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Blutdienst
Blutdienst
© 2021 Stefan Landfried
Lektorat, Satz und Gestaltung: Marek Firlej www.marekfirlej.de
Umschlagfoto: Yuri_B auf Pixabay
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Stefan Landfried
BLUTDIENST
Für die Live-Musik
Prolog
Die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich über einem bewaldeten Hügel. Mein kaltes Gesicht empfing sie, während ich am Nachtfeuer saß und in die schwach glimmende Glut des verlöschenden Lagerfeuers starrte. Die Wärme tat gut auf meiner Haut. Vor einem Kampf war mir jedes Licht willkommen, ehe ich mich in die Grausamkeit der Schlacht stürzte. Meine Gedanken begannen wieder zu wandern. Ich sah das Gesicht meiner Frau und das meines Sohnes an mir vorbeiziehen. Vor einem Monat hatte ich sie verlassen, um für den Ruhm eines anderen zu kämpfen.
Wie töricht ich war.
Kapitel 1
Sobald meine Arme kräftig genug waren, um eine Axt schwingen zu können, ließ ich mich auf einen aufstrebenden Jarl ein. Er war jung und breitschultrig. In seinem Blick loderte eine Flamme, die er bestens mit seinen Worten weitergeben konnte. Damals versammelte Thortryg, so sein Name, ein Heer von hunderten Männern, um gegen seinen Bruder Thjodrec in den Krieg zu ziehen. Ihr Vater war den Folgen einer Schlacht erlegen. Verletzt und schwach ging er in seinem Bett von dieser Welt. Ein trauriges Ende für einen großmütigen und gerechten Herrscher.
Seine beiden Söhne beanspruchten das Land, Halid genannt, nun für sich. Vor etwa neun Wintern war es ein kleines Herrschaftsgebiet. Es bestand aus dem Hafendorf Ferthdan, der Burg Halidborg, die majestätisch auf einem Hügel thronte, und einer weiteren Stadt namens Karpgat.
Am Rande dieser Stadt wuchs ich auf. Mein Vater war ein Bauer, konnte aber auch kämpfen. Früher hat er einem Jarl gedient und gegen die Horden der Rus gekämpft. Er wusste also um die Dringlichkeit für einen Mann ein Schwert führen zu können. Er lehrte es mich früh. Sehr schmerzlich lernte ich, was es heißt, ein Krieger zu sein. Ich war schon immer hitzköpfig, hatte aber im Vergleich zu meinen Altersgenossen einen scharfen Verstand und flinke Füße. Wenn mein Vater mit mir zum Markt ging, machten wir Jungen öfter einen Wettkampf daraus, wer die meisten Waren stehlen konnte, ohne entdeckt zu werden. Während die anderen oft erwischt wurden und die Strafen sich dann schmerzlich in ihren Gesichtern abzeichneten, gelang es mir öfter, die Händler davon zu überzeugen, mir manch kleine Ware umsonst zu geben. Mal war meine Schwester krank, obwohl ich keine hatte, mal umschwärmte ich die Verkäuferin so sehr, dass sie mir ein kleines Geschenk gab und mir liebevoll den Kopf tätschelte. Ich ging oft als Gewinner hervor. Der Neid der anderen Jungen führte auch mal zu kleineren Schlägereien, aber ich konnte mich stets behaupten, indem ich sie müde machte. Ich wich ihren Schlägen aus und tänzelte um sie herum, bis sie nur noch schwer atmen konnten. Dann war es ein Leichtes, sie zu besiegen.
Doch manchmal versteckte sich mein Verstand vor meinem Drang, mich zu beweisen. So habe ich bereits in meiner Kindheit viel Zeit damit verbracht, Jungen zu verprügeln, die größer waren als ich.
Mit ungefähr dreizehn Jahren schickte mich mein Vater von Zuhause fort, damit ich die Welt entdeckte und zu ihm zurückkehren könnte mit vielen abenteuerlichen Geschichten. Allerdings bestanden meine ersten Abenteuer darin, zu stehlen, zu arbeiten und mich zu prügeln, damit ich nicht verhungerte.
Ich kam bei der einen oder anderen leichten Dame unter, die mich in ihre Annehmlichkeiten einweihte. Dies fand ich allerdings nur zeitweise angenehm, da ich viel Geschwätz schon immer etwas lästig fand. Und bei Thors Arsch, wenn diese Weiber nicht gerade einem Freier dienten, konnten die reden, bis mir die Ohren bluteten. Nach einigen Tagen langweilten sie mich alle, sodass ich immer wieder weiterzog. So vergingen drei Winter.
An einem Frühlingsmorgen streifte ich durch das Hafen- und Handelsdorf Ferthdan. Auf dem Markt herrschte reges Treiben. Händler boten ihre Waren an und Sklaven standen zur Fleischbeschau bereit. Um die Frauen standen gierige Männer herum, sie feilschten mit den Händlern, während sie in ihren Gedanken bereits die Schenkel mit ihrem Speichel beflecken. Ihre verschwitzten Finger grabschten nach der Haut der Jungen und Mädchen, die angsterfüllt in Ketten vor ihnen standen. Mir waren diese ekelhaften Trottel immer zuwider. Sie verdeckten ihre eigene Schwäche mit groben Taten gegen Menschen, die sich nicht wehren konnten.
Beliebt auf dem Sklavenmarkt waren auch die jungen Burschen. Man konnte sie gut für jede Arbeit gebrauchen, für die sich diese fetten Säcke zu fein waren.
Ich bog vom Sklavenmarkt in eine weitere Marktstraße ab, in dem Fischer lauthals ihren frischen Fisch anpriesen. Damals mochte ich keinen Fisch. Er stank und ich hasste die Gräten, die sich zwischen den Zähnen verfingen. Doch man aß, was man bekam. »Dieser Fisch ist der frischeste Fisch, den Ihr jemals essen werdet«, schallte es von so ziemlich jedem Stand.
Es tummelten sich alle Arten von Menschen auf dem Markt und mir war es, dank der Stehl- und Marktplatzwettkämpfe mit den anderen Jungen, ein Leichtes, das ein oder andere Münzbeutelchen zu entwenden. So bekam ich genug Geld zusammen, um mir etwas Warmes zu essen zu kaufen und das ein oder andere Bier zu trinken.
Die Sonne erreichte bereits ihren höchsten Punkt und mein Beutezug war zu Ende. Gerade wollte ich an einem Stand nahe dem Marktplatz etwas geräucherten Fisch kaufen, als ich zu meiner Rechten eine Ansammlung von Männern bemerkte, die wie gebannt in eine Richtung schauten. Ich drängte mich zwischen sie und hörte bereits eine laute Stimme.
»… der sich mein Bruder nennt. Er hat sich noch nie um die Belange der Bauern und hart arbeitenden Menschen geschert. Möchtet ihr wirklich solch einen Jarl?«
Die Zuhörer um ihn herum brummten verächtlich und einzelne »Nein!«-Rufe waren zu hören. Ich drängte mich durch die Menge, um den Mann besser zu sehen, der da sprach. Ich schob mich an breiten Schultern vorbei und stand plötzlich genau vor ihm.
Er war viel größer als ich und die langen schwarzen Haare fielen auf seinen Rücken. Er hatte eine Stimme, die selbst einen Berg hätte zum Erbeben bringen können, und doch war er gerade mal ein bis zwei Jahre älter als ich. Er hatte einen wilden und entschlossen Ausdruck im Gesicht und gestikulierte viel mit seinen Fäusten. »Männer von Ferthdan! Gerade in diesem Moment holt mein Bruder sein Pack zu sich, um den Thron zu rauben. Er holt den schlimmsten Abschaum in sein Heer, der genauso gierig und arrogant ist wie er selbst. Das dürfen wir nicht zulassen. Ich fordere, dass das freie Volk frei bleibt. Das Vermächtnis meines Vaters muss bewahrt werden und nicht beschmutzt. Doch dafür müsst ihr euch mit mir erheben!«
Er sah mich mit seinen braunen Augen an. Dieser Blick ließ in mir ein Gefühl der Unbesiegbarkeit aufkommen. Seine Hände umfassten meine Schultern und sein Griff war fest. »Steht Ihr mir zur Seite?«
Jeder Muskel spannte sich in meinem Körper und aus tiefster Überzeugung schrie ich ihm meine Gefolgschaft entgegen. Die Männer um mich herum zeigten große Begeisterung für den jungen Jarl. Immerfort riefen sie seinen Namen. Von der Freude an Kampf und Abenteuer ließ ich mich mitreißen und rief ebenfalls seinen Namen. Meine Gefolgschaft war ihm sicher. Mit mir schlossen sich siebzig andere Männer an. In dem Glauben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zogen wir in den Krieg.
So kam ich das erste Mal in den Dienst von Thortryg, dem Wolf, wie man ihn auch bis heute noch so manches Mal nennt. Um in seine Haustruppe zu kommen, musste jeder Krieger eigenhändig einen Wolf erlegen und sich als Beweis für diese Tat dessen Fell über die Rüstung ziehen. Nur die härtesten und grausamsten Männer waren in der Wolfshorde. Sie bildeten eine Eliteeinheit, die im Notfall auch Kommandos unter den gewöhnlichen Kriegern verteilen konnten. Sie übernahmen Führung und spezielle Kriegsaufträge in Thortrygs Namen.
Ich gehörte nicht dazu. Ich hatte eine billige und kümmerliche Rüstung, einen Schild, der mit Eisen beschlagen war, und eine Handaxt. In einer Rüstungskammer bekam ich Beinschienen, die ich allerdings nur einmal trug. Während der Kampfübungen rieb ich mir die Knie auf und meine Bewegungsfreiheit wurde damit eingeschränkt. Ich hasste diese Dinger, also gab ich sie einem anderen Krieger, der keine bekommen hatte, da nicht genug für alle vorrätig waren. Dennoch war es für mich eine Ehre, in Thortrygs Heer kämpfen zu dürfen.
Wir zogen bereits mehrere Wochen durch das Land, um Thortrygs Bruder zu finden und zu stellen. Als gewöhnlicher Soldat erfuhr ich nicht viel über den Bruder. Man erzählte sich im Lager, dass er nach dem Tod ihres gemeinsamen Vaters versucht hat, Thortryg zu töten, während Thortryg ihm vorgeschlagen hatte, gemeinsam zu herrschen. Weiterhin versuchte er wohl, das ganze Land in den Krieg zu stürzen, nur um an weitere Besitztümer heranzukommen. Ich weiß von meinem Vater, dass der alte Jarl wohl alles dafür getan hatte, um sein Land zu beschützen und Handel zu treiben. Natürlich überfiel auch er andere Länder, aber er hatte wohl nie versucht, seine Grenzen auszuweiten. Thortryg mochte diesen Weg beibehalten und so versuchte er, seinen Bruder zu stoppen, bevor das Land vollkommen im Blut ertrank. Ich hielt das für ein ehrenwertes Ziel.
In dieser Jahreszeit waren die Nächte oft regnerisch und kalt. Um meine Hände wenigstens kurz aufzuwärmen, musste ich kurz vor dem Einschlafen meinen Schwanz festhalten. Das war das einzige Körperglied, das warm blieb. Danach konnte ich zwar meine Eier auf meinen kleinen Finger legen, aber immerhin war die Hand kurz warm. Jeden Morgen übten wir uns im Schildwall und im Zweikampf. Danach wurde gegessen, sofern man diesen Fraß als Essen bezeichnen konnte, und wir zogen weiter. Die Versorgung der Männer war wegen der mangelnden Nahrung, dem schlechten Wetter und fehlender Rüstteile wie Armschienen für die Bogenschützen eher schlecht. Versorgungswägen blieben stets im Schlamm stecken und verzögerten unseren Marsch häufig. Erst nach mühsamen Befreiungen ging der Marsch weiter. Die Rationen waren so eingeteilt, dass die Männer bereits an Gewicht verloren. Einige waren bereits sehr schwach auf den Beinen. Die Nahrungslieferungen blieben oft wegen des schlechten Wetters stecken. Manchmal brachten unsere Jäger gute Beute mit, die direkt mit Beifall und Jubel in Empfang genommen wurde.
Mir machte das alles wenig aus. Ich war es gewohnt, wenig zu haben und trotzdem stark zu sein. Allerdings wünschte ich mir manchmal eine Frau in mein Bett. Die ganze Zeit unter Männern, die sich gegenseitig herausforderten und ihre Stärke unter Beweis zu stellen mochten, war ebenso ermüdend wie ein Weibsbild, das die ganze Zeit schnattert wie eine Gans.
Im Lager war ich eher ein Einzelgänger. Ich freundete mich nur mit einem Mann an: Borg. Borg war so alt wie ich, dafür aber um einiges größer und stärker. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er nur aus einem einzigen großen Muskel bestand. Leider konnte ich nicht viel mit ihm sprechen, da er auch dumm war wie ein leerer Becher Bier. Erstaunlicherweise hatte er dafür ein großes Geschick. Oder Glück. Wir würfelten oft, und das Glück ist ja bekanntlich mit den Dummen.
An einem nebligen Morgen waren wir gerade dabei, uns etwas zu essen zu holen. Borg und ich mussten nicht weit laufen bis zur Feuerstelle, an der die Tage zuvor ein magerer Kerl gestanden und den widerlichen Haferbrei gerührt hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn dieses Stinkgesicht in den Brei gepisst hätte, um ihn zu strecken. Wobei, dann hätte es vielleicht besser geschmeckt. Auf dem Weg dorthin fiel mir auf, dass kein Vogel zu hören war. Das Essen wurde auch heute wieder von diesem Stinkgesicht zubereitet. Die anderen Köche nahmen die Rationen aus dem Lagerwagen und verteilten sich auf die Feuerstellen im Lager. Es gab insgesamt zwanzig größere Feuerstellen, sodass der Andrang der Krieger beim Essen nicht zu groß war. Man bemerkte in der letzten Zeit, dass unsere Horde gereizter wurde. Die Männer fuhren schneller aus der Haut, wenn ihnen etwas nicht passte. Schlägereien waren an der Tagesordnung und manchmal half es nur, wenn ein Krieger der Wolfshorde dazwischenging.
Meine Holzschüssel wurde mit nur einem Schöpflöffel gefüllt. Ich rümpfte meine Nase und ging mit hängendem Kopf zu meinem Platz zurück. Dort saß bereits Borg mit seinem Essen in der Hand. Er winkte mich zu sich und deutete auf den Platz ihm gegenüber. Zwei unserer Späher kamen durch den Nebel zurück ins Lager. Sie wirkten abgehetzt und eilten zu Thortryg. Ich dachte mir nichts weiter dabei, obwohl sich ein ungutes Gefühl in mir breitmachte. Es war nicht ungewöhnlich, dass Späher sich abhetzen. Eine Situation muss schnell übermittelt werden, bevor sie vorbei ist.
Langsam setzte ich mich zu Borg und hielt meine Schüssel an den Mund. Diesen verdammten Haferbrei konnte ich bald nicht mehr sehen. Also schlang ich das Zeug so schnell wie möglich herunter.
Ich schob mir gerade den Rest der Schüssel in den Mund, als ein Hornsignal mich blitzartig aufschnellen ließ. Die Schüssel flog im hohen Bogen auf Borgs Kopf und ich packte instinktiv meinen Schild.
»Schildwall!«, schrie Thortryg, der gerade aus seinem Zelt herausgestürmt kam. Er zeigte mit seinem Schwert in die Richtung, in die wir uns ausrichten sollten.
Genau in diesem Moment begann es in der Luft zu zischen und zu surren. Pfeile flogen auf unser Lager zu und sorgten für unsere ersten Toten. Wildes Gebrüll und ein reges Treiben herrschten. Bereits bei Thortrygs Befehl waren die meisten Männer auf den Beinen, doch man merkt einer Armee immer an, wie erfahren die Männer sind. Wir waren es bis dahin noch nicht. Die Wolfshorde verteilte sich im Lager und trieb all jene an, die sich, in Panik verfallen, verstecken wollten. Laute Schreie gellten durchs Lager. Die Befehlshaber brüllten Befehle, andere brüllten vor Schmerz, als sich Pfeile in sie gruben. Ich blickte zu Borg, der nun neben mir stand, wie ich mit erhobenem Schild. Ein Pfeil krachte mit lautem Klang in meine geschützte Front, woraufhin wir uns in Bewegung setzten. In mir brodelten die Gefühle. Auf dem Weg zum Schildwall konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Meine Beine schienen von allein zu rennen.
Die erste und die zweite Reihe des Schildwalls standen schon bereit und wir hasteten darauf zu. Ein Pfeil schwirrte direkt an meinem Kopf vorbei und hinter mir hörte ich einen Aufschrei. Ich hatte keine Zeit, mich umzudrehen. Mein Körper befahl mir, weiterzurennen, um den Schildwall nicht in Gefahr zu bringen und um mich selbst zu schützen. Im Wall übersteht ein Mann den Pfeilhagel besser als auf freiem Feld.
Borg und ich schlossen in die vierte Reihe auf und hoben unsere Schilde über den Kopf unserer Vordermänner. Ein Mann trat hinter mich und deckte mit seinem Schild meinen Kopf. So funktioniert der Schildwall. Jeder ist für den anderen da, um ihn zu schützen. Gibt es nur eine Schwachstelle, ist das Gemetzel grauenvoll.
Immer noch hörte ich überall Schreie und Gebrüll. Pfeile donnerten auf unsere Schilde. Ich drehte meinen Kopf und sah, dass weitere fünf Reihen sich dem Schildwall angeschlossen hatten.
Auf einmal war alles ruhig. Meine Ohren rauschten vom Blut, das in meinem Körper pulsierte. Das Stöhnen der Verwundeten war zu vernehmen und das schwere Atmen der Männer um mich herum. Es war die Ruhe vor dem Sturm.
In der Luft lag der eiserne Geruch des Blutes. Dieser Duft bekam plötzlich einen stinkenden Zusatz. Ich blickte an meinem Vordermann herab und sah, dass er sich eingeschissen hatte. Niemand spottete darüber, denn es ging vielen so. Jeder einzelne von uns hatte Angst. Wir mussten nur die Angst in Wut umwandeln. Ich hatte meinen Arsch unter Kontrolle, allerdings stieg die Angst in mir nach oben, sodass ich nicht mehr an mich halten konnte, und meinem Vordermann über die Schultern spie.
Borg konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und sagte: »Der Arme stirbt mit Scheiße und Kotze auf seinem Körper. Da hast du ja das ganz große Los gezogen.«
Gelächter machte sich breit unter den Kriegern und selbst mein Vordermann musste etwas lachen.
Wir verstummten jäh, als wir plötzlich ein Donnern hörten, gefolgt von Schritten. Der Nebel war so dicht, dass Borg und ich höchstens einen Speerwurf weit sehen konnten. Das Donnern wurde lauter und lauter. Der Feind schlug auf seine Schilde und Unruhe machte sich unter unseren Männern breit. Ein Name drang immer und immer wieder aus dem Nebel hervor, gerufen von Thjodrecs Männern, die bereit waren für den Kampf: »Thjodrec! Thjodrec!«
Aus dem Nebel wurden Umrisse von Männern mit ihren Schilden sichtbar. Der Schildwall von Thjodrecs Männern stand nun direkt vor unserem. Sie blieben stehen und verstummten.
Da war sie wieder. Diese Ruhe. Nervosität staute sich in mir auf. Ich hatte den Drang, loszustürmen und zu kämpfen. Andererseits spürte ich große Furcht, sodass ein Rückzug auch in Frage käme. Dieses Hin und Her drohte meinen Geist zu zerreißen. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt und obwohl ich mich nicht bewegte, rann der Schweiß von meiner Stirn und von meinem Rücken. Einige Männer wankten unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ob es wohl unseren Feinden auch so erging? Ich war erleichtert, als Thortryg die Ruhe mit seiner Stimme durchbrach.
»Kämpfe gegen mich, Bruder! Dann werden deine Männer verschont. Heute muss nur einer von uns sterben. Dies ist deine letzte Gelegenheit.«
Ein spöttisches Lachen war vom anderen Wall aus zu hören. »Ich soll dieses Bauerngesindel ziehen lassen, nachdem ich dich ausgeweidet habe? Das glaube ich nicht. Ich bringe Halid Reichtum und Macht. Doch zuerst müssen du und deine Brut hier sterben.«
Langsam zog Thjodrec sein Schwert aus der Scheide. Meine Augen weiteten sich und mein Atem wurde schneller.
Mit erhobenem Schwert brüllte er uns entgegen: »Tötet sie alle!«
Mit diesen Worten bewegte sich der Schildwall des Feindes langsam auf unseren zu. Männer gingen im Gleichschritt. Auch wir klopften auf unsere Schilde und schritten der feindlichen Formation langsam entgegen. Der Schildwall ist kein Sturmangriff. Die Männer bewegten sich im Gleichschritt vorwärts und sobald die zwei Wälle gegeneinander trafen, fing das Gedrücke und Geschiebe an.
Jeder Schritt, den es nach vorne ging, war ein Gewinn. Die Wälle versuchten sich gegenseitig zu zermalmen. Schilde hämmerten an Schilde. Klingen suchten ihre Ziele. Immer wieder versuchte eine Axt, mir den Schild zu entreißen, doch ich hielt ihn fest. Ein ohrenbetäubender Lärm ringsum sorgte dafür, dass ich nicht mehr wusste, wo auf dieser Welt ich eigentlich war. Es wirkte alles so unecht. Ich sah Fratzen hinter den Schilden hervorkommen. Manche waren verzerrt vor Anstrengung, andere vor Schmerz. Immer wieder spritzte mir Blut auf die Rüstung oder ins Gesicht. Manchmal sah ich eine abgetrennte Hand über die Köpfe der anderen hinweg fliegen. Der Boden wurde immer weicher von dem Blut, das in Strömen zwischen meinen Füßen floss.
Ich dachte nicht nach. Ich beschützte nur meinen Vordermann, der wie wild hackte und zustach. Immer wieder bewegten wir uns ein paar Schritte zurück und dann wieder vor.
Wenn wir nach vorne kamen, stiegen wir über Leichen hinweg. Ihre angstvollen und erschrockenen Gesichter, sofern sie noch eins besaßen, zeigten die Schrecken des Krieges sehr deutlich. Ich musste aufpassen, dass ich nicht auf Eingeweiden ausrutschte, wenn ich mich bewegte. Borg kämpfte ebenfalls erbittert. Sein Vordermann war gefallen und er rückte bereits in die zweite Reihe vor. Von dort aus sah ich ihn hacken und schneiden. Er brachte vielen Männern den Tod.
Hinter mir hörte ich Rufe laut werden: »Aus dem Weg! Achtung!«
Auf diesen Befehl hin öffneten wir den Wall einen Spalt weit und ich sah, dass hinter mir einige Männer eine Art Rammbock zwischen sich trugen. Sie stürmten an mir vorbei und brüllten, als sie auf die Schilde der Feinde trafen. So brachen sie durch den Wall und die Männer, die hinter dem Rammbock warteten, stürmten in die Bresche. Das gab uns Kraft, den Kampf noch erbitterter fortzusetzen.
Auch mein vollgekotzter Vordermann stürmte los, um durch die Bresche zu kommen, und ich folgte ihm. Doch er kam nur wenige Schritte weit. An der feindlichen Linie, wo vereinzelt Soldaten, die vorher vom Rammbock überrannt wurden, wieder versuchten, auf die Beine zu kommen, traf ihn ein Schwert von der Seite am Hals. Röchelnd ging er zu Boden. Borg hatte Recht gehabt. Der Mann starb vollgekotzt und eingeschissen auf dem Schlachtfeld.
Ich hackte direkt nach der Schwerthand, die meinen Vordermann niedergestreckt hatte, und zerteilte Fleisch und Knochen. Der Mann, dem die Hand gehörte, ging unter Schmerzensschreien zu Boden und wand sich in Blut und Gedärm.
Ich stürmte weiter und versuchte, jeden Schlag von links mit meinem Schild abzuwehren, während ich mit der rechten Hand blind in die Menge schlug, die an mir vorbeizog. Ich glaubte, es sei sinnvoll, einfach so schnell wie möglich hinter die feindlichen Linien zu kommen, um von dort zu kämpfen
Weiter und mehr verzweifelt als wissentlich stürmte ich an den Männern vorbei. Als der Widerstand geringer wurde, hörte ich auf und spähte über meinen Schild. Ich stand auf einer Fläche, die mir etwas Platz bot, hinter dem feindlichen Schildwall. Der schlammige Untergrund, aufgeweicht durch Feuchtigkeit und Bewegung, machte es mir nicht leicht, mich zu bewegen.
Ich drehte mich wieder dem Getümmel zu und sah, wie ein großgewachsener Mann mit sehr breiten Schultern und prachtvoller Rüstung aus dem Gemenge auf mich zukam. Er war bereits älter und erfahren im Kampf. Das sah ich an der Rüstung und an seiner Art, sich zu bewegen. Er stürmte nicht einfach los, sondern behielt bedächtig seine Umgebung im Auge und schätzte mich ab.
Da schwang er sein Schwert von oben, dem ich auswich. Aus der Drehung heraus hämmerte ich meine Axt in Richtung seines Halses. Er war schnell genug, um zu reagieren. Sein Schild schnellte nach oben und meine Axt prallte am eisernen Schildbuckel ab. Die Wucht ließ mich zurückfallen und nun kam der Krieger mit weit geöffneten Augen und einem Wutschrei auf mich zu. Mit all seiner Kraft versuchte er, mir den Schädel zu spalten, doch nun war ich schnell genug, um meinen Schild schützend vor mich zu halten. Die Kraft des Kriegers war beeindruckend. Nach diesem Schlag hörte ich das eisenbeschlagene Holz knacken und mein Arm wurde taub von dem Aufprall. Ich spähte über meine Deckung und sah gerade noch den Krieger ein weiteres Mal ausholen. Ich drehte mich zur Seite, sodass sein Schlag ins Leere ging. Hastig kam ich wieder auf die Beine. Dieser Krieger war sowohl stärker als auch schneller als ich. Kampfbereit stand er mir gegenüber.
Ich wagte einen Angriff. Mit erhobenem Schild ging ich auf ihn zu und schwang meine Axt von unten. Er wehrte den Schlag mit seinem Schild ab und stieß seinen Oberkörper gegen meinen. Ich kam ins Straucheln und fand mich ein weiteres Mal auf dem Boden wieder. Etwas Warmes lief meinen Hinterkopf hinunter. Der Krieger kam lächelnd auf mich zu. Die Welt um mich herum verschwamm vor meinen Augen und ich war nicht fähig, meinen Schild zu heben. Ich begrüßte den Tod bereits, während ich meinem Feind in die Augen sah.
Er hob sein Schwert, um mir den tödlichen Stoß zu verpassen, als ein Surren durch die Luft ging. Das Schwert meines Gegners fiel hinter ihm zu Boden und er sank auf die Knie. Blut lief über seine Brust und seine Hände umklammerten einen Holzstiel, der ihm im Hals steckte. Mit schreckhaftem Blick versuchte er, Luft zu holen, doch nur ein Röcheln war zu vernehmen. Er streckte eine Hand nach mir aus, bevor er zu Boden fiel und sein Leben aushauchte.
Ich war immer noch benommen von dem Schlag auf meinen Kopf. Ich kam auf die Knie und ließ meinen Blick über die Schlacht gleiten, während ich versuchte, wieder klar zu werden.