Langsam kommt man auch ans Ziel

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Glück muss der Mensch haben, denn es wird dort gerade eine Messe abgehalten. Andächtig vernehmen wir die uns fremden Laute der Predigt und staunen über den Prunk dieses von außen schlicht wirkenden Gotteshauses. Die abschließende Orgelmusik lenkt mich schließlich von meinen umherschwirrenden Gedanken ab, lässt mich innehalten und zur Ruhe kommen.
Hier nebenan ist auch die Touristeninformation.
So erhalten wir dort anschließend auch den ersten, ersehnten Stempel in unseren Pilgerausweis. Die Sammelleidenschaft nach den Stempeln beginnt also bereits hier.

Mit einer kleinen Touristenbahn unternehmen wir eine einstündige Stadtrundfahrt und bekommen so einen groben Überblick über die Stadt Porto. Angenehm warm ist es, zirka 22 Grad.
Später laufen wir durch enge Gassen, um uns die hübsche Altstadt anzusehen. An vielen Gebäuden sehen wir die typischen blauen Kachelornamente. Ganze Geschichten werden auf Häuserwänden dargestellt, wie zum Beispiel Schlachten oder religiöse Abbildungen. Aber auch reich verzierte Blumenornamente bewundern wir.

Danach begeben wir uns von der vor uns auftauchenden Brücke, die übrigens von Gustave Eiffel erbaut wurde, hinunter zum Douro-Fluss.
Dort, in der Nähe des Hafens, ist das Wohnviertel allerdings sehr ärmlich und die Häuser sind teilweise sehr alt und verfallen, Fassaden bröckeln ab.
Beim Bau der Brücke hat man sich nicht gescheut, Teile eines Hauses einfach weg zu schlagen, um Platz für den Bau zu schaffen. Die Bahn fährt dort entsprechend fast durchs Zimmer.
Überall hängt Wäsche aus den Fenstern, auch quer durch die Gassen gespannt.

Streunende Katzen und Hunde und Unrat sind überall zu sehen. Die Menschen, vor allem die Kinder, wirken sehr ärmlich und vernachlässigt.

Was für ein Gegensatz zu der prunkvoll ausgestatteten Kathedrale!
Entlang der Hafenpromenade mit vielen Marktständen gehen wir uns unsere Jakobsmuschel kaufen, das symbolische Pilgerzeichen.

Die Legende berichtet, dass ein junger Mann, der vom Heiligen Jakobus vor dem Ertrinken bewahrt wurde, völlig mit Muscheln bedeckt aus dem Wasser stieg.
Seitdem gilt die Muschel als Schutzzeichen der Pilger. Eine andere Symbolik, die auch einleuchtend ist, bezieht sich auf die Linen der Muschel, die die verschiedenen Jakobswege darstellen sollen, die alle zu dem einen Ort führen, nämlich nach Santiago de Compostela. –
Zu Mittag essen wir in der kleinen Bar in unserem Hotel. Hier stillen auch viele Einheimische ihren Hunger und so müssten die Speisen auch gut schmecken, nehmen wir an. Ich entscheide mich für gebratene Sardinen mit Reis und Gemüse. Die drei ganzen Fische, wie es scheint, mit noch fast allen Eingeweiden, schauen mich aus ihren trüben Augen vorwurfsvoll an, da bin ich schon fast satt. Augenblicklich bekomme ich auch einen fürchterlichen Durst. Fisch will ja bekanntlich schwimmen.
Ich bestelle mir ein großes Glas Orangensaft und ein Wasser ohne Kohlensäure, also Aqua sin Gas.
Jürgen nimmt so eine Art Schlacht-Platte. Ein Glück, dass ich das nicht essen muss, denke ich. Aber es schmeckt wohl besser, als es aussieht.
Danach ruhen wir uns im Zimmer etwas aus. Nach etwa einer Stunde gehen wir noch mal raus an die Luft und besorgen uns Proviant für den nächsten Tag, vor allem Bananen.
Ziemlich viele Touristen sind in der schönen betriebsamen Altstadt unterwegs, aber auch einige Straßenmusikanten und Künstler.
Sogar einen sehr ansprechenden Kunst-Trödelmarkt gibt es an diesem Wochenende in einer Straßenzeile. Hier könnte ich mich stundenlang aufhalten. Als normaler Tourist hätte ich bestimmt einiges gekauft, aber so muss ich darauf verzichten, von wegen dem Tragen. Ich weiß auch nicht, wo ich den ganzen bevorstehenden Weg über in meinem Rucksack noch etwas verstauen könnte.
Die Altstadt von Porto ist abends noch hübscher als am Tage, denn viele Gebäude sind dann angestrahlt. Was das ausmacht! – Wir sind begeistert!
Morgen wollen wir unsere zwanzig Kilometer über Campos Verdes und Vilarinho zur nächsten Herberge schaffen und gehen deshalb früh zu Bett.


Habe vergessen zu berichten, dass ich nach dem Mittagessen um vierzehn Uhr noch einen großen Espresso getrunken habe. Hallo wach!
Zusammen mit dem Fisch, dem Orangensaft, gechlortem Wasser aus dem Wasserhahn und etwas Birnensaft aus Jürgens Vorräten ist ein Gebräu geworden, das meine Magenwände – gelinde gesagt – „stark angreift.“
Eine Magentablette hat nichts genützt und ein trockenes Brötchen auch nicht. So sitze ich jetzt putzmunter – es ist mittlerweile fast zwei Uhr nachts – total übersäuert und übermüdet auf dem Duschwannenrand und schreibe mein Befinden und meine bisherigen Eindrücke nieder. Jürgen schnarcht mehr oder weniger leise vor sich hin.
Draußen hat gerade ein großes Müllfahrzeug versucht, in dieser engen Strasse rückwärts zu fahren und piept dabei fortwährend. Dann wird der Unrat des ganzen Tages aufgeladen, natürlich unter gegenseitigen Zurufen der Müllfahrer.
Von Ferne hört man eine Frau in höchsten Tönen eine Arie trällern, oder kommt das aus einem Lautsprecher? In der Bar unten auf der Gasse ist auch ordentlich Stimmung. Jetzt hupt auch noch eine Autoalarmsirene in Zwei-Sekunden-Abständen. Es ist toll was los! Die Luft in unserem kleinen Zimmer ist trotz geöffnetem Fenster zum Schneiden. Ich bekomme langsam Panik: Um halb sechs klingelt nachher der Wecker – und wegen der zwanzig Kilometer, die vor uns liegen.
Jetzt gehe ich noch zum vierten Mal Pipi und werde mal sehen, ob für mich doch noch ein kleines Mützchen Schlaf übrig ist.
Mein Bauch produziert inzwischen anscheinend zusammen mit dem Brötchen und dem Saft so eine Art Sauerteig. Bin ja mal gespannt, wie das weiter geht! Bis jetzt ist mein Essen noch im Magen geblieben.
Gute (?) Nacht!
Sonntag, 26. August
Um es gleich vorweg zu nehmen: Aus dem Mützchen Schlaf ist nichts mehr geworden!
Habe mich die ganze Nacht rumgewälzt und gehört, wie sich die Möwen über mich totlachen und kreischen, die vom nicht allzu weit entfernten Hafen herüberfliegen.
Immer wenn ich abdriften wollte, war ein mehr oder weniger lautes Geräusch zu hören: Türenknallen, Gekicher, Autohupen, Autoalarmsirenen, Feuerwehr, kurz gesagt:
Eine Sommer-Samstagnacht in einer südländischen Großstadt und dann noch im Stadtzentrum mit einer Bar im Haus, wo die Raucher natürlich vor die Tür gehen müssen, palavern und den Qualm zu allem Überfluss bis in den zweiten Stock schicken.
Das kann alles locker mit einer Hauptstraße bei uns zu Hause in Berlin mithalten. –
Ich bin selbstredend ziemlich übernächtigt und kann kaum aus den Augen gucken, als um halb sechs der Wecker bimmelt.
Der Tag fängt trotzdem viel versprechend an: Um sechs Uhr gehen wir zur S-Bahn und fahren bis zum Ausgangspunkt unseres Weges, der heißt Vila de peringhos.
Es sind erstaunlich viele, überwiegend junge Leute – schon oder noch – auf den Beinen, die auf irgendeinen Zug warten. Nach langer Wartezeit können auch wir endlich in unseren einsteigen. Um sieben Uhr fünfundvierzig sind wir an unserem Zielbahnhof.
Jetzt wird es ernst. Wir gehen unsere ersten Kilometer.
Das Wetter wird schön, kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen!

Im Zug haben wir zwei Schwedinnen kennen gelernt, die laufen den gleichen Weg wie wir. Sie wollen aber zuerst in Ruhe frühstücken gehen. Zwei Wochen haben die beiden Frauen Urlaub und wollen den Weg in dieser Zeit bewältigen.
Das scheint mir auch durchaus möglich.
Jürgen und ich wollen erst einmal die Wegemarkierung finden, also heißt es: Augen auf und den gelben Pfeil und/oder die Muschel suchen. Frühstücken wollen wir erst im nächsten Ort.
Nach einigem Umherirren fragen wir einen herannahenden Traktorfahrer: “Donde está la ruta Caminho de Santiago?“ Der Mann hat mich anscheinend verstanden! – Juchhu!
Mit einem gewaltigen Schwall von Erklärungen und Gesten schickt er uns in die richtige Richtung. Etwas später sehen wir dann auch jubelnd einen gelben Pfeil an einer Mauer. Optimistisch und ein wenig aufgekratzt laufen wir los.
Die Luft ist angenehm kühl.
Die kleinen Orte wirken um diese Zeit noch wie ausgestorben, keine Menschenseele ist zu sehen. Ab und zu bellt ein Hund hinter einer der meterhohen Steinmauern.
Wir gehen überwiegend auf Asphalt und Steinen, und es wird schnell schon ganz schön warm.
Bald trinken wir unsere Wasservorräte aus. Gott sei Dank kommen wir bald an einem Brunnen vorbei und können unsere Flaschen wieder befüllen.
Mein Rucksack drückt und zwickt mich überall. Ich sage zu ihm, dass wir uns einigen müssen: Er drückt mich nicht, dafür trage ich ihn bis ans „Ende der Welt“.
Das scheint zu wirken; er macht sich aber absichtlich weiterhin ziemlich schwer.
Es geht immer weiter, überwiegend auf Asphalt.
Nach zirka dreizehn Kilometern wird dem Jürgen mit einem Mal eigenartig übel, obwohl wir zwischendurch eine Pause eingelegt und auch gefrühstückt haben. Sicher gehen ihm zu viele Gedanken an zu Hause durch den Kopf, sodass sein Kreislauf das nicht mitmacht.
Er ruht sich etwas aus, und wir verabreden, dass ich bis zum nächsten Ort vor gehe.
Ein sehr schönes Restaurant mit Hotel finde ich schon nach vier Kilometern, kurz vor A rcos , und rufe ihn an, dass ich dort auf ihn warte.
Ich schaue mir die kleine hübsche Kirche an und sehe vom Portal aus die beiden Schwedinnen vorbeiziehen. Wir werden sie wohl nicht mehr einholen.

Jürgen ist völlig erschöpft als er ankommt. Er trinkt erst einmal eine große Flasche Wasser leer und ruht sich wieder aus. Dann geht es ihm langsam besser und die Lebensgeister sind wieder da. Er kann mich überreden, dass wir hier übernachten. Es hat ja so auch keinen Sinn, weiter zu laufen. Seien wir ehrlich: Die aktuelle Situation um Jürgens Hund, die fast sieben Jahre Altersunterschied und mein Lauftraining machen doch etwas aus. Wir sind demnach nicht nur äußerlich ein ungleiches Gespann. Wer weiß aber, wie ich selbst in sieben Jahren dran bin?
So lassen wir es also heute nach siebzehn Kilometern gut sein. Das reicht ja auch für den Anfang.
Ich merke auch die Stellen, an denen der Rucksack auf meinen Hüften aufgelegen hat. Sie fühlen sich an wie blaue Flecke, sind aber keine.
Auch schiebt sich so eine Art „Reservehaut“ an meinem Bauch entlang. Ich muss demnach unbedingt die Gürteltasche und die Rucksackflossen anders fest machen, sonst gehe ich nach dem Urlaub als Känguru durch die Gegend.
Nach einer heißen Dusche genießen wir noch einen ordentlichen Imbiss im Hotel, und setzen uns anschließend geruhsam mit einem Bierchen unter den mit Kiwis überdachten Laubengang des Hotels.

Toll ist, dass wir unsere Sachen kostenlos gewaschen und getrocknet bekommen. Eines meiner Shirts ist danach leider um eine Nummer kleiner, aber ich passe noch gerade so hinein.
Wir zahlen fünfundzwanzig Euro pro Nase für die Übernachtung mit Frühstück.
Das kann aber trotzdem nicht so weiter gehen mit uns. Wir sollten schon besser in Herbergen übernachten und uns mit unseren Ausgaben etwas einschränken. Schließlich sind wir Pilger und keine üblichen Touristen!
Gute Nacht!
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