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Wir? Damit konnte Nick eigentlich nur die Minister meinen.
Interessant. Wollten sie mir also tatsächlich etwas Gutes tun oder mir vorab schon einmal das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein?
»Und ich dachte, dass ich nicht euren Erwartungen entspreche.«
»Das ist auf keinen Fall so!«
»Dann wäre es schön«, gab ich leise zu bedenken, »wenn man mich aufgrund meines Charakters bewertet und nicht aufgrund meiner perfekt geschwungenen Augenbrauen.«
Überrascht erwiderte Nick meinen Blick und ich fragte mich, wie oft ich solche Diskussionen wohl noch würde führen müssen. Was das anging, waren sie alle gleich, egal ob Mensch oder Unsterblicher.
»Es ist okay«, beruhigte ich Nick lächelnd. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Obwohl wir uns in den letzten Wochen nähergekommen waren, waren wir uns in vielen Dingen noch immer fremd.
»Alina«, wandte ich mich an meine Freundin, »lass uns einen Beauty-Tag daraus machen. Was meinst du?«
»Klingt gut«, erwiderte sie erstaunlich gelassen. Es war merkwürdig, aber ich hatte fast den Eindruck, dass sie Nicks Unwohlsein zu genießen schien.
»Also gut. Wo sind denn jetzt diese tollen Spezialisten?«
»Unten im Spa.« Natürlich, ich hatte ja ein Spa. Und einen Pool, zwei, um genau zu sein.
Und so machten wir uns auf den Weg. Nick stakste voraus und Alina und ich folgten ihm flüsternd, während Lucan das Schlusslicht bildete und uns schweigend begleitete. Obwohl der Assassine keinen Mucks von sich gab, spürte ich, wie sich seine schwarzen Augen in meinen Hinterkopf bohrten. Was hatte dieser Mann bloß an sich, das mich so aus der Fassung brachte? Und damit meinte ich nicht die Tatsache, dass er der Anführer einer elitären Killertruppe war.
Nachdem die Männer uns im Spa abgeliefert hatten, entwickelte sich der Tag zu meiner großen Freude doch noch ziemlich gut. Keinen der sogenannten Spezialisten schien es aus der Ruhe zu bringen, dass wir zu zweit waren. Sie alle waren höflich, aber distanziert und behandelten sowohl mich als auch Alina mit Respekt.
Und nach knapp vier Stunden musste ich zugeben, dass ich mich nicht nur köstlich amüsiert hatte, sondern auch fantastisch aussah. Nicht nur meine Augenbrauen hatten jetzt den besagten perfekten Schwung, sondern ich fühlte mich ausgeruht, entspannt sogar, und meine Nägel glänzten in einem hübschen, zarten Rosa. Ich selbst hätte mich zwar für einen etwas kräftigeren Ton entschieden, aber Alina hatte sanft mit dem Kopf geschüttelt. Das Kleid für meine Initiation war weiß, die Farbe der Königsfamilie, meine Farbe. Außer mir war es nur Nick gestattet, ein sehr helles Grau, zu besonderen Anlässen auch mal Weiß, zu tragen. Allen anderen Engeln der Adelsfamilien sowie den Ministern standen je nach Rang diverse Grautöne zur Verfügung. Je höher der Rang, desto heller die Farbe. Malik würde als General meiner Königsgarde eine cremefarbene Uniform tragen. Also war rosa die Farbe der Stunde.
Zurück in meiner Suite war Alina dabei, mir in die, extra für mich in Arcadia angefertigte, Robe zu helfen, als die Nervosität mit voller Wucht zuschlug. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich betrachtete mich im Spiegel. Das weiße Kleid war aus einem schweren, seidenen Stoff und raschelte sanft bei jeder meiner Bewegungen. Es war exquisit, aber für meinen Geschmack ein wenig zu hochgeschlossen. Nicht zum ersten Mal fummelte ich an dem hohen Kragen herum und wünschte mir einen etwas luftigeren Ausschnitt. Alina hatte meine Haare zu einem hübschen Zopf im Nacken geflochten und mir dabei geholfen, ein zartes Make-Up aufzulegen. Die Krönung, im wahrsten Sinne des Wortes, war jedoch das diamantbesetzte Diadem, das meine Freundin soeben auf meinem Kopf platzierte. Das Schmuckstück war schwer und im ersten Moment sackte mein Kopf wegen des Gewichts ein wenig nach vorne. Als ich den Kopf hob und mich erneut im Spiegel betrachtete, erkannte ich die Form des Diadems als zwei ineinander verschlungene Flügel. Die Form meines Muttermales.
»Du sieht bezaubernd aus, Lilly.«
Dank unseres gemeinsamen Tages hatte Alina ihre Zurückhaltung mir gegenüber endgültig abgelegt. Insofern schuldete ich Nick meinen Dank. Für dieses Kleid jedoch würde ich mich nicht bedanken. Auch wenn ich nie zu den Mädchen gehört hatte, die selbstbewusst genug für Miniröcke oder Flatterkleider waren, so konnte ich mir durchaus etwas Schmeichelhafteres vorstellen als das brave, fließende Kleid, in das man mich hier gesteckt hatte. Aber gut, dies war ihre Welt und ich musste darauf vertrauen, dass Nick und Minister Meyer wussten, was sie taten.
»Findest du es nicht ein wenig … viel?«
»Es ist das, was in Arcadia von dir erwartet wird«, gab Alina kryptisch zurück.
»Hm.«
»Mach dir keine Sorgen, du siehst wundervoll aus, Lilly. Deine Haare und die Augen … sie lassen dich beinahe ätherisch erscheinen.«
Das machte die Sache nicht unbedingt besser, dachte ich, als Alina mir in ein Paar flache Pumps half.
»Bist du bereit?«, fragte sie mich lächelnd. War ich? Keine Ahnung. »Ja.«
»Dann los.«
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die große Halle und ich versuchte, mein wildschlagendes Herz unter Kontrolle zu halten. Dies war er also, der Tag, an dem man mich nicht nur den Ministern in Arcadia, sondern dem gesamten Volk Alliandoans präsentieren würde. Als Prinzessin und zukünftige Königin und, glaubte man den Erzählungen von Nick und Minister Meyer bezüglich der Balance, dann auch als Retterin. Als neue Hoffnung. Dieser Gedanke ließ mich stets erschaudern. Ich war niemandes Rettung oder gar Hoffnung und ich hatte mehr als nur ein wenig Bedenken, dass ich die Rolle, die man mir auferlegte, nicht erfüllen konnte. Was, wenn die Balance mich nicht erkannte? Was, wenn mein Volk mich auslachte? Am Fuße der Treppe erwartete man uns bereits. Nick, Minister Meyer und Malik sahen mir erwartungsvoll entgegen.
»Lilly, du siehst atemberaubend aus.«
»Danke.« Ich ergriff die ausgestreckte Hand meines Bruders und nickte dem Minister kurz zu. Malik erhielt ein strahlendes Lächeln, das er, wie auch bei unserer letzten Begegnung, zurückhaltend erwiderte. Von der ersten Sekunde an hatte ich den General meiner königlichen Garde gemocht. Malik Umgab eine Aura von Integrität und Loyalität. Von Nick wusste ich, dass er schon seit mehreren Jahrhunderten im Dienst unserer Familie stand. So langsam gewöhnte ich mich an den Gedanken, dass einige Anwesende hier älter als Oscar Wilde oder gar Shakespeare waren. Der Mann vor mir sah jedenfalls nicht älter aus als Mitte Dreißig. In seiner cremefarbenen, adretten Uniform mit Goldapplikationen an den Schultern und der Brust sowie dem massiven Schwert an der Hüfte, sah er kompetent und beinahe königlicher als ich aus.
Wie er damals mit Flügeln wohl ausgesehen hatte, fragte ich mich. Höchstwahrscheinlich noch beeindruckender, als er ohnehin schon aussah. Maliks Arme waren hinter dem Rücken verschränkt und seine Haltung gerade und stolz.
»Ihr seid eine Vision, Hoheit.« Da war ich mir nicht so sicher, dennoch nickte ich Malik dankbar zu. Für die hier anwesenden Unsterblichen schien mein Outfit tatsächlich perfekt zu sein. Also würde ich mich entspannen und dem Plan wie besprochen folgen. In den letzten zwei Tagen waren wir diesen Tag immer und immer wieder durchgegangen. Die Assassinen würden uns nach Arcadia begleiten, ein Portal wartete bereits auf uns. Vor Ort würden Maliks Männer uns auf der Terrasse des Palasts in Empfang nehmen und uns zum See der Balance führen, wo die Magiequelle dieser Welt angeblich bereits auf mich wartete.
»Wo sind die anderen?«
»Warten am Portal auf uns.«
»Ist es wirklich notwendig, dass diese Barbaren uns begleiten?«
»Diese Barbaren, wie Ihr sie nennt, sind zum Schutz der Prinzessin hier.« Malik schenkte dem Minister einen strengen Blick.
»Und wir sind uns wohl alle einig, dass der Schutz von Prinzessin Lillianna unser aller Priorität ist, nicht wahr?«
»Selbstredend, General. Selbstredend.«
Nick hatte mir gesteckt, dass auch Malik kein allzu großer Fan der Assassinen war, daher wusste ich seine Worte umso mehr zu schätzen. Nick blieb während dieser kleinen Auseinandersetzung auffällig still. Nicht zum ersten Mal hätte ich nicht nur Minister Meyer, sondern auch meinem Bruder zu gern meine Meinung gesagt, hielt mich jedoch zurück. Dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort. Und ganz sicher würde ich die Leute, die kurz davor waren, mich durch ein magisches Portal zu geleiten, nicht verärgern. Der Minister hatte mich zumindest gut auf diesen Tag vorbereitet und dafür musste ich ihm dankbar sein. Ohne seine Hilfe und Hartnäckigkeit hätte ich die Anderswelt und ihre Komplexität wohl nicht so rasch verstanden.
»Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte Alina neben mir und sah in ihrem hellblauen Leinenkleid so bezaubernd aus wie am ersten Tag unserer Begegnung. War es wirklich erst wenige Wochen her? Seit dem Tag, an dem Nick und ich im Trainingszentrum auf Lucan und seine Männer gestoßen waren, hatte ich die Assassinen kaum zu Gesicht bekommen. Die Männer blieben unter sich und Lucan machte einen großen Bogen um mich. Es hatte mich schon überrascht, ihn heute Morgen vor meiner Tür stehen zu sehen. Bei dem Gedanken den Assassinen-König in wenigen Minuten wiederzusehen, begann das Blut in meinen Adern ein wenig schneller zu rauschen und ich atmete tief durch. Lucan Vale war nur eins der vielen Geheimnisse und Mysterien, die ich in den nächsten Wochen zu lösen gedachte. Mehr nicht.
»Mehr nicht«, murmelte ich kaum hörbar.
»Eure Hoheit?«, der Minister wandte sich fragend an mich, während wir die große Halle durchquerten und durch die Küche nach draußen in die Gärten traten.
Ich winkte ab und konzentrierte mich auf die Aufgabe, die vor mir lag. Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel und es war ein angenehm warmer Tag. Wir spazierten zum angrenzenden Waldrand und ich erspähte Lucan und seine Männer in der Ferne. Drei seiner Männer würden uns begleiten: Duncan, King und Alex. Die Assassinen waren in für sie traditionelles Schwarz gekleidet und damit das genaue Gegenteil von mir und dem Rest unserer kleinen Gruppe. Als wir nähertraten, spürte ich, wie sich alle Augenpaare auf mich richteten und ich fragte mich, was die Männer sahen. Wie sie mich sahen. Lucan zumindest schien wie immer nicht sonderlich begeistert. Regungslos musterte er erst mein Kleid und dann das Diadem auf meinem Kopf.
»‘Nabend, Prinzessin.« Kings weiße Zähne blitzten auf und ich schenkte den Männern ein schnelles Lächeln.
»Verschwenden wir keine Zeit.« Begleitet von Lucan und seinen Männern sowie Malik und Nick, traten der Minister, Alina und ich vor. Meine erste Portalreise, aber wo zur Hölle war das Ding? Nick, der meine Verwirrung zu spüren schien, drehte sich zu uns um.
»Wir haben den Portalzauber, als wir dieses Haus kauften direkt aus Dhanikans herbringen lassen«, erklärte er mir. »Der Zauber ist stark und daher so gut wie unsichtbar. Normalerweise würdest du eine Art silbrige Energiequelle sehen können. Fast wie ein Spiegel. Dieses Portal jedoch ist fest installiert und steht uns damit rund um die Uhr zur Verfügung. Man braucht lediglich die magischen Worte zu sprechen und es öffnet sich.«
»Ist das nicht gefährlich?« Wenn wir da durchkamen, kamen vielleicht auch andere Wesen zu uns.
Nick schüttelte den Kopf. »Nein. Midas selbst, der höchste Zauberer Dhanikans‘, hat den Zauber angefertigt und ihn geschützt. Nur wir können das Portal benutzen und es führt lediglich nach Arcadia. Für andere Portalreisen brauchen wir Runensteine, so wie alle anderen auch.«
Okay, das klang einleuchtend.
»Warum hier draußen und nicht im Haus?«
»Weil die Energie hier draußen reiner ist. Magie lebt von Schwingungen, Energien, wenn du so willst und diese sind nirgends so präsent oder stark wie in der Natur. Wir sind mit unserem Umfeld auf elementarster Ebene verbunden, Lilly.«
»Die Sterblichen haben es verlernt, die Natur wertzuschätzen und sie zu nutzen«, mischte Lucan sich in unser Gespräch ein. Überrascht sah ich auf. Aber Lucans Aufmerksamkeit lag auf dem Portal, nicht auf mir. Fast durchsichtig schimmerte es leicht.
»Duncan, King und Alex, ihr zuerst«, befahl er seinen Männern.
»Alles klar, Boss.« Duncan schenkte mir ein schnelles Grinsen und erstaunt sah ich dabei zu, wie die Männer zwischen den Bäumen im Wald verschwanden. Der Minister und Nick folgten. Blieben nur noch Malik, Alina, Lucan und ich übrig.
»Bereit?«, fragte Lucan und es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass die Frage tatsächlich an mich gerichtet war.
Ob ich bereit war? Nein, absolut nicht. Mein Bruder und die anderen waren gerade durch ein unsichtbares Nichts verschwunden. All die Tage mit dem Minister, Nick und Alina, all die Gespräche und Unterrichtsstunden hatten mich nicht darauf vorbereitet, durch ein magisches Portal in eine andere Welt zu reisen. Und ehrlich gesagt, flippte ich innerlich gerade ein wenig aus. Hier stand ich nun in diesem scheußlichen Kleid, ein Diadem auf dem Kopf. Die verlorene Engelsprinzessin. Aber wer war ich wirklich?
»Ich, ah … ja.« Ein Schatten huschte über das Gesicht des Assassinen und ich spürte es schon wieder. Dieses merkwürdige Gefühl von … ich wusste nicht, was es war oder was genau ich fühlte. Verwirrung. Unerklärliche Wut. Körperliche Anziehung. Was es jedoch auch war, es gefiel mir nicht.
»Es ist okay, nervös zu sein.« Alina hakte sich vertraut bei mir ein und ich schenkte meiner Freundin ein dankbares Lächeln.
»Dein Leben wird sich für immer verändern, Prinzessin«, murmelte Lucan und ein düsterer Unterton schwang in seinen Worten mit. Ich war jedoch zu nervös, um mir auch noch darüber Gedanken machen zu können. »Aber das hier, diese Welt hinter dem Portal, das ist dein Zuhause.«
»Es wird alles gut, Lilly.« Und dann fügte sie leise hinzu: »Dir wird schlecht werden, das ist bei den ersten Malen immer so. Atme möglichst flach und halt die Luft an, wenn du durch das Portal gehst.«
Na wunderbar. Ich wurde also nicht nur von hunderten von Unsterblichen erwartet, die alle darauf brannten, ein Urteil über mich zu fällen, sondern mir würde dabei auch noch speiübel sein. Beste Voraussetzungen, dachte ich seufzend und folgte den anderen auf leicht zittrigen Beinen durch das unsichtbare Portal, wobei mich der Gedanke nicht losließ, dass ich dabei war, meine Welt und damit mein altes Leben endgültig hinter mir zu lassen.
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