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»Was hast du getan?«
Betont gelangweilt inspizierte ich meine Fingernägel, um mir einen Moment zum Nachdenken zu verschaffen. Es führte kein Weg drum herum, ich musste es ihnen sagen. Dennoch … es wurde definitiv mal wieder Zeit für eine Maniküre. Vielleicht doch lieber schwarz anstelle von rot?
»Lilly!«
Auch Duncan, King und Alex musterten mich jetzt skeptisch.
»Wir haben keine Zeit für Spielchen, Prinzessin«, wies er mich zurecht. »Ich habe mitgespielt, wir alle, aber jetzt will ich wissen, was verdammt nochmal los ist.«
»Nichts.«
Nicht überzeugt musterte er mich von Kopf bis Fuß und ich spürte, wie sein Bewusstsein die Fühler nach mir ausstreckte. Krampfhaft versuchte ich, an etwas anderes zu denken als an den kleinen Stein, der sich noch immer in mein Fleisch bohrte. Aber das war genauso vergebens, als versuche man wirklich, wirklich nicht an einen rosa Elefanten auf einer kleinen Wolke zu denken. Man wollte es nicht, aber man tat es dennoch. Rosa Elefant. Wolke. Lucans Blick blieb an meinen Brüsten hängen und instinktiv trat er näher.
»Sieht nicht nach nichts aus.«
»Das sind meine Brüste, Lucan.«
»Ich kenne deine Brüste«, antwortete er und brachte damit nicht nur mich für einen kurzen Moment in Verlegenheit. Duncan räusperte sich und auch King und Alex musterten den Urwald um uns herum mit neu erwachtem Interesse.
»Was mich wirklich interessiert«, murmelte er und trat noch näher »ist der Runenstein, den du bei dir trägst.« Er kniff die Augen zusammen. »Und den du kürzlich benutzt hast.«
Lucan …
Spuck‘s aus, Prinzessin.
Ach, verdammt.
»Na gut, ich habe ein Buch aus dem Palast mitgenommen und es mit Hilfe des Steins verkleinert und äh, verstaut.«
»Ein Buch?«
»Ein Buch.«
»Nur ein Buch?«
Seufzend verschränkte ich die Arme vor der Brust. Meine Waffen dabei noch immer fest in der Hand.
»Was für ein Buch?«
Möglichst unschuldig blinzelte ich ein paar Mal und klimperte mit meinen langen Wimpern.
»Das zieht nicht«, flüsterte Duncan mir zu und ich fluchte leise. Na fein. Sie wollten es wissen. Also bitte.
»Das Grimoire.«
Lucans Augenbrauen schossen in die Höhe und ich hörte Duncan neben mir leise seufzen. King und Alex fluchten.
»Ach du Scheiße, Boss.«
Fassungslos blickten die Assassinen mich an.
»Du hast das heiligste Buch Crinaees geklaut?«
»Es wurde mir gebracht«, verbesserte ich Duncan pikiert. Sie taten ja auf einmal so, als wären sie Heilige und ich die Königin der Dämonen höchstpersönlich.
»Und was genau hast du mit dem Grimoire vor, Prinzessin?« Lucans Stimme bebte vor unterdrückter Wut. Er sah aus, wie jemand, der kurz davor stand, mich entweder anzubrüllen oder mich einfach hier im Dschungel stehen zu lassen. Dass er nichts dergleichen tun würde, beruhigte mich ungemein.
»Ich werde einen geeigneten Herrscher für Crinaee finden«, verkündete ich hoheitsvoll und erwiderte die sprachlosen Blicke der Männer um mich herum.
»Narcos ist nicht nur gänzlich ungeeignet«, fuhr ich fort, »er ist nicht einmal von königlichem Blut. Er versteht sein Volk nicht und beutet es aus. Es gibt Gerüchte …«
»Die letzten Erben Crinaees«, schlussfolgerte Lucan völlig richtig. »Das hast du mit Cassiopeia und Lavender gemeint?«
Überrascht sah ich ihn an. »Du hast davon gehört.«
»So ziemlich jeder hat schon einmal von ihnen gehört. Verborgen in den tiefsten Sümpfen verstecken sie sich vor Narcos und seinen Männern. Aber Liebes, das ist ein Mythos.«
»So wie ich einer war?« Ich hob eine Augenbraue. Ein Trick, den ich mir von Lucan abgeguckt und stundenlang vorm Spiegel geübt hatte. »Das Grimoire kann uns sagen, ob sie noch leben, Lucan. Wenn das der Fall sein sollte, dann finden wir sie und bringen sie zurück nach Thalos. Dort gehören sie hin, als rechtmäßige Herrscher von Crinaee.« Auf einmal blitzte so etwas wie Verständnis in seinen Augen auf.
»Drake«, murmelte er und ich konnte regelrecht dabei zusehen, wie er die Verbindung zwischen meinem Besuch in Vesteria und dem heutigen Tag herstellte. »Deshalb warst du in Vesteria.«
Die Männer machten große Augen.
»Der Kuss war die Bezahlung dafür, dass Drake Narcos dazu bringt, dich hierher einzuladen. Du brauchtest jemanden, der ihn provoziert, damit er die Schutzzauber an den Grenzen fallen und uns nach Thalos lässt.«
Kopfschüttelnd sah King mich an. »Das ist … genial.«
»Magister Scio hat mir den Tipp mit dem Grimoire gegeben«, erklärte ich den Kriegern, ebenso wie er mir Hilfe innerhalb des Palasts vorausgesagt hatte, »ich brauchte einen Grund Narcos aufzusuchen. Und den hat Drake mir gegeben.«
»Indem er alle Handelsabkommen in deinem Namen aufgelöst hat«, raunte Alex, während Lucan mich aufmerksam beobachtete.
Ich habe dir gesagt, dass ich einen guten Grund hatte.
»Boss, sie kommen näher.« King wischte sich den Schweiß von der glänzenden Stirn. »So faszinierend das hier auch ist, aber was machen wir jetzt?«
Für einen Moment herrschte Totenstille um uns herum. Lediglich die Geräusche des Dschungels waren zu hören. Wasser rauschte. Äste und Blätter raschelten. Grillen zirpten. Ich hielt Lucans Blick stand und ließ ihn sehen, wie ernst es mir mit dieser Sache war. Ich würde Narcos stürzen, zum Wohle der Anderswelt.
»Du meinst das ernst, oder?«
»Todernst.«
Seine Stirn runzelte sich. Dann jedoch entspannten sich Lucans Züge sichtlich.
»Narcos hat seinen Angriff geplant«, sagte er ruhig. »Was mich angeht, hat er den ersten kriegerischen Akt begangen.«
Die Männer nickten zustimmend.
»Duncan, du bewachst die Prinzessin. King, Alex, wir kümmern uns um unsere Verfolger.«
»Mit Vergnügen, Boss.«
Die beiden wandten sich grinsend ab und verschwanden im Dickicht des Dschungels. Bevor Lucan den Assassinen folgen konnte, trat ich vor. Unsicher, was genau ich sagen wollte, aber sicher, dass ich etwas sagen sollte, zuckte ich verloren mit den Schultern, ehe ich Lucan eine Hand, inklusive geladener Waffe, auf die breite Brust legte. Am liebsten wäre ich mit ihnen gegangen, aber das Grimoire war zu wertvoll. Diesmal war es klüger, zurückzubleiben und zu warten.
»Sei vorsichtig, hörst du.«
Lucan warf einen schnellen Blick zu Duncan. Dann beugte er sich herab und küsste mich entschlossen auf den Mund. Meine Lider flatterten und meine Augen wollten sich schließen, aber der Kuss war vorüber, ehe er richtig begonnen hatte. Ich nahm die Hand mit der Waffe von Lucans Brust und hob sie verwirrt an meine Lippen. Der kühle Stahl der Schusswaffe presste sich dabei gegen meine glühende Wange. Lucan hatte mich geküsst. Vor Duncan.
»Pass auf sie auf«, wandte er sich an seinen Protegé, bevor auch er mit den Schatten des Dschungels verschmolz. Meine Lippen prickelten noch immer und meine Magie summte leise in meinen Adern, als ich Lucan hinterher sah. Er brachte sich und seine Männer in Gefahr, für mich. Aber ich wusste, dass sie die Situation meistern würden. Die Dämonen hatten keine Chance. Und solange würden wir hierblieben und warten. Ich würde das Grimoire auf keinen Fall wieder aufgeben.
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