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„Das ist mir egal und außerdem ist doch niemand hier“, erwiderte ich noch immer voller Rage.
„Noch nicht, aber wenn du so weitermachst …“, Papa überlegte schnell wie er den Satz zu Ende bringen konnte, „ … dann, dann werden sie gleich alle aus den Fenstern schauen.“
„Hilfeeeeee!“ Mein Schrei ging ihm durch Mark und Bein.
„Nun mach doch nicht so ein Theater“, versuchte er mich zu beruhigen und schaute sich peinlich berührt um.
Inzwischen sahen einige Nachbarn aus dem Fenster. Sie waren durch die lauten Rufe aufmerksam geworden und wollten nachsehen, was vor ihrem Haus vor sich ging.
Papa machte eine Handbewegung, die so viel bedeuten sollte, dass alles in Ordnung sei.
„Es ist meine Tochter. Sie lernt Fahrradfahren“, fügte er hinzu und wandte sich mir wieder zu, während ich unentwegt laut schreiend meine Runden drehte.
„Was du nur hast, es klappt doch prima“, rief er mir zu, als ich wieder an ihm vorbei fuhr.
„Paaapaaa! Ich will nicht mehr. Maaamaaa, hilf mir doch!“
Die Nachbarn beobachteten zum Teil kopfschüttelnd das Treiben auf dem Parkplatz vor ihrem Haus. Andere schauten mitleidig, während wieder andere vor sich her schmunzelten.
„Na los ein paar Runden noch. Das machst du sehr gut“, ermunterte mich Papa, als ich an ihm vorbeikam.
„Wie komme ich denn hier runter? Ich will nicht mehr. Papaaa!“
Er amüsierte sich, ließ mich aber keinen Augenblick unbeobachtet.
„Paapaa, bitte, ich will anhalten!“
Mein Gesicht war puterrot. Die Tränen rollten mir über die Wangen. Schließlich entschloss er sich nun doch, das Treiben zu beenden. Er schaltete die Kamera aus, hing sie sich über die Schulter und griff nach dem Rad. Ich spürte einen kleinen Ruck und ließ mich zur Seite direkt in Papas Arme fallen. Ich schluchzte unaufhörlich, stieß das Rad unsanft von mir und machte mich wutentbrannt auf den Heimweg. Das Fahrrad war mir egal, Papa war mir egal, die Nachbarn waren mir egal – alles war mir egal. Nur eines dachte ich: Hoffentlich hatten das alles meine Freunde nicht mitbekommen. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich wollte nur schnell nach Hause. Papa hob das Rad auf und folgte mir schmunzelnd.
„Scheiß Fahrrad“, fluchte ich leise und wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht.
„Na, hat es mit dem Fahren geklappt?“, fragte Herr Burgner interessiert, als er mir entgegen kam.
Ich schaute kurz zu ihm auf und winkte resigniert ab, antwortete aber nicht.
Herr Burgner wohnte bei uns im Aufgang. Ob er mich wohl beobachtet hatte, dachte ich noch ungläubig und sah, wie er mir zuzwinkerte. Ja, er hatte mich bei meinen Fahrversuchen gesehen.
„Mach dir nichts draus“, kam es tröstend zurück „Uwe hat sich auch nicht besser angestellt und heute fährt er wie ein Radrenner. Da muss ich ihn bremsen.“
Uwe war der Sohn von Herrn Burgner und zwei Jahre älter als ich. Was aber viel schlimmer war, er war einer meiner Freunde und würde von alledem erfahren.
„Ich will gar nicht fahren. Fahrradfahren ist doof.“
„Na, na, das wird schon wieder“, meinte er aufmunternd, bevor er seinen Weg fortsetzte.
Kurz darauf traf er auf Papa, der mein Fahrrad neben sich her schob.
„Tja, das sind die Sorgen der Väter“, meinte Herr Burgner und schmunzelte.
„Wenn sie sich erst beruhigt hat, versuchen wir es noch mal“, erwiderte er daraufhin. „Bei unserem Sohn hat es ja auch geklappt.“
Herr Burgner nickte. „Auf jeden Fall hat eure Tochter eine kräftige Stimme. Und die Vorstellung heute war bühnenreif. Vielleicht solltet ihr damit auftreten?!“
„Ach, besser nicht“, schüttelte Papa den Kopf, bevor er einen Moment überlegte und schmunzelnd hinzufügte: „Obwohl – der Film ist im Kasten. Ich habe ihren Auftritt mit der Videokamera festgehalten. Eigentlich sollte es eine schöne Erinnerung an ihren Geburtstag werden. Nun ist es wohl eher ein Beweisstück, sonst glaubt sie uns das Schauspiel in zehn Jahren nicht mehr. Ich bin gespannt, was sie dann dazu sagen wird.“
Er wies auf die Kamera.
Herr Burgner nickte zustimmend. „Unser Uwe war nicht ganz so massenwirksam, aber anstrengend war es auch – für ihn und für mich.“
Die Männer verabschiedeten sich und Papa beeilte sich, mir zu folgen.
„Na, hast du schon genug?“, fragte mich Benni ironisch.
„Ich will meinen Roller wiederhaben.“ Ich baute mich vor Mama auf. „Papa hat alles gefilmt“, sagte ich vorwurfsvoll und suchte bei ihr nach Trost.
„Das ist doch nicht schlimm. Jeder fängt mal klein an“, meinte sie besänftigend und strich mir über den Kopf.
Inzwischen war Papa eingetroffen. „Ich habe schon die ersten Vorbestellungen für den Film“, witzelte er und zeigte auf die Kamera.
Meine Augen wurden groß. „Aber das kannst du doch nicht …“
„Wieso nicht?“
„Papa, nein, sag, dass du das nicht wirklich vorhast!“
„Nein, nein, brauchst keine Angst haben. Der kommt ins Familienarchiv.“
Ich atmete erleichtert durch, ging ins Bad und wusch mir mein Gesicht. Wütend schaute ich in den Spiegel und steckte mir die Zunge heraus.
„Du bist eine dumme Kuh“, platzte ich heraus und schaute angewidert auf mein Spiegelbild. Am meisten störte es mich, dass ich die ganze Nachbarschaft auf mich aufmerksam gemacht hatte.
Wenig später ging ich zurück ins Wohnzimmer.
„Ich gehe nie wieder aus dem Haus.“ Ich ließ es ernst klingen und meinte es auch so.
Mama schüttelte den Kopf.
Benni gab mir einen Klaps auf die Schulter. „Eh, das war echt cool!“
Wütend erwiderte ich: „Autogramme gibt es aber erst später.“ Ich tippte mir mit dem Zeigefinger an die Stirn und wandte mich Benni zu: „Veralbern kann ich mich alleine.“
Papa kam auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Heute ist dein Geburtstag. Wir vergessen jetzt erst mal den Film und feiern. Irgendwann, später, wirst auch du darüber lachen können, glaube mir.“ Ich schaute Papa mit großen Augen an. „Ehrenwort?“
„Indianerehrenwort“, kam es zurück. „Und jetzt ziehe dich um, deine Gäste kommen gleich.“
Schnell verschwand ich kurz darauf in meinem Zimmer.
Eine Stunde später klingelte es an der Tür.
„Nicht, dass du Oma und Opa gleich von heute Vormittag erzählst!“, rief ich Papa auf dem Weg zur Wohnungstür zu.
„Und was ist mit Tante Carla und Onkel Jochen?“, scherzte er zurück.
Ich drehte mich mit einem Ruck zu ihm um und stemmte die Arme in die Seite.
„Papa! Denen natürlich auch nicht“, rief ich vorwurfsvoll.
Wieder klingelte es.
„Na nun mach schon auf, oder willst du deine Gäste nicht herein lassen?“
Ich atmete tief durch und drückte die Klinke nach unten. „Hallo Oma, hallo Opa!”
Die beiden traten in den Flur.
„Wir dachten schon, du willst uns nicht aufmachen“, sagte Oma verwundert.
„Doch, doch, na klar. Ich musste nur mit Papa noch etwas klären“, erwiderte ich wichtig.
Wenig später saßen wir alle an der Geburtstagstafel und ließen uns den Kuchen schmecken.
„Willst du denn gar nicht deine Geschenke auspacken?“, fragte Tante Carla und deutete auf die bunten Päckchen.
Mama nickte mir aufmunternd zu.
Mit leuchtenden Augen saß ich inmitten der Päckchen und riss eins nach dem anderen auf …
Inzwischen hatte ich meinen Kummer vom Vormittag längst vergessen. Nur ab und zu sah ich verstohlen zu dem roten Lämpchen der Kamera und überlegte, wie ich an die Kassette von meinen Fahrversuchen herankommen und wo ich diese für immer verstecken konnte.
Ach ja, das war für mich schon eine mittlere Katastrophe damals.
Das Video gibt es zwar nicht mehr, aber ab und zu haben mich meine Kumpels noch veräppelt. Sie meinten, dass sie sich den Film „Der Schreihals“ gerne mal ansehen würden.
Ich weiß nicht wie es kam, aber irgendwann – Tante Carla und Onkel Jochen waren mal wieder bei uns zu Besuch – kramte Papa das Video hervor. Doch kurz nachdem er es abspielen wollte, verhedderte sich das Band im Recorder. Als er die Kassette herausziehen wollte, riss das Band schließlich. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir darum leidgetan hätte, aber ich versichere, dass ich meine Hände nicht dabei im Spiel hatte.
Später verbrachte ich ’ne Menge Zeit auf dem Sattel und raste mit Benni und meinen Kumpels auf dem Fahrrad so manche Runde um den Block. Dass auch das nicht ganz folgenlos blieb, davon berichtet meine nächste Geschichte:
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