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Inhaltsverzeichnis
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
EPILOG
DANKSAGUNG
Glossar
Vollständige e-Book Ausgabe
© 2021 ISEGRIM VERLAG
in der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt
Coverdesign: schockverliebt Design Studio
Coverillustrationen: © freepik.com & iStock.com
Reinzeichnung und Litho: Alexander Masuch - Print & Digital Media
Ilustrationen: ›Lilly u. Lucan‹ von Ekaterina Kurochkina
Ilustrationen: ›Alina, Nick u. Ducan‹ von @maria_lahaine
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
ISBN: 978-3-95452-833-2
www.isegrim-buecher.de
Melanie Lane (Ps.) ist 33 Jahre jung und lebt in der schönen Stadt Hamburg. Von Beruf Grafikdesignerin hat sie 2019 das Design Studio schockverliebt gegründet. Als bekennende Feministin lebt sie Themen wie Gleichberechtigung und Diversität. Durch ihre Liebe zu Fantasy und Romance ist Schreiben ihre absolute Leidenschaft geworden.
Für alle, die lesen, um mit offenen Augen zu träumen.
»Listen to me, girl,
you have castles inside your bones,
coronets in your heart,
if he threatens you with battle,
you raise him a whole war,
the last time I checked,
Queens cower before no man.«
Nikita Gill

KAPITEL 1
Du bist die Nächste.
Das Summen in meinen Ohren wurde von Minute zu Minute lauter. Jemand hatte Minister Meyer auf brutale Art und Weise ermordet und seine Leiche samt Botschaft in meinem Vorgarten abgeladen. Nachdem Malik die Nachricht für uns übersetzt hatte, hatte Lucan seinen Männern befohlen, mich »wegzubringen«, und Nick hatte mich, begleitet von Olli, Duncan und King, hinter sich her in den Palast gezogen. Widerstandslos war ich mitgegangen, wobei ich den Blick aus Lucans schwarzen Augen den gesamten Weg vom See bis hin zur Terrasse zwischen meinen stocksteifen Schulterblättern gespürt hatte. Wie in einem schlechten Film hatten die Wachen meiner Garde uns mit gezückten Schwertern umkreist, bis wir den Palast erreicht hatten und ich ihrer Meinung nach in Sicherheit war. Ein Wunder, dass keiner von ihnen mich zu Boden gerissen oder eine andere heroisch dämliche Tat vollbracht hatte. Aber ich konnte ihnen ihre Wachsamkeit nicht übelnehmen, immerhin war das ihr Job, und jemand hatte es geschafft, unbemerkt in Arcadia einzudringen und ein respektables Mitglied meines Hofes umzubringen.
Verfluchte Scheiße.
Und hier saß ich nun. Definitiv unter Schock, wusste ich aktuell nicht, was ich fühlen sollte.
»Noch mehr Kaffee?«
Sie hatten den Minister nicht einfach nur umgebracht, sie hatten den armen Kerl ausbluten lassen und ihn wie ein Stück Vieh an einem Baum aufgehängt. Direkt am See der Balance. Vor unserer Nase. Die hübschen, blühenden Bäume würde ich eine ganze Weile nicht mehr mit den gleichen Augen sehen können. Mein Hirn ersetzte ihren blumigen Duft schon jetzt durch den schweren, leicht metallischen Geruch von Blut, und die kleinen Blumen am Ufer, die ich während meiner Initiation und meines ersten Besuchs in dieser Welt bewundert hatte, waren nicht mehr schneeweiß, sondern scharlachrot.
»Lilly?«
Irritiert sah ich auf und direkt in Ollis warme, braune Augen.
»Hm?«
»Möchtest du mehr Kaffee?«
Ob ich Kaffee wollte? Keine Ahnung …
»Ich glaube, sie hatte genug, danke, Olli.« Nick fasste über den Tisch nach meiner Hand und aus den Augenwinkeln sah ich ihn einen Blick mit Duncan und King wechseln. Die Krieger saßen, die Waffen demonstrativ vor sich auf dem Tisch, mir gegenüber und behielten die Tür im Auge. Eine Tür, auf deren anderer Seite mindestens ein Dutzend Wachen Position bezogen hatten. Nick drückte meine Hand und wie durch einen Nebel, den ich nicht ganz abschütteln konnte, schaute ich zu ihm auf.
»Der Minister …«, begann Nick vorsichtig.
»Der Minister ist mir egal.«
Die Männer erstarrten und sahen mich an.
»Sein Tod ist tragisch, ja, aber Minister Meyer war kein Fan von mir und wir müssen nicht so tun, als wäre er nicht der erste gewesen, der mich am liebsten gegen dich ausgetauscht hätte, Nick. Aber«, ich entzog ihm meine Hand und faltete meine leicht zitternden Finger in meinem Schoß, »worum wir uns zu allererst kümmern sollten, ist das wie, nicht das warum.« Ich blickte von Nick zu Duncan. »Du hast vollkommen recht, es ist Irrsinn«, wiederholte ich jene Worte, die er Malik am See an den Kopf geworfen hatte. »Wie in Abbadons Namen konnten sie den Minister direkt vor unseren Augen umbringen? Direkt vor den Augen der Wachen? Wir haben Schutzzauber.« Meine Stimme wurde lauter. Schriller. »Und der ganze verdammte Palast ist voller Wachen und Assassinen. Wie konnte das passieren?« Meine Atmung hatte sich beschleunigt und inmitten meiner kleinen Rede hatte ich angefangen, leise zu keuchen.
Dies war nicht meine erste Leiche, immerhin war ich bereits mit den Assassinen auf einer Mission gewesen und hatte selbst einen Dämon ausgeschaltet, aber verdammt … jemanden in einem ehrlichen Zweikampf zu töten, war etwas ganz anderes, als ihn mit Hilfe eines uralten, illegalen Zaubers hinzurichten.
Du bist die Nächste.
»Lilly.« Duncan erhob sich und kam um den Tisch herum. Sanft legte er seine Arme von hinten um meine steifen Schultern und zog meinen Rücken an seine starke Brust. »Du musst ruhiger atmen, Liebling.«
»Ich weiß, ich … ich kann nicht.« Nick beobachtete mich, sichtlich überfordert, und auch King presste die Lippen zusammen und starrte grimmig geradeaus.
Was ich brauchte, war Lucan, so ungern ich das auch zugab. Lucan würde es schaffen, die nervöse Energie in mir zum Schweigen zu bringen. Und er würde es schaffen, die laut summende Magie in meinen Adern zu beruhigen und mich mit ein paar wohl überlegten Worten wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Er oder meine Freundinnen. Alina und Cora!
»Alina«, rief ich, plötzlich wirklich ängstlich. »Ihr müsst jemanden zu Alina und Cora schicken. Und Jace und Laura, sie …«
»Es sind bereits Wachen zu ihnen unterwegs«, beruhigte mich Olli, während er weiterhin auf und ab tigerte. Bei unserer Ankunft hatte er das komplette Personal aus der Küche gejagt. Seitdem machte er Kaffee, räumte Geschirr hin und her und versuchte irgendwie, sich zu beschäftigen. Wir alle gingen mit dieser neuen … Entwicklung auf unsere eigene Art und Weise um. Nick beobachtete mich und Duncan mit leicht glasigen Augen. Ich fragte mich, was mein Bruder jetzt wohl dachte. Immerhin wurde sein Weltbild schon wieder erschüttert. Wären meine eigenen Emotionen nicht so wirr gewesen, hätte ich durch unser Geschwisterband spüren können, was in diesem Moment in ihm vorging. Der Schmerz und auch die Angst in seinen Augen sagten mir jedoch genug. Von unserer kleinen Runde waren King und Duncan mit Abstand am ruhigsten. Die beiden Assassinen behielten nicht nur einen klaren Kopf, sie wirkten nahezu unbeeindruckt. Beherrscht und diszipliniert, das waren zwei Adjektive, die mir spontan durch den Kopf gingen. Wie oft hatten sie mit solchen oder ähnlichen Situationen schon zu tun gehabt? Duncan war noch jung, nicht einmal fünfzig, aber King? Der Krieger war nicht nur Lucans Stellvertreter, sondern auch seit mehr als dreihundert Jahren ein Teil der Sieben – der tödlichsten und fähigsten Assassinen der gesamten Gilde. Des Königs beste Krieger. Die Assassinen, der Legende nach einst erschaffen, um die Anderswelt zu beschützen und sie im Gleichgewicht zu halten, blieben normalerweise unter sich. Kein Wunder, dass Kjiel und die anderen der Sieben mich nicht ausstehen konnten. Die letzten beiden Tage waren der beste Beweis dafür, dass ihr Leben durch mich gehörig auf den Kopf gestellt wurde. Erst erfuhren sie, dass ich die vom Schicksal bestimmte Gefährtin ihres Königs war – eine Tatsache, mit der ich selbst noch zu kämpfen hatte – und jetzt hatten wir es nicht nur außerhalb der Palastmauern mit Unsterblichen zu tun, die mir an den Kragen wollten, sondern auch innerhalb eben dieser Mauern, die eigentlich unüberwindbar und absolut sicher sein sollten.
Eigentlich. Was für ein dehnbarer Begriff. Was für ein … schwammiges Wort. Eigentlich waren wir sicher. Eigentlich konnte man einen Unsterblichen nur durch Abschlagen seines Kopfes töten. Eigentlich wollte Lucan keine romantische Beziehung zu mir, aber irgendwie waren wir dennoch vom Schicksal miteinander verbunden, irgendwie waren unsere Feinde uns extrem nahegekommen und definitiv war der Minister jetzt tot. Ich lehnte mich schwer an Duncan und genoss die tröstende Wärme seines Körpers. Es brachte mich nicht weiter, so zu denken. Selbst in meinem eigenen Kopf schwamm ich auf einer Welle der Unsicherheit. Im Hause des Ministers, als ich Jace und Laura mit mir genommen hatte, hatte ich erkannt, was für eine Art Prinzessin, was für eine Art Regentin, ich sein wollte. Ich hatte meine Magie kontrolliert und mich stark und selbstbewusst gefühlt, und jetzt? Jetzt tanzten Wörter wie eigentlich und irgendwie in meinem Kopf und machten meine Unsicherheit erneut perfekt.
Als ich heute Morgen mit einem Kater der Größe von ganz Alliandoan aufgewacht war, hätte ich niemals damit gerechnet, dass dieser Tag innerhalb von nicht mal einer Stunde völlig den Bach runtergehen würde.
Stimmen hallten den Korridor vor der Palastküche entlang und ich erkannte die aufgebrachten Rufe meiner Freundinnen.
»Wo ist sie?« Das war Alina.
»Geht uns aus dem Weg, ihr hirnverbrannten Vollidioten.« Und das Cora. Offensichtlich hatten sie Probleme damit, an den Wachen vorbei, in die Küche zu gelangen.
»Olli«, wies Nick unseren Hausherrn an. »Hol sie rein, ja?« Seufzend lehnte mein Bruder sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bevor Cora für weitere Tragödien sorgt.«
Duncans Arme lösten sich von mir. Er wusste ganz genau, was jetzt kam, und war schlau genug, sich vorher in Sicherheit zu bringen. Olli öffnete die Tür und sofort stürmten meine Freundinnen an ihm vorbei. Duncan wurde unsanft aus dem Weg geschoben und ich atmete erleichtert auf, als Alina und Cora ihre Arme fest um mich schlangen. Letztere, so gut es ihr bereits enormer Babybauch zuließ.
»Heilige Balance, Lilly, als die Wachen vor unserer Tür standen…« Alinas Stimme zitterte leicht und ihre Arme umschlangen mich fester. »Ich hatte solche Angst um dich.«
»Wir beide.« Cora richtete sich auf und tätschelte mir die Schulter, während Alina noch immer halb in meinem Schoß lag.
»Ist jemand verletzt worden?«
Irritiert sah ich auf und direkt in Coras blitzende, grüne Augen.
»Nein. Aber jemand ist tot.«
»Jemand außer dem Minister«, korrigierte sie sich und schielte möglichst unauffällig zu Nick. Sie musste sich jedoch keine Sorgen machen, dass Nick ihr ihre fehlende Anteilnahme krumm nahm, denn es schien, als hätte er ihre Worte nicht einmal registriert. Die Augen meines Bruders lagen auf Alina, und zwar nur auf ihr. Eine Ader an seinem Hals begann sanft zu pochen und ich fragte mich, wie viel Anstrengung es ihn kostete, nicht aufzuspringen und Alina an sich zu reißen. Allerdings war ich noch nicht bereit, die Umarmung meiner Freundin aufzugeben. Alinas Körperwärme und ihre besonnene, starke Aura waren genau das, was ich jetzt brauchte. Sie beruhigte mich und nach ein paar weiteren Minuten löste ich mich von ihr und atmete tief durch. Mein Kopf nun wesentlich klarer als zuvor.
»Erzählt uns was passiert ist«, verlangte Cora zu wissen und meine Freundinnen setzten sich zu uns an den Tisch. Während Nick und Olli den beiden abwechselnd erzählten, was in der letzten Stunde, seitdem ich diese Küche betreten hatte, passiert war, lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und arbeitete daran, das noch immer zu schnelle Schlagen meines Herzens unter Kontrolle zu bekommen. Lucan, Malik und die anderen Wachen waren da draußen am See und kümmerten sich um die Leiche des Ministers.
Ich sollte bei ihnen sein.
Dies war mein Königreich und die Botschaft galt mir, also sollte ich bei ihnen sein. Theoretisch. Praktisch bewegte ich mich keinen Zentimeter.
Lucan?
Keine Antwort. Entweder er hörte mich nicht – ich wusste nicht, wie weit unsere schicksalhafte Leitung reichte – oder aber er zog es vor, mich zu ignorieren. Beides war möglich. Keins davon half mir weiter.
»Und das Blut …« Alina schluckte. »Hat sich bewegt?« Sie schüttelte sich. »Das ist ja widerlich.«
»Vor allem ist es verboten.« Ich sah genau in dem Moment auf, als sich alle Augen auf Cora richteten. Sie zuckte mit den Schultern. »Was denn? Ich mag die letzten Jahrzehnte in der Welt der Menschen gelebt haben, aber ich bin weder dumm noch naiv. Ich habe in meiner rebellischen Phase viel über die alte Welt vor dem Clash und ihre Magie, auch ihre verbotene Magie, in der Bibliothek meiner Eltern gelesen.« Sie beugte sich vor, um nach einem der Wassergläser zu greifen. Sofort war Olli da, um sie zu unterstützen, bevor sie mit ihrem dicken Bauch den ganzen Tisch verschob.
»Blut, das sich bewegt, um dann eine Botschaft zu senden? Insbesondere das Blut eines Toten? Definitiv alte Magie und ganz definitiv verboten.«
»Sowas Ähnliches hat Malik auch gesagt«, murmelte Duncan.
Cora nickte. »Malik ist, mit Ausnahme einiger Minister, vielleicht der älteste Engel in ganz Arcadia. Es wundert mich nicht, dass er die Botschaft lesen konnte.«
»Was ist mit dem Adel?«, fragte King und fixierte Cora.
»Das sind arrogante Sesselpupser. Die sind einfach nur alt und verstaubt. Aber Laurenti und die Minister wären definitiv im Stande, solch einen Zauber auszuführen. Ihre Magie ist nicht sonderlich stark, aber es gibt Mittel und Wege. Allein in Dhanikans kann man sich auf dem Schwarzmarkt alles Mögliche kaufen.«
»Das würde Midas nicht zulassen.«
Cora schaute zu Nick. Eine ihrer fein geschwungenen Augenbrauen wanderte in die Höhe. »Auch der oberste Zauberer von Dhanikans kann nicht überall gleichzeitig sein, Nick. Und wenn eins sicher ist, dann dass es immer irgendwo ein Schlupfloch gibt. Auch in unserer Welt.«
Ehrlich beeindruckt sah ich Cora dabei zu, wie sie ihr Glas Wasser leerte, das Olli sofort wieder auffüllte.
»Du weißt eine Menge über diese Dinge.«
Cora faltete die Hände vor ihrem Bauch und lehnte sich entspannt zurück. »Wenn man jahrzehntelang nichts anderes zu tun hat, als sich in der Bibliothek seines Elternhauses zu verstecken, lernt man so einiges …«
»Haben wir auch solch einen Schwarzmarkt?«
Nick wollte intervenieren, aber Cora kam ihm zuvor und beantwortete meine Frage. »Natürlich. Die Engel sind nicht besser als der Rest der Anderswelt oder der Rest aller Welten, wenn du so willst.« Nachdenklich sah sie auf ihren Bauch hinab. »Vielleicht sind wir auch die Schlimmsten von allen.«
Keiner widersprach ihr. Wie auch, wenn wir soeben Zeugen einer Gräueltat geworden waren, die mit Sicherheit Engel verübt hatten. An Ihresgleichen. Sogar Nick schwieg.
Gleichzeitig sahen King und Duncan auf und man musste kein Genie sein, um zu verstehen, wer sie soeben gerufen hatte.
»Die Luft ist rein«, erklärte uns Duncan und beide Assassinen griffen nach ihren Waffen.
»Der Boss ruft nach uns.«
Ich erhob mich ebenfalls. »Ich komme mit.«
Die beiden Krieger tauschten einen gequälten Blick. »Das halte ich für keine gute Idee.« King rieb sich mit der freien Hand den kräftigen Nacken, während er sein Katana halfterte. »Der Boss hat uns gerufen, Mädchen, nicht dich, und nach allem, was heute Morgen passiert ist, solltest du vielleicht lieber hierbleiben.«
»Ich stimme mit King überein.«
Genervt drehte ich mich zu Nick um. »Na, das ist ja mal eine Überraschung.«
Aber so leicht ließ ich mich nicht abwimmeln. Ich wollte Informationen und ich musste etwas tun. Irgendetwas, bevor meine Gedanken erneut in eine Abwärtsspirale gerieten. »Ich komme mit«, verkündete ich und warf einem nach dem anderen einen herausfordernden Blick zu. Allen, außer Alina und Cora. Meine Freundinnen nickten stumm. Zur Not würden sie mir helfen, die Männer, zumindest Olli und Nick, in Schach zu halten.
»Versucht gar nicht erst, mich abzuhalten.« Hoheitsvoll drängte ich mich an King und Duncan, die mir wenig unauffällig den Weg versperrten, vorbei. Ich hatte damit gerechnet, dass einer von ihnen – King, um genau zu sein – nach meinem Arm greifen würde, um mich aufzuhalten, aber sie ließen mich durch. Anstandslos.
Ein plötzliches Stechen in meinem Herzen erinnerte mich daran, warum dies so war. Ich war Lucans Gefährtin und damit die rechtmäßige Königin der Assassinen. Eigentlich.
Fast hätte ich mich umgedreht und King dazu aufgefordert, mich aufzuhalten. Ich wollte nicht, dass sie mich anders behandelten, aber ich befürchtete auch, dass ich es nicht vermeiden konnte. Erst einmal mussten wir alle den Schock dieser Neuigkeit verarbeiten. Und immerhin konnte ich mich darauf verlassen, dass Kjiel, Bowen, Víctor und Rio mich nach wie vor nicht ausstehen konnten. Daran würde auch meine Verbindung zu Lucan wahrscheinlich nichts ändern. Zumindest nicht in so kurzer Zeit. Ich konnte nur Vermutungen anstellen, warum der Rest der Sieben mir nicht sonderlich wohlgesonnen war. Ganz oben auf der Liste jedenfalls stand groß und fett das kleine Wörtchen: Chaos.
Ich öffnete die Tür, ignorierte die Proteste der Wachen und lief den Korridor hinab in Richtung Patio. Da weder King noch Duncan protestierten, musste ich instinktiv richtig gelaufen sein. Die Terrasse war zu offensichtlich, der Palast neuerdings zu … bewohnt, also erschien mir der luftige, aber geschützte Innenhof des Palasts wie geschaffen dafür, eine Leiche zu untersuchen.
Kaum hatte ich den Innenhof betreten, drehte sich Lucan aufgebracht zu mir um. Er, Malik und die anderen Wachen, die den Minister gefunden hatten, standen in einem Halbkreis um die leblose, am Boden liegende Gestalt herum und begutachteten die Leiche des Ministers kritisch.
»Was tust du hier?« Er starrte an mir vorbei zu seinen Männern und Lucans Augen verdunkelten sich gefährlich.
»Spar dir den Todesblick, Lucan, ich habe ihnen keine Wahl gelassen.«
Du solltest nicht hier sein. Das ist mein Palast.
Und irgendwie war es auch meine Leiche.
Die Botschaft …
Galt mir, Lucan.
Ich blieb neben ihm stehen und schaute hinab in das aschfahle, blutleere Gesicht des Ministers.
Ich habe ein Recht zu erfahren, was hier vor sich geht.
»Konntet ihr irgendetwas herausfinden?«, ignorierte ich Lucan und wandte mich an Malik. Mein General schüttelte den Kopf.
»Ein Bote ist auf dem Weg nach Dhanikans. Wir bitten Midas um Unterstützung durch seine höchsten Zauberer.«
»Runak, der oberste Heiler der Zitadelle, ist ebenfalls unterwegs, Eure Hoheit.«
Dankbar nickte ich Avil zu.
»Dann werden wir hoffentlich bald mehr wissen.«
Du bist die Nächste, hörte ich die Botschaft, obgleich sie geschrieben und nicht laut ausgesprochen worden war, immer und immer wieder in meinem Kopf.
Was hattest du vor, Laurenti? Je länger ich die Leiche des Ministers ansah, desto lauter wurde das Summen in meinen Ohren. Mit voller Wucht kam es zurück und ich wandte mich rasch ab, damit die Männer nichts von dem Sturm mitbekamen, der in meinem Innersten wütete. Natürlich konnte ich meine Gefühle vor einem nicht verbergen.
Wenn du hyperventilierst, bist du hier draußen niemandem von Nutzen. Wow. Und ich hatte angenommen, dass Lucan mich beruhigen würde. Das Gegenteil war der Fall.
Da liegt eine verdammte Leiche in meinem Innenhof. Sag mir nicht, was ich fühlen soll, Lucan.
Das habe ich nicht vor, Prinzessin. Aber wenn du deine Emotionen nicht in den Griff bekommst und deine Magie zügelst, behinderst du diese Untersuchung.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte mich wütend an.
Malik und die Wachen werden sich um dich kümmern und nicht darum, worum es hier wirklich geht.
Fluchend wollte ich mich abwenden, als Lucan nach meinem Arm griff. »Entschuldigt uns kurz.« Der Griff verstärkte sich. »Mitkommen, Prinzessin.«
Unter den wachsamen Blicken der anderen Männer zog Lucan mich hinter sich her in den Palast. Zunächst dachte ich, er würde die Bibliothek oder eines unserer Zimmer ansteuern, dann aber fand ich mich im gigantischen Thronsaal wieder. Nicht unbedingt der Raum, den ich mir selbst ausgesucht hätte, um meine blankliegenden Nerven zu beruhigen. Der glitzernde, ganz in weiß gehaltene Saal war prachtvoll, aber einschüchternd. Insbesondere die beiden massiven Steinthrone, die auf einem kleinen Podest am anderen Ende des Saals standen.
Lucan kam zum Stehen, und ich riss mich los.
»Was in Abbadons Namen soll das, Lucan? Ich habe jedes Recht …«
»Du magst jedes Recht haben, anwesend zu sein und dich an den Nachforschungen zu beteiligen«, unterbrach er mich ruhig, »aber nicht so. Nicht, wenn deine Gefühle Achterbahn fahren und du jeden Unsterblichen um dich herum mit deiner bloßen Anwesenheit nervös machst.«
»Ich mache niemanden nervös!«
»Meine Männer vielleicht nicht. Aber die Wachen deiner Garde? Oder Malik? Definitiv. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, Prinzessin, Malik ist kurz davor, durchzudrehen. Er hat Schuldgefühle und er versucht zu verstehen und herauszufinden, wie das alles hier passieren konnte. Das kann er nicht, wenn du neben ihm stehst und er die ganze Zeit Angst haben muss, dass dir etwas passiert.«






