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Die Männer der Wolfshorde kämpften wie die Helden aus den Sagas. Jeder stand für den anderen ein, und auf einen toten Wolf folgten vier tote Feinde. Überall sah ich Körperteile abgetrennt werden und Männer sterben.
Mein Blick traf Thortryg, der sich gerade mit seinem Bruder einen erbitterten Zweikampf lieferte. Thortrygs Bein war verletzt und in seiner Schulter steckte ein Pfeil. Dennoch kämpfte er wie Tyr persönlich. Aber auch Thjodrec war ein bemerkenswerter Kämpfer. Er verstand viel vom Kampf. Thortryg schwang sein Schwert von oben herab, doch sein Bruder sah seinen Hieb kommen und parierte den Angriff, um dann seinerseits zu versuchen, ein paar Treffer zu landen. Thortryg hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine verletzte Schulter machte es ihm schwer, seinen Schild zu heben, während seine Beinwunde anscheinend dafür sorgte, dass ihm die Kraft ausging. Das Schwert seines Bruders schlug in kurzen Abständen auf seinen Schild ein. Eine geschickte Finte und ein darauffolgender Schwerthieb gegen den Arm ließen Thortryg schließlich zu Boden gehen.
Thjodrec stand triumphierend auf dem Schlachtfeld. Ich musste handeln. Ohne lange zu überlegen, rannte ich los und sprang über zwei ringende Männer, wich einem Schwerthieb seitlich aus und hackte diesem Angreifer meine Axt in die Kniekehle.
Ich sah, wie Thjodrec zum letzten Streich ausholte. Meine Hände machten alles wie von selbst. Ich warf im vollen Lauf die Axt in Thjodrecs Richtung. Sie traf ihn im Rücken und vor Schmerz wirbelte er herum und sah mich mit hasserfüllter Fratze auf ihn zukommen. Thjodrec bereitete sich vor, sein Schwert zu schwingen, als wollte er mir den Kopf abschlagen. Ich ließ meinen Schild fallen und wollte unter dem Schwert durchrutschen, doch Thjodrec erkannte meine Absicht und machte eine geschickte Drehung, sodass er sich mit mir bewegte. Mit seinem Schwert erwischte er mich und fügte mir von der Hüfte bis zu den Rippen eine klaffende Wunde zu.
Ich rollte mich auf dem Boden, damit ich etwas Abstand gewann. Unfähig wieder aufzustehen, musste ich zusehen, wie Thjodrec sich langsam auf mich zubewegte. In seinem Gesicht war ein höhnisches Grinsen zu erkennen.
»Eben auch nur ein Bauerntölpel. Fühl dich geehrt. Du stirbst durch einen Jarl.«
Er holte mit dem Schwert aus und ließ es herabschnellen. In letzter Sekunde griff ich nach einem Schild, der neben mir lag, und schob ihn über mein Gesicht, sodass sein Schwert ins Holz schnitt und den Schild durchbohrte. Ein stechender Schmerz machte sich in meinem Unterarm breit und Blut sickerte auf meine Brust.
Doch es geschah nichts weiter. Ich schob den Schild beiseite und sah Thjodrec vor mir knien. Hinter ihm stand Thortryg mit meiner Axt in der Hand. Er zog sie seinem Bruder aus dem Rücken, und dieser Schmerz hatte dafür gesorgt, dass Thjodrec seinen tödlichen Schlag gegen mich nicht hat ausführen konnte. Er schaute mich erschrocken an.
Thortryg lächelte zufrieden. »Das ist mein Land.«
Mit diesen Worten ließ er meine Axt auf den Kopf seines Bruders schnellen. Blut und Hirnmasse quollen heraus und der unrechtmäßige Jarl ging zu Boden.
So starb Thjodrec und Thortryg wurde Herrscher von Halid.
Einige von Thortrygs Männern, die gesehen haben, dass er seinen Bruder erschlagen hat, liefen los und riefen das Ende der Schlacht aus. Nach und nach ebbten die Kämpfe ab und Stille breitete sich auf dem Schlachtfeld aus. Viele Männer sanken erschöpft zu Boden. Thjodrecs Männer ließen ihre Waffen fallen, und jene, die es nicht taten, wurden erschlagen. Bevor es so leise wurde, dass wir selbst die Toten hätten sprechen hören können, durchbrach die Wolfshorde die Stille. Sie stimmten einen Siegesschrei an, dem sich bald auch die übrigen Männer anschlossen.
Der neue Jarl stand auf dem Schlachtfeld und erhob sein Schwert und seine Stimme.
»Männer von Halid! Erhebt euch, ihr Treuen! Ein jeder soll wissen, dass nun die Zeit der Wölfe gekommen ist. Wir waren den Asen treu und sie halfen uns, diese Schlacht zu überstehen. Erhebt euch, ihr Wölfe von Halid! Erfreut euch am Leben! Wir werden nach Karpgat, unserer Hauptstadt, zurückkehren und unseren Sieg begießen. Wir werden dieses Land aufblühen lassen. Ihr Wölfe, erhebt euch! Die Zeit der Wölfe ist gekommen!«
Sogar Männer, die vorher aus purer Erschöpfung hingefallen sind, standen auf und feierten ihren neuen Herrscher, der in einer ehrenvollen Schlacht seinen Bruder besiegt hat. Sie jubelten und umarmten einander, manche tanzten oder beteten auf den Knien mit einem Lächeln im Gesicht. Sie lachten und weinten. Nach einer solchen Schlacht ist jeder froh, der überlebt hat. Ich aber konnte mich nicht erheben. Der Schmerz war zu groß. Ich starrte in den Himmel und um mich herum wurde alles still. Ich nahm keine Stimmen mehr wahr, also genoss ich es, denn ich wusste, dass nach dieser Stille kein Gemetzel mehr auf mich wartete, sondern Becher voll Met und gutes Fleisch.
Thortryg setzte sich zu mir und unterbrach meine Träumerei. Ich blickte ihn von unten herauf an, doch er sagte nichts. Eine Weile war es still.
Schließlich brach Thortryg die Stille. »Wie ist dein Name?«
Durch die Wunde fiel mir das Sprechen schwer. »Sigvart Horaldson, Herr«, sagte ich schwach.
»Danke, Sigvart Horaldson. Ohne dich würde ich nicht mehr leben und mein Bruder würde herrschen. Du hast gekämpft wie einer der gefährlichsten Wölfe, die ich je gesehen habe. Du bekommst von mir einen neuen Namen und einen neuen Posten.«
»Das ist eine große Ehre, Herr.«
»Nur, weil du noch nicht weißt, was auf dich zukommt«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. »Ab heute trägst du den Namen Fenris in meinem Wolfsrudel. Der gefährlichste und bösartigste Wolf, den wir kennen. Dein neuer Posten wird an meiner Seite sein. Du beschützt mich – und ich beschütze dich.«
Sein Blick war nun fest auf meine Augen geheftet. Er war begierig, meine Reaktion zu erfahren. Ich dachte eine Weile nach und verlor mich in Gedanken. Es wäre ein gefährliches Leben. »Es ist mir eine Ehre, Herr. Darf ich allerdings eine Bitte äußern?«
Er nickte.
»Ich möchte in wenigen Wochen zu meiner Familie zurückkehren, um ihr zu berichten, was geschehen ist. Ich möchte meinem Vater sagen, was ich vollbracht habe, und dass ich von nun an Euch diene.«
Thortryg grinste und klopfte mir auf den Oberschenkel. Er stand auf und rief nach Männern, die mich ins Lager tragen sollten. Mein sechzehnter Winter zog nun langsam auf und ich war bereits jetzt bei meinem Jarl beliebt.
Die Jungen, die der Jarl geholt hat, um mich zu retten, trugen mich auf einer Trage über das Schlachtfeld. Lautes Stöhnen und die Schreie sterbender Krieger konnte ich hören. Die Jungen legten mich auf einem Wagen ab, der sich holpernd in Bewegung setzte. Neben mir befanden sich auf diesem Wagen sieben weitere Verletzte. Unter ihnen war ein junger Krieger, der sich mir unter Schmerzen als Kalf vorstellte. Mit ihm sollte ich später noch so manche Schlacht schlagen. Der Wagen hielt mehrere Male an der Straße an, um die Krieger abzuladen, die ihre Verletzungen nicht überlebten. Warum sie allerdings nur auf den Wegesrand geworfen wurden, weiß ich nicht zu beantworten. In diesem Moment wollte ich es auch nicht hinterfragen. Ich versuchte nur, so viel wie möglich zu schlafen, um das Gerüttel des Wagens zu ertragen.
Nach einiger Zeit sah ich, wie wir durch einen Torbogen fuhren. Das geschäftige Treiben um mich herum ließ mich vermuten, dass wir Karpgat erreicht hatten. Die Stimmen von Marktschreiern und den Menschen, die bei ihnen einkauften, wurden aber schnell übertönt von Schmerzensschreien, und ein Geruch von faulem Fleisch umwogte meine Nase.
Ich verbrachte lediglich einen Tag im Krankenlager in Karpgat. Der Wundarzt hielt es für keine gute Idee, dass ich gehen mochte. Doch ich widersetzte mich seinem Willen, indem ich ihn beiseiteschob und wütend anknurrte. Dieses Sterben und Schreien um mich herum hielt ich nicht aus. Meine Wunden verheilten sehr gut, ich konnte mich selbst versorgen. Wie ich in der Stadt umherlief, hielt ich Ausschau nach einem Wirtshaus. Ich hatte noch keinen Schluck Bier oder Met getrunken nach der Schlacht und es wurde Zeit, dies nachzuholen. Man hatte mir meinen Sold ans Krankenbett gebracht und nun wollte ich ihn verprassen. Ich erinnere mich auch an eine Feier, die Thortryg versprochen hatte. Hoffentlich fand sie noch nicht ohne mich statt.
In einer Gasse, nicht weit vom Krankenlager, fand ich tatsächlich ein Wirtshaus. Der Wirt war ein dicker Mann mit einem kräftigen Bart und einer sehr unfreundlichen Art. Er sah mich schlechtgelaunt an. »Was willst du?«
Ich bestellte einen Krug Met und setzte mich so weit wie möglich von diesem Kerl weg. Trinkgeld gab ich natürlich nicht.
Mein Platz war draußen an der Straße auf einem Holzschemel, von wo ich die Menschen, die vorbeigingen, beobachtete. Die meisten hier haben nichts von dem erlebt, was ich die letzten Wochen erlebt habe.
Die Schlacht zog noch immer an mir vorbei. Jedes Detail. Jede Einzelheit spielte sich noch einmal ab. Mein Vordermann, der sich eingeschissen hat. Sein Blut, dass mir ins Gesicht spritzte, als er fiel. Ich erinnerte mich an meinen Drang, wegzulaufen, aber auch an meinen Mut, einfach weiterzukämpfen. All die verzerrten Fratzen der Männer. Manche blickten mich voller Hass an, andere voller Schmerz und Erschrockenheit. Diese Gesichter waren nun deutlich vor mir. Die Schmerzen, die ich erleiden musste, schossen mir in den Kopf. Das Gefühl der Angst umschloss mich wieder und meine Wunde schmerzte. Ich erinnerte mich an die Männer, die meinen Wagen begleiteten und nach und nach die Verwundeten hinauswarfen, die nicht überlebt hatten. Wieder ergriff mich Angst. Was wäre, wenn ich tot am Straßenrand geendet wäre? Wieso taten diese Männer das? Hatten die Krieger kein anständiges Begräbnis verdient?
Diese Gedanken machten mich verrückt und so trank ich.
Ich bestellte einen weiteren Krug, und als ich auch diesen fast geleert hatte, stand plötzlich ein schlanker Mann vor mir. Er hatte mich wohl schon mehrfach angesprochen, doch ich hatte nicht reagiert. Mein Körper war bereits nach den zwei großen Krügen Met in einem leicht wankenden Zustand. Normalerweise bin ich trinkfester, doch ich glaubte, die Wunden hielten mich sogar im Trinken schwach. Ich blickte an dem Mann hoch und musste etwas grinsen wegen seines Gesichts. Es sah aus wie das einer Ratte ohne Schnurrhaare. Er bemerkte mein höhnisches Grinsen, ging allerdings nicht darauf ein.
»Seid Ihr Sigvart Fenris?«, fragte er mit unsicherem Ton.
»Wer will das wissen?«, lallte ich mehr grummelnd als laut.
»Ich bin Rolf, ein Gesandter von Jarl Thortryg. Ich soll Euch suchen und zu ihm bringen.«
Ich schielte ihn an und verstand nur langsam, was er wollte. Ich lächelte und klopfte ihm auf die Schulter.
»Na dann, Rolf Rattensohn, auf zu Jarl Thortryg.«
Ich stand auf und torkelte los. Ich wusste zwar nicht wohin, aber irgendwohin würde es schon gehen. Rolf holte tief Luft, als wollte er seinen Namen noch einmal richtigstellen, sah aber dann ein, dass es nutzlos war. Er lief neben mir her, leitete mir den Weg und achtete darauf, dass ich nicht allzu viele Menschen anrempelte. Er entschuldigte sich bei denjenigen, die ich streifte, und sah mich dabei jedes Mal vorwurfsvoll an.
Kurz vor der Halle des Jarls machte er abrupt neben einer Wassertonne Halt. »Tunk deinen Kopf in das Wasser, um klarer denken zu können. Der Jarl möchte mit dir reden und sich nicht mit dir betrinken.«
Ich ging einen Schritt auf ihn zu und blickte ihn ernst an. »Wie kommst du nur auf die Idee, mir sagen zu können, was ich machen soll?«, sprach ich langsam und mit tiefer Stimme.
Die Stille, die darauf folgte, bereitete Rolf etwas Unbehagen. Er war auch überrascht, dass diese Frage so klar aus meinem Mund kam, als hätte ich nichts getrunken.
Ich tätschelte etwas grob seine Wange und lachte. »Ich mache nur Spaß, Rolf Rattensohn! Du hast Recht. Ich sollte einen klareren Kopf behalten.«
Lachend steckte ich meinen Kopf in das kalte Wasser. Es fühlte sich so an, als würde mein Körper den ganzen Met auf einmal aussondern.
Als mein Kopf wieder aus der Tonne schnellte, sah mich Rolf nur mit runtergezogenen Mundwinkeln an. »Mein Name ist nicht Rolf Rattensohn«, sagte er.
»Nimm es nicht so schwer. Wenigstens nenne ich dich nicht Rolf Nervensägensohn. Und jetzt hör auf zu quatschen und bring mich zum Jarl.«
Rolf rollte mit den Augen und drehte sich um. Er ging mit schnellen Schritten voran. Vor einer großen Tür hieß er mich zu warten. Sie war kunstvoll geschnitzt und bestimmt noch einmal so hoch wie ich selbst. An den Seiten standen zwei Wachen, die starr nach vorne schauen. Die Halle für sich war außen eher einfach gehalten. Gut verarbeitetes Eichenholz in gepflegtem Zustand. Allerdings wurde auf prachtvolle Bilder im Holz verzichtet.
Als er hineinging, versuchte ich noch etwas klarer im Kopf zu werden, indem ich tief Luft holte und ebenso tief wieder ausatmete. Es schien zu funktionieren. Kurze Zeit später öffnete Rolf wieder die Tür und ich ging hinein. Die Halle des Jarls war einfach gehalten. Auch hier keine prachtvollen Bilder oder Schnitzereien an den Wänden, nur wie draußen gut gepflegtes Holz und Schilde an den Wänden. Auch Felle und bunte Tücher fanden ihren Platz an den Balken und dem Geländer im oberen Teil der Halle. In der Mitte des Saals befand sich eine Feuerstelle, die ringsum mit Decken und Fellen ausgelegt war. Ich ging an zwei langen Tischen vorbei, an denen Bänke standen, und dahinter saß Thortryg auf seinem Thron, der breit lächelnd aufstand, um mich zu begrüßen.
»Sigvart Fenris. Herzlich willkommen in meiner und in deiner Halle. Ich dachte eigentlich, dass ich dich noch nicht empfangen dürfe, da du noch verletzt bist. Aber ich hörte, du warst in einem Wirtshaus?«
Er umklammerte meinen rechten Unterarm mit seiner Hand. Wir blickten einander in die Augen. »Habe mich selbst entlassen. Ich fühlte mich unwohl so nah bei den Toten und bei denen, die es bald sein werden. Der Durst trieb mich ins Wirtshaus.«
Thortryg lachte und zeigte auf einen Stuhl etwas unterhalb seines Throns »Setz dich, bitte.«
Ich tat, was er sagte. Thortryg setzte sich wieder auf seinen Thron. Er ließ mir Bier einschenken von einer Sklavin, die ich noch nicht bemerkt hatte. Sie hatte in einer dunklen Ecke neben dem Thron gestanden. Nachdem sie mir eingeschenkt hatte, verschwand sie auch wieder im Dunkeln.
Thortryg beugte sich zu mir hinüber. »Heute Abend wird ein Fest gefeiert. Du wirst offiziell zu meiner Leibwache benannt und du wirst mir den Treueschwur leisten.«
»Ja, Herr.«
»Nun, ich habe dir oben in der Halle ein Bett bereiten lassen. Du siehst noch etwas müde aus, Sigvart. Geh und ruh dich aus. Ich brauche dich heute Abend fit und in Trinklaune.«
Ich stand auf und neigte kurz meinen Kopf vor Thortryg. Ich war mir unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Verneigen? Die Hand schütteln? Einerseits war er nun mein Jarl, andererseits wäre er das nicht, wenn ich ihn nicht gerettet hätte. Uns verband ein Band, das nur schwer zu durchtrennen war. Ich war mir sicher, dass er mir schon noch sagen wird, welche Verhaltensform er gerne hätte. Dann ging ich zu den hölzernen Stufen, die mich in mein Lager führten. Es war ein Bett aus Fellen, sehr gemütlich. Kaum lag ich darauf, schlief ich auch schon ein.
Ein Fußtritt weckte mich. Ich schreckte hoch und wollte auf den Eindringling einschlagen, als ich Borgs Gesicht erkannte. Er grinste mich an und auch ich musste lachen. Ich freute mich sehr, dass er überlebt hat. Nach der Schlacht habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er war wohl vor mir in die Stadt gekommen, da unser Wagen oft anhalten musste, um die Leichen loszuwerden. Ich verstand immer noch nicht, wieso das nötig gewesen war.
»Wie hast du es geschafft, mit deinem hohlen Schädel zu überleben?«, wollte ich wissen.
Er lachte und griff meine Schultern. »Ich erzähl es dir bei einigen Krügen Bier.«
Zusammen gingen wir die Stufen hinunter und besorgten uns von den Sklavinnen jeweils einen großen Krug Bier. Dann setzten wir uns auf eine Bank, zu anderen Kriegern, mit denen wir gekämpft hatten. Thortryg bemerkte trotz des Trubels in der Halle, dass ich unten in der Nähe war und prostete mir von seinem Thron aus zu. Ich erwiderte seine Geste. Die Feier hatte bereits begonnen, doch in meinem tiefen Schlaf hatte ich das nicht mitbekommen. Die Wolfshorde hatte ihren eigenen Tisch, ganz in der Nähe des Jarls. Der Jarl hatte meine Stellung noch nicht bekannt gegeben, also hatte ich dort noch nichts zu suchen.
Ich drehte mich zu Borg. »Also? Erzähl, was passiert ist.«
Borg nahm einen beherzten Schluck. Er setzte ab und rülpste. »Wir haben also den Schildwall aufgebrochen. Dann ging alles sehr schnell. Ich hackte und hackte und hackte hier und hackte da. Fünfzig Männer, sage ich dir, fünfzig Männer habe ich umgebracht!«
»Fünfzig? Borg, du kannst nicht mal bis fünf zählen. Woher willst du das wissen?«, lachte ich.
Borg verzog das Gesicht. »Es waren jedenfalls sehr viele. Ich erkämpfte mir genügend Platz, um mal durchatmen zu können.«
Er machte eine Pause, als ob er auch jetzt durchatmen müsste. »Ich und viele andere Krieger sahen dich auf Thjodrec losgehen und euren Kampf. Wie du Jarl Thortryg das Leben gerettet hast und wie der Jarl dann wieder deins gerettet hat. Alle waren beeindruckt. Die Männer sagten, dass ihr beide ausgesehen habt wie Götter, die füreinander einstehen, um die Riesen zu bezwingen.«
Mir blieb der Mund offenstehen. Nun musste ich einen beherzten Schluck Bier zu mir nehmen.
Borg führte seine Geschichte fort: »Du bist ein Held und ein Vorbild für viele Männer geworden, weil du so mutig warst. Du hast uns gezeigt, was es heißt, für seinen Herrn einzustehen. Ich erzählte vielen, dass ich bereits zu Beginn der Schlacht neben dir stand und dass du dort bereits gekämpft hast wie ein wahrer Wolf von Thortryg.«
Stolz lehnte er sich mit seinem Becher ein Stück zurück und streckte seine langen Beine unter dem Tisch aus.
Mir wollte beim besten Willen nicht einfallen, wieso das heldenhaft war. Es war wohl eher dumm von mir gewesen, mein Leben für das eines anderen aufs Spiel zu setzen. Ich ließ mich vom Krieg leiten, ja. Doch bereute ich es auch zum Teil. Dieser Kampf hat mir zwar Ansehen und Ruhm beschert, nach Borgs Geschichte wohl mehr als ich dachte. Aber er bescherte mir auch Schmerzen und Bilder in meinem Kopf, die mich wohl nie wieder loslassen werden.
»Borg. Dieser Kampf hat mich schwer gezeichnet. Ich fühle mich momentan nicht wie ein Held.« Ich fasste seine Schulter und schenkte mit der anderen Hand Bier nach. »Komm, mein Freund. Wir wollen trinken und uns amüsieren. Skål!«
» Skål!«, stimmte er mit ein.
Die Halle füllte sich nach und nach. Krieger, die in der Schlacht gedient hatten, kamen und betranken sich. Sie strotzten vor Kraft und manche waren begierig darauf, erneut in die Schlacht zu ziehen. Auch ein paar Huren waren anwesend. Hier und da verschwanden einige Männer in die dunklen Ecken der Halle, um sich mit ihnen zu vergnügen. Immer wieder hörte man einen Aufschrei. Thortryg unterhielt sich mit einigen wohlhabenden Händlern, die ihm wohl zu seiner Herrschaft beglückwünschten.
Nachdem die Händler gegangen waren, stand Thortryg auf und erhob seine kräftige Stimme.
»Bürger und Krieger von Karpgat, herzlich willkommen zu meinem Herrschaftsfest.«
Die Menge jubelte und klopfte auf die Tische.
»Es gibt heute allerdings noch einen Mann, den wir feiern sollten. Er hat in der Schlacht gegen meinen Bruder heldenhaft gekämpft. Wie ein wahrer Wolf!«
Wieder hallten Beifall und Gejohle bis auf die Straßen Karpgats.
»Ohne ihn wäre ich heute nicht hier. Ohne ihn würde mein Bruder hier herrschen.«
Kurze Stille trat ein.
»Meine Freunde, hier ist Sigvart Fenris! Komm zu mir!«
Unter lautem Beifall stieg ich von der Bank auf und machte mich auf den Weg zu Jarl Thortryg. Männer klopften mir auf die Schulter und mir war es schon unangenehm, zu Thortryg gehen zu müssen. Als ich ihn erreichte, grinste er unablässig und schloss mich in seine Arme.
Er packte mich bei den Schultern und donnerte: »Sigvart, ich bin froh und stolz, dich zu meiner persönlichen Leibwache ernennen zu dürfen. Schwörst du mir ewige Treue, auf dass wir dieses Land beschützen und für das Volk einstehen?«
Ich schaute ihm fest in die Augen. Sie hatten wieder dieses unlöschbare Feuer, das jeden Mann ermutigte, ihm zu folgen.
Ich ging auf die Knie. »Ich schwöre, mein Herr.«
Der Jubel in der Halle war nun vollkommen losgelöst. Thortryg wies einen Mann der Wolfshorde an, ein Päckchen zu bringen, das er mir übergab. Es war ein Wolfsmantel von einem rein schwarzen Wolf. Thortryg beugte sich zu mir und sprach: »Ein Wolfsfell, das deiner würdig ist, Fenris.«
Ich verbeugte mich und streifte das Wolfsfell über. Thortryg zeigte auf einen leeren Platz neben dem Thron. »Setz dich, Sigvart Fenris. Setz dich und feiere mit deinem Wolfsrudel.«
Erneut brach Beifall aus, als ich mich hinsetzte und einen Krug Met bekam. Thortryg hob eine Hand und gebot der Menge zu schweigen. Seine Stimme erhob sich laut über alle anderen.
»Meine Freunde. Heute wollen wir feiern. Deshalb erhebt euer Horn mit dem Göttertrunk und leert mit mir die erste Runde.«
Die Männer stimmten in den Spruch mit ein:
»Das Horn soll im Sonnenlauf kreisen.
Ein Jeder soll sprechen und trinken..
Skål! Skål!
Erhebt das Horn dem Jarl zu Ehren!
Skål! Skål!
Erhebt das Horn den Göttern zu Ehren!
Skål! Skål!
Trinkt aus eure Hörner!
Skål! Skål!
Unbesiegt werden wir sein.«
Mit diesen Worten Schloss Thortryg den Trinkspruch und nahm einen kräftigen Schluck. Die Männer in der Halle und auch ich taten es ihm gleich. Die Männer nahmen wieder ihre Gespräche auf und es herrschte ein reges Treiben in der Halle. Becher und Hörner wurden gefüllt und geleert und erneut gefüllt. Die Sklavinnen hatten ihre Mühe, den Männern nachzuschenken. Große, schwielige Hände griffen immer wieder unter ihre Kleider und an ihre Brüste. Eine solche Tat wurde stets mit großem Gelächter belohnt. Hier und da entflammte ein Streit und dann rangen Männer miteinander, bis einer aufgab oder sich ein Krieger der Wolfshorde dazwischen stellte.
Ich beobachtete Borg, wie er wieder mal versuchte, seine Kraft zu beweisen, indem er jedermann zum Armdrücken herausforderte. Thortryg kam auf mich zu und setzte sich neben mich. Er grinste so breit, dass es so aussah, als würden nur noch die Ohren seinen Mund davon abhalten, einen Kreis zu schlagen. »Sigvart, mein Freund. Dies ist eine Heldennacht. Für alle, die in der Schlacht gefallen sind, und für alle, die als Helden aus ihr hervortraten.«
Er hob sein Horn in meine Richtung und wir stießen an.
»Ja, Herr. Eine schöne Nacht und ein tolles Fest.« Ich rutschte etwas unruhig auf dem Stuhl hin und her. Ich war nervös, weil ich unbedingt etwas erfragen musste.
»Herr, mit Eurer Erlaubnis würde ich gerne morgen zu meiner Familie gehen, um ihr zu berichten, was geschehen ist. Sie sollen erfahren wer ich nun bin. Ich habe es damals meinem Vater versprochen und dieses Versprechen muss ich einhalten.«
Thortryg sah mich fragend an. Er runzelte die Stirn und überlegte wohl, was er sagen könnte. Sein nachdenklicher Blick verwandelte sich schließlich wieder in ein Grinsen und er trank einen Schluck.
Ich wurde bereits etwas ungeduldig, da er mir auf dem Schlachtfeld schon keine Antwort darauf gegeben hatte. Doch er drehte seinen Kopf in meine Richtung und sprach: »Du bist ein ehrenvoller Mann, und auch wenn ich dich nicht gerne ziehen lasse, sollst du deinen Wunsch erfüllt bekommen. Aber ich verlange etwas dafür.«
Meine Augen wurden groß. Was wollte er denn jetzt noch? »Was verlangt ihr, Herr?«, fragte ich unsicher.
»Sorg mit mir dafür, dass die Männer hier …« Er wies mit ausholender Geste in die Weite des Saals und sein Grinsen wurde noch breiter, »… diese Nacht nicht wieder vergessen.«