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Die Schotterpiste führte lange an der Autobahn entlang. Schließlich erreichen wir unser gedachtes Etappenziel. Wir gingen an den auf der Straße sitzen- und liegenden Pilgern vorbei. Die Albergue öffnete erst um 13.00 Uhr und wir wollten dort ja sowieso nicht nächtigen. Wir schauten links, wir schauten rechts, es gab nichts außer dieser einen Herberge. Wir zuckelten zurück, just in diesem Moment war es 13.00 Uhr und die Herberge öffnete. Bekamen mit, dass die 42 Betten der Albergue schnell belegt waren. Gingen in die einzige Bar. Schauten in unserem Oberschlauführer, wie weit der nächste Ort entfernt sei. 10,3 km! Meine Füße quakten – nicht mit mir – Streik – nicht ein Schottersteinchen kommt uns heute noch unter die Sohle – ich stimmte ihnen zu.
An einem der Tische saß ein Hamburger, der Zweite heute. Nein, das war nicht nur ein Hamburger, er war die Personifizierung eines Hanseaten. Gepflegtes Aussehen, unterstrichen, durch ein locker um den Hals geschlungenes Paisley Tuch, sehr gerade Haltung, fleckenloses Shirt. Gesprächsmäßig kamen wir auch auf das Gewicht unserer Rucksäcke, seiner wiege 13 kg, er möchte schließlich ordentlich aussehen. Ja, so kann man das mal stehen lassen. Wir hatten weniger Gepäck, Wolfgang wollte sich auf der Tour nicht rasieren. Um Mund und Kinn breitete sich ein grauer Igel aus. Auf meinem Shirt, genau ”da!!zwischen“ prangte ein trotz Mühen nicht zu entfernender Fettfleck. Wieso eigentlich bei mir? Sonst hat Wolfgang immer diese sogenannten Fressflecken. Seine T-Shirts waren immer noch ohne Makel – beide T-Shirts – meine nicht – beide.
Der ältere Hamburger wartete auf ein Taxi das ihn in den nächsten Ort, Nájera, bringt sollte. Kurzer Blickkontakt unter Ehepartnern, leichtes Nicken, wir boten ihm die Teilung der Kosten durch drei an. Glücklich über diese Lösung tranken wir unseren Café. Wobei, Wolfgang jetzt immer öfter Coca Cola trank seitdem er bei Herrn Holland die Cola-Flaschen in dem ”Patronengurt“ gesehen hatte. Schlechter Einfluss. Vor der Bar saßen noch viele Pilger, die keine Übernachtungsmöglichkeit bekommen hatten.
Mit dem Taxi ging es nach Nájera, 10 km für 20,00 €. Der Fahrer hielt direkt vor einem Hotel. Zum Hotel gehörten eine Bar und ein Restaurant. Zimmer waren noch zu haben und angesichts der Bar gab es hier auch Frühstück. Na, geht doch. Wir hatten ein Zimmer mit drei Betten. Wolfgang packte mal wieder alles aus, stellte dabei fest, dass sein ganzer Rucksack voller Krümelchen war. Ich kluge Frau hatte das Brot - wieso hatten wir das nicht gegessen - in seinen Rucksack gepackt. Diesmal musste er auspacken.
Geduscht ließen wir uns auf der Wiese am Rio Najerilla nieder, wir mussten nur eine Straße überqueren, um diese Parkanlage zu erreichen. So richtig schön langmachen am Wasser, herrlich. Man sollte immer hinschauen, wo man sich niederlegt. Es war Frühling und die Wiese mit Blütenkerzen übersät. Nun sahen wir aus wie gefedert.
Es wurde Zeit, sich um die Ernährung zu kümmern. Vor einer Brücke,die über den Fluss führte, trafen wir die vier Amerikanerinnen wieder, eine der Jüngeren kam gerade im lockeren Jogger Stil - mit Rucksack – angelaufen. Sie waren auf Quartiersuche, ein Vierbettzimmer sollte es sein. Wolfgang erzählte von unserem Dreibettzimmer und dem Preis. Schon lief das Mädel wieder los, als wäre sie noch keinen Schritt gewandert, um in einem anderen Hotel Nachverhandlungen zu führen. Staunend folgte ich ihr, aber nur mit den Augen – och – meinte eine der Mädels, sie wär immer so.
Wir gingen über eine Brücke in das Viertel, wo ein Lokal neben dem anderen lag. Natürlich nahm ich das Restaurant, das draußen bestuhlt war. Der adrette Hamburger war gerade am Gehen. Essen ginge so, meinte er zu uns. Wind kam auf, viel Wind kam auf. Von einem Nachbartisch wehten schon Gläser herunter. Der Camarero schaute schon leicht verstimmt. Ich blieb so was von ungerührt sitzen, schließlich möchte ich zu meinem Käffchen nachher eine schmöken. Ich schaute in den Himmel, Vogelschwärme ließen sich vom Wind treiben. Wir rätselten, um was für große Vögel es sich handelte, Reiher? Kraniche?. Wolfgang meinte Störche, ich war der Überzeugung, es könnten keine Störche sein, die haben viel längere Beine. Es waren Störche, beschließe das Thema mit: „Spanische Störche haben eben kürzere Beine.“ Ach, sieh mal einer an, unsere ersten Pilger aus Pamplona saßen im Innenraum des Restaurants.
Zurück im Hotel möchte ich noch einen Café, Wolfgang verschwand nach oben. Beim Schlendern durch das Hotel entdeckte ich Zeitschriften, mal sehen, ob etwas Lesenswertes vorhanden ist. Nö, schaute hoch, dort hing ein kräftig gebauter Mann im Sessel, die Beine ausgestreckt, fast so als würde er gleich von der Sitzfläche fallen.
Ich rief dem Mann ein fröhliches Hola zu, er antwortete mit – Hallo -. Aha, ein Deutscher. Wir plauderten. Nachdem mein Mann sich genug gewundert hatte, wo ich denn bliebe, kam er auch in die Halle zurück. Marcus kam aus Essen und war alleine unterwegs. Er gehörte der Fraktion der Bicis an, würde auch zu Hause fast täglich große Strecken mit dem Mountainbike fahren. Aber das hier, diese Anstiege gingen über seine Kräfte. Ständig hätte er das Empfinden, als wenn es immer nur steil bergauf gehe. Seine Beine brennen und der Po schmerze entsetzlich. Daher wohl die etwas unwürdige Sitzhaltung. Er würde auch fast nur noch Landstraße fahren, die Schotterpisten sind ihm zu gefährlich. Marcus wird wohl mal nicht an uns vorbei fliegen.
Ich musste unbedingt noch einmal ”vor die Tür“, traf dort auf den Hanseaten. Sein Hinweis, dass der Wein köstlich sei und nur 0,70 € koste animierte mich zur Überprüfung. Es war wie auf der Mönckebergstraße im Straßenkaffee. Diverse Pilger flanierten umher, die Beiden aus Estella, man sollte sie ja an den hässlich blauen T-Shirts mit der gelben Muschel wiedererkennen, auch. Es waren diesmal nicht zwei Männer, sondern zwei Ehepaare. Alle trugen als Gruppenzeichen dieses Shirt. Einer ist der Wortführer, sie würden jeden Tag 30 km laufen – ohne Probleme. Ganz weit hinten in meinem Kopf schrillte eine Glocke, die Stimme kenn ich doch! Ja aber sicher doch, es musste der Zimmernachbar aus Estella, der die halbe Nacht mit meckern verbrachte, sein. Der Hanseat und ich überprüfen noch einmal den Preis und die Qualität des Weins.
Ab in Bett. Wir schliefen sehr gut.
Nájera – Santo Domingo de la Calzada
Am Freitag den 20.05.2011 ging es nun von Nájera bis nach Santo Domingo de la Calzada 22,8 km. Ohne Frühstück geht aber erst mal nix. Wir nahmen das Angebot des Hotels an, Wolfgang wollte ein kontinentales und ich ein kleines Frühstück. Das Kleine entpuppte sich als Kaffee und Croissant, ein französisches Croissant, zum Eindippen. Ich mag sie lieber luftig leicht und natürlich frisch. Das Kontinentale beinhaltete einen großen Teller mit zwei Wurst-und zwei Käsescheiben. Der Teller war wirklich groß, man konnte sogar durch die Wurst und den Käse den großen Teller sehen. Als Blinder hätte man durchaus Schwierigkeiten, den Unterschied zwischen Teller und Belagscheiben zu ertasten.
Wolfgang liest viel im Outdoor und teilte mir abends schon gerne mit, was den Böses auf mich zukäme, es gehe steil bergauf. Am Morgen um 8.00 Uhr war es noch angenehm kühl. Wir liefen durch die Weinberge und ich hielt mich an den Tipp von einem Bayer. Schön langsam laufen, nicht stehen bleiben, um Atem zu holen, lieber noch langsamer gehen. Der Hanseat, er hat eine ballonartige, schneeweiße Mütze auf, rauschte an mir vorbei, war mir völlig schnuppe, ich blieb im Schleichkatzenniveau. Das war schon viel besser. Wenn ich auf dem Wege einen Käfer oder sonstiges Getier sah, setzte ich meine Schritte immer so, dass ich auf keinen Fall auf das Tier trat. Ist ja ihr Weg und ich bin nur der Gast.
Lange noch konnte ich die weiße Mütze des Hamburgers verfolgen, es war wie ein kurzes Aufblinken zwischen den saftig grünen Getreidefeldern und Weinbergen. Er wirkte so beschwingt, als schwebe er. Ich beneidete ihn – oder lag es an mehr Wein.
Wir erreichten Azofra und waren froh endlich in einer Bar frühstücken zu können. Die Bocadillos waren so groß, dass wir uns eins teilten und die andere Hälfte einpackten. In der Bar sah ich eine junge Frau, die mir schon öfter auffiel. Sie hatte eine grüne - hellgrüne - keine froschgrüne - Jacke an und eine passende Mütze zierte ihren Kopf. Sie wirkte immer so alleine, so schüchtern, also steuerte ich sie an. Die junge Frau kam aus der Schweiz, hätte Probleme mit dem Knie und könne einfach nicht mehr. Sie wollte versuchen, mit dem Bus etwas weiter zu kommen. Ich verpasste ihr noch die Wunderkügelchen, wir lächelten uns zu. Gut das ich mal nicht sooo schüchtern bin. Die Osnabrücker trafen wir auch wieder an, so konnte man immer ein büsschen rumflachsen. Gut gestärkt zogen wir weiter.
Die Sonne stieg, damit auch die Temperatur. Kurz vor Ciruena erreichten wir auf der Anhöhe einen hübschen Rastplatz. Neben gegossenen Betonliegen gab es auch Holzbänke und einen Brunnen. Holland sei Dank trank ich immer lieber das gekaufte Wasser. Unsere ”Erstpilger“ nickten uns lächelnd zu. Es wurde Zeit für den Energiestangenschub, die unumgängliche Banane und die Köstlichkeit eines halben Apfels folgte. Auf diesem Rastplatz tummelten sich auch meine Chevaliers, froh gelaunt wie immer. Ein älteres Ehepaar, was heißt älter – hö – hö, wahrscheinlich steckte man sie mit uns in einen ”Sack“, machten sich zum Aufbruch bereit. Er, ein Hüne von Mann, stakte mit den Sticks weit nach vorne ausholend los. Sie, war sehr schlank und mindestens 30 cm kleiner als er, trippelte nebenher. Beide hatten nur Tagesrucksäcke dabei. Ich fand seine Art zu laufen ungerecht. Für mich war klar, das können nur Deutsche sein.
Wir wanderten hinunter – mag ich auch lieber – nach Ciruena. Die gelben Pfeile verwirrten mich, hier zeigte Einer nach rechts, darüber ein Barschild. Mein Kopf klingelte – Café con leche – Café con leche – aber Wolfgang wollte es wohl nicht hören. Er musste unbedingt dort langlaufen wo auch unsere ”Erstpilger“ zu sehen waren. Ach man! War aber richtig.
Wir kamen durch eine Neubausiedlung, aber so was von neu. Alle Häuser wirkten so kalt, jeder Vorgarten sah gleich aus, was heißt Vorgarten - alles. Wie aus einem Science-Fiction Film, menschenleer, ich glaube, hier gab es auch keinen Vogel oder eine aufmüpfige Ameise oder irgendein Lebewesen – nix. Dafür einen großen Spielplatz und ein Schwimmbad. Leer, bei an die 30º, keine spielenden Kinder, kein Gejauchze, kein Planschen – nix. Hatte man sich das in der Hamburger HafenCity abgeschaut? Gruselig.
Von Weitem können wir endlich Santo Domingo de la Calzada sehen, aber nur von Weitem. Die letzten Kilometer der Strecke zogen sich wieder wie Brei, die Sonne hatte ihre unbarmherzigste Hitze ausgepackt. Im Ortseingang schwächelte vor uns eine Koreanerin, setzte sich in einen Hauseingang, stand wieder auf, lief einige gequälte Schritte, setzte sich wieder hin. Auch wir waren am Ende mit unseren Kräften. Nun ging es wieder auf Unterkunftssuche. Hatte mal wieder von Wolfgang ein: „Es wird schwer, hier etwas zu bekommen, gehört“. Innerlich fing ich dann immer an zu brodeln – kochen - oder bis zum fast Überkochen. Auch Organisatoren sind mal müde!
Um seinem Fragezeichenblick zu entkommen, ging ich gleich in das erste ***Hotel, um nach einem Doppelzimmer zu fragen. Komplete! Das Fragezeichengesicht änderte sich auf, ich habe es geahnt. Ab zur Informatión del peregrino. Alle Gedanken sind dann nur noch auf die Suche gerichtet. Suche mir wieder ein **Hostal aus. Auf dem Weg dorthin laufen wir direkt auf das *Hostal Peedro zu. Bei dem Anblick bekam ich das Grausen, alles hing schief und krumm am Haus und in den Fenstern, verlottert eben. Ach nö, dann doch eventuell lieber eine Albergue.
Wir landeten im Hospederia Cistersiense. Man spürte dieses himmlische Willkommen, diese Herzenswärme, als wäre es wirklich das Haus des Herrn und die Engelchen könnten gleich ihre lieblichen Stimmen erklingen lassen. Vergiss es, wir sind hier auf der Erde. Die Kargheit eines Klosters war übernommen worden. In einem Glaskasten – Pförtnerloge bzw. ”Empfang“ - saß eine dickliche Nonne. Mit schnarrender Stimme – für den grimmigen Blick sollte sie am Abend ordentlich den Rosenkranz schwingen – wurde uns auf die Frage nach einem Habitatión doble ein sí mit dem Preis entgegen gebellt. Unsere Pilgerpässe bekamen ihre Stempel, wobei ich nur dachte – hey, die brauchen wir noch. So hatte ich mir die ”himmlische Betreuung“ nicht vorgestellt.
Das Zimmer war im sechziger Jahre Stil gehalten. Hauptsache eigene Dusche mit WC, zwei Einzelbetten, das war in Ordnung. Wolfgang packte mal wieder alles aus – oh, wir hatten ja immer noch unsere Einkäufe, die Brote und den Schinken, von vorgestern. Nach dem Reinigen von Körper und Klamotten zogen wir wieder los.
Auf einer mit Bäumen umsäumten Rasenfläche, vor einer Albergue, hatte es sich eine Gruppe junger Leute, ein Hund gehörte dazu, gemütlich gemacht. Der Hamburger Stetsonträger war auch dabei. Sie würden mit dem Hund keine Unterkunft bekommen und wüssten noch nicht, wo sie schlafen könnten. Es ist allgemein bekannt, dass Hunde in den Alberguen verboten sind. Wir eroberten uns eine der Steinbänke und verzehrten die selbst gemachten Bocadillo con jamón. Dafür, dass die Esswaren zwei Tage in der Sonne mit uns unterwegs waren, schmeckten sie nicht schlecht.
Kathedralen sind eine Einladung zum Kerzen anzünden, wurde auch wieder Zeit. Die Kathedrale von Domingo de la Calzada ist voller goldener Altarbilder, Sarkophage und sonstiger Kunstwerke. Ich suchte Kerzen, es gab aber nur Kästen mit elektrischen Kerzen. Man steckte Geld in den Schlitz und es leuchteten dann zwei Birnen auf. Hm – da kann ich ja auch zum Lichtschalter gehen, dreimal an- und ausschalten – fertig. Ich fand es blöd. Neben uns tauchte das Osnabrücker Paar auf. Wow – sie hatte ein schwarz-weiß gemustertes, eng anliegendes Kleid an, dazu ein passendes Tuch um die Haare drapiert. Es sah richtig gut aus, aber für mich wär das noch lange nix, eng anliegend – noch nicht, kam mir aber sehr schäbig vor.
In der Kathedrale in einem erhöhten Käfig werden ein weißer Hahn und weiße Hennen gehalten. Die längere Legende dazu schenke ich mir. Es heißt aber, wenn der Hahn einen Laut gibt, kommt man in Santiago an. Hätte ich das zu diesem Zeitpunkt gewusst, wär mein Aufenthalt in der Kirche länger ausgefallen. Bei uns machte der Hahn noch nicht mal piep.
Hatten uns noch den Museumsteil der Kathedrale angesehen und trafen am Ausgang die Osnabrücker wieder. Wir Mädels stellten übereinstimmend fest, dass wir diese pompöse Art der Kirchen nicht mögen, lieber klein und schlicht. Auch ein christliches Leben hat doch nichts mehr mit der Kirche gemein. Kinderquälende Kirchenmänner empfinden wir als Schande der Menschlichkeit.
In einem Café treffen wir erstaunlicherweise den Marcus wieder. Er war mit dem Fahrrad 10 Kilometer in die falsche Richtung gefahren und nun auch in diesem Ort gelandet. Manchmal kommen Bicis auch nicht schneller voran. Nach der Klönrunde wollten wir noch Wasser und Bananen besorgen. Mit einer großen Tüte beladen begegnete uns schon wieder der Osnabrücker. In der vorigen Herberge hätte einer Frikadellen gebraten und nicht eine Einzige abgegeben, das hatte ihn sehr geärgert. Nun wollte er selber Frikadellen machen. Ich spürte, wie mein Mann unter erhöhtem Speichelfluss litt. Für Frikadellen würde er in jeglicher Albergue nächtigen. Ich zog dann mit meinem sabbernden Mann zum Einkaufen weiter. Vor unserem Hostal treffen wir auf zwei Frauen, die im Kloster übernachten wollten, wir merkten nur an, das sehe zwar so aus wie ein Kloster, wäre aber keins.
Es wurde Zeit, die Ernährungskette mit dem Pilgermenu zu schließen. An Hand des Stadtplans musste es noch einige Restaurants geben. Schlenderten durch die Straßen und fanden einen großen belebten Platz mit mehreren Bars. Vor dem Restaurant, wo wir uns auf der Terrasse niederließen, saßen schon zwei jüngere dunkelhaarige deutsche Frauen. Seit dem schlechten Essen in Logroño schaute ich doch lieber, was den so auf den Tellern lag. Sie meinten, dass das Essen gut wäre. Neben dem Ständer mit der Auswahl der Pilgermenus (es gab immer je vier Vorspeisen und Hauptspeisen) konnte man in das Fenster sehen. Na, wer saß da, klar unsere ”Erstpilger“ aus Pamplona. Die Nebentische waren mit spanischen Frauen bevölkert. Sie diskutierten intensiv, rauchten und tranken. Es wurden immer mehr. Dann so um 21.00 Uhr sammelten sie aus allen Ecken Ihre Kinder ein und gingen nach Hause. Jetzt weiß ich warum es in Spanien erst so spät Essen gibt. Sie haben vorher keine Zeit zum Kochen und sie wirkten nicht so, als wären sie in Eile.
Wolfgang hatte sich als Vorspeise eine Suppa de regíon bestellt, es kam eine Kartoffelsuppe mit Wurststückchen, neugierig probierte ich natürlich. So was von gut gewürzt, einfach lecker, mit neidischem Blick verspeiste ich meine Spaghetti. An den Tisch mit den zwei Deutschen kamen immer mehr Leute, erst zwei blonde junge Frauen, dann ein älterer Mann, dann ein Ehepaar. Sie rückten Tische zusammen, fragten uns, ob wir auch dazu kommen möchten. Wir waren mit dem Essen noch nicht fertig und mit dem vollgestellten Tisch wollte ich nicht rumrücken. Erst als wir unsere Nachspeise gegessen hatten, wollte ich umziehen, da wollte Wolfgang aber nicht mehr – schade. Auf dem Rückweg zum Hostal kamen wir an der Rasenfläche vor der Albergue vorbei, sie war leer, die jungen Leute hatten wohl doch noch eine Schlafmöglichkeit mit Hund gefunden. Alles wird gut. Nachdem wir für den nächsten Morgen doch noch Frühstück in unserer Unterkunft geordert und auch gleich bezahlt hatten, ging es ab in unsere Doppelzelle. Freute mich schon auf Zwieback.
Santo Domingo de la Calzada - Belorado
Am nächsten Morgen waren aber Brötchen gebacken – kleine Brötchen – oder besser ganz kleine Brötchen. Verdammt, ich war auf Zwieback eingestellt. Am Nebentisch saßen bereits zwei ältere Paare. Der Hüne und seine kleine Tippie, keine Deutschen, sondern Belgier, mit ihren deutschen Freunden. Das andere Paar ist vor Jahren schon den Camino gegangen, fuhr jetzt mit dem Auto die Strecke, um sich alle Sehenswürdigkeiten anzusehen. Es stimmt schon, wenn man läuft, ist man nicht auf Besichtigungstouren aus. Sie würden die Koffer transportieren und immer die Unterkünfte für alle Vier buchen. Ohne Gepäck lässt es sich eben strammer stickeln.
Bei der Schlüsselabgabe hatten wir wieder die Nonne vom Vortag, nein sie hatte nicht nur gestern einen schlechten Tag. Nach kurzer Diskussion – ob Frühstück schon bezahlt – sie sagte nein, wir bleiben bei: Hatten wir bereits gezahlt, zogen wir los.
Dieser Wandertag sollte in Belorado nach 23,6 km enden. Locker - oder noch locker – erreichten wir nach 7,3 km den Ort Graňón. In Sichtweite gab es einen Pilgerauflauf. Die Päuschenmacher sammelten sich vor der Bar. Die Osnabrücker auch, natürlich musste er in Wuschis fast offene Wunde pieken. Die Frikadellen waren in der Herberge dankend abgenommen worden. Er war darüber verwundert, wie viel doch eine junge Frau essen konnte. Er packte noch drei Bier aus seinem Rucksack, nun wollte er die übriggebliebenen Flaschen nicht weiter mitschleppen. Dass er die bis hierher geschleppt hatte, alle Achtung.
Diesmal war Wolfgang mit der Bestellung beauftragt und die beiden Frauen, die das Kloster zum Übernachten suchten, setzten sich zu mir. Ihre Männer waren sehr früh, mit 54 und 55 Jahren, verstorben. Sie lernten sich auf einem Trauerseminar kennen. Da kam Wolfgang, die Frauen standen auf, legten sich jeweils ein Frotteetuch um, in rot und orange, schnallten sich die Rucksäcke um und gingen mit Buen camino. Ich hatte den Eindruck, sie wollten mir noch etwas mitteilen.
Weiter ging es nach Redecilla del Camino. Kein Baum – kein Strauch, man betrat den Ort und war auch schon wieder am Ende. Ständig an der Autobahn ging es weiter nach Castildelgado, wo ich der irrigen Annahme war, es wäre schon der Ort Viloria. Dachte noch: Was sind wir doch schnell heute! Pustekuchen, der Ort war im Reiseführer nicht als Kilometerpoint aufgeführt.
Ein Pfeil führte uns links in Feldwege, weg von der Autobahn, ging es wie üblich hinauf und hinunter. Nach längerem Laufen, rechts ab – links ab – rechts ab, landeten wir wieder an der Autobahn. Von der Seite kam ein Pilger, er kannte sich wohl aus und war geradeaus gepilgert, damit gefühlte 2 km gespart. Dann kam Viloria, lud dieser Ort zum Verweilen ein? Bot er die Möglichkeit eines kühlen Getränkes? Forderte auf Platz zu nehmen im lauschigen Schatten? Nö – hier gab es so was von nix. Im schmalen Schatten der Mauer eines Gebäudes, hingen die erschöpften vier Amerikanerinnen. Der Tag wäre einfach zu heiß. Doch einen Brunnen gab es, mit einem großen X, also trinken darf man auch nicht. Es war Mittagszeit. Man brauchte nicht auf die Uhr sehen, der Sonnenstand sagte alles.
Haute mich neben einen jungen Mann auf den Kantstein im Minimalschatten. Er zog gerade seine einfachen Turnschuhe aus, die völlig durchgesifften Frotteesocken, ehemals weiß vielleicht, folgten. Wunderte mich keineswegs, dass farben-frohe Blasen zum Vorschein kamen. Für Mitleid war ich aber zu erschöpft. Quakte noch einen Autofahrer an, wo denn hier der Bus abfährt. Mit den Worten, er wäre auch fremd hier, kurbelte er das Autofenster schnell hoch und haute ab. Feigling.
Weiter nach Villamayor sind es ja nur noch lächerliche 3,2 km, erst an der Landstraße und später wieder an der Autobahn lang. Freute mich, als endlich die Ortschaft näher rückte. Auf der anderen Seite der Landstraße sah ich eine Bar, Wolfgangs Übliches: Lass uns doch noch weiter oben gucken, lenkte uns daran vorbei. Im Reiseführer stand: Verwechseln Sie die Herberge nicht mit dem ebenfalls, nicht weit von hier befindlichen Club Siroco. Es handelt sich um ein Bordell. Suchte er das? Foto machen oder was.
Schon waren wir durch Villamayor hindurch, kein Café con leche oder so. Wer mich kennt, weiß, dass man das nicht mit mir macht. Nonnengrimmig eilte ich im Hünenstickschritt vorwärts, denn eins macht man nie, zurückgehen!!! Irgendwann gab es einige Bäume am Weg. Ich blieb stehen und meinte, hör mal wie die Vögel singen. War eine ganz laue Anmache von mir, um die Wogen wieder zu glätten. Er konnte ja nicht wirklich was dafür, dass es kein Café mehr gab.
Es wurde immer schwüler, wir waren müde und die Füße schon lange in ”Endzeitstimmung“. Wir pilgerten neben der Nationalstraße. Die aufmunternd hupenden Lastwagenfahrer lachte ich nicht mehr freundlich an, sondern grummelte erschöpft. Aber das sahen sie zum Glück nicht. Der Weg wollte nicht enden. Auch bei diesen letzten angeblichen 5,4 km müssen die sich verrechnet haben.
In der Ferne tauchte dann am Ortseingang von Belorado die private Herberge, mit Doppelzimmer hoffentlich, a Santiago auf. Bis dahin und keinen Schritt weiter, sagte mein Kopf und wehe die sind belegt. 16,2 km ohne längere Pause das geht ja mal gar nicht. Vielleicht ist es auch anders, wenn man vorher darauf gefasst ist, dass keine Möglichkeiten der Unterwegserfrischungen kommen.
Es war noch ein Doppelzimmer frei, gerne haben wir es genommen. Auf der Theke prangte frisch gebackener Kastenkuchen, der unverzüglich mit Kaffee geordert und Genuss verspeist wurde. Als wenn ein Schalter in meinem Kopf umgelegt wurde, ging es mir viel besser. Wir wurden durch die Albergue zum Zimmer geleitet. Aha, Waschmaschinen gab es auch. Nach dem Duschen raffte ich alle nicht am Körper befindlichen Kleidungsstücke zusammen und trottete zu den Waschmaschinen und Trocknern. Stopfte alles in eine Maschine, Farbe war mir wurst, schmiss die Geldstücke in den Zähler und drehte am Knopf. Der Zähler an der Wand tickte herunter, aber die Waschmaschine selber erzählte mir keine Trommelgeschichten. Hatte ich den falschen Zähler? Nö. Da musste ich doch hilfesuchend nach vorne laufen. In Begleitung ging es wieder zurück. Die junge Frau drehte den Knopf einen Millimeter in die andere Richtung und die Maschine lief. Ja ja, was hatte ich doch für einen Supertag.
Die 700 m in den Ort waren uns zu weit, man muss ja auch immer zurücklaufen, im Ergebnis 1,4 km zusätzlich. Folglich beschlossen wir in der Albergue ein Pilgermenu einzunehmen. Nach unserer Bestellung wurde Paella an einen etwas weiter weg stehenden Tisch ausgegeben. Es gibt ja appetitlichen Fischgeruch und den anderen Geruch, hier war es definitiv der andere. Wären wir doch bloß noch gelaufen – oder weggelaufen. Die Strafe für uns faule Bande folgte. Es gab Rotwein, eisgekühlt (man singt das doch nur über Bommerlunder), eventuell damit die ”Qualität“ nicht so durch kommt. Die Vorspeisen, Spaghetti und Knoblauchsuppa, gingen ja noch, dann folgte mein Pollo umrahmt von Matschpommes. Das Öl in dem das Hähnchenbein, man hatte vergessen dem Bein die Gummistützstrümpfe abzunehmen, gebraten wurde, muss man sehr geliebt haben und konnte sich seit Längerem nicht von ihm trennen. Nach zweimaligem Anpicken war ich satt. Obwohl Wuschi nur gut mit dem Öl getränkte Spiegeleier mit Schinken gegessen hatte, verweigerte er auch el Pollo.