namentlich auch die Angelegenheiten in Bezug auf England vielfach berührt waren. Endlich kam man zu dem Entschlusse, das Siegel abzunehmen, das Schloss der Kiste zu erbrechen, alle gefährlichen Schriften zu verbrennen und dafür eine bedeutende Anzahl neugeschriebener Briefe unschuldigen Inhalts mit verschiedenen älteren Daten hineinzulegen. Dann ward die Kiste wieder versiegelt, indem man ein dem vorigen ganz ähnliches Petschaft aufzufinden wusste.
Am 27. August kehrte der König nach Berlin zurück. Seine erste Frage war nach der Kiste. Als ihm dieselbe gebracht wurde, verlangte ihn mit solchem Ungestüm nach ihrem Inhalte, dass er sie, statt sie zuvor zu besichtigen, sogleich aufriss und die Briefe herausnahm. Er hatte den Verdacht, die beabsichtigte Flucht des Prinzen sei die Folge eines förmlichen Komplottes, an dessen Spitze England gestanden habe und in welches seine Gemahlin und seine älteste Tochter mit verwickelt seien. Er vermutete, dass man hierbei mehr, als nur jene alten Heiratspläne im Sinne gehabt; lag es doch im Bereiche der Möglichkeit, dass es auf seinen Thron, wenn nicht gar auf sein Leben abgesehen gewesen sei. Dass er in der Kiste keine Zeugnisse fand, machte, statt ihn zu beruhigen, seinen Zorn nur umso heftiger; er argwöhnte, dass man ihm durch eine List zuvorgekommen sei. Sein ganzer Ingrimm wandte sich nun gegen seine Familie und namentlich hatte die Prinzessin Wilhelmine aufs Schwerste zu leiden. Er schwur, dass er den Kronprinzen werde umbringen lassen und dass die Prinzessin das Schicksal ihres Bruders teilen werde. Nur die Oberhofmeisterin der Königin, Frau von Kamecke, wagte es, ihm mit heldenmütiger Unerschrockenheit entgegenzutreten. Sie folgte ihm in sein Zimmer und beschwor ihn, der Königin zu schonen und das Unternehmen des Kronprinzen nur als das, was es sei – als einen Schritt jugendlicher Unbesonnenheit zu betrachten. „Bis jetzt“, sagte sie zu ihm, „war es Ihr Stolz, ein gerechter und frommer König zu sein, und dafür segnete Sie Gott; nun wollen Sie ein Tyrann werden – fürchten Sie sich vor Gottes Zorn! Opfern Sie Ihren Sohn Ihrer Wut, aber sein Sie auch dann der göttlichen Rache gewiss. Gedenken Sie Peters des Großen und Philipps des Zweiten: Sie starben ohne Nachkommen und ihr Andenken ist den Menschen ein Gräuel!“ Diese Worte schienen Eindruck auf den König zu machen, aber nur auf kurze Zeit.
Inzwischen war, auf Befehl des Königs, Katte vor ihn geführt worden, um gerichtlich verhört zu werden. Die erste Begrüßung des Gefangenen bestand wiederum nur in wilder Misshandlung. Katte beantwortete die ihm vorgelegten Fragen mit Standhaftigkeit; er erklärte, dass er allerdings an der Flucht des Kronprinzen habe teilnehmen wollen, dass es die Absicht des Letzteren gewesen sei, nach England zu gehen, um dort vor dem Zorne des Königs geschützt zu sein, dass er, Katte, den Zwischenträger zwischen dem Kronprinzen und der englischen Gesandtschaft gemacht habe, dass aber der Prinzessin Wilhelmine dieser Plan nicht mitgeteilt worden und dass von irgend einem Unternehmen gegen die Person des Königs oder überhaupt gegen die Angelegenheiten desselben niemals die Rede gewesen sei. Im Übrigen berief er sich auf die Papiere des Kronprinzen. Eine neue Durchsicht der Letzteren ergab natürlich nichts, was zu weiterer Anschuldigung dienen konnte. Aber der Verdacht, dass die wichtigeren Papiere unterschlagen seien, blieb rege, und die Prinzessin wurde unausgesetzt mit Strenge behandelt. Nach beendigtem Verhöre musste Katte die Uniform ausziehen, und ward in einem leinenen Kittel auf die Hauptwache geschickt. Gegen die übrigen Freunde des Kronprinzen und die sonst seinen Interessen günstig gewesen zu sein schienen, auch wenn bei ihnen gar keine Kenntnis seines letzten Vorhabens erweislich war, wurde nicht minder mit großer Strenge verfahren; so wurde z. B. sein ehemaliger Lehrer Dühan, der jetzt eine Ratsstelle bekleidete, nach Memel verwiesen.

Duhan
Die Bestürzung über alle diese Ereignisse war allgemein und alles in banger Erwartung über das ferneren Schicksal des Kronprinzen.
Dieser war unterdessen in Mittenwalde eingetroffen. Hier wurde er am 2. September zuerst verhört. Man legte ihm die Aussagen Kattes vor, und er erkannte dieselben an; auf alle weiteren Fragen indes gab er wenig genügende Antworten. Dem General Grumbkow, der mit anwesend war und die stolze Zuversicht des Prinzen herabzustimmen suchte, sagte er, er glaube über alles, was ihm noch begegnen könne, hinaus zu sein, und er hoffe, sein Mut werde größer sein, als sein Unglück. Jener kündigte ihm hierauf an, er werde auf Befehl des Königs nach Küstrin gebracht werden, indem diese Festung für jetzt zu seinem Aufenthaltsorte bestimmt sei. „Es sei“, erwiderte der Kronprinz, „ich werde dahin gehen. Wenn ich aber nicht eher wieder von dort wegkommen soll, als bis ich mich aufs Bitten lege, so werde ich wohl ziemlich lange da bleiben.“

Am folgenden Tage wurde der Kronprinz nach Küstrin geführt. Er erhielt ein Gemach auf dem Schlosse, indem der dortige Kammer-Präsident von Münchow ihm von seiner Wohnung ein Zimmer abtreten musste. Hier wurde er, auf bestimmten Befehl des Königs, streng gehalten. Seine Kleidung bestand aus einem schlechten blauen Rocke ohne Stern. Im Zimmer standen nur hölzerne Schemel zum Sitzen. Die Speisen, die sehr einfach waren, wurden ihm geschnitten überbracht, weil den Gefangenen in der Zeit des engsten Arrestes keine Messer und Gabeln zukamen. Tinte und Papier waren ihm nicht gestattet; auch wurde ihm seine Flöte abgefordert. Das Zimmer durfte er unter keiner Bedingung verlassen; die Tür war mit Wachen besetzt und durfte nur dreimal des Tages in Gegenwart zweier Offiziere zur Besorgung der Bedürfnisse des Gefangenen auf kurze Zeit geöffnet werden. Alle Morgen hatten zwei Offiziere das Zimmer zu untersuchen, ob sich nicht etwa die Spur einer verdächtigen Unternehmung zeige. Jedem war streng verboten, mit dem Kronprinzen zu sprechen; jeder bloße Besuch war durchaus untersagt.
Indes fand sich doch Gelegenheit, einige dieser strengen Anordnungen zu umgehen. Der Kammer-Präsident von Münchow, den das Schicksal des unglücklichen Königssohnes zu inniger Teilnahme bewegte, ließ in der Decke des Gefängnisses ein Loch machen, so dass er Gelegenheit bekam, den Kronprinzen zu sprechen, ihm seine Dienste anzubieten und seine Wünsche zur Verbesserung seiner gegenwärtigen Lage zu vernehmen. Der Prinz klagte über das armselige Essen und Speisegerät und über den Mangel an geistiger Nahrung. Für Beides wusste der Präsident bald Rat. Sein jüngster Sohn, acht Jahre alt, wurde in die weiten Kinderkleider gesteckt, die schon seit Jahren abgelegt waren, und die tiefen Taschen derselben füllte man mit Obst, Delikatessen und Ähnlichem; dem Knaben verweigerte die Wache nicht den Eingang. Dann wurde ein neuer Leibstuhl mit verborgenen Fächern angeschafft, und so kamen dem Prinzen nach und nach Messer und Gabeln, Schreibgerät, Bücher, Briefe usw. zu. Die diensttuenden Offiziere untersuchten das Zimmer nur, soweit ihre Ordre reichte.
Indes behielt der Kronprinz gegen die Personen, die der König zu verschiedenen Malen zu ihm schickte, noch immer seine strenge Zurückhaltung bei. So namentlich gegen eine Deputation, die ihn in der Mitte Septembers aufs Neue zu verhören kam. Der General Grumbkow, der sich wieder bei derselben befand, scheute sich nicht, ihm zu sagen, dass, wenn er seinen Stolz nicht beiseitesetze, schon Mittel und Wege zu finden sein dürften, ihn zu demütigen. „Ich weiß nicht“, erwiderte ihm der Prinz mit vornehmen Tone, „was Sie gegen mich zu Unternehmen gedenken: So viel aber weiß ich, dass Sie mich nie dahin bringen werden, vor Ihnen zu kriechen!“ Die Deputierten legten ihm nun die in jener Kiste gefundenen Papiere vor, mit der Frage, ob er nichts unter denselben vermisse. Der Prinz untersuchte sie, und da er die wichtigsten nicht vorfand, so zweifelte er nicht daran, dass sie unterdrückt worden seien. Er versicherte also, es sei der gesamte Inhalt jener Kiste. Man verlangte von ihm einen Eid über diese Angabe; diesen wusste er jedoch unter dem Vorwande, dass ihn sein Gedächtnis möglicherweise betrügen könne, von sich abzulehnen. Die Kommissarien waren nicht imstande, anderweitige Bekenntnisse von ihm zu erlangen. Auch spätere Verhöre gaben keinen besseren Erfolg. Man ließ ihn unter dem Versprechen, dass er auf die Thronfolge Verzicht leiste, Gnade hoffen, aber auch jetzt ging er hierauf nicht ein. Ebenso wenig nützten die erneuten Verhöre Kattes, jener vermeintlichen Intrige auf die Spur zu kommen. Der König hatte sogar die Absicht, Katte auf die Folter zu spannen, doch schützte ihn hiervor die Verwendung seiner Verwandten, die im Staate hohe Stellen bekleideten.
So hatte man keine weiteren Zeugnisse gegen den Kronprinzen und gegen Katte in Händen, als was sich durch ihre beabsichtigte Flucht selbst und durch die bisherigen Aussagen des Letzteren ergab. Doch war auch dies dem König bereits genügend, um gegen die Verschuldeten mit allem Nachdruck eines strengen Gesetzes zu verfahren. Es wurde ein Kriegsgericht zusammenberufen, welches über sie nur in militärischer Rücksicht zu erkennen hatte: Der Kronprinz namentlich sollte dabei nur als desertierter Militär betrachtet werden. Am 25. Oktober trat dieses Gericht in Köpenick zusammen und kehrte am 1. November nach Berlin zurück. Trotz jener ausdrücklichen Bestimmung des Königs erfolgte indes kein richterlicher Spruch über den Kronprinzen; das Kriegsgericht hatte sich in diesem Punkte für inkompetent erklärt. Katte war in Betracht, dass er sich nicht vom Regiment entfernt habe und seine bösen Pläne nicht in Ausführung gekommen seien, zu Kassierung und mehrjähriger Festungsbaustrafe verurteilt worden. Der König aber nahm die ganze Erklärung des Kriegsgerichtes sehr ungnädig auf; er sah darin nur eine Bemühung, sich dem künftigen Herrn des Landes, den er einmal als seinen entschiedenen Feind betrachtete, gefällig zu erweisen. Sein Zorn konnte nicht ohne ein blutiges Opfer gestillt werden; und so erklärte er zunächst, aus eigener Machtvollkommenheit, das Vergehen Kattes als ein Verbrechen der beleidigten Majestät, da dieser als Offizier der Garde-Gendarmerie, der Person des Königs unmittelbar verpflichtet gewesen sei und solche Verpflichtung durch einen Eid erhärtet, nichtsdestoweniger jedoch zur Desertion des Kronprinzen unerlaubte Verbindungen mit fremden Ministern und Gesandten, zum Nachteil des Königs, angeknüpft habe. Für ein solches Verbrechen habe er verdient, mit glühenden Zangen gerissen und aufgehenkt zu werden; doch solle er, in Rücksicht auf seine Familie, nur durch das Schwert gerichtet werden. Man solle dem Katte, wenn ihm dieser Ausspruch eröffnet werde, sagen, dass es dem Könige leid täte: Es sei aber besser, dass er sterbe, als dass die Gerechtigkeit aus der Welt gehe. Alle Bitten und Fürsprachen gegen dies strenge Urteil waren umsonst; vergebens flehte Kattes Großvater, der alte verdiente General-Feldmarschall Graf von Wartensleben, mit rührenden Worten um Gnade, nur damit ihm Gelegenheit bleibe, das Herz seines Enkels zur Buße und zur Demut zurückzuführen. Der Sinn des Königs blieb unerweicht, und wiederholt berief er sich darauf, es sei besser, dass ein Schuldiger nach der Gerechtigkeit sterbe, als dass die Welt oder das Reich zu Grunde gehe.