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»Was machen wir jetzt mit diesem Wissen? Wir haben nichts gegen Laurenti in der Hand.«
»Nichts Konkretes, nein«, stimmte Lucan Cora zu, »aber wir haben Anhaltspunkte und wir wissen jetzt, wen wir überwachen und im Auge behalten müssen. Mit jeder einzelnen Reaktion«, Lucan sah zu mir, »oder Provokation, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich verrät.« Er und Malik tauschten einen einvernehmlichen Blick miteinander.
»Wir werden Laurenti und die anderen Minister rund um die Uhr überwachen. Irgendwann machen sie einen Fehler.«
»Irgendwann macht jeder einen Fehler«, fügte King hinzu und erhob sich. Seine massive Gestalt warf einen Schatten auf den Küchentisch und unsere Runde. Der Assassine schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Gute Rede, Mädchen. Du hast ihnen auf jeden Fall was zum Nachdenken mitgegeben.« Er lehnte sich vor und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Wir ziehen uns jetzt zurück. Alex. Duncan.«
Die Krieger erhoben sich anstandslos und folgten Lucans Stellvertreter aus der Palastküche.
Ich schielte zu Lucan, aber er blieb, wo er war. Ein Bein lässig über das andere gelegt, saß er am anderen Ende des Tisches. Die Kapuze seiner schwarzen, asymmetrischen Tunika hing ihm im Nacken und ermöglichte mir so einen perfekten Blick in das schöne, aber harte Gesicht des Assassinen-Königs. Lucans schwarze Augen glitten unfokussiert durch den Raum und ich nutzte den Moment, um ihn ungeniert anzustarren. Die schwarzen Messer an seinem Gürtel waren gut sichtbar, ebenso der Anfang und das Ende seiner Tattoos an Hals und Arm. Eins seiner beiden Katana lag neben ihm auf dem Boden und obgleich seine Haltung für jeden gelassen wirken musste, spürte ich die Anspannung, die von ihm ausging. Als hätte er mich gehört, hob er ruckartig den Kopf und sah mich an. Es war sinnlos, so zu tun, als hätte ich ihn nicht beobachtet und mich an seinem Anblick erfreut, also versuchte ich es gar nicht erst.
Wieso bist du noch hier?
Wäre es dir lieber, ich würde gehen?
Mein Kopf wackelte kaum merklich hin und her. Die Andeutung eines Kopfschüttelns. Nein. Ich wollte Lucan hier haben. Dennoch fragte ich mich, warum er noch hier saß, während seine Männer sich bereits verabschiedet hatten. Vielleicht lag es an mir (bei dem Gedanken begann mein dummes Herz höher zu schlagen) oder aber es lag daran, dass Lucan hier nur seinen Job machte und die Schuld seiner Familie gegenüber meiner beglich.
Ich höre dich denken, Prinzessin.
Nick, Malik und die anderen waren noch immer am Diskutieren, aber ich hörte sie nicht.
Dann beantworte die Frage.
Für einen Moment war es still in meinem Kopf. Dann meinte ich, ihn leise grollen zu hören.
Ich bin hier, weil ich es so will.
Sein Blick war eindeutig. Niemand zwang Lucan Vale etwas zu tun, was er nicht wollte. Ich schluckte und wandte den Blick ab, bevor meine Emotionen mit mir durchgehen konnten.
Nach ein paar weiteren Minuten hatten wir uns darauf geeinigt, die Minister überwachen zu lassen und die Schutzzauber rund um den Palst zu verstärken. Das Training würde für den Moment pausieren und wir alle uns ein, zwei Tage frei nehmen, um das Geschehene zu verarbeiten.

KAPITEL 4
Olli stürmte durch die Tür und direkt auf mich zu. »Wir haben Nachricht von Scio erhalten«, erklärte er begeistert.
Ohne auf Nick zu achten, sprang ich auf und schnappte mir meine Tasse und ein Croissant.
»Gehen wir!«
Seit Tagen saßen wir nur rum und taten nichts. Okay, das war so nicht richtig, wir studierten Handelsverträge, schauten uns die Strukturen von Anak und Permata an, machten Notizen und planten … dennoch war der Palast nahezu geisterhaft ruhig. Und sowohl Olli als auch Alina und die Assassinen glänzten vermehrt durch Abwesenheit.
»Lilly?«
Nick musterte mich aufmerksam, aber die erwartete Standpauke blieb aus. Anscheinend hatte er es sich anders überlegt.
»Wir … sehen uns heute Abend.«
Grinsend nickte ich meinem Bruder zu. Er versuchte es wirklich.
»Was war das?«, fragte Olli, als wir den Gang in Richtung der Bibliothek hinuntereilten.
»Nick 2.0.«, erwiderte ich kauend.
»Nicht übel.« Er zögerte kurz.
»Und was höre ich da von Lucan und dir?«
Ah, verdammt. Es war eine Frage der Zeit gewesen, das wusste ich, aber dennoch …
»Was hast du denn gehört?«
Wenn Olli es bereits wusste, dann würde es nicht lange dauern, bis die Information auch meinen Bruder erreichte.
»Keine Sorge, Lilly. Ich habe Informationsquellen im Palast, von denen kann dein Bruder nur träumen, und sie sind mir gegenüber sehr loyal.«
Das wollte ich wirklich hoffen. Bis jetzt wussten lediglich die Assassinen, Alina und Cora von meinem Glück. Und auch sie hatten mir geschworen, kein Sterbenswörtchen über Lucans und meine … Situation zu verlieren.
In der Bibliothek angekommen, verschloss Olli die Tür und versiegelte sie mit einem Zauber. Verschwiegenheit lag auf einmal in der Luft und ich ahnte, zu welcher Magie mein Freund gegriffen hatte. Jeder, der an der Bibliothek vorbeiging, würde uns nicht nur nicht hören, sondern auch den starken Drang verspüren, woanders hinzugehen.
»Ich kann nicht sagen, dass es mich überrascht«, fuhr Olli fort und ließ sich auf eines der großen Sofas vorm Kamin fallen. »Ich meine, eigentlich ist es offensichtlich für jeden.«
»Für mich war es das nicht!«
»Doch war es.« Olli schüttelte sanft den Kopf. »Etwas nicht zu wissen oder etwas nicht wahrhaben zu wollen, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Vielleicht hast du es verdrängt oder dir eingeredet, dass es nicht sein kann, nicht sein darf, aber Lilly, diese Verbindung und Chemie, die ihr von Anfang an hattet? Nicht normal.«
Und schon wieder wurde ich als abnormal bezeichnet. Langsam wurde das hier zum Trend.
»Ich möchte nicht über Lucan sprechen«, antwortete ich schließlich stur, »erzähl mir von Scios Nachricht.«
»Nun denn.«
Für Olli war das Thema Lucan offensichtlich noch nicht abgeschlossen, aber er wusste auch, dass wir Wichtigeres zu tun hatten.
»Auf unsere Anfrage hin haben die Gelehrten die letzten Wochen nachgeforscht«, er warf mir einen Blick zu, »daher war ich so oft in Anak. Heute haben sie etwas gefunden.«
Ich rutschte ein wenig vor, zu neugierig, um still sitzen bleiben zu können.
»Die Gerüchte sind wahr.«
»Ich wusste es!«, rief ich und sprang auf. »Ich wusste es«, flüsterte ich erneut und wandte mich zu Olli um. »Wie finden wir sie?«
»Das ist die Herausforderung.«
»Wie meinst du das?«
»Wir können sie nicht finden. Die Gelehrten auch nicht, nicht ohne das vesti rammat. Das heilige Grimoire aus dem Palast in Thalos.«
Sprachlos sah ich Olli an. »Das ist ein Witz, oder?«
Mein Freund seufzte tief, ehe er zur Bar hinüberschlenderte und sich eine klare Flüssigkeit in eines der schweren Kristallgläser füllte. Bei meinen ersten Besuchen in Arcadia hatte ich aufgrund der gut bestückten Bar inmitten der Bibliothek die Nase gerümpft, mittlerweile aber wusste ich das Ding definitiv zu schätzen. Nicht jedoch nach meinem Totalausfall. Olli hob fragend eine Augenbraue, und ich schüttelte den Kopf. Dank meines letzten Barbesuchs mit Duncan würde ich wohl eine Zeit lang auf Alkohol verzichten. Die Tatsache, dass Olli so früh am Morgen zu Schnaps griff, machte mich nervös.
»Was heißt das jetzt für uns?«
»Das heißt«, erwiderte er und trank einen großen Schluck, »dass wir irgendwie nach Crinaee und in Narcos Palast in Thalos kommen müssen.« Er sah mich an. »Du, um genau zu sein, denn Narcos hat Crinaee für alles und jeden außer Sklaven und Händler geschlossen. Und das Auflösen unserer Handelsverträge hat ihn nicht unbedingt sanftmütiger gestimmt. Die Grenzen werden streng kontrolliert und Portalreisen sind nur unter Aufsicht erlaubt.«
Na, wunderbar.
»Wie bringe ich ihn dazu, mich einzuladen?«
»Narcos wird dich nicht einladen, Lilly. Zukünftige Königin hin oder her. Er hat zu viel Angst, dass du ihn von seinem ergaunerten Thron stößt.«
»Dann brauchen wir einen guten Grund für eine Einladung.« Oder eine Vorladung, dachte ich. Wenn das Auflösen unserer Verträge nicht gereicht hatte, mussten wir vielleicht zu drastischeren Maßnahmen greifen. Ich starrte in die Flammen des magischen Feuers. Drastischere Maßnahmen, einen besseren Grund … die goldgelbe Farbe der Flammen erinnerte mich an etwas. Oder eher jemanden.
»Drake.«
»Was ist mit Drake?«
»Vesteria hat vor ungefähr zehn Jahren alle seine Handelsabkommen geändert«, erklärte ich, obwohl ich mir recht sicher war, dass Olli das bereits wusste. »Narcos vertraut Drake, weil er den Prinzen ebenso machthungrig wie sich selbst glaubt. Wir müssen Drake dazu bringen, etwas zu ändern«, murmelte ich. »Er muss Narcos in meinem Namen so stark provozieren, dass dieser mich nach Crinaee einlädt.«
Oder vorlädt.
»Und wie willst du das schaffen?«
»Ich rede mit Drake, überzeuge ihn von unserer Sache.« Alleine.
Ich musste alleine mit dem Prinzen der Formwandler sprechen. Ohne Wachen und Eskorte. Vor allem aber ohne Lucan. Der Assassine würde toben vor Wut, wenn ich ihm meine Gründe für diese Reise erklärte. Das Letzte, was Lucan wollte, war ich, in der Nähe von Drake Careus. Und nach der netten kleinen Botschaft, die ich erhalten hatte, würden Malik und Nick mich auf keinen Fall alleine reisen lassen. Das war unter guten Umständen schon unmöglich, da die Nachforschungen zum Tod des Ministers jedoch ins Nichts liefen, waren alle noch ein wenig besorgter als ohnehin schon. Es sah wohl so aus, als ob ich Drake würde vertrauen müssen. Ambitioniert hin oder her, ich hatte ein gutes Herz in ihm erkannt und darauf würde ich mich verlassen. Immerhin verlangte ich von ihm ebenfalls, mir zu vertrauen, dann musste ich mit gutem Beispiel vorangehen und den ersten Schritt in dieser Beziehung machen.
»Wir müssen das geheim halten«, wandte ich mich an Olli und hörte ihn seufzen.
»Das wird nicht leicht werden. Jeder hier beobachtet dich mit Argusaugen.«
So wie er das Wort jeder betonte, wusste ich genau, wen er meinte.
»Dann müssen wir uns ein wenig mehr Mühe geben. Ich werde Alina einweihen, damit sie Nick ablenkt. Glaubst du, du kannst die Assassinen auf eine Mission locken?«
»Ich? Wohl eher nicht. Schon gar nicht auf eine, bei der Lucan mitgeht und dich alleine lässt.«
Ich ignorierte Ollis Sarkasmus.
»Denk dir etwas aus. Ich spreche in der Zeit mit Alina und wenn es gar nicht anders geht, holen wir Duncan ins Boot.«
Natürlich ging es nicht anders. Stöhnend hörte ich mir den mittlerweile sechsten Grund an, warum Duncan meinen Plan nicht nur für gefährlich, sondern auch für dumm hielt.
»Und siebtens«, zählte der Assassine auf, »selbst wenn alles klappt und du wieder hier bist. Was meinst du passiert, wenn Lucan Vesteria an deiner Aura erkennt? Wenn er Drake an dir riecht? Er wird durchdrehen. Das ist etwas, was du nicht vor ihm geheim halten kannst. Schon gar nicht jetzt, wo ihr wisst, wer ihr füreinander seid. Ihr habt eine Verbindung, Lilly. Er wird es spüren.«
»Er hat kein Recht, durchzudrehen, Duncan.« Das Spiel konnten auch zwei spielen.
»Hör mal«, ich setzte mich auf und griff nach den Händen meines Freundes, »das ist wirklich, wirklich wichtig, Duncan, du musst mir da vertrauen.«
»Aber … «
»Bitte«, fügte ich rasch hinzu, »du bist mein bester Freund!« Duncans Augen verengten sich zu gefährlich kleinen Schlitzen.
»Das ist nicht fair.«
»Aber es ist wahr.«
Einen Moment lang schwieg er und dann: »Verdammt, Lilly. Verdammt. Verdammt. Verdammt.«
»Heißt das ja?«
»Er wird uns beide umbringen, das ist dir klar, oder?«
Dann würde er seine komplette Familie ermorden, Gefährtin und Sohn, dachte ich, und zuckte augenblicklich leicht zusammen. Huch, wo war der Gedanke denn hergekommen?
»Wird er nicht«, beruhigte ich Duncan und ein Gefühl von Déjàvu überkam mich.
Um den Fallout Lucan Vale würde ich mich kümmern, wenn es so weit war.
»Hast du schon eine Idee, wie du es anstellen willst?«
»Ich glaube, ich weiß, womit ich die Assassinen weglocken kann. Zumindest Lucan. Die anderen werden sich im Trainingszentrum beschäftigen. Außer King«, murmelte er nachdenklich, »aber den wird er mitnehmen. Ebenso mich. Du bist also wirklich auf dich alleine gestellt.«
»Drake wird mir nichts anhaben, Duncan.«
»Ich hoffe von Herzen, dass du Recht hast, Prinzessin.«
Den sogenannten Argusaugen aus dem Weg zu gehen, war in der Tat leichter gewesen, als gedacht, denn nicht nur ich schien den Assassinen-König zu meiden. Auch Lucan machte einen möglichst großen Bogen um mich.
Wir blieben noch zwei weitere Tage in Arcadia, ehe unsere kleine Gruppe, minus Cora, die noch ein wenig bei Laura bleiben wollte, zurück nach Hause aufbrach.
Danach dauerte es zwei weitere, ereignislose Tage, bis sowohl Alina als auch Duncan mir ihr Go gaben. Wahrscheinlich war es Duncan nicht schwer gefallen, seinen Ziehvater zu einer Mission zu überreden, ebenso die anderen Assassinen. Trainiert hatten wir seit dem Zwischenfall in Arcadia jedenfalls nicht mehr und die nervöse Energie im Haus war mit Händen greifbar. Die Männer freuten sich wahrscheinlich sogar über einen Kampf. Seit unseres kurzen Gesprächs im Thronsaal waren Lucan und ich wirklich gut darin geworden, uns aus dem Weg zu gehen. Offensichtlich wollte keiner von uns über die letzten Tage sprechen und ich würde ganz sicher nicht den ersten Schritt machen. Also mieden wir uns. Es war kindisch, aber aktuell spielte es mir in die Karten, daher schwieg ich.
Einen weiteren Tag später war es soweit. Lucan und seine Männer waren soeben zu einer von Duncan initiierten Mission nach Permata aufgebrochen, und ich? Ich stand, in einen langen, schwarzen Mantel gekleidet, vor meinem Spiegel und wartete auf Ollis Go. Was genau hatte ich mir nochmal dabei gedacht? Mein Magen flatterte nervös. Es war das erste Mal, dass ich alleine durch ein Portal in eine andere Welt reisen würde. Natürlich kannte ich Vesteria mittlerweile. Immerhin war ich schon zweimal dort gewesen, das schien mein wild pochendes Herz jedoch nicht zu interessieren. Es klopfte leise an der Tür und Olli streckte seinen Kopf hindurch.
»Die Krieger sind weg. Alina ist mit Nick und Malik in Arcadia und alle denken sie, dass du und ich Bücher wälzen.«
Ich atmete tief durch und nickte.
»Es ist nicht zu spät, alles abzublasen, Lilly.«
»Nein!«
Die Mission war wichtiger als meine Zweifel oder meine schwachen Nerven. Ich würde das hier durchziehen.
»Ich bin bereit.«
Olli erwiderte meinen Blick grimmig. »Dann komm. Ich begleite dich zum Portal. Den Zauber habe ich dabei.«
Gemeinsam schlichen wir wie zwei Gangster durch das leere Haus. Am Waldrand angekommen drehte Olli sich zu mir um.
»Ich bewundere dich für deine Courage und deine Vision, Prinzessin. Vergiss das nie. Und vergiss nie, wofür du das alles machst, okay?«
Lächelnd umarmte ich meinen Freund rasch, ehe ich durch das Portal stieg. Genau diese Worte hatte ich hören müssen, dachte ich, und kämpfte gegen die mir mittlerweile bekannte Übelkeit an. Es wurde besser, ja, aber langsam. Ohne Lucans Zauberkraut konzentrierte ich mich für einen Moment lediglich auf meine Atmung, während ich ein paar Schritte durch den Wald lief, immer in Richtung Fenrys.
Es dauerte nicht lange, bis man mich entdeckte. So akribisch, wie die Grenzen überwacht wurden, war dies kein Wunder. Jeder Funken fremder Magie wurde augenblicklich registriert. So war es bei uns und so war es auch in Vesteria, Thaumas oder den anderen Welten. Langsamen Schrittes ging ich auf die großen Steintore von Fenrys zu. Die Tore waren offen, dennoch wusste ich, dass man mich nicht so einfach passieren lassen würde. Binnen weniger Sekunden eilten zwei alarmiert aussehende Wachen auf mich zu.
»Gebt Euch zu erkennen, Fremder.«
Und genau deswegen hatte ich auf einen Verhüllungszauber verzichtet. Es war wichtig, vielleicht lebenswichtig, dass man mich erkannte. In einer flüssigen Bewegung nahm ich die Kapuze vom Kopf und enthüllte sowohl meine hellen, silbrig schimmernden Haare als auch meine ungewöhnlichen Augen. Und das verfluchte Flügeldiadem, das ich, einer Eingebung folgend, aufgesetzt hatte.
»Ich bin Lillianna Callahan, Prinzessin Alliandoans und der sieben Welten, und ich bin hier, um Drake Careus zu sprechen.«
Die Männer vor mir wichen erstaunt zurück.
»Eure Hoheit«, verbeugten sie sich sofort, »wo sind Eure Wachen? Reist Ihr alleine?«
Der Mann vor mir sah mich schockiert an. Sein pikierter Gesichtsausdruck erinnerte mich so sehr an Malik, dass ich mir ein Lächeln nur mit Mühe verkneifen konnte.
»Es ist wichtig«, beharrte ich, »bringt mich zu eurem Prinzen.«
»Natürlich, Hoheit. Bitte folgt uns.«

KAPITEL 5
Begleitet von den Wachen blieb mein Erscheinen in Vesteria nicht ganz so unentdeckt, wie ich gehofft hatte, und ich betete, dass Lucan zumindest seine Fake-Mission beenden konnte, ehe er Wind davon bekam, wo genau ich mich herumtrieb. Ich lächelte den erstaunt dreinblickenden Formwandlern in Fenrys freundlich zu, während ich den Wachen durch den Höhleneingang in Drakes Palast folgte. Die ululas umschwärmten mich sogleich. Nahezu erfreut, dass ich sie wieder besuchte. Allerdings hatte ich diesmal keine Zeit, die kleinen Geisterwesen zu bewundern. Drake wartete bereits im Innenhof des Palastes auf uns.
»Lilly!« Aufgeregt eilte er auf mich zu. »Ist etwas passiert? Wieso reist du alleine? Weißt du nicht, wie gefährlich das ist?«
Und ob ich das wusste. Aber ich war gut bewaffnet und ausgebildet, auch wenn meine Magie noch nicht so wollte wie ich.
»Drake«, begrüßte ich den Prinzen lächelnd und trat in seine Umarmung. »Es ist schön, dich zu sehen.«
»Es ist noch schöner, dich zu sehen, Prinzessin, aber etwas sagt mir, dass du nicht hier bist, um mein Angebot einer Vereinigung zwischen uns anzunehmen.«
Lachend löste ich mich von ihm. »Nein.«
»Schade.« Er grinste mich jungenhaft an. »Aber wie ich hörte, warst du fleißig, seit du mich zuletzt besucht hast.«
Er griff nach meiner Hand. »Komm, lass uns reden.«
Drake führte mich erneut auf den Balkon mit der atemberaubenden Aussicht. Nun alleine mit dem Prinzen schälte ich mich aus meinem übergroßen, schwarzen Mantel. Anerkennend musterte er meine enge, schwarze Jeans und die figurbetonte, helle Tunika mit den goldfarbenen Applikationen und dem großzügigen Ausschnitt.
»Nettes Outfit.«
»Besser als weiße Seide?«
»Oh definitiv, aber nicht besser als smaragdgrüne Seide.« Er lächelte und wedelte lässig mit dem Handgelenk. Kleine, grüne Funken blitzten auf und ein üppig gedecktes Kaffeeservice erschien direkt vor uns.
»Kaffee?«, fragte er mich galant. »Wir bauen die gleichen Pflanzen wie in Alliandoan an.« Das hatte er mir während unseres gemeinsamen Frühstücks vor einigen Wochen bereits erklärt, daher nickte ich zustimmend. Es war die Geste, die zählte. Drake rief nicht nach Bediensteten, er bewirtete mich selbst.
»Sehr aufmerksam, danke.« Und das war dann wohl mein erster Vertrauensbeweis. Ich griff nach der Tasse, die er mir hinhielt.
Der Prinz stockte kurz. »Keine Tests?«
»Ich vertraue dir.«
In Drakes Augen blitzte es goldfarben auf.
»Das hat schon lange niemand mehr zu mir gesagt.«
»Aber es stimmt.«
Zum Beweis trank ich einen großen Schluck des wirklich köstlichen, schwarzen Kaffees. Als ich die Tasse absetzte, fixierte ich Drake mit ernstem Blick. Da ich noch atmete, schien der Prinz mich nicht tot sehen zu wollen. Eine ehrliche Erleichterung.
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Wie kann ich dir helfen?«
Ich holte tief Luft und erklärte Drake meinen Plan. Meinen ganzen Plan, nicht die Fetzen, die ich ihm bei unserer ersten Begegnung entgegengeworfen hatte. Als ich geendet hatte, sah er mich aufrichtig verstört an.
»Das ist Irrsinn.«
»Nein, es ist Fortschritt«, verbesserte ich ihn sanft. Diese Worte hatte ich schon einmal gesprochen und ich wiederholte sie jederzeit gerne. Egal wie oft, denn mit einem gewissen Widerstand hatte ich durchaus gerechnet.
»Narcos gehört nicht auf diesen Thron, Drake. Das weißt du ebenso gut wie ich.«
»Und du weißt, wie gefährlich dein Vorhaben ist«, erwiderte er, sichtlich unter Schock. »Weiß Lucan davon?«
Ich presste meine Lippen aufeinander. Wieso zur Hölle wollte jeder wissen, was Lucan davon hielt? Ich war eine eigenständige Frau, verflucht nochmal.
»Das werte ich als Nein.« Drake atmete hörbar aus. »Du hast dir das gut überlegt?«
»Ja. Scio, Olli und ich haben es durchgesprochen und wir sind uns einig. Es ist der einzige Weg.«
»Magister Scio?«
Ich unterdrückte eine patzige Antwort und nickte. Kannte er etwa noch einen Scio?
»Du hast also bereits mit den Gelehrten darüber gesprochen.«
»Was meinst du, von wem ich den Tipp habe, hm? Ich mag in den letzten Wochen viel gelernt haben, aber nicht so viel. Die Gelehrten stehen ab sofort nicht nur unter meinem Schutz und dem Alliandoans, sondern sie unterstützen mein Vorhaben zu einhundert Prozent. Scio ist einer meiner wichtigsten und engagiertesten Berater.«
»Das ist … groß.«
»Groß?« Lachend sah ich Drake an.
»In Ermangelung eines besseren Wortes, ja. Die Gelehrten zurück in die Gesellschaft zu führen, sie nach Alliandoan zu holen und auf ihr Wissen zuzugreifen ist groß, Lilly. Und irrsinnig.«
»Und mutig«, gab ich zu bedenken.
»Mut und Dummheit liegen manchmal sehr nah beieinander. Beides erfordert Courage, das Endergebnis ist nur ein anderes.«
»Dennoch versucht man es. Ich glaube an mein Vorhaben, Drake, ebenso wie ich an die Anderswelt glaube. Und an dich.« Ich griff erneut nach meiner Tasse. »Also, wie entscheidest du dich Drake Careus, Herrscher von Vesteria. Hilfst du mir?«
Er seufzte dramatisch und sah mich an. Dann jedoch breitete sich ein überschwängliches Grinsen auf dem Gesicht des Formwandlers aus.
»Ich helfe dir, Prinzessin Lillianna Callahan, Thronerbin der Anderswelt und Herrscherin von Alliandoan. Meine Königin …«
Erleichterung durchfuhr mich bei seinen Worten.
»… unter einer Bedingung.«
»Die da wäre?«
»Ein Kuss.«
Ich erwiderte Drakes nun feurigen Blick fassungslos.
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Und ob es das ist. Meine einzige, und wie ich befürchte, letzte Chance dich zu küssen, Hoheit, und deine Meinung zu ändern.«
»Drake, ich …«
»Mehr verlange ich nicht. Für einen Verrat an Narcos und deine Chance, nach Crinaee zu reisen. Ein simpler Kuss.«
Nichts an Drake war simpel. Aber ich sah ihm an, dass er es ernst meinte. Ein Teil von mir wollte es ihm einfach befehlen. Immerhin war ich seine zukünftige Königin und Drake schuldete mir Treue. Diese wollte ich mir jedoch verdienen und sie mir nicht einfach nehmen. Und vielleicht, gestand ich mir ein, ganz vielleicht, war ein kleiner Teil von mir auch neugierig, wie es sich anfühlte, ihn zu küssen. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatte es für mich nur Lucan gegeben. Lucan war der erste Mann gewesen, den ich seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren geküsst hatte und bis jetzt war er auch der einzige.
»Ein Kuss?«
»Ein Kuss.«
»Also gut.«
Ich nickte bestätigend.
Drakes Augen blitzten auf und mit einer eindeutigen Geste lehnte er sich näher zu mir. Ein nervöses Flattern ging durch meinen Magen und ich erinnerte mich daran, dass ich Lucan damit nicht betrügen würde. Wir waren nicht vereint. Wir waren kein Paar. Dennoch fühlte es sich seltsam falsch an, als Drake sich weiter vorlehnte und mich, eine Hand an meinem Hinterkopf, sanft an sich zog.






