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Ich erhob meinen Becher auf sein Wohl und wir stürzten beide den Met unsere Kehlen hinab.
An viel kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass Borg nicht besiegt worden ist und Thortryg mich eindeutig unter den Tisch gesoffen hat. Als ich am nächsten Morgen erwachte, lagen zwei Frauen an meiner Seite. Auch wenn ich mich nicht mehr erinnerte, merkte ich doch, dass meine Leistengegend wohl hart gearbeitet hat in der Nacht. Sobald ich aufstand, brachte mir direkt eine Dienerin eine Wasserschüssel. Ich wusch mich und streifte mein Leinenhemd über die Schultern. Ich tat mir schwer bei meiner Hose, denn als ich mich bückte, spürte ich den Met in meinem Kopf herumwirbeln. Nachdem ich die Hose endlich bezwungen hatte, torkelte ich die Stufen hinab in die Halle.
Auf den Tischen und Bänken lagen schnarchende und furzende Männer, die es nicht mehr geschafft haben, die Halle zu verlassen. Auch Borg zählte zu ihnen. Ich nahm mir einen Becher dünnes Bier, um meinen Kopf wieder zu ordnen, und setzte mich zu ihm auf die Bank. Mein Blick wanderte in der Halle umher und ich entdeckte Thortryg schlafend auf seinem Thron. Es sah etwas unbequem aus, wie er da halb saß und halb lag, und ich vermutete, dass er wohl mit Rückenschmerzen aufwachen würde. In den am Abend dunklen Ecken zeigten sich nun die nackten Leiber der Männer und Frauen, die sich ihrer Lust ergeben hatten. Es bewegte sich kaum jemand in der Halle, und so trank ich meinen Becher aus und steckte mir noch ein Stück kaltes Fleisch in den Mund, ehe ich nach oben ging, um meine Sachen zu holen, bevor ich zu meiner Familie aufbrach.
Ich verließ gerade die Halle, als eine Stimme von hinten mich aufhielt.
»Wo willst du denn hin?«
Ich drehte mich um und sah Borg in der Tür stehen, noch leicht wankend.
»Ich darf für kurze Zeit zu meiner Familie gehen und ihr berichten, was geschehen ist.«
Borg taumelte auf mich zu und erhob seinen Finger dicht vor meinem Gesicht. Sein Atem roch nach Bier und Fleisch. In seinem Bart hingen noch Essensreste – oder Erbrochenes. Da war ich mir nicht ganz sicher.
»Und da willst du ohne mich hin? Was soll ich denn hier ohne dich?«
Ich legte ihm die Hand auf eine Schulter. »Wenn du willst, dann komm mit. Beeil dich. Der Marsch wird lang.«
Er grinste und drehte sich zur Tonne mit dem kalten Wasser um. Er steckte seinen Kopf hinein und als er ihn wieder herauszog, sah er direkt um einiges frischer aus.
»Ich gehe nur schnell meine Sachen holen. Wir treffen uns am Tor«, sagte er mit begeisterter Stimme. Ich nickte und ging weiter in Richtung Marktplatz. Dort war um diese Zeit noch nicht viel los. Einige der Händler, die ich dort sah, waren ebenfalls bei der Feier gewesen und sahen auch entsprechend mitgenommen aus. Mühsam bauten sie ihre Stände auf und verschnauften immer mal wieder, da ihr Kopf wohl noch nicht ganz auf ihren Schultern saß.
Ich ging am Marktplatz vorbei und weiter in Richtung Tor. An einer Seitenstraße hielt ich inne. Ich sah den dicken, unfreundlichen Wirt von gestern, wie er sich mit einer jungen Frau stritt. Während er sie anschrie und danach trachtete, sie zu schlagen, machte sie abwehrende Bewegungen und versuchte wimmernd, etwas zu erklären. Als ich ein paar Schritte näherkam, drehte der Wirt sich erschrocken um. Die junge Frau erschrak ebenfalls und ich konnte nun ihr Gesicht sehen.
Sie war wohl so alt wie ich und einen Kopf kleiner. Sie hatte braunes Haar, das zusammengebunden war. Ihr Kleid war an der Brust etwas aufgerissen und sie hatte einen roten Handabdruck auf der Wange. Ihre Hände hielt sie vor ihren Bauch, so, als ob er wehtäte.
Der Wirt höhnte: »Was willst du hier? Bist du ein edler Retter, der nun die Frauen von Karpgat schützt?« Er verschränkte seine Arme und sein Gesicht zeigte eine herausfordernde Miene.
Ich blickte von ihm wieder zu der jungen Frau und fragte sie: »Hat dieser Mann dir Gewalt angetan?«
Sie senkte ihren Blick und sagte nichts.
»Wie ich mit meiner Tochter verfahre, hat dich nicht zu interessieren«, schaltete der Wirt sich ein.
»Eure Tochter?« Ich glaubte nicht recht zu hören. Wie es aussah, schlug er seine Tochter und verlangte von ihr, sich zu entblößen. Wer weiß, was er noch mit ihr angestellt hat. Eine unsägliche Wut stieg in mir empor.
Ich baute mich nun direkt vor dem Wirt auf und funkelte ihn wütend an. »Ich werde für eine kurze Weile fort sein. Wenn ich wiederkomme, werde ich deine Tochter befragen und ich werde sie mir genau anschauen. Wenn ich eine neue Verletzung entdecke, werde ich deinen Körper über den gesamten Marktplatz verteilen.«
Diese Worte machten den dicken Wirt rasend vor Wut. »Wer glaubst du denn zu sein? Ich zerquetsche dich wie eine Schabe!«
Mit diesen Worten gab er mir einen Stoß und holte zu einem Schlag aus. Ich duckte mich darunter weg, griff seine Beine und schleuderte ihn zu Boden. Blitzschnell warf ich mich auf ihn und schlug ihm zweimal heftig ins Gesicht. Das genügte, ihn benommen zu machen, sodass ich mich gefahrlos zu ihm runterbeugen konnte.
»Mein Name ist Sigvart Fenris. Ich bin die Leibwache von Jarl Thortryg. Das solltet ihr im Gedächtnis behalten, fetter Mann«, sprach ich so drohend wie möglich.
Ich stellte mich wieder auf und ging zur Tochter des Wirts.
»Wie heißt du?«
Mit ängstlichem Blick schaute sie zu mir auf. »Wey… Weylef, Herr.«
»Ich bin nicht dein Herr. Mein Name ist Sigvart. Von heute an wird er dir nichts mehr tun, Weylef.«
Ich drehte mich, um und setzte meinen Weg fort. Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und wandte meinen Kopf zurück. Mit ernster Stimme sprach ich: »Und falls doch … hast du ja gehört, was ich mit ihm mache.«
Ich ging weiter und blickte nicht mehr nach hinten.
Am Tor wartete Borg bereits. »Wo hast du gesteckt?«, wollte er etwas ungeduldig wissen.
Ich grinste nur und ging an ihm vorbei. Zusammen traten wir den Weg zum Hof meiner Eltern an. Der Weg führte uns durch ein kleines Waldstück und an einem Bachlauf entlang.
Wir waren bereits über die Mittagssonne hinweg gewandert und bekamen Hunger. Borg nahm etwas Trockenfleisch aus seiner Tasche und ich holte ein Stück Käse und Brot, das ich mir in der Halle eingesteckt hatte, aus meiner Tasche. Wir saßen auf einem Ast direkt am Wasser und genossen die Stille und das einfache Plätschern des Bachs.
Borg sah mich fragend an. Bereits nach wenigen Augenblicken hielt ich es nicht mehr aus. »Warum starrst du mich so an, Borg?«
Borg schien wie aus einem Traum herausgerissen. »Ähm, ich würde gern wissen, was du deiner Familie erzählen wirst? Erzählst du nur die schönen Sachen wie, dass wir gewonnen haben und du glorreich gekämpft hast? Oder erzählst du auch von deinen Schmerzen, den endlosen Märschen und dem schlechten Essen? Wirst du die Männer erwähnen, die du getötet hast und die du sterben sehen hast?«
Das war eine sehr gute Frage, über die ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Manchmal war ich von Borg wirklich überrascht. Ich schaute in das Wasser und dachte eine Weile darüber nach, während ich mir ein weiteres Stück Käse in den Mund schob und es langsam kaute.
Ich schluckte den Käse hinunter und drehte mich zu Borg. »Ich weiß es noch nicht. Ich glaube, mein Vater weiß sehr wohl Bescheid über die Schrecken des Krieges.«
Borg nickte. Wir packten wieder alles zusammen und machten uns weiter auf den Weg.
»Ich finde den Krieg gar nicht so schrecklich«, sprach Borg nach einer Weile. »Wenn man nicht darüber nachdenkt, was man tut, ist es auch nicht schwer.«
Ich grinste matt. »Der Schrecken liegt auch nicht in der Schlacht, Borg. Manche Männer haben ein Problem damit, die Stille nach der Schlacht zu bekämpfen. Wenn dir noch mal alles durch den Kopf geht und du die einzelnen Gesichter noch einmal siehst. Dir Gedanken machst um das Was-wäre-wenn. Diese Sachen lassen einen Mann nicht mehr schlafen und berauben ihn seiner guten Gefühle.«
Borg ging schweigend neben mir her. Es kam mir so vor, als ob ich ihn denken hören könnte. Nach einer längeren Strecke des Schweigens drehte er seinen Kopf und sah auf mich herab. »Da hilft wohl nur ein starkes Bier und eine gute Frau«, sagte er in vollkommen ernstem Ton.
»Ja«, lachte ich. »Das sind wohl die einzigen Dinge, die immer helfen.«
Die Bäume wichen einem lichten Hügel. »Wir müssen noch den Hügel hinauf«, sagte ich. »Von da aus sehen wir dann schon den Hof.«
Der Hügel war nicht steil und auch nicht sonderlich hoch. Es war ein Leichtes, ihn zu besteigen. Oben angekommen sah ich das Haus meiner Kindheit. Ich war nie weit weg gewesen und doch kam es mir vor, als hätte ich eine Reise an den Rand der Welt unternommen.
Vor dem Haus spielten zwei Kinder. Ich erkannte von weitem, dass einer von ihnen mein jüngerer Bruder Sigbart war. Bei den Göttern, der kleine Sigbart war gewachsen! Es dürfte nun sein dreizehntes Jahr sein. Den anderen Jungen kannte ich nicht. Schätzungsweise war er gerade mal fünf Winter jung.
Borg und ich näherten uns dem Haus, das auf einem kleineren Hügel stand. Dahinter fing ein Hain an. Sigbart entdeckte uns und wusste wohl nicht recht, wer wir waren. Er rannte ins Haus, wohl um Mutter und Vater zu holen. Der andere Junge rannte Sigbart sofort hinterher. Ich hieß Borg zu warten und auch ich blieb mit ein bisschen Abstand zum Hof stehen. Vielleicht erkannten sie mich nicht und hielten mich für einen Angreifer.
Mein Vater Horald kam aus dem Haus, mit einem Schwert in der Hand. Er ging ein paar Schritte auf uns zu, ohne etwas zu sagen. Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.
»Vater!«, rief ich.
Horald ließ sein Schwert fallen und kam auf mich zu gelaufen. Auch ich ließ meine Tasche fallen und ging auf ihn zu.
Hinter meinem Vater sah ich Sigbart heranstürmen. Er hielt eine Axt in der Hand und wollte auf mich losstürmen. »Er ist ein Betrüger!«, rief er.
Er rannte an Vater vorbei und zielte mit der Axt auf meinen Kopf. Mein Vater konnte nicht mehr reagieren, also musste ich es tun. Ich wich zur Seite aus und versetzte Sigbart einen so harten Schlag an den Kopf, dass er zu Boden ging und die Axt aus der Hand verlor.
»Du Narr! Wäre ich ein Betrüger, dann wärst du jetzt tot!«, schrie ich ihm entgegen.
»Mein Sohn lebt«, sagte mein Vater unter Tränen und schloss mich in seine starken Arme.
Er betrachtete mich. In seinem Gesicht war eine Mischung aus Stolz und Unsicherheit zu erkennen. »Du bist kräftig geworden. Schau dich nur an.« Er musterte mich und nach einer kurzen Zeit ruhte sein Blick auf meinem. »Du bist ein Mann geworden. Ich sehe es an deinem Blick. Ja … dich hat eine Schlacht gezeichnet.«
Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen und ich nickte nur. Er umarmte mich erneut und hielt mich fest. Er wusste um die Qualen, die ein Krieg in der Seele eines Mannes auslöste. »Komm. Wir gehen ins Haus.« Horalds Blick erfasste nun auch Borg. »Wen hast du mitgebracht?«
»Das ist Borg. Ein Freund von mir und mein Schlachtenbruder.«
Nun schaute ich mich um. Ich sah Sigbart und das etwas kleinere Kind neben ihm stehen.
»Wo ist Mutter?«, wollte ich wissen.
Mein Vater ließ den Blick fallen, während er meine Schultern hielt. »Sie starb vor vier Jahren, bei Halefs Geburt.«
Mein Herz wurde schwer und auch ich nahm meinen Vater bei den Schultern. »Das tut mir leid, Vater. Du hast sie sehr geliebt. Sie hat dir noch einen Sohn geschenkt?«
Er richtete seinen Blick wieder auf. »Komm, wir gehen alle ins Haus. Lasst uns essen und trinken. Heute ist ein freudiger Tag.«
Er grinste und drehte sich um. Mit schnellen Schritten ging er ins Haus und im Vorbeigehen sagte er zu den zwei Jungs: »Begrüßt euren Bruder Sigvart. Er hat bestimmt viele Geschichten mitgebracht, die er uns heute beim Essen erzählen wird.«
Die beiden Burschen kamen auf mich zu. Sigbart, der mich erst nicht erkannt hatte, lief nun mit schnellen Schritten auf mich zu und umarmte mich. »Ich habe dich vermisst, Sigvart.«
Ich lachte und streichelte seinen Kopf. Er war groß und stark geworden. Damals war er ungefähr sechs. Auch er mochte Abenteuer erleben und vor allem Jungfrauen retten. Das wollte er schon immer.
»Ich habe dich auch vermisst, Sigbart. Sei so gut und hilf Borg mit den Sachen. Dann können wir schnell essen.« Er nickte und lief zu Borg, um meine Tasche zu holen, und bat Borg hinein.
Währenddessen ging ich auf den kleinen Halef zu und kniete mich vor ihm hin. »Hallo Halef. Ich bin Sigvart, dein ältester Bruder. Es freut mich, dich kennenzulernen.« Ich streckte ihm eine Hand hin. Etwas schüchtern nahm er sie in seine kleine Hand.
»Hallo«, piepste er.
Wir gingen ins Haus. Horald hatte bereits einen Kessel aufgesetzt, in dem Wildfleisch kochte. Es gab Eintopf. Den hat Vater immer gemacht, wenn er eine gute Jagd hatte oder es etwas zu feiern gab. An diesem Tag war wohl beides der Fall. Vater holte ein paar Flaschen selbstgebrauten Bieres und Mets hervor und Sigbart verteilte die Becher auf dem Tisch. Borg roch genüsslich am Topf. Er liebte Eintopf fast noch mehr als Braten.
Wenig später saßen wir alle am Tisch, aßen und tranken. Ich erzählte Vater von meinen Erlebnissen auf der Straße und im Krieg. Er machte große Augen, als ich ihm erzählte, dass ich nun der Leibwächter von Jarl Thortryg dem Wolf war. Erst wollte er es nicht glauben, also zeigte ich ihm den schwarzen Wolfsmantel. Sein Gesicht verriet mir Stolz und Besorgnis. Besorgnis darüber, dass er vielleicht seinen ältesten Sohn begraben müsste, bevor er selbst sterben würde. Meine Brüder hingen wie gebannt an meinen Lippen. Sie wollten jede Einzelheit wissen. Ich erzählte nicht viel von der Schlacht. Nur, wie ich Jarl Thortryg gerettet habe und Thjodrec mich verletzt hat.
Mein Vater sah mir allerdings an, dass diese Schlacht meinen Geist sehr schwer belastete. Um das Thema zu wechseln, fragte er mit einem schelmischen Grinsen: »Wie sieht es mit einer Frau aus?«
Ich musste schmunzeln. »Tatsächlich rettete ich erst heute früh eine junge Frau vor ihrem grausamen Vater. Aber das war es auch schon. Für mehr habe ich momentan keine Zeit. Borg und ich müssen bald wieder zurück sein, um Jarl Thortryg zu dienen.«
Es war nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich ging mir das Gesicht von Weylef nicht mehr aus dem Kopf. Zwar sprach ich mit Borg viel über den Krieg, doch die Augen der schönsten Frau ließen meinen Geist nicht in Ruhe. Sie überdeckten die schrecklichen Bilder des Krieges.
Mein Bruder Sigbart zeigte großes Interesse daran, den Jarl kennenzulernen. Vater verwies ihn allerdings auf nächstes Jahr. Es war ein schöner Abend mit vielen Gesprächen und ausgelassener Stimmung.
Halef schlief schon lange, als Borg in sein Lager ging, das lediglich eine Überdachung neben dem Haupthaus war, um ebenfalls zu schlafen. Sigbart, mein Vater und ich gingen noch kurz nach draußen, um den Abendhimmel zu genießen.
Während mein Vater zum Mond blickte, sprach er: »Ich bin froh, nicht mehr kämpfen zu müssen. In vier Schlachten habe ich gekämpft für Thortrygs Vater. Alle vier waren grausam. Nur mit viel Glück habe ich sie überlebt.«
Auch ich hatte nicht vor, ewig zu kämpfen. Ich wollte irgendwann auch einen Hof haben und die Ruhe des Lebens genießen. Aber ich sagte nichts dazu.
Ein Feuerschein durchdrang die Nacht am gegenüberliegenden Hügel. Mein Vater und mein Bruder sahen es ebenfalls. Es sah aus, als hielte jemand eine Fackel. Dann landete sie auf dem Boden und eine Gestalt fiel neben daneben.
Mein Vater war der erste auf dem Hügel und beugte sich bereits über die Gestalt. Ich ging an seine Seite und erkannte ihr Gesicht.
»Wer ist sie?«, fragte mein Vater.
»Das ist Weylef. Die Frau, die ich heute vor ihrem Vater beschützt habe«, antwortete ich vollkommen erstaunt über ihr plötzliches Auftauchen.
Da sie bewusstlos war, trugen mein Vater und ich sie ins Haus und legten sie auf mein Lager, direkt rechts neben der Feuerstelle.
»Lass sie ausruhen, mein Junge«, sprach mein Vater, während seine Hand auf meiner Schulter ruhte. Er spürte meine Unsicherheit. Was sollte ich nur tun? In diesem Moment war mein Vater mein Schiff. Er gab mir Sicherheit und so ließ ich sie schlafen.
Am Morgen schreckte sie aus ihrem tiefen Schlaf hoch. Verwirrt schaute sie sich um.
»Ganz ruhig, Weylef. Du bist in Sicherheit«, sagte ich zu ihr. Ihr Blick verriet mir Erleichterung. Offenbar war sie auf der Suche nach mir gewesen.
»Sigvart.« Ihre Stimme überschlug sich. »Mein Vater war schrecklich wütend, nachdem Ihr ihn in der Gosse habt liegen lassen«, sprach sie weiter. »Er schlug mich erneut und meinte, Ihr könntet es ja versuchen, ihn zu töten. Ich stieß ihn fort und rannte, so schnell ich konnte. Am Tor griff ich schnell nach einer Fackel an der Holzwand. Die Wachen riefen mir zwar nach, doch ich beachtete sie nicht. Einzig das Glück führte mich hierher. Auf dem Hügel war ich allerdings zu erschöpft …« Ihre Stimme war weiterhin ganz aufgeregt.
Ich legte sie wieder hin. »Schhh … Ist ja gut. Du hast mich gefunden und ich passe auf dich auf. Dein Vater wird ein späteres Problem sein. Ruhe dich aus und komm zu Kräften. Ich schaue später nochmal nach dir.«
Sie legte sich hin und fiel direkt wieder in den Schlaf. Vor dem Haus hörte ich wie mein Vater Holz hackte. Also stand ich auf und ging hinaus zu meinem Vater.
»Ein wirklich schönes Mädchen ist das«, sagte er mit einem Augenzwinkern.
Ich hatte für so etwas keine Zeit. »Vater, ich muss nach Karpgat und ein Versprechen einlösen. Der Vater des Mädchens hat ihr wieder Gewalt angetan. Ich habe versprochen, ihn zu töten, wenn er es noch mal tut.«
Mein Vater stand aufrecht vor mir. »Ich verstehe. Aber lass dich nicht hinreißen zum Zorn. Handle bedacht und lass niemals das Gefühl der Rache über deinen Geist siegen.«
Nachdem ich ihn noch einmal umarmt habe, nahm ich mein Wolfsfell, meine Tasche und meine Axt.
Borg kam von dem Platz, an dem wir einen Tag zuvor stehen geblieben waren, auf mich zu. Der Hüne stolperte noch über einen Erdhaufen, der im höheren Gras versteckt sich erhob, bevor er den Fuß des Hügels erreichte. »Was ist los?«
»Ich muss jemanden töten. Komm, ich erkläre dir alles auf dem Weg«, antwortete ich.
Borg nahm ohne weitere Worte sein Schwert und kam mit mir.
Am späten Nachmittag kamen wir in Karpgat an. Ohne Umwege suchte ich Jarl Thortryg auf. Dieser empfing mich direkt. »Sigvart? Ich dachte, du seist bei deiner Familie?«, fragte er.
»Ja, Herr. Ich möchte Euch um Erlaubnis bitten, den Wirt in der Nähe des Krankenlagers herauszufordern, der seine Tochter misshandelt hat und dem ich versprochen habe, ihn zu töten, falls er es nochmal tut. Seine Tochter ist nun bei meiner Familie in Sicherheit und nun möchte ich diesen fetten Wirt töten. Er soll sich allerdings wehren dürfen.«
Thortryg runzelte die Stirn. »Hast du vor, diese Frau zu ehelichen?«
Ich dachte darüber einen kleinen Moment nach. »Ja«, war meine Antwort.
Thortryg stand auf. »Du bist meine Leibwache und du hast mein Vertrauen, weil du mir das Leben gerettet hast. Ich danke dir, dass du vorher zu mir gekommen bist. Es geht hier in diesem Fall um Ehre. Du hast dich schützend vor eine Frau gestellt, die du, wie du sagst, auch ehelichen möchtest. Der Täter hat sein Wort gebrochen und sein Opfer weiter misshandelt, obwohl du ihm versprochen hast, ihn zu töten, wenn er es noch einmal tut. Dass du ihn herausfordern willst und ihn nicht einfach getötet hast, ist ehrenhaft von dir. So gibst du den Göttern die Möglichkeit, über Recht und Unrecht zu urteilen«, sagte er.
»Ich glaube aufrichtig, dass er unrecht handelt und den Willen der Götter verdient, indem er mit mir in den Zweikampf geht.«
Thortryg wartete einen Moment. Schließlich befahl er: »So sei es. Holt diesen Wirt und bereitet die Kampffläche vor!«
Zwei Männer schwärmten aus, um den Wirt zu holen. Andere Männer kündigten einen Zweikampf an. Das Volk erfuhr, dass die Götter über einen Streit urteilen würden, wenn die Sonne ihren Niedergang antrat, am Fuß der Halle. Ich holte meinen Schild und überprüfte die Schärfe meiner Axt. Dann setzte ich mich vor die Halle und wartete. Borg saß in dieser Zeit in der Halle und bekam von einer drallen Dienerin etwas zu essen gereicht. Ich wunderte mich, wie diese Frau so kräftig werden konnte, bekamen Dienerinnen doch weniger zu essen und bewegten sich die ganze Zeit. Borg klopfte ihr auf den Hintern, als sie sich von ihm abwandte. Er starrte ihr lüstern hinterher.
Der Kampfplatz vor der Halle war rasch gefüllt. Die ganze Stadt wollte einen Zweikampf auf Leben und Tod sehen. Der Wirt wurde in den Kampfring geschleudert. Er wehrte er sich vehement dagegen.
»Hallo, Wirt«, rief ich. »Erkennst du mich noch?«
Ungläubig trat der Wirt ein paar Schritte fort von mir.
»Ich habe dir gesagt, dass ich dich töten würde, wenn du deiner Tochter … meiner baldigen Frau etwas antust.«
»Baldige Frau?«, fragte er verständnislos.
»Nimm deinen Schild und dein Schwert. Dann kämpfen wir.«
Der Wirt bekam einen Schild und ein Schwert in die Hand gedrückt. Er war sprachlos und wusste nicht, wie ihm geschah.
Thortryg stand am Eingang seiner Halle und erhob das Wort: »Bürger von Karpgat. Heute werden die Götter über Gerechtigkeit entscheiden. Diese beiden Männer kämpfen auf Leben und Tod.«
Währenddessen war Rolf aus der Halle getreten und stellte sich neben den Jarl. Ich sah, wie Rolf versuchte gegen dieses Urteil zu protestieren. Ich wusste nicht, wieso. Was wollte er von dem Wirt?
Meine Gedanken verloren sich kurz, was dem dicken Wirt auffiel. Er stürmte auf mich los, ohne dass Jarl Thortryg das Kommando zum Kampf gegeben hatte. Das war ein Zeichen seiner Niedertracht, die ich nur allzu gerne bestrafte. Rechtzeitig duckte ich mich unter seinem Schwert weg, doch dann zeigte er eine erstaunliche Geschwindigkeit.
Ich spürte nur, wie sein Schild mich wegdrückte. Mit seiner reinen Körpermasse war er mir überlegen. Eine Drehung von mir gegen seinen Druck brachte ihn aus dem Gleichgewicht, sodass er fiel. Sein Schild donnerte auf den Boden und auch sein Schwert ließ er fallen. Reine Kraft ist dem Verstand eines Mannes nicht gewachsen. Ich trat sein Schwert weg, denn dieses fette Wiesel sollte nicht nach Walhalla gehen. Er versuchte, sich zu seinem Schild zu schieben. Doch ich trat auf seinen Arm und ließ meine Axt auf seine Hand schnellen. Genau unter den Fingergliedern durchtrennte ich das Fleisch und die Knochen. Sein Schmerzensschrei war markerschütternd.
Ich griff nach den Fingern, hielt sie hoch, so dass jeder sie sehen konnte, und rief: »Mit diesen Fingern schlug er auf meine zukünftige Frau ein. Schlimmer noch. Es war seine eigene Tochter. Er fasste sie mit diesen Fingern an, um seine eigene Lust zu steigern.«
Die Menge raunte und ich warf die Finger in verschiedene Richtungen davon.
Währenddessen rutschte der dicke Wirt auf dem Boden herum, um mehr Abstand zu mir zu gewinnen. Doch ich kam mit schnellen Schritten und einem entschlossenen Blick auf ihn zu. Ich trat ihm ins Gesicht, so dass er das Bewusstsein verlor. Dann hackte ich ihm noch die andere Hand ab und warf auch diese in die Menge.
Durch den Schmerz gewann der geschändete Mann wieder das Bewusstsein und brüllte. Ich drückte meine Stirn auf seine und flüsterte ihm zu: »Ich sagte doch, dass ich euch hier in der ganzen Stadt verteile.«
Mein Blick war fest auf seine Augen gerichtet, die nun erschrocken zu mir aufblickten. Der Wirt spürte, wie seine Bauchdecke von meiner Axt durchschnitten wurde und ich sein Inneres nach außen riss. So ließ ich ihn ausbluten, bis kein Zucken oder Röcheln mehr von ihm zu sehen oder zu hören war.
Blutverschmiert stand ich in der Menge. Einige der Anwesenden sahen mich schockiert an, andere blickten ungläubig auf den toten Wirt. Es war still. Nicht einmal Thortryg vermochte etwas zu sagen.
»Bürger von Karpgat«, rief ich, »die Götter haben sich entschieden, diesen Mann sterben zu lassen. Sein Schicksal dient als Warnung. Solange ich in der Stadt umherstreife, wird es jedem Mann so ergehen, der sich an seiner Tochter oder Frau so vergreift, wie es dieser fette Wirt getan hat. Er wird nicht nach Walhalla gehen, sondern ohne Hände nach Helheim wandern. Verzweifelt wird er versuchen, seine Eingeweide festzuhalten, um vor dem Seelenverschlinger wegzulaufen.«