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Plötzlich wurde Paul mit einem lauten Aufschrei zurück an die Wand geschleudert und landete auf dem Hintern. Sam und der alte Mann eilten zu ihm. Paul atmete schwer und hastig. Er war völlig fertig. „Was…, was zur Hölle war das denn?“, rang Paul nach Luft. Langsam beruhigte sich Paul wieder. „Das war Zodoriantes.“ „Zodo…, wer?“ „Er ist der Grund, warum das Wort einen Hüter braucht“, erklärte der alte Mann. „Was ich da gesehen habe, war so unfassbar bösartig“, sagte Paul und übergab sich. „Wir machen für heute erstmal Schluss“, sagte der alte Mann und half mit Hilfe von Sam Paul auf die Beine. Sie stützten Paul und trugen ihn raus.
Kapitel 10
Paul stand auf dem Balkon seines Zimmers und betrachtete nachdenklich den Vollmond. Der wirkte besonders groß und schien mit seinem Rand die Baumspitzen zu berühren. Sam trat auf den Balkon zu Paul.
„Na, hat der alte Mann dir alles erklärt?“, fragte Paul mit ruhiger Stimme. Sam nickte. „Zodoriantes. Mit so einem blöden Namen kann man nichts Gutes im Schilde führen“, sagte Sam spöttisch. „Was soll ich tun? Was denkst du, mein Sohn? „Willst du das wirklich machen, Dad?“ Paul schaute Sam an. „Glaub mir, Sam. Das, was ich da gesehen und richtig gefühlt habe, hat mich nicht gerade zuversichtlich gestimmt. Ich möchte nichts tun, was du nicht auch tun möchtest“, versuchte Paul Sam zu beruhigen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Also, mein Sohn. Was willst du?“ Sam stützte sich auf das Geländer und schaute zum Mond. „Ich habe Angst. Ich will wieder nach Hause.“
„Dann ist es entschieden“, sagte Paul etwas wehmütig. „Morgen werde ich es dem alten Mann mitteilen. Ich werde jetzt schlafen gehen, bin völlig fertig.“ Gut, Dad. Ich werde noch etwas schwimmen gehen. Habe einen coolen Pool entdeckt“, verabschiedete sich Sam und verschwand.
Sam stand vor einem großen Swimmingpool. Das Wasser leuchtete Türkis-blau und gab das nötige Licht, obwohl keine Lampen zusehen waren. Etliche Pflanzen zierten die Ränder. Ein kleiner Wasserfall am anderen Ende sorgte für die richtige Atmosphäre. Es roch nicht nach Chlor, sondern nach Wald, Wiese und Strand. Sam atmete tief durch.
Gerade, als er sich ausziehen wollte, nahm er Geräusche aus einem Nebenraum wahr. Neugierig ging er hin und lunzte durch einen Türspalt. Eine junge Frau trainierte Kampfsport.
Mit atemberaubend-professionellen Griffen, Tritten und Würfen rang sie drei Gegner gleichzeitig nieder. Sam war sofort hin und weg. Die junge Frau war in Sams Alter. Lange, blonde Haare zu einem Zopf gedreht. Strahlend-blaue Augen. Traumfigur. Bildschön. Sie bemerkte Sam und winkte ihn freundlich herein.
„Trainingsprogramm, Ende“, sprach sie in den Raum. Die drei Kämpfer verschwanden als ob man ein Licht ausknipst. Sie schnappte sich ein Handtuch, wischte sich den Schweiß ab und ging auf Sam zu. „Du musst Sam sein. Ich bin Mia“, reichte sie Sam die Hand. Sam begrüßte sie ganz schüchtern. „Wer bist du?“, fragte Sam neugierig. „Mia…, sagte ich doch gerade“. „Nein…, was machst du hier?“ Sam wurde immer verlegener.
„Ich bin die Hüterin des Hüters“, sagte sie mit einem süßen Lächeln. „Und du bist der Sohn des neuen Hüters, richtig?“ Sam nickte und lächelte schüchtern zurück.
„Außerdem ist er mein Vater.“ Sam schluckte. „Dein Vater? Er ist doch mindestens Hundert.“ Mia warf Sam einen beleidigten Blick zu. Sie schob sich an Sam vorbei zum Pool.
Sam wusste sofort als er es aussprach, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. „Oh…, das war nicht so gemeint…! Es tut mir leid.“
Mia streifte ihre Trainingsuniform ab und öffnete ihren Zopf. Ein knapper Bikini kam zum Vorschein. Sam war völlig verloren. „Es tut mir wirklich leid“, wiederholte er sich wehleidig-bettelnd.
Mit einem Kopfsprung verschwand sie im türkis-blauen Wasser. Erst beim Wasserfall kam sie wieder an die Oberfläche. „Kommst du mit rein, oder hast du Angst vor kleinen Mädchen?“, rief sie Sam frech lächelnd zu. Sam zog sich aus und sprang hinterher. Er schwamm zu ihr. Mia war hinter dem Wasserfall. Sam schaute eine Weile auf das herabfallende Wasser.
Er verlor sich in den bildschönen Konturen, die Mia besonders niedlich strahlen ließen. Nach einem kurzen Augenblick nahm Mia Sam an der Hand und zog ihn zu sich hinter den Wasserfall. Beide kamen sich sehr nah und sahen sich tief in die Augen.
„Es tut mir leid“, wiederholte er mit ruhiger Stimme. „Ist schon gut, muss ja wirklich merkwürdig wirken“, beruhigte sie ihn mit einem flüchtigen Lächeln. „Erklärst du es mir?“, fragte Sam und kam ihr noch etwas näher. Mia wich zurück und setzte sich auf einen Stein.
„Es ist ganz einfach. Als mein Vater der Hüter wurde, hatte er einen einzigen Wunsch frei. Er wünschte sich für unsere Familie Unsterblichkeit. Doch das Schwert, wenn du weißt, was ich meine, hat seinen Preis. Es nimmt dir, jedes Mal, wenn man es benutzt, etwas von dem Wunsch wieder weg, also der Unsterblichkeit. Und glaub mir, Zodoriantes hat meinen Vater oft genug dazu gezwungen, das Schwert einzusetzen. Und so alterte er wieder.“
„Und wo ist deine Mutter?“ „Sie wurde getötet bei unserer ersten Begegnung mit Zodoriantes.“ „Ich dachte, ihr seid unsterblich?“ „Ja, aber nicht unverwundbar, zumindest nicht für mich und meine Mutter. Man muss die Worte schon sehr sorgfältig wählen, wenn man seinen Wunsch äußert.“ „Wow“, Sam war überwältigt.
Mia hopste runter vom Stein und kam Sam sehr, sehr nahe. „Habt ihr euch schon entschieden? Ich könnte mir gut vorstellen die Unendlichkeit mit dir zu verbringen“, fragte sie und legte ihre Hände um Sams Hals. Sam wurde ganz verlegen. „Ähm…, ja, das haben wir. Wir wollen es deinem Vater morgen mitteilen. Mia lächelte, gab Sam einen Kuss auf die Wange und stieg aus dem Wasser. Noch einen flüchtigen Blick zu Sam, dann verschwand sie. „Puh…, was für eine Frau, seufzte er.
Paul lag im Bett und schlief ziemlich fest. Plötzlich wurde er unsanft aus dem Schlaf gerissen, als Sam lautstark die Tür aufstieß. „Dad, ich habe es mir anders überlegt. Ich möchte hierbleiben“, rief er seinem Vater zu und schlug die Tür wieder zu. „Was…? Wie jetzt? Was war das?“, fragte Paul völlig schlaftrunken.
Kapitel 11
Am nächsten Morgen. Paul schlenderte vergnügt die Treppe herunter, als er Sinclair vorbeigehen sah.
„Guten Morgen, Sinclair. Wissen sie wo…“, Sinclair unterbrach ihn. „Der Hausherr möchte, dass sie ihn nach dem Frühstück im Zoo aufsuchen, Mister König.“ „Mister König. Sagen sie bitte Paul zu mir“, und stahl sich dabei eine Weintraube von Sinclairs Tablett. „Wie sie meinen, Mister Paul.“ „Paul…, einfach bloß Paul“, rief Paul nach und verschwand im Esszimmer.
Paul saß allein beim Frühstück. Als er gerade ein gekochtes Ei köpfte, kam Sinclair mit einer Kaffeekanne herein. „Wissen sie, wo mein Sohn ist, Sinclair?“, fragte Paul und streute Salz auf das Ei und genoss den ersten Löffel. Sinclair schenkte Paul eine Tasse Kaffee ein. „Ihr Sohn war schon früh auf und ist mit der Tochter des Hausherrn unterwegs.“ Paul verschluckte sich fast am Ei. Sinclair wollte gerade wieder gehen. „Moment…, mit der Tochter des Hausherrn?“ „Der Hausherr wird es ihnen bestimmt erklären. Bitte entschuldigen sie mich nun, wenn sie keinen Wunsch mehr haben.“ „Oh, Mann. Vielleicht sollte ich den Kaffee weglassen und gleich mit Brandy anfangen. Das erklärt, warum mein Sohn plötzlich hierbleiben möchte“, murmelte Paul. „Möchten sie einen Brandy?“ „Danke, Sinclair…, ist noch etwas zu früh.“
Paul verließ das Haus und begab sich hinter das Gebäude. Es war ein warmer Sommertag. Nach zwei Minuten Fußmarsch stieß er auf ein großes Gelände. Ein einfacher Maschenzaun umschloss es. Paul ging hinein.
Es dauerte nicht lange, da wunderte sich Paul, dass es keine Ställe oder abgegrenzte Buchten gab. In einiger Entfernung sah er den alten Mann. Vor dem alten Mann kniete Maik vor einem Tier. Er ging direkt auf sie zu. Paul sah sich immer wieder um. Nur Bäume, Wiese und Hügel und ein paar kleinere Naturteiche.
Plötzlich flatterte ein Vogel vor Paul herum. Paul blieb stehen, ihm stockte der Atem. Der Vogel sah aus wie ein Papagei. Allerdings sah man kein Federkleid. Der Vogel schien am ganzen Körper türkis-farben zu brennen. Immer wieder versuchte sich der Vogel auf Pauls Kopf zu setzen.
Paul fuchtelte mit den Armen. Der alte Mann bemerkte es. „Ist schon gut, Paul. Der tut ihnen nichts.“ „Der Vogel brennt“, schrie Paul etwas panisch. „Das sind kalte Flammen“, versuchte der alte Mann zu beruhigen. Paul beruhigte sich allmählich. Nach dem dritten Ausweichmanöver ließ er den Vogel gewähren. Der Vogel setzte sich auf Pauls Schulter und knabberte an den Haaren. Mit dem Vogel auf der Schulter kam er bei dem alten Mann und Maik an.
Maik kniete vor einem weißen Wolf, dessen Augen ebenfalls weiß zu glühen schienen. Maik zog ihm gerade eine Tannennadel aus der Pfote. Plötzlich sprach der Wolf mit tiefer männlicher Stimme. „Danke, Maik. Lass uns bei Gelegenheit wieder mal auf Hasenjagd gehen.“ „Keine Ursache, Hektor. Wünsche dir noch einen schönen Tag.“ Der Wolf verschwand. Paul kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Was ist das hier? Und was ist das für ein Vogel? Und wieso spricht der Wolf?“, klang Paul etwas durcheinander.
„Verdammt, ich hätte doch den Brandy nehmen sollen.“ „Das, mein lieber Paul, was sie da auf der Schulter haben, ist ein Knuff. Ich nannte ihn Knuff, weil er so knuffig aussieht. Den wahren Namen kenne ich nicht“, lachte der alte Mann. „Und was ist dieser sprechende Wolf?“ „Das ist ein Wolf“, sagte Maik ganz trocken.
„Was…, was erwartet mich denn noch? Wo…, wo kommen diese Tiere her? Und, wieso haben sie eine Tochter?“ Paul wirkte etwas verzweifelt. „Ganz ruhig, lieber Paul“, beruhigte der alte Mann und nahm den Knuff von Pauls Schulter. „Sie werden schon sehen. Nach ein paar Tagen haben sie sich daran gewöhnt.“
Der alte Mann hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, da wühlte sich ein Maulwurf, so groß wie ein Pferd, aus der Erde und gleich wieder hinein. Als Paul das sah, fiel er in Ohnmacht. „Keine Sorge, Paul. Das ist mir auch passiert“, warf der alte Mann noch nach.
Kapitel 12
Paul lag im völlig fertig im Bett mit einem feuchten Handtuch auf der Stirn. Der alte Mann saß neben ihm auf dem Bettrand.
„Worauf lass ich mich hier ein?“, stöhnte Paul. „Mein Name ist Albert von der Hohen. Ich wurde im Jahre 1698, in der Nähe vom heutigen München, geboren. Im Jahre 1733 wurde ich der nächste Hüter. Meine Frau starb durch einen Angriff von Zodoriantes. Meine Tochter lernte seitdem, eine große Kämpferin zu werden. Nun ist meine Kraft fast aufgebraucht und ich wünsche mir, dass sie der nächste Hüter werden.“
„Ach, Albert. Warum haben sie das nicht gleich gesagt. Ich bin übrigens Daisy Duck und nicht Paul und werde hier bestimmt noch zum Alkoholiker“, antwortete Paul schnippisch.
Albert gab Paul ein großes, seltsames und in braunem Leder gebundenes Buch. „Hier steht alles drin, was sie wissen müssen. Wenn sie es gelesen haben, sprechen wir uns wieder. Doch eines müssen sie noch wissen. Öffnen sie das Buch nur, wenn sie sicher sind, dass sie diesen Weg gehen wollen.“ Albert verließ das Zimmer.
Paul saß im Bett und klopfte nervös mit den Fingern auf das Buch. Er nahm den Deckel in die Hand, ließ ihn aber gleich wieder los. „Oh Mann, oh Mann…, was mach ich.“ Er warf das Buch neben sich auf das Bett und ging im Zimmer nervös auf und ab. Schließlich öffnete er es vorsichtig. Ein grelles Leuchten durchströmte den Raum. Paul musste die Augen zusammenkneifen.
Die Buchstaben darin schienen sich wie ein Kreisel zu drehen. Nach und nach wurden sie langsamer und formten sich allmählich zu einem Vers.
Paul las laut vor: „Das Wort, das du suchst aus drei Teilen besteht. Um es zu finden- nicht mehr als ein Jahr vergeht.“
Plötzlich blitzte und donnerte es draußen. Der Himmel verdunkelte sich und eine kräftige Windböe stieß die Fenster auf. Paul war ein paar Sekunden wie versteinert.
Schließlich klappte er das Buch wieder zu. Wie von Geisterhand wurde das Wetter wieder schön. Paul schloss die Fenster und starrte dann eine ganze Weile auf das Buch. „Wow, das wird bestimmt heftig“, dachte er bloß. Paul lief im Zimmer auf und ab und schaute immer wieder auf das Buch. Wenige Augenblicke später klemmte er sich das Buch unter den Arm und suchte Albert. Er fand Albert schließlich in der Bibliothek in ein Buch vertieft. Schnurstracks ging er auf Albert zu.
„Ich habe das…“ „…Buch geöffnet“, unterbrach ihn Albert und klappte sein Buch zu. „Es hat begonnen“, sagte er zu Paul mit einem Kopfnicken. „Zwei Dinge sind nun passiert, Paul.“ Albert und Paul setzten sich währenddessen.
„Erstens: Von nun an haben sie ein Jahr Zeit das Wort zu finden. Einen Tag länger und die Suche beginnt von vorne. Doch sie werden es nie wieder können. Zweitens: Nun weiß auch Zodoriantes, dass das Wort einen neuen Hüter braucht. Hier im Haus sind wir sicher. Sobald sie aber losziehen, wird er nicht aufhören, seine Schurken auf euch zu hetzen. Und glauben sie mir, Paul. Das sind nicht irgendwelche Gangster.
Mein Schwert wird mich noch genau ein Jahr beschützen. Aber dann sind sie dran. Ihre Suche muss umgehend beginnen. Gleich morgen früh brecht ihr auf. Meine Tochter wird euch begleiten. Versuchen sie sie gar nicht erst zu fragen, wo es hingeht, sie weiß genauso viel, wie ihr.“
Paul verzog keine Miene. Er sah Albert bloß an. Plötzlich hörten sie laute Geräusche von draußen. Bei einem Blick aus dem Fenster, sahen sie Sam und Mia, die voller Angst auf das Gelände sprangen. Paul und Albert eilten nach draußen.
Was zur gleichen Zeit noch geschah: Ein kleiner See inmitten einer idyllischen Landschaft, etwa fünfhundert Meter vom Haus entfernt. Sam saß an einen Baum gelehnt und sah verträumt auf die glatte Wasseroberfläche. Mia pflückte ein paar Blumen und ging zu Sam. Sie setzte sich zu ihm. „Ich habe dich Klavier spielen hören. Du kannst das ziemlich gut. Würdest du auch mal nur für mich spielen?“, fragte sie verlegen. „Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.“, antwortete er mit einem verliebten Gesichtsausdruck.
Beide sahen sich lächelnd an als sie plötzlich das Donnergraulen über dem entfernten Haus wahrnahmen. Sie standen auf, um das Haus besser sehen zu können. Eine große dunkle Wolke bildete sich über dem Haus, welche aber auch gleich wieder verschwand. Mia und Sam nahmen plötzlich Plätschern von der Mitte des Sees wahr.
Eine menschliche Gestalt, geformt aus Wasser, erhob sich aus dem See. Die Gestalt schwebte langsam über das Wasser und bewegte sich auf Sam und Mia zu.
„Was ist das?“, fragte Sam besorgt. Plötzlich wurde das Wasserwesen schneller und schneller. „Lauf, Sam. Wir müssen zum Haus“, schrie Mia. Beide rannten so schnell sie konnten. Die Gestalt kam immer näher. Mia zog zwei kleine Kugeln aus der Tasche. Sie sahen aus, wie Tischtennisbälle. Plötzlich stolperte sie und fiel hin. Das Wesen kam schnell näher. Sam sah es, kehrte um und half ihr auf. Mia verlor dabei die Kugeln. Sam zog an ihr und rannte weiter. „Die Kugeln, Sam.“ „Lauf weiter, Mia. Ich mache das.“
Sam rannte zurück und hob die Kugeln auf. Dann lief er wieder Mia nach. „Was mache ich damit?“ Das Wasserwesen hatte Sam fast erreicht. „Wirf sie schnell auf den Boden“, schrie Mia. Sam warf sie auf den Boden. Plötzlich erhob sich eine breite und hohe Nebelwand. Sam blieb mit einem Siegerlächeln stehen und beobachtete, dass das Wesen nicht weiterkam. „Lauf weiter, Sam. Das wird es nicht lange aufhalten.“ Beide rannten weiter.
Die Wassergestalt prallte immer wieder gegen die Nebelwand, welche mehr und mehr durchsichtiger wurde- der Rauch verzog sich allmählich. Plötzlich brach es durch und nahm wieder die Verfolgung auf. Sam und Mia hatten das Tor fast erreicht, doch das Wasserwesen wurde noch etwas schneller. Nur noch wenige Meter.
Mia kam als erste an. Sam schaffte es nicht und wurde vom Wasserwesen komplett umschlossen. Sofort kroch es in seine Lunge. Sam rang nach Luft. Mit einem Hechtsprung sprang er über die magische Linie, welche der Zaun war, auf das Grundstück. Gerade noch geschafft. Das Wasserwesen löste sich schnell in Dampf auf.
Auf dem Boden liegend kam Sam langsam wieder zu Atem. Mia umarmte ihn überglücklich, dass sie es noch rechtzeitig geschafft hatten.
Paul und Albert kamen zu den beiden. „Was ist passiert?“, fragte Albert. „Wir wurden von einem Wasserwesen angegriffen“, antwortete Mia, während Sam noch ein wenig nach Luft rang. Paul half Sam auf die Beine und stützte ihn.
„Dad, ich glaube, das war der Gleiche, der Mutter tötete“, sagte Mia mit Tränen in den Augen. „Das war „Mutare“, ein Elementwesen. Das ging ja schnell“, runzelte Albert die Stirn. „Was ist dieses Elementwesen?“, fragte Paul. „Das ist einer von drei Dienern von Zodoriantes. Es kann mit den fünf Elementen arbeiten und die jeweilige Gestalt dazu annehmen. Bis heute habe ich nicht herausbekommen, wie man ihn besiegt, wenn das überhaupt möglich ist“, erklärte Albert mit Sorgenfalten auf der Stirn.
„Ich wäre fast ertrunken. Das war wohl die Variante Wasser“, sagte Sam mit schwacher Stimme.
Sinclair und Maik kamen ebenfalls hinzu und halfen Sam zurück ins Haus. Albert blieb einen Moment stehen und schaute besorgt in den klaren, blauen Himmel. „Das ging mir doch jetzt etwas zu schnell.“
Kapitel 13
Albert und Paul saßen am Kamin. Es war mittlerweile Abend geworden. „Albert, wieso können sie mir nicht einfach sagen, wie ich dieses Wort finde? Dann gehen wir gleich zu diesem Zodoriantes und hauen ihm ordentlich auf die Murmel.“
Albert grübelte angestrengt. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Jeder Anwärter bekommt eine neue Aufgabe. Es ist niemals derselbe Weg, den schon ein anderer Hüter ging. Das allerwichtigste ist, das sie das Wort verstehen, es in seiner Vollkommenheit verinnerlichen.“
„Ich muss es mir also verdienen ein Hüter zu werden?“ Albert nickte zustimmend. „Was passiert, wenn das Wort ausgesprochen wird?“, fragte Paul, während er sich eine Zigarre anzündete. Albert steckte sich seine Pfeife an. „Ich weiß es nicht. Chaos oder Kontrolle… oder beides. Kontrolle über das Chaos oder Chaos ohne Kontrolle. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft würden zeitgleich existieren. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf unsere Welt.
Zum Glück hat Zodoriantes es niemals geschafft den Hüter zu vernichten. Sobald er aber weiß, dass das Wort einen neuen Hüter braucht, beginnt ein gnadenloser Wettlauf. Ich habe ihn jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und weiß daher nicht, wie stark oder schwach er ist.“
Beide machten einen kräftigen Zug ihrer Rauchware. „Wieso ist es eigentlich ein Wort und kein… Kaugummi oder eine Badewanne?“, fragte Paul. „Wieso ist Luft, Luft oder ein Stern ein Stern?“, konterte Albert lächelnd. „Ich denke einfach…, wenn es was zum Anfassen wäre, dann wäre es viel zu leicht dran zu kommen“, ergänzte Albert.
Zur selben Zeit in Sams Zimmer: Sam lag auf dem Bett. Mia brachte ihm ein Tablett ans Bett und setzte sich an die Bettkante. „Mmh, ein Käse-Schinken-Sandwich und ein Glas Erdbeersaft von einer schönen Frau. Genau, was ich jetzt brauche“, freute sich Sam und stürzte darüber her. Mia lächelte zufrieden.
Plötzlich hörte Sam auf zu kauen und sah Mia tief in die Augen. „Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.“ Mias Augen funkelten vor Entzückung. „Danke, dass du mich heute gerettet hast“, sagte Mia und streichelte Sam über sein schwarzes Haar. „Ich habe uns gerettet“, versuchte Sam die Situation zu relativieren. „Ich werde jetzt schlafen gehen. Wir müssen morgen sehr bald los“, verabschiedete sich Mia und gab Sam noch einen Kuss.
In diesem Moment sackte Albert plötzlich zusammen, so als hätte er einen Herzinfarkt. Er krümmte sich und fiel auf die Knie. „Albert, ist alles in Ordnung?“, fragte Paul besorgt. Albert erholte sich schnell wieder. Paul reichte ihm ein Glas Wasser. „Was ist passiert?“, fragte Paul. „Ich weiß nicht genau. So ein eigenartiges Gefühl. Ich kann es nicht erklären“, antwortete Albert etwas benommen.
Es war fünf Minuten vor Mitternacht. Paul und Sam schliefen bereits tief und fest. Mia saß am Bett ihres Vaters. Sie hielten ihre Hände. "Mia, in wenigen Minuten ist es soweit. Das Wort wird sich den neuen Hüter suchen. Ich dachte, es wäre bereits entschieden. Doch heute Abend war etwas Eigenartiges geschehen. Ich kann nicht sagen, was. Wir werden es bald erfahren. Du musst mir versprechen, dass du Paul und Sam begleiten wirst.“ Mia nickte mit Tränen in den Augen. Sie legte sich zu ihrem Vater und legte ihren Arm um ihn. Albert schlief langsam ein.
Wenige Augenblicke später begannen Albert, Paul und Sam zeitgleich unruhig zu werden.
Sie träumten den gleichen Traum: Alle drei bewegten sich in einer seltsamen Landschaft. Vor ihnen jede Menge Vulkane, Lavaströme und die Luft geschwängert von stinkenden Schwefeldämpfen. Eine sehr lebensfeindliche Umgebung.
Hinter ihnen eine blühende Traumlandschaft. Die Bäume und Wiesen hatten ein sattes Grün. Hirsche, Tiger, Giraffen und Papageien tranken harmonisch zusammen aus einem klaren Fluss. Dort, wo die drei standen, war die Grenze der beiden Welten. Aus dem Schwefeldunst trat plötzlich eine Gestalt hervor und blieb unmittelbar vor Albert stehen. Es war Zodoriantes. Auch seine drei Schurken nährten sich und blieben stehen. Im Nebel des Schwefeldunstes war nur ihre feurig-leuchtende Silhouette zu sehen. Der Rest blieb in der Dunkelheit verborgen.
Plötzlich verlies ein grellend-weißer Lichtstrahl Alberts Körper. Er schleuderte Zodoriantes und seine Schurken außer Sicht in die Vulkane. Der Lichtstrahl fuhr in den Himmel, teilte sich und raste hinab.
Rasend schnell verschwanden die Blitze in den Körpern von Paul und Sam. In diesem Moment schreckte Albert schweißgebadet aus dem Schlaf. „Oh, mein Gott. Es wird zwei Hüter geben. Das hat es noch nie getan“, sagte Albert ganz verstört. „Und was bedeutet das?“ „Ich weiß es nicht, mein Schatz…, ich weiß es nicht. Aber es macht mir große Sorgen.“
Kapitel 14
Am nächsten Morgen:
Paul, Sam und Mia luden ihre Rucksäcke ins Auto. „Ich hatte vielleicht einen seltsamen Traum, gestern Nacht“, sagte Paul. Albert und Mia warfen sich geheimnisvolle Blicke zu. Albert trat vor Paul.
„Paul, öffnen sie nun das Buch, um zu erfahren, wo die Reise hingeht.“ Paul öffnete das Buch. Wieder kreiselten die Buchstaben über einem seltsamen Leuchten, bis sich langsam ein Vers formte.
„Feuer, Wasser, Erde, Wind und Eis. Ein Feind dieser Elemente den ersten Wortteil weiß“, las Paul laut vor. Etwas unsicher schaute Paul gen Himmel, doch das Wetter blieb schön. „Feuer, Wasser, Erde, Wind und Eis. Ein Feind dieser Elemente den ersten Wortteil weiß. Mmh…, das ist mal ein schweres Rätsel“, murmelte Albert wiederholt die Worte, während er angestrengt grübelte.
„Wir sollten in die Bibliothek gehen und schauen, ob wir dort eine Antwort finden“, ergänzte Albert und ging voran zurück ins Haus.
Aufgeregtes Treiben in der Bibliothek. Jeder befand sich in irgendeiner Ecke der Bibliothek und wälzte ein Buch nach dem anderen in der Hoffnung irgendeinen Hinweis zu entdecken.
„Ist doch ganz logisch“, sagte Sam plötzlich. „Feuer hat Wasser zum Feind und umgekehrt. Eis hat Feuer zum Feind und so weiter. Welches Land gilt als das Land des Feuers?“, fragte er in die Runde. Nur ratloses Kopfschütteln. „Vielleicht Hawaii“, warf Mia in die Runde.
„Aserbaidschan heißt übersetzt „Das Land des Feuers“, sagte Sam ganz stolz und lächelte dabei Mia zu. „Ach, schade. Hawaii hätte mir besser gefallen“, sagte Paul etwas traurig. „Irgendwo müssen wir ja anfangen.“
„Also möge dort die Reise beginnen“, sagte Albert. Die Drei verabschiedeten sich herzlich von Albert, besonders Mia. Dann stiegen sie ins Auto.
Albert stoppte Paul nochmal. „Paul, können sie sich noch an das Rätsel erinnern, das ich ihnen bei unserer ersten Begegnung auftrug?“ „Die Antwort lautet: Er hatte Schluckauf“, antwortete Paul mit einem Schmunzeln. Albert nickte zufrieden.
„Aber, wozu dieses Rätsel?“, hackte Paul nach. „Es geht darum, um die Ecke zu denken. Nicht immer ist etwas so, wie es zu sein scheint.“ Albert trat nochmal ans Auto heran und nahm Mia bei den Händen.