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Es war ungewohnt, den stets ruhigen und kompetenten Malik so sehr in Rage zu erleben. Er klang beinahe hilflos und mir wurde das Herz schwer.
War das meine Schuld? Stand Maliks Position einer Beziehung mit Duncan im Weg? Betrübt senkte ich den Kopf und starrte auf den Boden. Ich war noch immer barfuß und meine rot lackierten Zehennägel boten einen großen Kontrast zu dem hellen, fast weißen Steinboden des Palasts.
Ich wollte mich gerade zurückziehen, als ich hörte:
»Ich weiß nicht, was ich will, okay? Aber … scheiße, keine Ahnung.« Jemand, wahrscheinlich Duncan, schlug mit der Hand gegen die Wand oder eine Tür. »Erst küsst du mich und dann sind da all diese verwirrenden Gefühle und gestern Nacht … ich finde wir sollten darüber reden, was zwischen uns ist.«
Im Geiste gab ich Duncan ein High Five, während ich mich gleichzeitig darüber ärgerte, dass er mir nicht erzählt hatte, dass Malik und er sich geküsst hatten. Natürlich hatte ich es vermutet, immerhin waren wir keine pubertierenden Teenager mehr, sondern erwachsen, und die beiden waren zwei attraktive, ledige Unsterbliche. Dennoch wusste Duncan so ziemlich alles über Lucan und mich und es wäre schön gewesen, auch etwas über seine Beziehung oder seine Probleme zu erfahren.
Malik seufzte und ich stellte mir vor, wie er mit den Augen rollte.
»Jemand hat einen der Minister ermordet, Duncan, und ihn mir verdammt nochmal direkt vor die Füße geworfen, ich habe keine Zeit hierfür!« Er wurde lauter und jetzt war ich es, die mit den Augen rollte. »Ich habe bereits genug Callahans verloren, ich werde nicht zulassen, dass Lilly oder Nick etwas passiert.« Malik fluchte. »Das hier ist eine beschissene Katastrophe! Wie soll ich Lilly beschützen, wenn sich unsere Feinde einfach unbemerkt an uns vorbeischleichen?«
Oh, Malik. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen. Niemand hatte an diesem Dilemma Schuld. Niemand, außer Laurenti.
»Nicht mal ihr könnt etwas finden oder diese nutzlosen Zauberer in ihren glitzernden Roben …«
»Malik.« Duncans zuvor aufgebrachte Stimme wurde leiser. »Ist schon okay …«
»Gar nichts ist okay, ich …« Ich hörte ein lautes Rascheln und dann ein recht eindeutiges Geräusch. Offenbar hatte Duncan einen Weg gefunden, Malik vor dem nahenden Zusammenbruch zu bewahren und ihn abzulenken. Nun war es definitiv an der Zeit, zu gehen. Ich hatte die Privatsphäre der beiden genug missachtet, jetzt wurde es intim und dieser Moment gehörte nur ihnen. So leise ich konnte, schlich ich den Korridor zurück. Ich hatte genau zwei Optionen. Option A: Ich lief über die Terrasse und den säulengespickten Außenbereich bis in den Patio und versuchte so in die Küche zu gelangen, oder aber – und das war Option B – ich gab es auf und zog mich in mein Zimmer zurück. Olli, Alina oder einer der anderen würde mich schon finden, und großen Hunger hatte ich sowieso keinen mehr. Der Streit meiner Freunde stimmte mich nachdenklich und ich erinnerte mich an Lucans Worte von heute Morgen. Ich musste daran denken, welche Auswirkungen mein Verhalten auf meine Freunde und mein Volk hatte. Vielleicht war es für alle am hilfreichsten, wenn ich für heute einfach in meinem Zimmer blieb, wo ich in Sicherheit war und absolut jeder mich finden konnte, wenn er oder sie es wollte.
Bis jetzt hatte ich mich mit meinen eigenen vier Wänden hier im Palast so gut wie gar nicht auseinandergesetzt, dabei war mein Zimmer wirklich hübsch. Ein bisschen viel weiß und gold, aber im Großen und Ganzen war es modern und ganz und gar nicht so altertümlich, wie ich erwartet hatte.
Als ich die Tür hinter mir schloss, bemerkte ich als erstes das magisch prasselnde Feuer im großen Steinkamin. Es verbreitete keine Wärme, spendete jedoch Licht und aktuell auch Trost. Mein Zimmer hatte keinen Balkon, keines der Zimmer der königlichen Familie verfügte über eine Terrasse oder einen Balkon. Nun begann ich zu verstehen, wieso. Das Risiko war zu groß und weit geöffnete Balkontüren an einem lauen Abend zu unsicher. Ob ich mich rausgeschlichen hätte, wäre ich hier im Palast aufgewachsen? Mit Sicherheit. Grinsend trat ich in den Raum und stellte mir vor, wie es wohl gewesen wäre, mit jemandem wie Malik als Beschützer aufzuwachsen. Oder mit einer Freundin, wie Alina, und einem Bruder, wie Nick. Wäre ich zu einer Marionette der Minister geworden? Eine Vorzeigeprinzessin oder hätte ich den gleichen Weg eingeschlagen wie jetzt?
Den schwereren Weg, wie Lucan es genannt hatte.
Ich mochte den Gedanken, dass ich dennoch für die Minderheiten dieser Welt, gegen Ungerechtigkeit und Männer wie Laurenti gekämpft hätte, aber ich hatte keine Ahnung. Annabells Einfluss auf die ersten vierundzwanzig Jahre meines Lebens war genau das, was mich nicht vor Laurenti zurückweichen ließ. Sie hatte mich zu einer starken Frau erzogen und ich wollte sie stolz machen. Ich erinnerte mich gut an den Tag, als ich die Uni geschmissen und im Café als Kellnerin angefangen hatte. Natürlich hatte Mom mich unterstützt, aber ich hatte die Enttäuschung in ihrem Blick gesehen. Sie hatte stets den Eindruck gemacht, als hätte sie mehr für mich gewollt und auch mehr von mir erwartet. Kopfschüttelnd ließ ich mich auf der Bettkante nieder und blickte auf das filigrane Armband an meinem Handgelenk. Wo kamen diese Gedanken jetzt auf einmal her?
Es klopfte an der Tür. Zaghaft zunächst, dann kräftiger.
»Ich bin‘s«, hörte ich Duncans gedämpfte Stimme durch das schwere Holz. »Kann ich reinkommen?« Ich sammelte den Rest meiner vorhandenen Kräfte und öffnete die Tür mit einem kleinen Handwedeln. Erneut ein netter Partytrick, mehr nicht.
»Das interpretiere ich dann mal als ja.« Lässig schlenderte der Assassine in mein Zimmer. Ein Blick auf mich und er blieb ruckartig stehen.
Schatten begannen für einen kurzen Moment um seine Gestalt zu züngeln und die Tür schloss sich mit einem dumpfen Geräusch.
Die Schatten verschwanden und Duncan musterte mich eingehend. »Wie viel hast du gehört?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ein wenig.«
»Ich wusste doch, dass ich etwas oder eher jemanden gespürt habe.« Er trat näher und lehnte sich an einen der kunstvoll geschnitzten Pfosten meines riesigen Himmelbetts. »Er kriegt sich schon wieder ein, Lilly. Der Tod des Ministers ist für uns alle ein Schock, aber Malik trifft es besonders hart.«
»Wieso hast du mir nicht erzählt, dass ihr euch geküsst habt? Und was ist gestern Abend passiert, nachdem Lucan und ich gegangen sind?«
Eine zarte Röte breitete sich auf Duncans Gesicht aus. »Äh. Du hast genug eigene Probleme, ich vermute, ich wollte dich nicht noch mehr belasten.«
»So ein Schwachsinn, Duncan! Wenn du nicht mit mir über eure Beziehung reden willst, okay, aber tisch mir keine Lügen auf.«
Er ließ den Kopf gegen den Bettpfosten fallen und schloss für einen Moment die Augen. »Ich habe dich nicht angelogen, Lilly, niemals. Aber Malik und ich, das ist … kompliziert. Und Lucan und du, das ist ebenfalls kompliziert … Vesteria, Thaumas, die Ratssitzung, ich bin einfach nicht dazu gekommen, okay?«
Duncan blinzelte. Ich kniff die Augen zusammen. Er blinzelte erneut und seufzte dann.
»Und vielleicht habe ich mich auch dazu entschlossen, es erst einmal für mich zu behalten und zu gucken, wie sich alles entwickelt.«
Damit konnte ich schon eher leben. »Habt ihr euch vertragen?«
»Keine Ahnung. Malik ist ein sehr komplexer Mann.«
»Er ist ja auch uralt!«
Das brachte Duncan zum Lachen und die angespannte Atmosphäre zwischen uns verflüchtigte sich. »Ich meine, er ist älter als Lucan.«
»Viel älter. Er ist über sechshundert Jahre älter als ich«, sagte Duncan und stieß sich vom Bettpfosten ab, um sich neben mich zu setzen. »Ich weiß, ich sollte das nicht so heiß finden, aber verdammt, ich finde es superheiß!«
Kichernd lehnte ich mich an Duncan und er schlang einen Arm um meine Schultern.
»Tut mir leid, dass ich es nicht erzählt habe.«
»Muss es nicht. Es ist deine Entscheidung und nur deine. Ich bin heute einfach etwas sensibel.«
»Hast du mit Lucan über gestern gesprochen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber …«
»Es gibt nichts zu bereden.«
»Wer redet jetzt Schwachsinn, hm?«
»Nick und ich berufen eine Ratssitzung ein. Morgen. Ich möchte, dass ihr dabei seid, in den Schatten«, erklärte ich und erläuterte Duncan meinen Plan.
»Falls Nick noch nicht bei Lucan war, erledige ich das, versprochen.«
»Kommst du danach wieder?«
»Na klar!« Duncan grinste. »Und ich bringe Alina und Cora direkt mit. Einen entspannten Abend unter Freunden können wir alle gut gebrauchen.«

KAPITEL 3
Am nächsten Morgen um Punkt Neun betrat ich, begleitet von Nick und Malik, das Ratsgebäude im Herzen von Arcadia. Die Assassinen lauerten bereits in den Schatten und die Minister erwarteten uns. Da mein ganzes Auftreten, inklusive meiner Kleidung, bewertet werden würde und ich direkt von Anfang an ein Statement setzten wollte, trug ich eine leger sitzende, weiße Seidenhose und eine wunderschöne goldfarbene Tunika mit Perlenknöpfen. Meine Haare fielen mir glatt den Rücken hinab und auf meinem Kopf thronte das übliche Flügeldiadem.
Obwohl die Kleider aus Arcadia stammten, fühlte ich mich überraschend wohl in ihnen. Sie waren luftig und schick und ich hatte nicht das Gefühl, in einem mörderisch hochgeschlossenen Kleid zu ersticken.
Eine ganze Armee an Wachen erwartete uns im Inneren des Gebäudes und Malik erwiderte meinen fragenden Blick mit stoischer Miene. Er würde nicht nachgeben, so viel stand fest. Auch wenn er genau wusste, wer um uns herum in den Schatten lauerte.
Nick warf mir einen fragenden Blick zu. »Bereit?«
Ich nickte und gemeinsam betraten wir, gefolgt von Malik, den Ratssaal. Meine zweite Ratssitzung. Wer hätte noch vor ein paar Tagen ahnen können, dass wir so schnell wieder zusammenfinden würden, und vor allem, warum.
Mit so viel Selbstbewusstsein und Würde wie möglich schwebte ich in den Saal. Anstatt mich jedoch zu den Ministern auf die Empore zu gesellen, blieb ich unten, auf der Redeplattform, wie ich sie nannte, stehen. Das Mosaik zu meinen Füßen war wunderschön. Es zeigte einen Krieger, ähnlich gekleidet wie Malik, mit gigantischen, weißen Flügeln, der, das Schwert hoch erhoben, in Richtung Himmel flog.
Die glorreichen Engel. An der gesamten vergangenen Woche war jedoch wenig glorreich gewesen.
»Eure Hoheit«, begrüßte Laurenti mich mit schmierigem Grinsen und gelben, fliegenden Haaren, als er die kleine Wendeltreppe herunter geeilt kam.
»Bemüht Euch nicht, Minister. Ich stehe genau dort, wo ich stehen will.«
»Aber …«
»Setzt Euch, Minister«, wies Malik Laurenti in scharfem Ton an. Sichtlich irritiert von unserem Auftreten, zog der Minister sich auf die Empore zurück. Nicht jedoch, ohne mich oder das Diadem auf meinem Kopf, noch einmal abfällig zu mustern. Es war das erste Mal, dass wir uns seit dem kleinen Zwischenfall in seinem Haus wiedersahen und der Hass in seinen Augen loderte energischer denn je.
Showtime.
Langsam hob ich den Blick und sah in die Gesichter jener Männer, die womöglich den Tod eines ihrer eigenen Mitglieder verursacht hatten. Den Ministern, die mir bei der ersten Ratssitzung freundlich entgegengetreten waren, nickte ich höflich zu, ehe ich mich auf Laurenti konzentrierte.
Lucan?
Links von dir, hörte ich seine tiefe Stimme in meinem Kopf. Direkt unter Laurenti. Duncan und King sind auf der Empore. Alex hinter dir. Bowen rechts von euch und Kjiel, Víctor und Rio sind vor dem Gebäude.
Sag Duncan und King, dass sie Laurenti im Auge behalten sollen, wies ich ihn stumm an.
Ich konnte Lucan nicht sehen, ich sah keinen der Assassinen, dennoch spürte ich, wie sein Bewusstsein sanft gegen meines strich. Er war hier und unsere Verbindung war stark. Was immer passieren mochte, die bloße Anwesenheit der Krieger gab mir zusätzliche Kraft.
Nick verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sah sich geduldig um. Er überließ mir die Führung, so, wie wir es besprochen hatten.
»Minister Meyer ist tot«, begann ich mit lauter, klarer Stimme.
»Er wurde ermordet … hingerichtet«, verbesserte ich mich und ließ die erste Bombe platzen. »Direkt am See der Balance. Vor unser aller Augen.«
Das erste Raunen ging durch die Menge und mein Blick glitt von Laurenti, der die Zähne zusammenbiss, bis sein Kiefer kurz vorm Zerbersten sein musste, zu den anderen Ministern, die während der letzten Ratssitzung wie brave Chihuahuas an Laurentis Rockzipfel gehangen hatten. Den Blick starr geradeaus gerichtet sahen sie nicht mich, sondern einen Punkt hinter meiner linken Schulter an.
»Hingerichtet, Eure Hoheit?« Einer der netten Minister wurde ein wenig blass um die aristokratische Nase. »Ihr meint doch sicherlich …gestorben?«
»Leider nein …« Aus den Augenwinkeln sah ich Nicks Lippen lautlos einen Namen formen »Minister Emres. Unser geschätzter Minister Meyer«, der Himmel möge sich auftun und mich strafen, »wurde hingerichtet. Mit einem uralten und seit Jahrhunderten illegalen Blutzauber.«
Und Raunen Nummer Zwei ging durch den Saal. Diesmal aber überraschte Laurenti mich, indem er aufstand und sich lässig an die Balustrade der Empore stützte.
»Das Verbrechen, das Ihr uns hier offenbart, Eure Hoheit, ist in der Tat ein Skandal.« Sein Tonfall machte deutlich: Wenn es denn stimmt.
»Malik?« Wie besprochen trat Malik vor und erläuterte den Ministern im Detail – in jedem grausamen, noch so kleinen Detail – was gestern Früh passiert war. Lediglich die Botschaft behielt er für sich.
Ich hatte mir von Anfang an gedacht, dass die Minister Nick oder Malik mehr Glauben schenken würden als mir, daher hatten wir uns vorab gemeinsam auf Malik geeinigt. Von unserer kleinen Gruppe war er mit Sicherheit das respektabelste Mitglied des königlichen Hofes, auch wenn ich es war, die das Diadem trug.
»Wie Ihr also seht, hat es unser Feind geschafft, sich unbemerkt Zutritt nach Arcadia zu verschaffen.«
»Das ist unmöglich!«, rief einer der Minister.
»Ist es das wirklich?« Mein Blick fand den von Laurenti und die boshaften Augen des Mannes funkelten beinahe vergnügt.
Er weiß, dass wir keine Beweise haben.
Der Mistkerl scheint das hier richtig zu genießen.
Aber ich wollte den Minister leiden sehen und ich wollte ihn aus der Fassung bringen, also traf ich eine impulsive Entscheidung und wich vom Plan ab.
»Wir vermuten, dass Minister Meyer hinter den Anschlägen am Tag meiner Initiation steckte.«
Nicks Kopf wirbelte herum.
»Lilly!«, zischte er leise, sichtlich überrascht.
Ein paar der Minister sprangen auf und tauschten aufgeregte Blicke miteinander. Chaos brach aus, aber ich blendete es aus und konzentrierte mich voll und ganz auf Laurenti. Wieso konnten wir keine Beweise finden? Und wieso verdammt nochmal reichte es nicht aus, dass er Laura und Jace gequält hatte? Aber nein, laut Nick, Malik und sogar Olli, brauchten wir handfeste Beweise für seine Gräueltaten oder noch besser, einen Verrat an Alliandoan – ihre Worte, nicht meine –, um den Minister auszuschalten. Leider gehörte die schlechte Behandlung von Unsterblichen nicht dazu. Schon gar nicht, wenn es sich um einen Mischling und einen Ghoul handelte. Es gab keinerlei Gesetze, die andere Unsterbliche in Alliandoan vor den Engeln schützten, auch etwas, was ich gedachte zu ändern, sobald ich Laurenti los war.
Mach weiter, Prinzessin. Duncan und King beobachten ein paar Minister gegenüber von Laurenti, die auf einmal ziemlich nervös aussehen.
»Wir haben von Anfang an nicht daran geglaubt, dass Dämonen hinter den Angriffen stecken und haben Nachforschungen angestellt. Und endlich ist uns ein Durchbruch gelungen.«
Der Saal verstummte und auch Laurenti erstarrte.
»Minister Meyers Hand wies zahlreiche Brandwunden auf. Ein paar der fähigsten Zauberer aus Dhanikans sowie Runak, der oberste Heiler Arcadias, untersuchen die Brandwunden just in diesem Moment.«
Eine dreiste Lüge, aber das würde außer uns und dem Mörder niemand wissen.
»Gibt es schon Ergebnisse?«
Ich verneinte die Frage. »Bis jetzt nicht, aber sowohl der Magister der Gelehrten als auch Midas selbst haben uns ihre Hilfe angeboten.«
Kluger Schachzug, Prinzessin.
Es konnte nicht schaden, ein wenig Macht zu demonstrieren, und den Ministern meine Allianzen klarzumachen. Auch wenn ich Midas noch nie getroffen hatte und nicht einmal wusste, ob der oberste Zauberer Dhanikans hinter mir stand. Aber ein Mädchen durfte ja hoffen.
»Ihr habt einflussreiche Freunde vorzuweisen, Eure Hoheit.« Laurenti musterte mich von Kopf bis Fuß und ich unterdrückte den Ekel, der bei seinem Blick in mir aufzusteigen begann. »In so kurzer Zeit.«
»Wisst Ihr, Minister, wenn man dasselbe Ziel hat, bilden sich neue Freundschaften recht schnell.«
Zwei der netten Minister beugten sich neugierig vor. »Von welchem Ziel sprecht Ihr, Hoheit?«
»Einer vereinten Anderswelt«, antwortete ich ehrlich und wandte mich von Laurenti ab. »Von offenen Grenzen und Portalreisen, fairen Handelsverträgen und einem Ende der Sklaverei.«
Laurenti war so dreist, zu lachen.
»Ich sagte es schon einmal und ich sage es erneut. Das sind die idealistischen Ziele eines jungen Mädchens. Ihr mögt ein Diadem tragen, aber Ihr seid noch lange keine …«
»Vorsicht, Minister«, ermahnte ich ihn leise. »Oder wollt Ihr den Zwischenfall in Eurem Haus wiederholen?«
Die anderen Männer blickten nervös von mir zu Laurenti. Einige von ihnen schienen zu wissen, wovon ich sprach, andere sahen völlig ratlos aus.
»Und wie wollt Ihr das anstellen, hm? Eine vereinte Anderswelt, ohne Sklaven …«
»Wir nehmen uns die Probleme Stück für Stück vor, angefangen mit dem heutigen Tag.« Ich sah mich im Saal um und vergewisserte mich, dass ich die volle Aufmerksamkeit genoss. »Ab heute wird Alliandoan keinen Handel mehr mit Crinaee betreiben. König Narcos wurde bereits informiert und alle Verträge fristlos gekündigt.«
»Ihr habt was?«
Jetzt hast du ihn, rede weiter und mach ihn so richtig wütend, Prinzessin.
Nichts lieber als das …
»Es wird keinen sirovine Handel mehr mit Narcos geben, Minister Laurenti. Außerdem werden wir Crinaee nicht mehr mit Getreide beliefern oder ihnen bei Verhandlungen mit Fenodeere beratend zur Seite stehen.«
Das Gesicht des Ministers lief puterrot an. »Wie könnt Ihr es wagen? Das waren wichtige Verträge! Alliandoan ist auf Crinaee angewiesen …«
»Das sind wir nicht«, unterbrach Nick ihn gelassen. »Ebenso wenig ist Crinaee auf uns angewiesen. Bevor wir weiteren Handel betreiben, werden wir uns die Konditionen genauestens anschauen und uns überlegen, ob wir wahrhaftig mit einem Tyrann Handel betreiben wollen.«
»Zudem werden wir keinerlei Sklaven aus Anak oder Permata mehr ausliefern. An keines der anderen Königreiche. Nie wieder.« Dieser Punkt war mir besonders wichtig.
»Ihr wisst nicht, was Ihr tut!«, keuchte Laurenti. »Ihr zerstört damit unsere jahrelange Arbeit. Ganze Jahrzehnte! Das … das werde ich nicht zulassen. Ihr seid doch nichts weiter als ein …« Im letzten Moment fing er sich und brach ab. Im Saal war es vollkommen still geworden und nur das schwere Atmen des Ministers war zu hören.
»Ja, Minister? Ich bin was?«
Laurenti sah zur Seite. Seine Hände umklammerten das Geländer der Balustrade so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten, und aus der kurzen Entfernung meinte ich, eine Ader an seiner Schläfe pochen zu sehen.
»Wisst Ihr Minister, vielleicht wäre es ab jetzt besser für alle, wenn man Euch sieht, aber nicht hört.«
Sein Kopf ruckte erneut herum und völlig fassungslos starrte er mich an. Es war wohl das erste Mal innerhalb der letzten Monate, dass ich den Minister sprachlos erlebte. Die Genugtuung, die ich empfand, als ich ihm seine eigenen Worte an den Kopf warf, war nicht mit Gold aufzuwiegen. Pure. Befriedigung.
Laurenti öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann schaute er auf, aber seine Kumpels blickten ebenso ratlos drein, wie er. Ich machte mir genau diesen Moment zunutze, um die Ratssitzung zu beenden. Wir hatten keinerlei Beweise gegen den Minister, aber vielleicht hatten Duncan und King etwas Interessantes beobachtet und die Mitglieder des Rates, die mir gegenüber wohlgesonnener gestimmt waren, hatten nicht nur meine Entschlossenheit, sondern auch Laurentis unmögliches Verhalten beobachten können. Eventuell motivierte es sie dazu, ihre Loyalität ihm gegenüber zu überdenken. Also kein kompletter Reinfall …
Wir treffen uns im Palast.
Ich spürte einen leichten Windhauch, ganz zart und kaum wahrnehmbar, und die Assassinen waren verschwunden.
»Gehen wir«, wies ich Nick und Malik an, wandte mich von der noch immer erstarrten und sichtlich schockierten Menge ab und verließ schnellen Schrittes das Ratsgebäude.
Als wir auf die Straße vor dem Gebäude traten, zog ich die frische, blumige Luft Arcadias tief in meine Lungen und drehte mich dann zu meinem Bruder um.
»Na, los«, forderte ich ihn auf. »Sag es.«
Die Falte auf Nicks Stirn vertiefte sich. »Du hast dich nicht an den Plan gehalten.«
»Der Plan hat nicht funktioniert«, murmelte ich und sah Malik nicken.
»Du hast impulsiv, aber clever gehandelt, Lilly. Ich bin stolz auf dich.«
Überrascht schaute ich von Nick weg und hinauf in den strahlend blauen Himmel. Ich betrachtete die sieben Sonnen, die sich langsam immer höher schoben und sich dabei zu umkreisen schienen. Zur Mittagszeit würden sie direkt über dem See der Balance schweben, in einer Art Halbkreis, und uns alle daran erinnern, dass ihre Schönheit womöglich auch eine Warnung war.
»Habt ihr den Ausdruck in Laurentis Augen gesehen, als ich die Hand des Ministers erwähnt habe?«
»Er wusste ganz genau, dass die Hand fehlte.«
Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir und Malik fuhr fort.
»Crinaee zu erwähnen, war eine gute Idee. Ich habe schon gedacht, ich muss einschreiten und dich vor dem Minister retten.«
»Ich glaube, wir hätten eher den Minister vor Lilly retten müssen«, scherzte Nick. »Oder vor Lucan.«
»Wo sind die Assassinen jetzt?«
»Zurück im Palast.«
Nick warf mir einen fragenden Blick zu. Offenbar wollte er wissen, woher ich das so genau wusste.
»So hat Duncan es mir erzählt«, log ich, als wir uns in Bewegung setzten. Es war noch früh und die ersten Händler und Läden schienen gerade erst zu öffnen. In der Welt der Menschen wären die ersten Cafés bereits seit Stunden geöffnet. So auch das Himmel und Erde. Ich hätte bereits meinen zweiten Cappuccino mit Todd intus und würde Kaffee und Frühstück mit Susie servieren. Aber die ersten sechsundzwanzig Jahre meines Lebens kamen mir auf einmal wie ein Traum vor. Irgendwie unwirklich. Ratssitzungen, Mordermittlungen und lernen, wie man ein Königreich zu führen hatte, waren jetzt meine Realität. Eine Realität, an die ich mich in der Tat schnell gewöhnt hatte, weil sie mir gefiel. So gefährlich mein neues Leben auch manchmal sein mochte, ich wollte es gegen nichts auf der Welt eintauschen.
Als die ersten Engel anfingen, uns zu erkennen, beeilten wir uns, so schnell wie möglich in den Palast zu kommen. Ich würde an einem anderen Tag Hände schütteln, jetzt aber wollte ich wissen, ob Duncan und King irgendetwas Interessantes beobachtet hatten.
»Nochmal«, forderte Malik Duncan auf und die Augen des jungen Assassinen begannen gefährlich zu glitzern.
»Die beiden Minister gegenüber von Laurenti, der Dicke und der mit den komischen Haaren«, er deutete eine Irokesen Frisur mit der Hand an, »die beiden haben sich während Lillys kleiner Rede am auffälligsten verhalten.«
»Und der Typ mit der Glatze links von ihnen«, fügte Alex hinzu. Es war ungewohnt, den Assassinen in unserem kleinen, elitären Kreis zu sehen, aber nicht unerwünscht. Ich mochte Alex. Er war ruhig und zuverlässig, aber seine Augen verrieten ihn. Hinter der neutralen, beherrschten Fassade lauerte ein Raubtier. Die Assassinen wurden nicht umsonst gefürchtet.






