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„Ihr habt einen gewissen Schutz gegenüber Zodoriantes. Er kann euch nicht überall sofort sehen. Seid aber trotzdem vorsichtig. Dieser Angriff am See kam für meinen Geschmack etwas zu bald“, verabschiedete sich Albert nochmal. „Dad, warum kommst du nicht mit?“, fragte Mia traurig. „Nur dem zukünftigen Hüter ist die Suche gestattet. Außerdem freue ich mich auf meine Bibliothek. Da habe ich einiges nachzuholen“, ermutigte er Mia mit einem Lächeln. Dann fuhren sie los.
Es war mittlerweile Abend geworden. Albert schlenderte gemütlich an einem Buchregal entlang in seiner Bibliothek, als Sinclair eintrat. „Sinclair, würden sie mir bitte eine schöne, heiße Tasse Tee in mein Arbeitszimmer bringen?“ „Mit einem Löffel Honig, Sir?“ „Nein, Sinclair. Heute mal mit einem kleinen Schnäpschen“, sagte Albert und zog dabei ein dickes Buch aus dem Regal. Albert verließ die Bibliothek und ging in sein Arbeitszimmer. „Mmh…, Moby Dick habe ich lange nicht mehr gelesen“, und ließ sich in den Schaukelstuhl fallen.
Eine Weile später. Albert saß schlafend im Schaukelstuhl, das aufgeklappte Buch auf dem Schoß und die leere Teetasse neben sich. Plötzlich wurde er durch seltsame Geräusche aus dem Schlaf gerissen. Er ging in die Empfangshalle, um zu hören, wo das herkommt. Offensichtlich kamen die Geräusche von oben. Auch Sinclair war darauf aufmerksam geworden. Beide gingen nach oben. Vor Sams Zimmer blieben sie stehen. Dort war dieses seltsame Geräusch am lautesten, ein seltsames Fauchen und Zischen.
Mit einer Handbewegung machte Albert Sinclair klar, dass er die Tür öffnen möge. Sinclair öffnete.
Was sie dann sahen, verschlug ihnen den Atem. Eine kleine aber heftige Windhose bewegte sich direkt über dem Bett. In der Windhose wirbelte eigenartiger Weise das braune Buch. Eine Weile schauten beide gebannt dem Wirbel zu, doch plötzlich verschwand der Wirbel und das Buch fiel auf das Bett.
„Hat Paul etwa sein Buch vergessen?“, fragte Albert, während er langsam darauf zuging. Vorsichtig nahm Albert das Buch hoch und klappte es auf. Die Buchstaben drehten sich rasant im Kreis, bis sie sich zu einem Vers formten: Aus Feuer wird ein Flammenmeer-musst reisen ihnen hinterher.
Kreidebleich schlug Albert das Buch zu und gab es Sinclair. „Sinclair, packen sie die Wanderschuhe und legen sie das Buch mit in den Koffer. Sie begleiten mich. Ich befürchte, dass sich da etwas Großes zusammenbraut.“
„Nehmen wir den Donnerschlag?“, fragte Sinclair. „Aber natürlich. Bereiten sie alles vor. Ich muss nochmal in die Bibliothek. Ich habe da so eine Ahnung“, antwortete Albert. „Yippie“, freute sich Sinclair. Beim Verlassen des Zimmers sprang er in die Höhe und schlug dabei die Haken zusammen.
Albert durchstöberte hastig drei alte Bücher. Er blätterte verzweifelt hin und her, bis er plötzlich innehielt und nachdachte. „Kann es sein…, dass das Rätsel selbst die Antwort ist…? Ich bin doch ein alter Narr. Verlange ich von Paul etwas, was ich selbst nicht einhalte. Nicht immer ist etwas so, wie es zu sein scheint. In Aserbaidschan finden wir die Antwort jedenfalls nicht.“
Kapitel 15
Mittlerweile war der Flieger in Baku gelandet. In der Flughafenhalle bewegten sie sich auf einen Infostand zu.
Mia nahm einen Reiseführer mit Landkarte von Aserbaidschan aus einem Ständer. „Wo fangen wir an zu suchen?“, fragte sie, während alle auf die Karte schauten. Ihre Blicke wanderten eine ganze Weile quer über die Karte. „Da“, rief plötzlich Sam und legte seinen Zeigefinger auf die Karte, unweit von Baku entfernt. „Yanardag- Hang des brennenden Berges.“ „Kennst du dich etwa hier aus?“, fragte Mia ganz ungläubig. Sam lächelte einfach bloß. „Klingt logisch“, sagte Paul mit einem Kopfnicken. „Besorgt ihr mal etwas Proviant. Ich kümmere mich um einen Mietwagen“, ergänzte er und verschwand.
Albert verließ in einem schwarzen Anzug, eine Art Rennfahrer-Anzug, das Haus und ging in Richtung Zoo. Auf dem Weg dahin, flog ihm Knuff auf die Schulter. „Hallo, mein kleiner Freund. Du wirst uns begleiten.“ Bei Sinclair angekommen, begutachtete er voller Stolz den Donnerschlag, eine Mischung aus Sportwagen und Panzerwagen.
Sinclair, der ebenfalls so einen Anzug trug wie Albert, testete die Systeme des mausgrauen, futuristischen Wagens. Der Wagen hatte keine Fenster, dafür jede Menge Kameras. Albert lief um das Fahrzeug und begutachtete es. „Haben sie die Kameras getestet?“, fragte Albert wie ein kleiner General. „Sir, jawohl, Sir“, machte sich Sinclair gerne einen Spaß daraus. „Haben sie die Räder getestet, Sinclair?“
Sinclair drückte einen Knopf eines kleinen Bedienpultes in seinen Händen, ähnlich der Bedienung eines ferngesteuerten Spielzeugautos. Überall schnellten viele, kleine Räder aus dem Wagen, am Boden, an den Seiten und auf dem Dach. Ein weiterer Knopfdruck und die Zusatzräder fuhren wieder ein. „Sir, funktioniert, Sir.“ „Eine Sache haben sie aber vergessen, Sinclair.“ „Sir…?“ Albert zog ein Duftbäumchen hervor. „Sinclair, sie neigen zu unangenehmer Transpiration, wenn es ungemütlich wird“, gab er frech-grinsend Sinclair das Bäumchen. Sinclair nahm es etwas beleidigt entgegen.
Plötzlich bohrte sich der riesige Maulwurf aus der Erde. Zeitgleich kam Hektor bei Albert an. „Ah, da seid ihr ja. Dann kann es ja losgehen“, freute sich Albert. Sinclair öffnete eine seitliche Flügeltür des Wagens. Hektor sprang als erster hinein. Sinclair kletterte nach und schnallte Hektor im hinteren Teil des Wagens fest. Danach setzte er sich auf den Fahrersitz und warf die Systeme an.
Mit einem lauten Knall sprang eine Turbine an. Lauter bunte Lämpchen und ein paar Bildschirme leuchteten auf. Es sah aus, wie in einem Flugzeugcockpit. Der Knuff flog hinein, in einen, an Federn gelagerten Käfig mit besonderer Polsterung.
Albert sprach zum Maulwurf. „Also, Miss Jeanette. Wann waren sie das letzte Mal in Aserbaidschan?“ Albert schloss die Tür. Einen Moment später verschwand der Maulwurf in der Erde. Der Wagen folgte. Mit einem Affenzahn grub sich der Maulwurf durch die Erde. Der Wagen hatte keine Mühe ihm zu folgen. Gelegentlich machte der Maulwurf einen Schlenker, um festem Gestein auszuweichen, durch das er sich nicht graben konnte. Sinclair hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Ihm machte das einen riesen Spaß. Die Strecke verfolgte er über Infrarot-Bildschirme.
Paul, Sam und Mia waren mittlerweile am „Yanar Dag“- Am Hang des brennenden Berges angekommen, als es bereits dämmerte. Eine bunte Gruppe von Touristen bestaunte die etwa drei Meter hohen Flammen, die direkt aus der Erde kamen. Die großen Erdgasvorkommen ließen den Berg seit Ewigkeiten brennen, ein sehr ansehnliches Spektakel. Paul, Sam und Mia gingen so nah heran, wie sie durften und bestaunten die Flammen.
„Seht euch mal um, ob ihr etwas Auffälliges finden könnt“, sagte Paul und sah sich am Rande des Berges um. Sam und Mia gingen in die entgegengesetzte Richtung. Sie fanden nichts. Keine Merkwürdigkeit, keine Höhlen oder sonst irgendwas, was sie weiterbringen könnte.
Alle drei trafen sich wieder vor den Flammen. Plötzlich fingen die Flammen an zu wandern und umschlossen langsam die Menschen, die davorstanden. Panik brach aus. Die meisten Touristen konnten den Flammen entkommen. Ein paar Wenige wurden grausame Opfer der Flammen. Beim Sprung durch die Flammen, fing ihre Kleidung an zu brennen und sie erlitten schwere Verbrennungen.
Mit einem Mal waren Paul, Sam und Mia von den Flammen umschlossen. Ein Entkommen war nicht möglich. „Was passiert hier?“, fragte Paul voller Angst. „Das ist Mutare“, sagte Mia und sah sich nach einem Fluchtweg um.
Ein paar Touristenführer kamen mit Feuerlöschern und versuchten zu löschen. Doch das Feuer flammte immer wieder neu auf. Langsam begann der Feuerring, in dem sich nur noch Paul, Sam und Mia befanden, zu schrumpfen. Es wurde ihnen allmählich immer heißer und unerträglicher. Ein paar Helfer warfen eine Tür über die Flammen, eine Art Brücke.
Sam, Paul und Mia rannten hinüber und rannten immer weiter. Plötzlich formte sich aus den Flammen eine brennende Person. Mutare rannte hinter ihnen her. Er war deutlich schneller und hatte nicht viel Mühe sie einzuholen.
Mia zog ein paar ihrer Kugeln heraus und warf sie auf den Boden. Wieder blieb Mutare an der Nebelwand hängen. Doch er hatte dazugelernt. Wie eine Zündschnur kroch er links und rechts rasend schnell um die Nebelwand herum und umschloss die drei wieder. Und dieses Mal wurden die Flammen doppelt so hoch.
Es gab wohl kein Entkommen mehr und die Hitze wurde unerträglich. Überall liefen Touristen panisch hin und her.
Plötzlich stieß der Maulwurf durch die Erdoberfläche, gefolgt vom Donnerschlag. Das Fahrzeug fuhr durch die Flammen in den Kreis. Die Tür sprang auf.
„Schnell, rein hier“, rief Albert. Ohne zu zögern sprangen sie, einer nach dem anderen, ins Auto. Paul sprang als letzter rein. Eine Flamme züngelte, wie eine Peitsche in seine Richtung und umschloss seinen Knöchel. Die Flamme, die wie eine Hand aussah, versuchte ihn wieder aus dem Wagen zu ziehen. Paul schrie vor Panik.
Alle versuchten Paul ins Auto zu ziehen. Die Flamme brannte sich langsam durch die Hose. Alle nahmen ihre ganze Kraft zusammen. Mit einem kräftigen Ruck schafften sie es ihn im letzten Moment ins Auto zu ziehen. Die Tür sprang zu. „Los, los, los“, rief Albert. Der Wagen fuhr los. Die Flamme verfolgte sie sofort. Immer wieder schlug sie wie eine Peitsche auf das Auto.
Albert murmelte wieder mit Zischen und Hallen. Plötzlich wurde die Flamme von einer riesigen Schneeflocke verfolgt. Die Schneeflocke umschloss die Flamme, die sich heftig wehrte. Das gab ihnen aber genügend Zeit, um zu entkommen. Außer Sicht der Flamme, stieß der Maulwurf plötzlich vor dem Wagen in die Erde und der Wagen folgte.
Es war geschafft. „Werden wir verfolgt, Sinclair?“ Sinclair sah auf die Bildschirme. „Nein, Sir.“ Alle atmeten erleichtert auf. „Dad, was ist hier los? Es wurden Menschen angegriffen. Das ist noch nie passiert“, fragte Mia völlig durcheinander. „Ich weiß, mein Schatz…, ich weiß.“
Sam untersuchte den Knöchel seines Vaters. „Hast nochmal Glück gehabt, Dad. Brauchst nur ein paar neue Schuhe und ne neue Hose.“ „Und ne frische Unterhose“, murmelte Paul leise vor sich hin. Was machst du eigentlich hier, Dad?“, fragte Mia. „Haben sie ihr Buch vergessen, Paul?“ „Nein, hier ist es“, zog Paul das Buch aus einer Umhängetasche.
Albert kramte sein braunes Buch hervor und zeigte es allen. „Dann ist das wohl dein Buch, Sam“, überreichte er Sam das Buch. „Ich habe eine Nachricht bekommen, dass ich euch nachreisen sollte. Und als ich euch in Bedrängnis sah, ist mir das eingefallen. Nur der Ort, an dem sich der Wortteil befindet ist geschützt vor Zodoriantes.“ „Also, wenn wir falsch liegen, werden wir angegriffen?“, fragte Sam nach. „Normalerweise auch nicht. Das macht mich ja so nachdenklich. Zu meiner Zeit war es zwar nicht weniger gefährlich, aber ich konnte in aller Ruhe nach dem Wort suchen. Wir fahren erstmal wieder nach Hause.
Ich kenne da jemanden, der uns helfen kann“, antwortete Albert. „Und wer soll das sein?“, fragte Mia. Albert zögerte einen kurzen Moment. „Der Herr der Zeit“, sagte er schließlich. Mia lief ein kalter Schauer den Rücken runter.
„Nein, Dad“, sagte sie völlig aufgelöst. „Doch, Mia. Es geht nicht anders.“ „Können wir nicht einfach weitersuchen?“, flehte Mia ihren Vater an. „Hier ist was viel Größeres im Gange. Er muss uns helfen“, sagte Albert etwas besorgt.
„Im Traum sah ich, dass das Wort zwei Hüter auserwählte. Der Blitz fuhr in Paul und Sam gleichzeitig.“ „Den Traum hatte ich auch“, sagte Paul. „Ja, ich auch“, ergänzte Sam. „Wir drei hatten denselben Traum. Man könnte es als Symbolik betrachten. Ich bin quasi als Hüter abgelöst wurden und ihr werdet die neuen Hüter. Allerdings gab es noch nie zwei Hüter zur gleichen Zeit. Auch die Angriffe geschahen viel zu schnell. Und dann sollte ich euch plötzlich nachreisen. Das ist alles irgendwie beunruhigend“, sagte Albert.
„Und wer ist dieser Herr der Zeit?“, fragte Sam. „Wie der Name schon sagt. Allerdings ist das nicht ungefährlich. Mit der Zeit lässt sich nun mal schlecht verhandeln. Er ist mir aber noch etwas schuldig.“, sagte Albert.
Paul hob den Zeigefinger und deutete abwechselnd auf sich und Albert. „Albert, wir müssen an unserer Kommunikation arbeiten.“ Sinclair hingegen genoss die rasante Fahrt und fuhr mit breitem Grinsen wie ein Irrer dem Maulwurf hinterher.
Kapitel 16
Wieder zuhause angekommen: Völlig erschöpft betraten alle die Eingangshalle. Hektor blieb an der Eingangstür stehen. Albert wandte sich zu ihm.
„Danke, dass du uns begleitet hast, Hektor. Es war zwar nicht nötig aber man weiß ja nie. Beim nächsten Mal könnten wir dich vielleicht gebrauchen.“ „Mache dir kein Kopf, mein Alter“, grinste Hektor und verschwand nach draußen.
Paul beobachtete das Gespräch und ging zu Albert. „Sie müssen mir noch einiges erklären, Albert. Wieso spricht der Wolf? Wieso sind Maulwürfe so groß, wie ein Haus? Und, wieso gibt es hier Papageien, die aussehen, wie eine Taschenlampe? Und, wo zum Geier haben sie diesen futuristischen…Panzer her?“
Albert ging in sich. „Sie haben Recht, Paul. Ich wollte sie nicht gleich überfordern. Nach dem Abendessen setzen wir uns alle zusammen und dann werde ich euch alles sagen, was sie wissen wollen.“
Sam half Mia, ihre Sachen ins Zimmer zu tragen. Er legte ihren Rucksack auf dem Bett ab und beobachtete ihr weiteres treiben. Mia ging zum Fenster. Auf dem Fensterbrett standen drei völlig verwelkte Blumen. Sie steckte ihren Finger in eine Gießkanne und gab in jeden Blumentopf nur einen Tropfen Wasser. Blitzschnell erholten sich die Blumen und erstrahlten in voller Blüte. Eine hatte schwarze Blüten und die zweite hatte goldene Blüten. Die dritte Blume erstrahlte in ständig wechselnden Farben. Alle drei sahen Rosen sehr ähnlich. Sam staunte nicht schlecht.
„Es gibt Parallel-Welten“, sagte sie, während sie eine Vierte auf dieselbe Weise goss. Eine winzig kleine Pflanze in einem ziemlich großen Topf auf dem Fußboden. Kaum fiel der Wassertropfen in den Topf, wuchs eine riesige Ranke aus dem Topf und verteilte sich über die ganze Zimmerdecke. Als sie aufhörte zu wachsen, erblühten an der ganzen Ranke leuchtend-weiße Blüten.
„Parallel-Welten?“, fragte Sam. Mia nickte, während sie sich auszog und plötzlich nur noch in Unterwäsche vor Sam stand. Der bekam plötzlich einen feuerroten Kopf. „Würdest du jetzt bitte mein Zimmer verlassen? Ich möchte ein heißes Bad nehmen.“, fragte sie mit einem frechen Grinsen. Ganz verlegen stolperte Sam aus dem Zimmer. Mia war äußerst amüsiert.
Alle saßen beim Abendessen, bis auf Albert. Die Tafel war reichlich gedeckt. Nach dieser anstrengenden Reise futterten alle, als gäbe es morgen nichts mehr. Albert betrat den Raum mit einem großen, dicken Buch in den Händen. Angestrengt ließ er das schwere Buch neben zwischen Paul und Sam auf den Tisch knallen.
„Das sind alle Aufzeichnungen, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe. Nachdem meine Frau umkam, begann ich dieses Buch zu schreiben. Hier stehen alle unsere Reisen und alle unsere Erlebnisse drin. Viel Spaß beim lesen“, sagte Albert lächelnd und setzte sich an den Tisch. Paul kaute nur noch zögerlich. War doch die Neugier riesengroß, was da wohl drinstehen würde. Den letzten Bissen spülte er mit Rotwein runter, dann öffnete er das Buch. Auch Sam musste immer wieder ins Buch schauen. Es dauerte nicht lange, da waren beide äußerst fasziniert in das Buch vertieft. „Oh, mein Gott“ „Der Wahnsinn“ oder „Ich glaube es nicht“, war immer mal wieder von beiden zu hören.
Mittlerweile war es Nacht geworden. Die Tafel war längst leer. Paul und Sam saßen immer noch über dem Buch. Sinclair saß in einer Ecke und schnarchte fröhlich vor sich hin. „Es gibt also unzählige Welten da draußen und man kann sie alle besuchen“, stellte Sam fasziniert fest. Die Augen der Beiden leuchteten, wie bei kleinen Kindern, die gerade ihre Geschenke auspackten. „Ja. Wir können also mit allen Lebewesen kommunizieren, weil wir die angehenden Hüter sind. Und es gibt Lebewesen, von denen wir nicht mal zu träumen wagten.
Leben wir wirklich, wie ein Floh auf einem Hund, auf oder in anderen Lebewesen?“, stellte Paul fasziniert fest. „Alle meine Bücher, meine Ideen…, oh Mann, unsere Vorstellung von Größe, Raum und Zeit sind ja so klein und engstirnig. Ich komme mir vor, wie diejenigen, die mal behaupteten, die Erde wäre eine Scheibe.“ „Wie meinst du das denn jetzt, Dad?“ „Na ja. Der Floh ist sich nicht bewusst, dass er auf einem Hund sitzt. Er ist sich nur, vielleicht, darüber im Klaren, dass es seine Nahrungsquelle ist. Wir sind uns nur über die Erde und das Sonnensystem im Klaren. Vielleicht ist das Universum mehr als nur das, was wir darüber bereits wissen.“ „Das ist sehr verwirrend, Dad.“ „Das sagten die Menschen, die die Erde für eine Scheibe hielten auch, über diejenigen, die schließlich behaupteten, dass die Erde rund sei“, sagte Paul mit einem flüchtigen lächeln. Sam begann zu gähnen, während Paul immer tiefer ins Buch eintauchte.
Der Morgen brach an. Während Sam mit dem Kopf auf dem Tisch schlief, las Paul noch immer im Buch. Immer wieder rieb er sich seine müden Augen. Sinclair deckte den Frühstückstisch. Als er eine Gabel auf den Tisch fallen ließ, schreckte Sam hoch. Albert kam herein und begrüßte alle mit einem freundlichen Lächeln.
„Na, meine Freunde. Wie ich sehe, seid ihr äußerst angetan von meinem Tagebuch“, sagte er und setzte sich an den Tisch. Sinclair servierte Albert ein großes Glas Milch, was er in einem Zug austrank. „Mmh…, so beginnt man einen Tag“, sagte er und rieb sich die Hände, während sein Blick neugierig über den Tisch wanderte.
Mia und Maik betraten gleichzeitig den Saal und scherzten miteinander, was Sam etwas missfiel-war Maik doch ein junger, attraktiver Mann. Ein gequältes Lächeln verließ Sam als er freundlich von Mia begrüßt wurde. Alle stürzten sich erstmal über das Buffet her. „Was ist der Plan für heute, Albert?“, fragte Paul nebenbei kauend. „Mia und Sam könnten Sinclair bei einigen Einkäufen helfen. Sie, lieber Paul, brauchen wohl erstmal eine Mütze voll Schlaf.“ Paul nickte zustimmend. „Ich hingegen werde mal herausfinden, wo wir den Herrn der Zeit antreffen können. Der hat nämlich für alles einen Zeitplan. Wahrscheinlich ist er in Ägypten bei den Pyramiden oder in China bei der großen Mauer. Da hält er sich am liebsten auf. Er nennt sie die „Zeitlosen“, sagte Albert mit einem frechen grinsen.
Kapitel 17
Albert befand sich wieder im Kellergewölbe und stand vor dem Marmorbecken. Er atmete nochmal tief durch und legte dann seine Hände auf die Wasseroberfläche. Er schloss die Augen und plötzlich begann er wild zu zucken. Der Raum begann zu funkeln und zu leuchten, als ob man eine Discokugel anstrahlen würde und gleichzeitig die Wellen eines Sees das Licht reflektieren. Seine Gesichtszüge wechselten von Lächeln über Trauer bis sehr konzentriert. Auch kurze Aufschreie blieben ihm nicht verschont.
Langsam schwanden seine Kräfte. Die Beine wurden schwerer und schwerer und er sank zu Boden. Das Leuchten verschwand wieder allmählich. Albert hatte Mühe sich wiederaufzurichten. „Oh je, …, dieses Schwert raubt mir immer schneller meine Kräfte“, dachte er, während er sich am Marmorbecken hochzog.
Er schleppte sich zum Eingang des Raumes, wo sich eine Sprechanlage befand. „Sinclair…, ich könnte ihre Hilfe beim Auge gebrauchen“, sagte er mit letzter Kraft. Dann sackte er zusammen. Einige Minuten später kam Maik zu Albert geeilt.
„Was machen sie hier, Maik?“, fragte er mit leiser Stimme. Maik half ihm auf die Beine und stützte ihn. „Sie haben doch Sinclair zum Einkaufen geschickt.“ „Ach, ja. Bringen sie mich bitte ins Bett, Maik.“ „Es scheint sie mehr und mehr anzustrengen, Albert.“ „Ich habe mich seit vielen Jahren nicht mehr so schwach gefühlt. Sagen sie bitte meiner Tochter nichts. Versprechen sie mir das.“ „Sie wird nichts erfahren, Sir.“ Dann brachte er ihn ins Bett.
Sam, Mia und Sinclair waren bei einem Einkaufscenter angekommen. „Wenn sie möchten, können sie vorerst ihren Interessen nachgehen. Ich kontaktiere sie, wenn ich fertig eingekauft habe“, sagte Sinclair, während sie aus dem alten Mercedes ausstiegen.
Sinclair hatte eine Vorliebe für schöne Autos. Als ehemaliger Rennfahrer schwor er dieser Leidenschaft nie ab. Besonders diesen 1960er S-Klasse Mercedes mochte er. Fast alle seine Wagen waren weiß. Albert hatte dafür nicht allzu viel übrig, dass überließ er ganz Sinclair.
Sam stoppte Mia an den Schultern. „Hast du eigentlich noch diese Kugeln, mit denen wir Mutare am See aufgehalten haben?“, fragte er. „Jede Menge“, antwortete Mia und warf Sam einen verträumten Blick zu. „Komm mit. Ich habe eine Idee.“ Sam nahm Mia an der Hand und eilte mit ihr, gut gelaunt, in das Einkaufscenter. Drin angekommen, gingen sie in ein Elektrogeschäft, geradewegs auf die Drohnen-Abteilung zu. Sam nahm einen Karton mit einer Flugdrohne und bestaunte ihn. „Was hast du vor damit?“, fragte Mia ungläubig. „Ich kann die Dinger so umbauen, dass sie uns begleiten, wie ein Mückenschwarm“, sagte er mit glänzenden Augen.
Mia fiel unterdessen ein großer, dunkelhaariger Mann auf, der sie die ganze Zeit zu beobachten schien. „Okay. Nimm ein paar Drohnen mit. Wir müssen weg hier“, drängelte sie und zeigte Sam unauffällig diesen Mann. Als sie das Geschäft verließen, folgte ihnen der Mann. Mia drehte sich nochmal um und sah es. Daraufhin gingen sie etwas zügiger.
Der Mann ging an einer jungen Frau vorbei und streifte ihren Arm. Plötzlich begann auch die junge Frau Sam und Mia zu verfolgen. Der Mann und die Frau berührten immer mehr Menschen, die dann ebenfalls folgten. Sam und Mia wurde es immer unheimlicher. Sie rannten zum Parkplatz, wo Sinclair bereits die Einkäufe in den Kofferraum legte. Mia rief Sinclair. Als der plötzlich die große Menschentraube sah, bekam auch er Angst.
Schnell sprang er in den Wagen, startete ihn und fuhr Sam und Mia entgegen. Sam sprang als erster in den Wagen. Zwei ziemlich kräftig gebaute Männer griffen sich Mia. Die zögerte nicht lange und warf die Männer blitzartig mit ein paar Judo-Griffen zu Boden. Sie sprang in den Wagen und Sinclair gab Vollgas.
Mit quietschenden Reifen rauschten sie gerade noch davon. „Was war das denn? Wieso haben die uns verfolgt?“, fragte Sam. „Das war „Amator“. Er kann durch Berührung anderen Lebewesen seinen Willen aufdrängen. Lass dich also niemals von ihm berühren“, antwortete Mia. „Wo kommen die nur her und wieso können die das?“, fragte Sam. „Ich habe doch die Parallelwelten erwähnt“, sagte Mia. Sam nickte. „Der Hüter ist nicht nur für eine Welt verantwortlich, sondern für das ganze Universum.“ „Halt…, willst du damit sagen, dass es auf anderen Welten keine geeigneten Hüter gibt?“, fragte Sam skeptisch. „Das Wort wählt den Hüter. Es ist einfach Zufall, dass es schon wieder die Erde ist. Früher waren es andere Welten. Ist einfach so“, sagte Mia schulterzuckend. „Und wir können auf diese Welten reisen?“, wurde Sam immer neugieriger. „So ist es“, antwortete Mia mit einem verspielten Lächeln.
Sam überlegte einen Moment. Er konnte nicht fassen, dass dieses Abenteuer immer größer würde. Langsam begann er das Erlebte zu verarbeiten. Auch die Zuneigung zu Mia wuchs dabei. „Hast du einen Zettel und Stift dabei?“, fragte er. Sinclair öffnete das Handschuhfach und kramte beides heraus. „Sinclair, sie fahren nochmal zurück ins Einkaufscenter und besorgen mir diese Sachen. Es wird Zeit, dass wir uns verteidigen können. Ich möchte dir das nächste Mal helfen und nicht weglaufen, Mia.“, sagte Sam während er den Zettel vollschrieb. Mit einem verzückten Lächeln beobachtete Mia Sam beim Schreiben.
Wieder zuhause angekommen, luden sie etliche Kartons aus dem Wagen und brachten sie in die Garage. „Sinclair, ich werde ihre Hilfe benötigen.“ „Sehr wohl, Sir.“ Nach dem Ausladen eilte Mia ins Haus, um Albert mitzuteilen, was sie erlebt hatten. Sam begann sofort einige Kartons aufzureißen. Doch dann überlegte er einen Moment und ging schließlich ins Haus.
Paul saß unterdessen auf dem Bettrand und starrte auf ein Foto von seiner Frau, Carmen und Jenny. Dabei wischte er sich eine Träne von der Wange. Noch immer war es zu schmerzhaft, dass er damals so viel Mist gebaut hat. Die Schuldgefühle schienen immer stärker zu werden. „Ihr glaubt nicht, was ich hier für Wunder gesehen habe. Die scheinen keine physikalischen Grenzen zu kennen. Das bestärkt meine Hoffnung, dass ich euch irgendwie wieder zurückholen kann“, murmelte er mit zittriger Stimme.