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»Zum Teufel nochmal!«, schrie ich, drehte mich um und wollte wütend kehrtmachen, doch Silvania hielt mich zurück, drückte mir einen Stapel Zettel in die Hand und sah mich mit einem schiefen Grinsen an.
»Hast du etwas vergessen?«, fragte sie kichernd, zwinkerte mir zu und wickelte spielend eine ihrer Haarsträhnen um ihren Finger.
»Du bist die Beste«, sagte ich euphorisch und meinte es auch so.
Ohne Sil wüsste ich nicht, was ich machen sollte. Ich konnte schlecht durch die Gänge laufen und mit mir selbst reden. Wobei mich die anderen nicht noch mehr meiden könnten, selbst wenn ich den Verstand verlor.
»Ich weiß«, erwiderte sie selbstüberzeugt und wurde von einem erneuten Lachanfall geschüttelt, der mich meine Mundwinkel leicht anheben ließ. »Du warst so wütend. Ich dachte, du würdest ihm eine scheuern und abhauen. Also habe ich in weiser Voraussicht alles, was wichtig aussah, zusammengepackt. Wäre ziemlich beschämend, nach diesem tollen Abgang nochmal zurückgehen zu müssen.«
»So toll war der nicht. Die Auseinandersetzung habe ich verloren. Ich habe nichts bewirkt, sondern ihn nur kurz unterbrochen. Er wird morgen wieder das Gleiche abziehen.«
Ich ärgerte mich darüber, wie viel Wahrheit in meinen Worten steckte. Schlussendlich hätte ich meine Argumente auch einer Wand erzählen können. Die hätte mich vermutlich mehr beachtet als Elijah. Zu seiner Verteidigung war zu sagen, dass es sich auch schlecht ohne Blut im Kopf diskutieren ließ.
»Wieso stört dich das so?«, fragte Silvania, als wir um die erste Ecke bogen.
Somit hatten wir genug Abstand zwischen uns und diesen Idioten gebracht, sodass uns niemand belauschen konnte. In diesem Teil des Schulgebäudes waren die Wände strahlend weiß, jedoch wurden sie dunkler, je näher wir dem nächsten Unterrichtsraum kamen. Zuerst verfärbten sie sich gräulich, bis die Mauern in einem satten Schwarz erstrahlten. Nirgendwo waren Fenster, allein die Fackeln an den Wandhalterungen, die auf magische Weise immer zu brennen schienen, boten genug Licht, um alles zu erkennen.
»Bitte?«, fragte ich nach, weil ich ihr nur mit einem Ohr zugehört hatte.
Ich sortierte die Blätter mit den Beschwörungsformeln und verschaffte mir einen Überblick, ob noch alle Seiten vorhanden waren. Das war natürlich nicht der Fall. Die Beschwörung eines Dschinns fehlte, genauso wie die eines Ghuls und eines Mantikors. Während ich bei den ersten beiden die Formeln noch im Kopf hatte, wusste ich bei einem Mantikor nur noch, dass man ihm ein Opfer bringen musste, das er verspeisen konnte: ein Schaf oder ein neugeborenes Baby. Die Opfergabe musste der Länge nach mit einem Dolch aus Kupfer aufgeschnitten und das Herz entnommen werden. Anschließend hatte der Beschwörer in das Organ zu beißen und drei Sätze in einer Sprache aufzusagen, die älter war als alle anderen dieser Welt. Doch diese Worte wollten mir nicht einfallen. So ein Mist! Wenn gerade das zur Prüfung kam, war ich erledigt. Nicht auszumalen, was mein Dad sagen würde, wenn ich durchfallen würde. Ich hatte ihm genug Schande gebracht. Noch einen Fehltritt würde er nicht durchgehen lassen. Das hatte er mir deutlich gemacht.
»Na, warum ärgert es dich, wenn Elijah Dämoninnen abschleppt?«, hakte sie ungeduldig nach und blieb abrupt stehen.
Einen Moment fiel es mir nicht auf, sodass ich einfach ohne sie weiterlief, doch das Fehlen der Schritte neben mir ließ mich von meinen Lernbögen aufsehen und innehalten.
»Das ist mir egal. Ich möchte es nur nicht mitbekommen«, erwiderte ich schnell und betete, dass die Diskussion damit beendet war. Doch das Glück war heute nicht auf meiner Seite.
Silvania neigte den Kopf und musterte mich, so lange, bis es mir unangenehm wurde. Ihr Blick war stechend, als würde sie etwas suchen, aber nicht finden. Ihre Züge verzogen sich unzufrieden und sie hob eine Augenbraue, wodurch sich ihre Stirn in Falten legte.
»Wieso nicht?«, wollte sie wissen und ihr Ton hatte eine seltsame Färbung angenommen. Misstrauen. Sie kaufte mir nicht ab, was ich sagte.
»Es stört mich beim Lernen.«
»Ah ja«, schnaubte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass sie mir kein Wort glaubte. Doch es war die Wahrheit. Was wollte sie denn noch?
»Was?«, murrte ich. »Möchtest du irgendwas sagen?«
Die Art, wie sie mich ansah, gefiel mir nicht. Es erinnerte mich daran, dass sie glaubte, mich besser zu kennen als ich mich selbst, und dass sie sich anscheinend wieder in die Idee von mir und dem Großkotz gemeinsam, für immer vereint, verrannt hatte. Über Elijah zu sprechen war gefährlich, auch wenn Silvania das nicht wusste. Ich konnte nur hoffen, dass ich sie noch umstimmen oder ablenken konnte, egal, was sich ihr wirres Gehirn wieder ausgedacht hatte.
»Nein, ich finde es nur auffällig. Bei niemand anderem stört es dich, wenn sie Gefühle in der Öffentlichkeit zelebrieren. Nur bei ihm.«
Angespannt runzelte ich die Stirn und leckte mir über die Unterlippe. Ich wusste, was sie dachte, obwohl sie es nicht aussprach. Ich musste vorsichtig sein. Wenn ich es vehement abstritt, könnte sie das als Geständnis werten, und wenn ich nichts sagte, wäre es ebenfalls verdächtig. Um Zeit zu schinden, packte ich meine Unterlagen in meine schwarze Umhängetasche und kramte nach meiner Wasserflasche.
»Erstens, Sil, fühlen wir nicht. Zumindest nicht Liebe oder ähnlichen Schwachsinn. Nur Begierde, Verlangen oder welche Hormone auch immer uns Lust verschaffen. Und zweitens ist Elijah der Einzige, der über das Knutschen hinausgeht, wenn er außerhalb seiner eigenen vier Wände ist«, antwortete ich sachlich, schraubte den Verschluss der Flasche ab und setzte diese an meinen Mund. Ich spürte, wie das kühle Nass meine Lippen benetzte und meine Speiseröhre hinabfloss.
»Also liegt es nicht an dem Kuss zwischen ihm und dir?«, hakte Silvania nach, als ich noch einen Schluck trinken wollte. Doch noch bevor ich es schlucken konnte, spuckte ich die Flüssigkeit fontänenartig aus. Kein Tropfen landete wieder in der Flasche, die ich reflexartig von meinem Körper riss. Dafür ergoss sich das Wasser auf dem schwarz-grau marmorierten Boden.
»Kuss? Welcher Kuss?«, wollte ich panisch wissen und versuchte, mir das Ereignis wieder in Erinnerung zu rufen. Doch keiner hatte uns gesehen. Niemand konnte es ihr erzählt haben. Aber woher wusste sie es dann? Oder war das ein Test? Hatte sie nur spekuliert und ich war darauf reingefallen?
»Oh, bitte, leugne es gar nicht erst. Nik und ich haben euch damals gesehen, als wir ...« Sie stoppte, wie so oft, wenn es um Nikolai Pyron ging. Ich hatte noch nie Sex gehabt, geschweige denn einen One-Night-Stand, aber ich kannte das Konzept. Rein, raus, rein, raus. Dass dieser Vorgang so besonders sein sollte, konnte ich mir nicht vorstellen. Und schon gar nicht konnte ich glauben, dass eine intelligente Dämonin wegen einer Nacht einem Typen über zwei Jahre hinweg nachtrauerte. Doch sie tat es und kam einfach nicht von ihm los. Dabei hatte ich alles versucht, um sie auf andere Gedanken zu bringen: Blind Dates, Partynächte, Doppeldates, die vor allem für mich ein Horror gewesen waren, und ich hatte ihr sogar eine Einladung für die Schülerorgien zum Jahresabschluss besorgt. Nichts hatte funktioniert. Immer noch ging es Nikolai hier, Nikolai da. Es war frustrierend.
»... als wir auf dem Weg ins Bett waren. Du weißt schon, an Samhain«, beendete sie ihren Satz und mir wurde schlagartig eiskalt.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und meine Zunge fühlte sich taub an, als würde jemand dafür sorgen, dass ich nicht sprechen konnte. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich zitterte. Das war Folter. Es war, als würde eine unsichtbare Hand nach meinem Herzen greifen und es zerquetschen. Wie konnten wir so unvorsichtig sein? Wenn sie uns gesehen hatten, wer wusste schon, wer sonst noch? Es könnte jeder mitbekommen haben. Aber es war so lange her, richtig? Wenn es mehr Beobachter gegeben hätte, dann hätten sie uns schon damit konfrontiert. Alles war gut. Ich durfte nur nicht die Nerven verlieren. Schön, Sil hatte es mitbekommen, aber es war kaum etwas passiert. Diese Geschichte würde meinem Ansehen nicht weiter schaden. Er würde mir nicht weiter schaden.
»Nein«, antwortete ich, als ich meine Stimme wiederfand. Allerdings verbesserte ich mich, da mir klar wurde, dass es keinen Zweck hatte, es abzustreiten. »Ich meine, ja.«
Ich bemühte mich, meine Gedanken zu ordnen und das Chaos zu bekämpfen, das in meinem Innersten wütete. Es gelang mir nicht. Hunderttausend Szenarien gingen mir durch den Kopf. Von Silvania, die mich anklagend ansah und wissen wollte, weshalb ich es ihr nicht gesagt hatte. Von Nik, der mit seinen Freunden über die dumme Dämonin lachte, die dachte, dass ein betrunkener Kuss auf einer Party eine tolle Idee war. Von Elijah, der erzählte, dass ich nicht küssen konnte. Von meinem Dad, der mich enttäuscht fragte, warum ich nichts richtig machen konnte. Da hatte ich einen Teufelsanwärter an der Angel und ließ ihn ziehen. Es würde nicht helfen, ihm zu erklären, was Elijah für ein Mann war. Ich wäre schuld. Und vermutlich hatte er damit auch Recht. Hätte ich auf der Party die Beine breit gemacht und das Kondom abgezogen, ohne dass Elijah es mitbekommen hätte, wäre ich bei dem Angriff der Engel schwanger gewesen. Ich hätte sein Baby erwartet und hätte ausgesorgt gehabt, ob der Kindsvater weiter etwas mit mir zutun haben wollte oder nicht. Aber das hatte ich nicht gewollt. Berechnende Frauen, die Männern ungewollte Kinder unterschoben, um nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, war eher eine menschliche Masche. Und ich wollte nicht menschlich sein. Ich war stolz, eine Dämonin zu sein, und ich wollte der Hölle dienen.
»Der Kuss war vor dem Angriff der Engel«, nuschelte ich erklärend, sodass es mich wunderte, dass Silvania mich verstand. Doch da sie mir antwortete, hatte sie wohl keine Probleme, mein Gemurmel zu entziffern.
»Und das ist wichtig, weil ...?«, fragte sie und setzte sich wieder in Bewegung, als das Ende der Freistunde durch einen Schrei verkündet wurde. Es klang wie das Flehen eines Mannes, bevor er starb, aber an einer Schule, die sich selbst die Akademie der sieben Todsünden nannte, störte sich niemand daran. Nichtsdestotrotz hatte ich mir nicht nur einmal die Frage gestellt, wo die gequälte Stimme aufgenommen worden war, die den Schulalltag einteilte.
»Weil Elijah Dämonen hasst und der Kuss unbedeutend war. Es war nichts. Wir waren betrunken und es stand niemand anderer zur Verfügung.«
Lüge. Viele Schüler in meinem Alter hatten die Party besucht, immerhin war es die Letzte gewesen, bevor wir unsere Aufgaben zugeteilt bekommen hatten. Deshalb war auch ich dort gewesen, obwohl ich Feten sonst wie Krankheiten mied. Von allen Dämonen war ich wohl diejenige, die am wenigsten in das Klischee der saufenden, drogennehmenden Nutten-Dämonin im schwarzen Lederkostüm passte, das sich die Menschen zurechtgelegt hatten. Ich trank nicht, Drogen waren mir suspekt und Leder war schrecklich unpraktisch. Doch an diesem Tag war alles anders gewesen.
***
Ich trug ein schwarzes Sommerkleid, das knapp meine Knie verdeckte und genug Ausschnitt zeigte, um den Ansatz meiner Brüste nicht zu verstecken. Außerdem sparte es den Rücken großzügig aus, sodass meine Haut nur durch meine Haarpracht geschützt wurde, die zu einem Zopf zusammengebunden war.
Sil war schon vor Stunden mit einem gut aussehenden Teufelsanwärter verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht. Dennoch fehlte sie mir nicht. Ich amüsierte mich auch ohne sie gut, obwohl ich am Anfang des Abends Sorge hatte, dass ich allein in einer Ecke enden würde. Doch so war es nicht.
Irgendeine Dämonin hatte mir einen Drink, der in grellen Farben leuchtete, in die Hand gedrückt, mich am Arm gepackt und ins Getümmel gezogen. Ich wusste nicht, ob wir uns kannten, aber so schnell, wie sie aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder und ließ mich auf der Tanzfläche stehen. Also hatte ich zwei Möglichkeiten: gehen oder mitmachen. Als auch noch mein Lieblingslied Schöne Grüße aus der Hölle erklang, war klar, dass ich nicht den Schwanz einziehen würde. Ich bewegte meinen Hintern im Takt der Melodie, sodass die Flüssigkeit in meinem Glas gefährlich hin und her schwappte, doch ich schaffte es, nichts zu verschütten. Ich warf meine feuerroten Haare zurück, schloss die Augen und gab mich den Klängen hin.
Ich wusste nicht, wann ich beschlossen hatte mitzusingen, und ich bemerkte auch kaum, dass die Tanzfläche immer leerer wurde, während ein Song nach dem anderen spielte. Langsam wurde mir heiß. Ich spürte, wie ein Schweißtropfen über meine Schläfe lief und dass ein feuchter Film meine Haut benetzte. Trotzdem hörte ich nicht auf. Ich war wie im Rausch, und zwar im doppelten Sinne. Der Alkohol zeigte endlich seine Wirkung. Er zirkulierte in meinen Blutbahnen und benebelte meinen Verstand. Es war, als würde jemand einen Filter über mein Gehirn legen. Das Denken fiel mir plötzlich schwer und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Die Farben um mich schienen heller zu strahlen und die Musik dröhnte lauter in meinen Ohren. Doch ich war zufrieden. Es war fantastisch, als wäre ich zum Tanzen geboren. Selbst die großen Hände, die auf einmal von hinten meine Hüfte umfingen und mich an einen anderen Körper zogen, machten mir nichts aus. Ich schwang den Hintern schneller und rieb meinen Rücken an der nackten Brust meines Tanzpartners. Mir war nicht klar, wann er sein Shirt verloren oder ob er überhaupt eines getragen hatte. Doch ich war unendlich dankbar, ihm so nahe sein zu können. Ich spürte die Muskeln, die sich an meine Wirbelsäule schmiegten, und das kalte Eisen der Gürtelschnalle, die sich fast schmerzhaft in mein Steißbein drückte. Der Geruch nach Lagerfeuer hüllte mich ein und weiche Lippen, die noch hitziger waren als mein glühender Körper, küssten meine Schulter. Die Berührung war flüchtig, als würde er abwarten wollen, wie ich reagierte. Doch ich tat nichts, außer mich näher an ihn zu drängen, um mehr von dem Gefühl zu bekommen, das sich in mir ausbreitete. Es ließ mich schweben.
Ein undefinierbares Kribbeln durchzog meinen Magen, meine Hände zitterten vor Aufregung und dennoch war jeder meiner Muskeln entspannt. Ich schloss die Augen und blendete die Tanzenden um uns herum aus, während der Unbekannte sich eine Spur von meiner Schulter zum Hals küsste. Seine Hände wanderten in der Zwischenzeit vom Becken zu meinem Bauch und umschlangen mich, sodass ich mich nicht mehr von ihm lösen konnte. Ich wollte es auch gar nicht. Ein Stöhnen kam über meine Lippen, das ich nicht unterdrücken konnte, und ein tiefes Lachen erklang. Ein Schauer jagte über meinen Rücken, als ich seinen Atem an meinem Nacken fühlte, und ich genoss die Wärme, die sich in meinem Schoß ausbreitete.
»Würde ich den Teufel betrügen, wenn ich eine Schönheit wie dich mit einer Göttin vergleichen würde?«, fragte eine rauchige Stimme, die ich unter tausenden wiedererkannt hätte.
Elijah Reaver. Sport-Ass, Beschwörungsgenie und begehrtester Junggeselle der Hölle. Niemand kannte sich so gut mit Geistern, Tötungsarten und Teufelsanbetungen aus wie er.
Mein Körper versteifte sich und das Lächeln auf meinem Gesicht gefror. Geistesgegenwärtig hielt ich mein Getränk fester, um es nicht fallenzulassen. Das Hochgefühl verschwand und ich riss überrascht die Augen auf. Dass Elijah Partys mochte, war bekannt, aber normalerweise hielt er sich bedeckt. Er tanzte nicht und knutschte nicht mit irgendwelchen Mädchen in dunklen Ecken, geschweige denn mitten auf der Tanzfläche. Sein Verhalten verwirrte mich. Wieso war er hier, bei mir, anstatt mit seinen Freunden zu feiern? Und weshalb hatte er mich wie eine Geliebte liebkost?
Seine Arme gaben mich frei, als hätte er meine veränderte Stimmung bemerkt. Er löste sich von meinem Körper, jedoch stand er immer noch nah genug hinter mir, dass ich seinen Geruch wahrnehmen konnte.
»Stimmt etwas nicht?«, raunte er mir ins Ohr und ich fühlte, wie seine Fingerspitzen meinen Unterarm entlang strichen. Es kitzelte, aber war nicht unangenehm.
Er nahm meine Hand in seine und drehte mich zu sich, sodass ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als meine gelben Augen in seine roten starrten. Ein unsicheres Lächeln umspielte seine Lippen, als er meine starren Züge bemerkte.
»Was machst du da?«, fragte ich leise und wiederholte die Frage lauter, nachdem Elijah mich verwirrt ansah.
Da meine Stimme wieder von den hohen Tönen der Musik verschluckt wurde, beugte ich mich näher zu ihm, um nicht schreien zu müssen, wodurch meine Brüste gegen seinen Oberkörper drückten.
»Wonach sieht es denn aus?«, antwortete er und sein Grinsen wurde breiter, während er seine Hände wieder um mich schlang und sie auf meinem Hintern platzierte.
»Als würdest du mich anbaggern«, entgegnete ich und biss mir auf die Unterlippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
Sanft streichelte sein Daumen über meinen Po, wodurch der seidige Stoff meines Kleids an der Haut rieb.
»Und ist das schlimm? Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen ...« Bevor er seinen Satz beenden konnte, wurde er von einem Dämon unterbrochen, der ihn von der Seite anrempelte.
Elijahs Stirn knallte schmerzhaft auf meine und ich ließ geschockt mein Glas fallen, das auf dem Boden aufschlug und in hundert kleine Teile zersplitterte. Die Flüssigkeit verteilte sich unter meinen Füßen und einige Spritzer fielen auf meine Unterschenkel. Der betrunkene Dämon nuschelte eine Entschuldigung, die nur aus zusammenhanglosem Gebrabbel bestand, bevor er mit einem dümmlichen Grinsen an uns vorbei torkelte und in der Menge verschwand.
»Alles in Ordnung?«, fragte Elijah, scannte mich jedoch trotz meines Nickens auf Schnittverletzungen, bevor er weitersprach. »Lass uns an einen anderen Ort gehen. Schon peinlich, dass einige ihre eigenen Grenzen nicht einschätzen können.«
Seine Miene war grimmig und seine Stimme klang angespannt, als müsste er sich zurückhalten, dem Typen nicht nachzulaufen, um ihm eine zu verpassen. Ein harter Zug lag auf seinen Lippen und ich konnte sehen, wie sich sein Kiefer anspannte. Einen Moment schaltete sich mein Gehirn wieder ein und teilte mir mit, dass es keine gute Idee war, die Party zu verlassen, um mit Elijah allein zu sein. Nicht, weil ich glaubte, dass er mich in seinem Zorn auf den Betrunkenen verletzten würde, sondern weil mein Unterleib sich bei dem Gedanken daran freudig zusammenzog. Nichtsdestotrotz ließ ich mich von ihm durch den Saal dirigieren und ignorierte die Stimme in meinem Kopf, die wie mein Dad klang und mir erklärte, dass Spaß der größte Feind von Pflichtbewusstsein war.
»Alles gut? Du siehst nervös aus«, meinte Elijah, nachdem er mich in einen leeren Raum geschleppt hatte, der große Ähnlichkeit mit einem Weinkeller aufwies. Unzählige Flaschen stecken in runden Öffnungen an der Wand und warteten darauf, getrunken zu werden. Vermutlich würden die Feiernden die Hälfte heute vernichten.
»Gibt es einen Anlass dafür?«, wollte ich wissen und war mir bewusst, wie naiv meine Frage klang.
Natürlich gab es einen Grund dafür, dass mein Herz gegen meine Brust hämmerte und meine Unterlippe zitterte. Seit Wochen war mir Elijah immer wieder über den Weg gelaufen. Wir hatten geredet, zusammen gegessen und das eine oder andere Mal gemeinsam gelernt. Das Ergebnis davon war, dass ich ihn nicht so abstoßend fand wie den Rest der Teufelsanwärter und Dämonen, die um meine Aufmerksamkeit buhlten. Vielleicht, weil er genau das nicht tat. Er versuchte nicht, sich unter scheinheiligen Vorwänden aufzudrängen. Elijah sagte direkt, was er dachte und was er wollte. Bei ihm musste ich keine Angst haben, etwas falsch zu machen, weil er es mir sofort mitteilte, wenn ihm etwas nicht passte. Anders als andere, die hinter meinem Rücken über mich lästerten. Die Zeit mit ihm war einfach schön. Aber noch nie war es so wie heute. Zwischen uns herrschte eine Spannung, die greifbar war, ich aber nicht zuordnen konnte.
»Ich bin nervös«, gestand er und seine Miene erhellte sich. Das zornige Glitzern verschwand aus seinen Augen und er fuhr sich mit der Hand durch die Stirnfransen, sodass sie ihm ins Gesicht fielen.
»Warum?« Mein Mund war staubtrocken. Hier war es noch wärmer. Dabei war es auf der Tanzfläche schon beinahe unerträglich gewesen. Trotzdem hatte ich nicht das Bedürfnis, gleich wieder zu gehen.
»Ich stehe mit der schönsten Frau, die ich je gesehen habe, allein in einer Kammer. Sie scheint nichts dagegen zu haben, wenn ich sie anfasse. Ich will sie um den Verstand küssen. Das ist alles, woran ich denken kann. Wie sollte ich da nicht nervös sein?«
Elijahs Stimme klang rau, als hätte er Rasierklingen verschluckt, und er löste seine Finger von meinen, um seine Hand in den Nacken zu legen. Er umschloss sanft mein Genick und streichelte mir über die Wange, die vom Alkohol und der Hitze knallrot sein musste. Doch diesen Umstand ignorierte ich. Er fand mich schön. Egal, ob mit rötlichen Wangen oder nicht.
»Wieso tust du es dann nicht?«, fragte ich atemlos und presste meine Unterschenkel näher aneinander, um das Pochen zu stoppen, das in meiner Mitte immer schlimmer wurde.
»Ich will sichergehen, dass sie es auch so sehr möchte wie ich. Aber lange kann ich nicht mehr warten. Der Drang, ihr nahe zu sein, wird immer stärker.«
Elijah übte leichten Druck auf mein Genick aus, sodass er mich näher zu sich ziehen konnte. Die Stirn legte er an meine und seine freie Hand wanderte an meinem Rücken hinab. Ich spürte seinen Atem an meinen Lippen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, während er seine schloss und tief die Luft einsog, als würde er meinen Geruch aufnehmen. Noch nie war ich so froh, auf Sil gehört und vor der Fete geduscht zu haben.
Elijah neigte den Kopf, bis seine Nase neben meiner ankam und unsere Gesichter noch näher beieinander waren. Aus dieser Entfernung konnte ich jedes Detail seines Gesichts sehen. Die kleine Narbe über der Augenbraue, das Muttermal auf der Schläfe, das nicht mehr war als ein stecknadelgroßer Punkt. Nichts blieb mir verborgen. Aber am meisten faszinierte mich der zufriedene Gesichtsausdruck, den er zur Schau stellte. Grübchen zierten die Mundwinkel und seine Lippen waren leicht geöffnet. Ein wenig sah er aus, als würde er schlafen, auch wenn ich wusste, dass er wach war.
»Und ich bin schwach. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann«, murmelte er und senkte sein Kinn, sodass sein Mund über meinem schwebte.
Uns trennten nur noch wenige Millimeter. Ich brauchte nur eine winzige Bewegung zu machen und wir würden uns küssen. Doch wollte ich das auch? Jetzt waren wir Freunde. Oder zumindest freundschaftliche Bekannte. Aber wie würde es morgen sein? Noch konnten wir tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen, solange wir nicht weitergingen. Doch wenn er mir meinen ersten Kuss stahl, war ich mir sicher, dass ich nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen konnte. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehen würde, würde ich an diesen Moment denken. Wie seine Lippen sich auf meinen angefühlt hatten, meine Hände seinen Körper erkundet und welche Gefühle er in mir ausgelöst hatte. Aber war das so schlimm?
Hin und hergerissen seufzte ich und versuchte, das Klopfen meines Herzens, das mir befahl, ich solle ihn küssen, zu ignorieren, um klar denken zu können. Ich musste eine Entscheidung treffen. Am besten sofort. Er wartete bereits viel zu lange auf eine Antwort. Die Stille lag wie ein Damoklesschwert über uns. Sie war grausam, beinahe erdrückend. War es immer so? Wenn ja, verstand ich endlich die Menschen, die sich tagelang weinend einschlossen oder ihrem sinnlosen Leben ein Ende bereiteten, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sahen, um über eine missglückte Liebesbeziehung hinwegzukommen. Doch die Frage erübrigte sich von selbst. Elijahs Augen öffneten sich, als von mir keine Reaktion kam, und seine Lachfältchen glätteten sich. Das Glühen in seiner Iris verschwand und ein grauer Schleier legte sich über sie, sodass das rote Flimmern den Glanz verlor.
Er löste sich von mir und wollte sich zurückziehen, doch ich legte meine Hand auf die Mulde, in welcher der Rücken in seinen Hintern überging, und atmete einmal tief durch. Es war nicht schwer. Eigentlich war es ganz einfach. Ich war diejenige, die es unnötig verkomplizierte. Ich mochte ihn. Ich wollte ihn. Was sollte passieren? Wen kümmerte es, was morgen geschah?






