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Mangelnde bzw. mangelhafte Antworten können der Lehrperson also auch ein Feedback zu ihrer Frageweise geben und bilden in jedem Fall eine Herausforderung, sich stetig in der fragend-entwickelnden Unterrichtsform zu verbessern. Ungenügende Antworten können ebenso ein Problem der betreffenden Lernenden wie auch des methodischen Geschicks der Lehrperson sein.
Was ist guter mündlicher Unterricht?
Die Lehrperson legt ihrer Fallbeschreibung eine Vorstellung von gutem Unterricht zugrunde, die sie aber nicht erläutert und auch nicht begründet. Vordergründig scheint es ihr darum zu gehen, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler durch mündliche Beiträge den Unterricht anregen. Man könnte daraus schließen, dass für sie der Unterricht umso besser ist, je mehr er durch die Mitarbeit der Lernenden belebt wird. Warum die offenbar zahlreich gewünschten Beiträge notwendig sind und welcher Art die Beiträge sein sollen, wissen wir nicht.
Es gibt Lehrpersonen, die bei ihrem Unterricht die Interaktion ins Zentrum stellen. Ihnen ist es wichtig, dass möglichst lebhaft und interessant diskutiert wird. Das systematische Wissen wird daneben über Lehrmittel, Skripts, Arbeitsblätter, u. ä. vermittelt.
Andere Lehrpersonen bauen ihren Unterricht auf das fragend-entwickelnde Verfahren auf. Das systematische Wissen wird durch Vermittlung der Lehrperson direkt im Unterricht aufgebaut, unterbrochen durch Fragen an die Lernenden. Die Qualität dieses Unterrichts ist abhängig von der Qualität der Fragestellungen, der angemessenen Reaktion auf die Antworten der Lernenden und der Fähigkeit der Lehrperson, den roten Faden in allen Phasen des Unterrichts zu verfolgen und für die Lernenden sichtbar zu machen (vgl. die etwas plakative, im Kern aber durch viele Studien belegte berechtigte Kritik an der fragend-entwickelnden Unterrichtsmethode, vgl. Gudjons 2011).
Dubs (2009) beschreibt verschiedene Spielarten und die Qualitätsanforderungen der fragend-entwickelnden Unterrichtsform, wie klare Zielorientierung, vorbereitete und im Schwierigkeitsgrad angemessene Fragestellungen, Trennung von Information und Anregungen zum Nachdenken. Gudjons (2011) legt dagegen eher Gewicht auf eine gute Einbettung des Frontalunterrichts und plädiert für fragend-entwickelnde Unterrichtsphasen in Form von nur kurzen Einschüben.
Grell und Grell (2010) legen weniger Gewicht auf die mündliche Beteiligung selbst als vielmehr auf interessante, anspruchsvolle und im Schwierigkeitsgrad angemessene Aufgabenstellungen während des Unterrichts. Sie beschreiben mit ihren Unterrichtsrezepten ein konkretes Unterrichtsvorgehen, das von Berufsanfängerinnen und -anfängern wegen seiner Praktikabilität sehr geschätzt wird. Diese Unterrichtsform kann jedoch auch zu einem eintönigen und wenig interaktiven Unterricht verleiten.
Schwierigkeiten beim fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch
Die Lehrperson muss im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch vielen Bedürfnissen gleichzeitig gerecht werden und zudem das Lernziel erreichen (Dubs 2009; Grell und Grell 2010; Gudjons 2011).
Im Klassenverband fühlen sich die Schülerinnen und Schüler nicht wirklich verantwortlich für das Ergebnis, weil die Lehrperson den Lernprozess in den Händen hat. Die Lernenden können eine passive Haltung einnehmen oder umgekehrt die Klasse als ‹Bühne› für Selbstinszenierungen verwenden. Den Lernenden ist aber auch oft nicht klar, was von ihnen erwartet wird. Sie sehen in ihren eigenen Beiträgen keinen Lerneffekt für sich selbst und für die anderen. Es geht – aus ihrer Sicht – im Hinblick auf das Endprodukt des Unterrichts genauso gut und mit geringerem Aufwand auch ohne Beiträge. Manchmal machen sie auch die Erfahrung, dass die Lehrperson am Schluss doch alle wichtigen Inhalte nochmals selbst formuliert, sodass sich die Anstrengung der Schülerinnen und Schüler nicht zu lohnen scheint. Erschwerend für die Teilnahme am Unterrichtsgespräch kann zudem sein, dass sich in einer Klasse mit der Zeit Rollenmuster herausbilden. Die Lernenden wissen gegenseitig, wer jeweils einen Beitrag leistet, um wenigstens peinliche Situationen zu vermeiden. Ohne Unterstützung von Lehrpersonen kann die Klasse kaum aus einer eingespielten Struktur herauskommen.
Mündliche Beteiligung – wozu?
Manche Lehrpersonen würden spontan argumentieren, dass die mündliche Mitarbeit für einen lebendigen Unterricht notwendig sei. Mündliche Mitarbeit unterstützt das Konzept eines interaktiven Unterrichts, das sich die Lehrperson vorgibt. Mitarbeit der Lernenden soll die didaktische Arbeit der Lehrperson bereichern. Eine pädagogische Begründung ist damit aber noch nicht gegeben. Jugendliche, die merken, dass sie lediglich der Lehrperson zuliebe am mündlichen Unterricht teilnehmen sollen, werden sich eher zurückhalten, außer sie wollen die Lehrperson nicht im Regen stehen lassen. Schülerinnen und Schüler, die sich aus solchen altruistischen Gründen mündlich beteiligen, gibt es in der Regel in jeder Klasse.
Mündliche Mitarbeit muss aber mehr sein als Unterstützung des Unterrichtskonzepts der Lehrperson. Interaktion zwischen der Lehrperson und den Lernenden wie auch unter den Lernenden wird in didaktischen Modellen als eine zentrale Komponente von Unterricht beschrieben. Interaktion ist Teil des didaktisch arrangierten Lehr-/Lernkonzepts. Dabei ist entscheidend, dass mit Interaktion pädagogische Ziele angestrebt werden, die sich mit anderen Unterrichtsformen wie Einzelarbeit oder Lehrvortrag nicht erreichen lassen: einen Sachverhalt erfassen und paraphrasierend wiedergeben, eine Aussage analysieren, einen Sachverhalt interpretierend darstellen, begründende Argumente darlegen, auf Beiträge anderer reagieren, sich verständlich ausdrücken, etwas erklären, klare Fragen formulieren, modellierend einen Lösungsweg vorstellen u. a.
Aus der Perspektive der Lehrperson dient die Interaktion mit den Lernenden zudem der Vergewisserung, ob und wie sie einen Sachverhalt oder eine Aufgabenstellung verstanden haben. Interaktion hat somit auch viel mit Nachfragen, Paraphrasieren von Fragen und Antworten sowie mit Metakommunikation zu tun, also mit dem Miteinander-Reden über die kommunikative Interaktion.
Anforderungen bei der Führung von Unterrichtsgesprächen
Vom fragend-entwickelnden Gespräch (siehe oben) ist das interaktive Unterrichtsgespräch, auch Klassendiskussion genannt, zu unterscheiden. Bei dieser Form nimmt die Lehrperson (oder gelegentlich auch eine Schülerin oder ein Schüler) eine moderierende Rolle ein. Wichtig ist, dass die Lernenden miteinander diskutieren und die Lehrperson nicht laufend korrigierend eingreift. Sie kann sich die Voten (auch falsche Aussagen) notieren und später bei der Auswertung des Gesprächs wieder einbringen (Gudjons 2011).
Es geht aus der Fallbeschreibung nicht hervor, wie die Lehrperson methodisch vorgeht. Es handelt sich offensichtlich um eine frontale, von der Lehrperson geleitete Unterrichtssituation. Ob sie ein fragend-entwickelndes Vorgehen oder ein interaktives Unterrichtsgespräch gewählt hat, ist unklar. Es ist Teil jeder didaktischen Vorbereitung zu entscheiden, welche Ziele mit welcher methodischen Vorgehensweise erreicht werden sollen. Man darf aus der Fallbeschreibung schließen, dass diese Klärung für die Lehrperson nicht im Vordergrund steht. Vielleicht versuchte sie eine Mischform von einem fragend-entwickelnden und einem interaktiven Unterrichtsgespräch zu realisieren und verbindet damit implizit die Vorstellung: Je lebendiger, desto besser; je mehr Lernende sich beteiligen, umso lebendiger.
Lösungsansätze
Klärung der pädagogischen Ziele und bewusste Wahl der Unterrichtsmethode
Die Lehrperson muss sich selbst im Klaren sein, was sie in einer bestimmten Lektion an Lernzielen und an lektionsübergreifenden Richtzielen erreichen will. Darauf aufbauend entscheidet sie über die genauen Inhalte und über das methodische Vorgehen im Unterricht. Dabei ist es notwendig, dass sich die Lehrperson in die Situation der Lernenden versetzt: Wer sind meine Schülerinnen und Schüler? Wo kommen sie her? Welchen Erfahrungshintergrund haben sie? Welche Ziele können für sie wichtig sein? Wo haben sie Stärken, wo haben sie Schwächen? Was ist für sie interessant? Was ist ihnen wichtig? Mit welchen Vorgehensweisen kann ich sie optimal unterstützen? Was sind besondere Herausforderungen, welche diese Lernenden an mich als Lehrperson stellen?
Möglicherweise zeigen solche Überlegungen, dass das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch nicht die optimale Unterrichtsform ist, jedenfalls nicht über die gesamte Länge von ein oder sogar zwei Lektionen.
Zur Frage der Motivation der Schülerinnen und Schüler
Aus der Motivationsforschung ist bekannt, dass die Bereitschaft, eine persönliche Leistung zu erbringen, wächst, wenn ein persönlicher «Gewinn» sichtbar ist. So tragen Aspekte wie Selbsterkenntnis (ich lerne mich besser kennen), Belohnung (materiell, immateriell), Erfahrungen der eigenen Tüchtigkeit (ich bringe etwas fertig), Wirksamkeit (die Leistung zeigt eine erkennbare Wirkung), Selbstverwirklichung (ich kann meine Stärken und Fähigkeiten entdecken und entwickeln), Lust (Leistungstätigkeit als lustvoll erleben) zu einer Steigerung der Motivation bei (Heckhausen und Heckhausen 2010). Die Lernenden müssen somit erleben können, dass sie von ihrer Gedankenarbeit selbst profitieren und sie als sinnvoll wahrnehmen. Damit die Lernenden den «Profit» für sich erkennen, müssen sie wissen, welche Ziele erreicht werden sollen bzw. ob sie die Ziele erreicht haben (Rückmeldung zu den individuellen Leistungen). Zu den Zielen gehören nicht nur inhaltliche Lernziele, sondern auch zu erwerbende Kompetenzen wie z. B. Selbstständigkeit, Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit.
Im Fallbeispiel scheint ein an den Lernzielen orientierter persönlicher Gewinn für die Schülerinnen nicht ersichtlich zu sein. Das Argument der Notenrelevanz scheint zu wenig gewichtig (und ist pädagogisch fragwürdig); der Hinweis auf das «Berufsmatur-Training» greift vermutlich nicht, weil sich die Lernenden noch nichts darunter vorstellen können. Sie müssen direkt erfahren können, was ihnen die mündliche Beteiligung bringt: fachlich besser werden (Kompetenzerfahrung), sich frei ausdrücken, gut formulieren und mit anderen argumentieren können (Kommunikationsfähigkeit). Dazu braucht es Phasen im Unterricht, in denen spezifisch an diesen Zielen gearbeitet wird und in denen die Lernenden auch Feedback zu ihrem Wissen und Können erhalten. Diese Phasen werden in der Regel nicht volle Lektionen umfassen, weil sie für alle Beteiligten – Lehrperson wie Lernende – anspruchsvoll und anstrengend sind. Die Phasen können in Lehrvorträgen, in medialer Wissensvermittlung oder in Einzel- oder Partnerarbeit eingebettet werden. Interaktive Phasen sind mit gut überlegten Fragestellungen und genügend Zeit für die Erarbeitung von Antworten zu gestalten. Das herkömmliche fragend-entwickelnde Gespräch kann dann ergänzend zur Klärung weiterer Fragen, jedenfalls aber in eng begrenztem zeitlichem Umfang, eingefügt werden. Damit werden eine Rhythmisierung des Unterrichts sowie eine Transparenz der Ziele erreicht, was den Lernenden die aktive Teilnahme am Unterrichtsgeschehen erleichtert.
Ein konkreter Vorschlag für die Gestaltung eines eingebetteten Unterrichtsgesprächs
Um ein Unterrichtsgespräch in Gang zu bringen, ist es oft hilfreich, ein Sachgebiet zuerst in Stillarbeit oder in Partnerarbeit erarbeiten und diskutieren zu lassen und erst in einer zweiten Runde zu einem Plenumsgespräch überzugehen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten dadurch Gelegenheit, sich mit dem Themengebiet bekannt zu machen und sich in der Diskussion mit einem Banknachbarn oder einer Banknachbarin gegenseitig auszutauschen und Sicherheit zu gewinnen, bevor man sich mit seinem Beitrag vor die gesamte Klasse wagt (das «Sichexponieren» wird einfacher). Die Ergebnisse dieser Vorbereitungszeit kann man beispielsweise auf einzelne Blätter schreiben lassen und an der Tafel anheften und gruppieren. Die Lernenden ergänzen mit Argumenten und die Lehrperson gibt Rückmeldungen zu den Ergebnissen. Am Schluss kann die Lehrperson eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Erkenntnissen an der Tafel festhalten oder die Lernenden formulieren die wesentlichen Aspekte selbstständig. Dabei ist es wichtig, dass die Ergebnisse von Partner- und Gruppenarbeiten nicht «nachgebessert» werden, sondern anhand von Zielvorgaben geprüft wird, ob die gesteckten Ziele erfüllt werden. So kann es gelingen, dass die Lernenden Verantwortung für die Qualität der Inhalte (mit-)übernehmen und merken, dass ihre Beiträge inhaltlich wichtig sind und zielorientierten Ansprüchen gerecht werden müssen. Des Weiteren werden durch diese Arbeitsweise Lehrperson und Lernende vom Druck entlastet, dass die Stunden lebendig sein sollen (der stille Vorwurf, dass sich Lernende mehr beteiligen müssen, soll aufgehoben werden). Grundsätzlich gilt es daher, die Unterrichtsgespräche zeitlich kurz zu halten und in andere Formen einzubetten (siehe z. B. Gudjons 2011).
Grundsätzliche Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung durch einen systemischen Ansatz
Es ist eine Tatsache, dass das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch eine weit verbreitete und sehr häufig eingesetzte Unterrichtsform ist. Gleichzeitig verlaufen solche Stunden nicht selten in der Weise, wie sie aus dem Fallbeispiel zu erahnen ist. Eine fragend-entwickelnde Form lässt sich aufbrechen, wenn anstelle eines Frage-Antwort-Verfahrens im Frontalunterricht generell mehr Partner-, Einzel- und Kleingruppenaufträge sowie vorbereitete Kurzvorträge durch die Lehrperson (und auch Lernende) eingesetzt werden. Bei Partner- und Kleingruppenarbeit ist der Zusammensetzung der Gruppen besondere Beachtung zu schenken (siehe Fallbeispiel «Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen»).
Wenn andere Lehrpersonen ähnliche Probleme haben, wird eine grundsätzliche systemische Verbesserung nötig: Die Lehr-/Lernkultur in der Schule ist unter den Lehrpersonen zum Thema zu machen, z. B. im Klassenkonvent oder bei der Planung schulinterner Fortbildung. Fragen zur guten Gestaltung von Unterrichtsgesprächen, zum Stellenwert, zur Bewertung und zur Förderung der mündlichen Beteiligung im Unterricht sollten vom Lehrerkollegium thematisiert werden. Die Beschlüsse können dann von der Schule als Ganzes getragen werden. Die Lernenden werden über das gemeinsame Vorgehen des Lehrerkollegiums informiert und erfahren eine gezielte Förderung und Verbesserung.
Eine gute und kurzfristig praktizierbare Möglichkeit ist die Zusammenarbeit unter Lehrpersonen, auch in Form von Praxis-Forschungskooperationen (Kyburz-Graber 2013). In solchen Kooperationen lassen sich Probleme der mangelnden mündlichen Beteiligung untersuchen und gemeinsam Lösungen umsetzen. Z. B. können sich Lehrpersonen in Unterrichtsmethoden oder in der Moderationstechnik weiterbilden, da Kompetenzen in diesen Bereichen notwendig sind, um u. a. gute Diskussionen in Gruppen zu führen.
Literatur
Ajzen, I. und Fishbein, M. (1977). Attitude-Behavior Relations: A Theoretical Analysis and Review of Empirical Research. Psychological Bulletin 84 (5), pp. 888 – 918.
Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Zürich: SKV.
Grell, J. und Grell, M. (2010). Unterrichtsrezepte. 12., neu ausgestattete Auflage. Weinheim: Beltz.
Gudjons, H. (2011). Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. 3., aktualisierte Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Heckhausen, J. und Heckhausen, H. (2010). Motivation und Handeln. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin: Springer.
Krapp, A. (1992). Das Interessenkonstrukt: Bestimmungsmerkmale der Interessenhandlung und des individuellen Interesses aus der Sicht einer Person-Gegenstands-Konzeption. In: A. Krapp und M. Prenzel (Hrsg.). Interesse, Lernen, Leistung. Neuere Ansätze einer pädagogisch-psychologischen Interessenforschung. Münster: Aschendorff, S. 297 – 329.
Krapp, A. (2002). An Educational-Psychological Theory of Interest and Its Relations to Self-Determination Theory. In: E. L. Deci und R. M. Ryan (Eds.). The Handbook of Self-Determination Research. Rochester: University of Rochester Press. pp. 405 – 427.
Kyburz-Graber, R. (2013). Praxis-Forschungskooperationen für erfolgreiche Unterrichtsentwicklung. In: Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Mittelschulbericht 2013 – Kooperation und Entwicklung.Bern: Erziehungsdirektion, S. 46 – 49. Online: www.erz.be.ch/mittelschulbericht.
Rudolph, U. (2007). Motivationspsychologie. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz PVU.
Tonglet, M., Phillips, P. S. und Read, A. D. (2004). Using the Theory of Planned Behaviour to Investigate the Determinants of Recycling Behaviour: a Case Study from Brixworth, UK. Resources, Conversation and Recycling 41 (3), pp. 191 – 214.
Wahl, D., Weinert, F. E. und Huber, G. L. (2001). Psychologie für die Schulpraxis – Ein handlungsorientiertes Lehrbuch für Lehrer. 7. Auflage. München: Kösel.
Verweigerung von vertiefter Arbeit
Titel Verweigerung von vertiefter Arbeit
Fach Englisch
Schultyp Kurzzeitgymnasium
Klassenstufe 4. Klasse/12. Schuljahr
Klassengröße 24
Zusammensetzung der Klasse Keine Angabe
Besondere Umstände Einmal pro Woche Unterricht in Halbklassen. Letzte Lektion vor der Mittagspause. Literaturunterricht. Großes Praktikum
Beschreibung des Falles

Ich hatte in den Halbklassen eine Short Story bearbeitet, war jedoch mit meinem geplanten Programm nicht ganz durchgekommen. Mein Praktikumsleiter schlug vor, die Story in der nächsten Lektion mit der ganzen Klasse noch einmal aufzugreifen. Was in den Halbklassen zum Teil zwar zäh, aber mit gutem Willen funktioniert hat, läuft mit der gesamten Klasse ziemlich schief. Die Schüler/innen hatten im Halbklassenunterricht an ‹characterization› und ‹narrator› gearbeitet, jedoch nur an der Oberfläche gekratzt (zum Teil weil sie die Story nicht oder nur flüchtig gelesen hatten). Nun möchte ich in einer genaueren Analyse in die Tiefen der Geschichte vordringen. Die Schüler/innen sind jedoch der Ansicht, dass sie schon alles gesagt haben, was es zur Geschichte zu sagen gibt. Sie sehen keinen Sinn darin, sich noch einmal damit auseinanderzusetzen, was sie in halblauten Kommentaren auch zu erkennen geben.
Ich habe Gruppen gebildet und sie angewiesen, den Themen ‹communication› und ‹reliability of the narrator› nachzugehen. Zum Teil verweigern die Schüler/innen die Mitarbeit ganz, zum Teil machen sie widerwillig mit. Ich erkläre, dass in der Geschichte eine Ebene stecke, die wir bisher kaum angesprochen hätten. Ich muss in jeder Gruppe weiteren Input geben, die Schüler/innen konkret auf Passagen hinweisen und ihnen mit Suggestivfragen auf die Sprünge helfen. Das Ergebnis ist recht mager.
Im Plenum sollen sie dann in Textbeispielen, die ich herausgeschrieben habe, ‹figures of speech› benennen. Das Resultat ist gleich null, obwohl sie sich damit laut Praktikumsleiter schon beschäftigt haben und das auch an der Matura können müssen. Besonders ärgerlich: Der Schüler, der am meisten aus der Geschichte herausliest, redet nicht gern vor anderen. In der Halbklasse geht das noch einigermaßen, auch in der Gruppe, aber in der ganzen Klasse verweigert er die Mitarbeit.

Was fällt auf?

Die Lehrperson unterrichtet die Klasse im Rahmen der Ausbildung zur Gymnasiallehrperson im Fach Englisch. Während des Halbklassenunterrichts bearbeiten die Schülerinnen und Schüler eine Kurzgeschichte, wobei die geplante Lektion nicht vollständig umgesetzt werden kann und daher das Thema in der Folgelektion mit der ganzen Klasse vertieft behandelt wird. Interessant ist der Hinweis der angehenden Lehrperson, dass der Praktikumsleiter die Weiterführung des Themas vorschlägt. Es bleibt unklar, inwiefern die Lehrperson selbst dieses Thema erneut aufgreifen würde. Die Art der Formulierung («Mein Praktikumsleiter schlug vor ...») sowie die Wahrnehmung, dass der Halbklassenunterricht «zäh, aber mit gutem Willen funktioniert hat» (inwiefern gestaltete sich die Arbeit zäh?), lassen vermuten, dass die Lehrperson selbst das Thema nicht erneut im beschriebenen, ausführlichen Sinne aufgegriffen hätte. In der Fallbeschreibung wird dann auch in demselben Satz sogleich vorweggenommen, dass aus der Sicht der Lehrperson mit der ganzen Klasse in der Folgelektion alles schiefläuft. Die Schülerinnen und Schüler haben im Halbklassenunterricht zwar «mit gutem Willen» mitgearbeitet und zeigen somit Bereitschaft, sich auf das vorgeschlagene Thema einzulassen und den Text zu bearbeiten. Trotz des guten Willens wird inhaltlich aber dennoch nur an der Oberfläche des Textes «gekratzt». Das führt die Lehrperson auf die mangelhafte Vorbereitung der Lernenden zurück. Wie der Leseauftrag für den Halbklassenunterricht gestellt war, wird nicht erwähnt.
In der Folgestunde möchte die Lehrperson «in einer genaueren Analyse in die Tiefen der Geschichte vordringen». Ein erneutes Aufgreifen des Themas wird von den Lernenden aber als sinnlos eingestuft, da sie der Auffassung sind, bereits im Halbklassenunterricht alles gesagt zu haben, «was es zur Geschichte zu sagen gibt». Ob die Lehrperson die Themen ‹characterization› und ‹narrator›, die im Halbklassenunterricht oberflächlich bearbeitet worden sind, nochmals aufgreift, bleibt aufgrund der Fallbeschreibung unklar. Die Lehrperson beschreibt, dass sie Gruppen bildete und die Lernenden anwies, «den Themen ‹communication› und ‹reliability of the narrator› nachzugehen». Die Lehrperson berichtet, dass die Lernenden zum Teil die Mitarbeit ganz verweigern, zum Teil «widerwillig» mitmachen. Die Lehrperson versucht die Lernenden vom Sinn des Auftrags zu überzeugen, indem sie argumentiert, in der Geschichte «stecke» eine Ebene, die sie bisher kaum angesprochen hätten. In der Folge geht die Lehrperson von Gruppe zu Gruppe, gibt weitere Inputs, weist auf Passagen hin und hilft den Lernenden «auf die Sprünge», nimmt ihnen also die vertiefende Analyse weitgehend ab. Am Schluss beurteilt die Lehrperson das Ergebnis als «recht mager».
Anschließend wählt die Lehrperson das Plenum, um einen weiteren Aspekt der Kurzgeschichte zu thematisieren. Mit dem Benennen der «figures of speech» in einem Text haben sich die Lernenden gemäß dem Praktikumsleiter bereits beschäftigt. Dieser Aspekt wird auch Bestandteil der Matura sein. Hierbei ist das «Resultat gleich null». Die Lehrperson ärgert sich offensichtlich über die fehlende Beteiligung der Lernenden; sie kann nicht nachvollziehen, warum die Lernenden nicht zu einer aktiven Mitarbeit zu bewegen sind.
Wie die Lehrperson vermutlich während der Gruppenarbeit festgestellt hat, gibt es einen Schüler in der Klasse, der am meisten aus der Geschichte herausliest. Im Plenum äußere er sich nicht gern, so die Lehrperson. Sie bezeichnet dies als «besonders ärgerlich». Vermutlich hätte sie gerne auf die Beiträge des Schülers aufgebaut. Es gelingt der Lehrperson offenbar nicht, das Potenzial des Schülers für eine vertiefende inhaltliche Auseinandersetzung fruchtbar zu machen.
Was ist das Problem?
Das Fallbeispiel beschreibt die inhaltliche Auseinandersetzung mit einer Kurzgeschichte im Englischunterricht. Während in den Halbklassen die Geschichte – wenn auch zäh – bearbeitet werden kann, gelingt die Auseinandersetzung mit dem Text im Sinne einer vertiefenden Fortführung in der gesamten Klasse nicht, weder in einer Gruppenarbeit noch in der anschließenden Plenumsarbeit. Die inhaltlichen Ergebnisse der erneuten Auseinandersetzung mit der Kurzgeschichte sind aus der Sicht der Lehrperson insgesamt mangelhaft.
Es stellen sich zwei zentrale Probleme:
–Warum gelingt es der Lehrperson nicht, die Lernenden zu vertiefter Arbeit zu bewegen?