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Wir hatten uns gestärkt und machten uns wieder auf den Weg. Wenn ich meinen Rucksack geschultert hatte, fuhr oft meine linke Hand Richtung des über dem Gurt befindlichen ”Rettungsrings“, mit den Spitzen von Zeigefinger und Daumen prüfte ich die Breite. Hm, sehr zufriedenstellend. Seh ich mir die Bilder jetzt an, frage ich mich, was ich denn da nun wieder gefühlt hatte.
Nachdem wir durch Rabé de las Cazadas gelaufen waren, begann die Meseta. Der Camino führt wieder durch eine baum- und strauchlose Landschaft an Wiesen und Felder entlang. Die einzige Möglichkeit im Schatten einen Schluck erfrischendes Wasser zu trinken, war, nach rechts zum Brunnen Parotorre abzubiegen, an dem nicht nur Bäume, sondern auch Holzbänke und -tische stehen und es einen Grill gibt. Wir hatten aber leider kein Grillfleisch mit. Holland kam, wir gingen lieber weiter.
Es war warm und wir stiefelten bergauf. Neben mir tauchte unser Erstpilger alleine auf, erschrocken fragte ich ihn: „Oh, wo ist Madame?“ Er schmunzelte mich an und wies mit der Hand hinter sich. Da kam Madame, ich klopfte mit meiner Hand auf mein Herz und atmete dazu erleichtert aus. Sie lachte mich an und ich freute mich, alles war gut.
Die Wetterverhältnisse waren grandios – äh – für einen Strandurlaub. Zwischendurch schnell ins Wasser springen, wenn einem zu warm ist und zurück unter den Sonnenschirm lesen oder einfach nichts tun. Tz – tz – tz, Wasser gab es nur ohne Meersalz aus der Flasche, der Sonnenschutz war ein Hut, wobei der Rest des Körpers in der sengenden Sonne brutzelte. Oben auf der Hochebene angekommen konnten wir schon mal einen Blick auf den im Tal liegenden Ort Hornillos del Camino werfen.
Die letzten Kilometer bergab zogen sich. Meine Füße meinten auch, dass es für diesen Tag genug ist. Ich müsste vielleicht meine Füße überprüfen, ob eine Tageslaufleistung eingestanzt ist. Da es für Füße auch keine Bedienungsanleitung in Papierform gibt und ich leider keinen Internetzugang mit hatte, konnte ich derartiges leider nicht nachsehen. Wir schotterten bis zum Ortseingang. Dort gab es einen Dorfladen und gegenüber ein Hostal. Leider hatte dieses Hostal einen Zettel ”komplete“ an den Butzenscheiben hängen. Die dunklen Scheiben ließen einen noch nicht mal einen Blick hinein werfen.
Mein Mann holte uns Getränkedosen. Ich hatte nicht nur keine Lust auf Wasser, sondern auf nix mehr – fertig – einfach völlig fertig. Setzte mich auf die kleine im Schatten stehende Bank vor den Laden. Um meinen gesamten Körper vor der Sonne zu schützen, hätte ich mich tief in die Sitzfläche gedrückt hinlegen müssen. Ich maulte, mach ich immer wenn ich kaputt bin. Wolfgang sollte alleine im Ort nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen. Mein Körper, besonders meine Füße streikten und ich unterstützte sie. Einigkeit soll ja starkmachen – hm – hier doch eher schwach.
Meine Chevaliers huschten an mir vorbei, öffneten die Tür des Hostals und verschwanden darin. So eine Oberfrechheit, sie hatten wohl reserviert. Meine Laune sank noch ein Stück tiefer. Da saß ich nun im kaum noch vorhandenen Schatten und suchte krampfhaft nach jemanden, den ich ordentlich ärgern konnte. Leider kam weder Wolfgang zurück, noch sonst ein Pilger vorbei. Er hatte seinen Rucksack bei mir gelassen, somit nahm ich nicht an, dass er sich von mir, seinem knurrigen Eheweib abgesetzt hatte.
Endlich erschien er zurück, er hätte weiter im Ort eine Herberge gefunden und dort mit einer Englisch sprechenden Mitarbeiterin gesprochen. Es gäbe 6 km weiter ein Hotel und wir würden vor der Albergue abgeholt werden. Mensch, hätte uns auch vor dem Laden abholen können. Der Rucksack wurde wieder geschultert und ab zur Albergue. Wir trafen dort auch Josef an, er hatte in der Herberge schon seine Sachen untergebracht. Begeistert war er von der Herberge nicht. Und auch diese Albergue war schon belegt. Die orangenen Tücher flatterten an uns vorbei, die Platzanweiserin rief noch ein: „Vielen Dank für den Tipp”, er sei ihr Retter gewesen zu Josef. In meinem Kopf spuckte es: Josef wie kannst du nur. Wie kamen die überhaupt hierher, überholt hatten sie uns nicht. Sie wurden zu einem Matratzenmeer in einer Sporthalle geführt. Wenn sie einen Spiegel dort fanden, konnten sie ihn ja fragen: Spieglein, Spieglein an der Wand wer sind die am dollsten geschminkten Pilgerinnen auf dem Camino in diesem Land?
Wer weiß, vielleicht hätte er geantwortet: Ihr seht ja toll aus, so schön zurechtgemacht. Bei mir käme bestimmt: Nimm mal schön dein Wellblechpalastgesicht weg. Und die Haare sind auch nicht geföhnt. Kann ich noch einmal bitte die mit den orangenen Tüchern sehen? Hallo, ich bin auf dem Pilgerweg und Marathonläufer sehen im Ziel auch nicht gut aus. Wenn der Spiegel dann bemerken würde, ich wäre ja auch noch nicht am Ziel, müsste ich ihm leider recht geben. Zum Glück halten alle Spiegel den Mund.
Wir saßen auf dem ungastlichen Platz vor der Albergue, ein Tisch, zwei Stühle, ein kleiner Sonnenschirm und an der Wand hing ein roter Bushaltestellen-Mülleimer. Ich fragte mich, wo sich die ganzen Pilger (32) aufhalten sollten. Als ein Auto angefahren kam, sprang ich auf, nur um mich wieder hinzusetzen. Es fuhr vorbei, denn eben nicht. Beim nächsten Auto blieb ich sitzen, es war aber für uns angefahren gekommen.
Schnell die Rucksäcke, Stick´s und wir hinein, ab ging die Fahrt. Aus dem Seitenfenster hinausschauend sah man das Schild des nächsten Ortes. Ich glaubte es nicht, da stand doch tatsächlich – Isar-. Somit landeten wir in Bayern, vor dem Hotel Rural. Ich zückte mein Geldtäschchen, um das Taxi zu bezahlen. Der Fahrer sah mich verwirrt an. Wolfgang meinte: „Das ist doch der Besitzer vom Hotel, der möchte kein Geld für die Fahrt.” Auch gut.
Die Bar ist auch die Rezeption, klein aber gemütlich, hier hielten sich auch einige Spanier an Biergläsern fest. Oder sie kamen um sich die barbusige, schielende Figur anzusehen, die auf dem Tresen stand. Wir wurden gefragt, ob wir etwas trinken möchten. Ach, endlich einen Café con leche, Wuschi nimmt lieber ein Bier. Smoky ging natürlich mit dem Café vor die Tür und suchte dort an der linken Hausseite Schatten. Das Angebot für Schattenplätze war aber den Tag so was von gering. Es fehlten hier Sonnenschirm und Stühle. Nach dem Getränkegenuss führte uns der Besitzer nach oben zu unserem Zimmer. Obwohl das hätten wir auch selber gefunden, es gab nur fünf Zimmer. Die Zimmer hatten keine Nummern, sondern Namen, die Namen habe ich aber vergessen. Ich kann mir ja nur Zahlen merken.
Wir schlossen auf und fielen fast vor Staunen in Ohnmacht. Wir Luxuspilger, wir Glückspilze. Uns empfing ein in warmen Farben gehaltenes großes Zimmer, das Bett lud zum Sofortschlaf ein. Wir widerstanden. Das Zimmer musste ja noch mit dem Rucksackinhalt umdekoriert werden. Ich betrat das Baño, oh my good, eine Badewanne, wer jetzt noch am Luxus zweifelte. Ich ging plätschern, nach der Reinigung von Körper und Wanderkleidung hatte meine Erschöpfung die Müdigkeit an die Hand genommen und war verschwunden. Wir gingen sauber und bestens gelaunt hinunter. Auf unsere Frage, wo wir unsere Sachen trocknen könnten, meinte der Hotelier: im Garten auf dem Trockenständer. Den Ständer hatte ich oben im Flur gesehen. Aber welchen Garten meinte er? Gingen diesmal rechtsseitig um das kleine Hotel. Da gab es eine kleine von einer Hecke umrahmte Grasfläche, ohne Sonnenschirm zwar, aber mit Tisch und 2 Stühlen. Wie wohl die Notunterkunft mit Matrazenmeer aussah? Tz,tz.
Hatte ich mir auf dem Camino kühleres Wetter gewünscht? Dieser Wunsch wird verspätet erfüllt. Es ist Juli, theoretisch Sommer, kalendermäßig, aktuelle Temperatur 12ºC. Es schifft, mit kurzen Unterbrechungen, seit drei Tagen. Ein sogenannter Deutscher “Supersommer“. Schlafanzugsonntag. Da Philips sich, seit einer Woche, mit dem von Allitsches (Alice) HD-Rekorder angerichteten Schaden beschäftigt, können wir Fernsehtage schlicht vergessen. Allitsche, meine neue “Freundin“, das Blondchen, das immer so schön mit ihrem braunen Kleid um die schlanken Beine wedelt. Wie konnte ich als Frau nur darauf hereinfallen. War es Neid auf diese Figur, dachte ich, da färbt vielleicht etwas ab. Einen vernünftigen Grund kann ich einfach nicht mehr erkennen. Zurück auf den richtigen Weg.
Wir setzten uns in den Garten und bewachten, abwechselnd mit Cafe, Cerveza oder Clara (Alsterwasser) bewaffnet, unsere auf dem Trockenständer hängende Wäsche. Beschrieben den ersten Schwung Postkarten. 28º C warm war es bestimmt. Wir rückten die Stühle so dicht an die Hecke, dass wir ein Stückchen im Schatten relaxen konnten. In dem Hotel waren auch ein Franzose und eine Deutsche untergekommen. Die Kommunikation mit dem Franzosen beschränkte sich aufs freundliche Zunicken. Die Deutsche kam in “unseren“ Garten. Sie war klein, fast dürr und trug ihr graues Haar pusteblumenmäßig. Ich tippte auf Lehrerin, weil sie ein so strenges, keinen Widerspruch duldendes Gesicht hatte. Sie beklagte sich darüber, dass die Herberge belegt war und sie nun hier in diesem Hotel übernachten musste. Warf noch einen begehrlichen Blick auf unsere Heckenplätze und unter der Bemerkung, hier wäre ja auch kein Schatten, zitterte sie wieder ab.
Getränke machten nicht satt, der große Hunger rüttelte an unseren Magenwänden. Ich ging ins Hotel und fragte, wann wir comidos (essen) könnten. Der Besitzer sah zur Uhr und meinte, in einer ½ Stunde, um 17.15 Uhr, könnten wir essen. Was für ein Luxus, nicht bis zum Abend warten zu müssen. Das wurde hier ja immer schöner. Nachdem wir unsere trockene Wäsche in unser Zimmer gebracht und so noch rumgetrödelt hatten, war es Zeit zum Speisen.
Neben der Bar gab es den Speiseraum. Der Hotelier, außer kochen machte er alles, führte uns zu einem, in der hintersten Ecke stehenden, eingedeckten Tisch. Fast wie in einem Separee. Wein und Brot standen schon bereit. Es wurden uns als Vorspeise gebratenes Gemüse, als Hauptgang Schweinefilet mit Salat und leckerer Soße und zum Dessert Eis gebracht. Dazu genossen wir den vorzüglichen Rotwein. Das Schlaraffenland hatte seine Pforte nun aber ganz weit aufgerissen.
Wir beschlossen noch eine Runde durchs Dorf zu drehen. Die Pusteblume kommt uns mit einer Tüte in der Hand entgegen. Meinte, falls wir noch einkaufen wollten, könnte sie uns sagen, wo sich das Geschäft befindet. Nö, wollten wir nicht. Unser Energiedepot (Bananen) war noch gefüllt und Wasser holten wir uns im Hotel. Wir liefen zur nahegelegenen Kirche hinauf. Das ganze Gelände um sie sah ungepflegt aus. Neben der Kirchenuhr tummelten sich Wespen oder Bienen um eine Lücke in der Kirchenmauer. Außer den Insekten ging wohl keiner in diese Kirche. Von dem höhergelegenen Platz vor der Kirche konnten wir weit ins Land sehen. Das Land, das wir schon “abgelaufen“ waren. Zufrieden mit uns und der Welt gingen wir zum Hotel.
Als wir durch das mittelalterlich anmutende Dorf zurückgingen, stellten wir fest, dass der Ort wie ausgestorben war. Kein Mensch begegnete uns. Man hörte auch kein Kinderlachen, keine meckernden Mütter, keinen Rasenmäher, keinen Handwerker bohren und hämmern, sah keine Katze, es bellte kein Hund. Nix. Da musste der Hotelbetreiber sich ja über unsere Anwesenheit freuen.
Als wir im Hotel ankamen, handelten die beiden anderen Gäste, die Deutsche in perfektem Französisch und spanisch, gerade die Uhrzeit für Frühstück und Abfahrt aus. Wir fanden eine Frühstückszeit um 7.15 Uhr in Ordnung, den anderen Pilgern ist das zu spät. Damit der Hotelier nicht überstrapaziert wurde, schlossen wir uns den Beiden an. Nun sollte es um 6.15 Frühstück geben und die Abfahrt um 6.45 Uhr erfolgen. Ich war fasziniert von den Sprachkenntnissen der Frau und fragte sie, ob sie Lehrerin war. Nein, sie wäre Übersetzerin gewesen, ihr Hörvermögen ließ nach und sie musste den Beruf aufgeben. Gut, dass ich in ihrer Anwesenheit kein spanisch gesprochen hatte. Mit ¡Buenas noches! gingen wir hinauf in unser “Gemach“.
Wolfgang schrieb noch in sein Notizbuch und ich stellte noch die Weckzeit im Handy ein. Ich schrieb nicht ein Wort, dafür hatte ich aber auch zwei Moleskine Notizbücher mit, man weiß ja nie. An der frischen Bettwäsche schnüffelnd schwebte die Prinzessin, auf der Erbse ohne Erbse, beim zweiten sanften Klang der Kirchenglocken vom Schlemmerland ins Schlummerland. Auch der Schnarchbär konnte sie nicht aufhalten.
Hornillos del Camino - Castrojeriz
Das Handy brummte zur richtigen Zeit. Es erfolgte das “bärige“ Packritual, den blasenfreien Füßen wurde mit Hirschtalg gehuldigt. Die Magnesiumdrops wurden eingeworfen, nun kam noch das Abwürgen des Ossobuco mit dem Gummistrumpf dazu. Wir waren bereit zum Frühstück. Na wo waren denn unsere Frühstartpilger? Im Restaurant zum Frühstück waren sie jedenfalls nicht. Wir bekamen zum Abschied auch noch ein reichhaltiges Frühstück serviert. Verspätet trotteten die Beiden an, prima so konnten wir in Ruhe ohne Eile ausgiebig essen.
Im Dunkeln wurden unsere Habseligkeiten und wir vier Pilger in das Auto unseres Gastgebers geladen und ab ging es zurück nach Hornillos del Camino. Wir wurden an der Albergue ausgeladen und mit einem ¡Buen camino! verabschiedet. Nicht nur der Bushaltestellenpapierkorb quoll über, nein, der ganze Platz vor der Herberge sah versifft aus. Die Prinzessin vermisste die Erbse nicht.
Endlich konnten wir unsere Kuschelfleecejacken wieder tragen, unsere Rucksäcke schultern und ab ging die Post von Hornillos del Camino nach Castrojeriz 20,8 km. Die Spitzen der ersten Sonnenstrahlen lugten hinter den Hügeln hervor. Da wir in die westliche Richtung gingen, sahen unsere Schatten wie Stelzenfiguren aus. Wir fielen in unseren üblichen Paarlauf und genossen die Kühle des frühen Morgens. Es waren schon viele Pilger unterwegs, leider auch welche mit orangenen Tüchern. Munter brabbelnd liefen sie hinter uns. Vor der Abzweigung zur Quelle San Bol dachte ich, abbiegen, los biegen, Mensch, biegt doch endlich ab. Was für eine Kraft doch Gedanken haben konnten, die Truppe bog zur Quelle ab.
27.07.2011 Allitsche meine Neuspanierin, zu dumm, um E-Mails zu lesen, zu reagieren, einen Retourantrag an uns zu senden. Ich fürchte, ich muss mich noch intensiver mit ihr auseinandersetzen. Ich werde jetzt ein Unternehmen gründen, mache ganz viel Werbung, setze unerfahrene Mitarbeiter an einen E-Mail Server. Im Programm gibt es vorgefertigte Antworten und wenn keine passt, reagiert man eben nicht. Ob sich der Kunde ärgert, interessiert mich nicht. Dann rufen sie eben weiter an oder mailen. Ich kaufe dann weitere Unternehmen dazu, sodass ich noch mehr Menschen mit Unfähigkeit beglücken kann. Später wenn ich noch ärgerlicher bin, ruf ich bei Alice an. Zurück zum Camino.
Vor uns auf der Schotterpiste hatte sich ein Schwarm kleiner strahlend blauer Schmetterlinge niedergelassen. Sie flogen auf und davon, als wir vorbeirauschten. Fangen mochte ich sie bestimmt nicht, denn sie waren von einem Kothaufen gestartet. So wunderschön anzusehen, aber leider eine verschissene Ernährungskette. Wir überholten, nur um es nachhaltiger anzumerken, wir überholten zwei junge Koreanerinnen, sie waren sehr schlank und gingen schwerfällig. Als wir mit ¡Buen camino! an ihnen vorbeizogen, strahlten uns zwei Augenpaare bei der Antwort an. Die eine Koreanerin trug eine graue Jogginghose und rosa Leinenturnschuhe von Puma. Sie musste sehr stark abgenommen haben. Das Stück der Hose, das sonst ihren Po zieren sollte, schlabberte um die Oberschenkel, die aber auch nicht ausgeprägt waren. Sie schlich gepäcklos voran, ihre Freundin trug zwei Rucksäcke, einen auf dem Rücken und den anderen vor den Bauch geschnallt. Das nenn ich Freundschaft. Ich war ja nur verheiratet, da trägt man seinen Rucksack selber. Die Koreaner waren in den Herbergen nicht so beliebt. Ihre Kochkünste erzeugten intensivste fremdländische Gerüche, die auch die Nacht in der Albergue verbrachten. Und die anderen Pilger rümpften ihre Nasen, obwohl Frikadellen Gerüche mag auch nicht jeder.
Der Ire, den wir in Puente la Reina kennengelernt hatten, wurde ab Burgos von seiner Frau begleitet. Eine fröhliche, hellhäutige Rothaarige, sie hatte auch allen Grund, heiter über den Camino zu laufen. Von Lasten befreit tippelte sie neben ihm her, sie trug keinen Stab keine Stick´s und ihr Handtäschchen war auch daheim geblieben. Er ertrug alles, hüpfelte aber nicht mehr so mit seinem Pilgerstab die Anstiege hinauf. Ihn plagte die Ehelast. Gepäckmäßig freute er sich bestimmt auf León, dann würde seine Frau wieder abreisen.
Die ersten Kilometer wurden immer locker abgestiefelt, so konnten meine Augen rumtrödeln und die Gedanken abschweifen. Auch auf Pilgerreise gehen. Hier faszinierte mich eine Frau besonders. Sie trug einen hellen Hut und dazu einen türkisen Anzug aus weichem Stoff. Meine Augen folgten ihren Körperbewegungen. Ihr Kopf und die Beine hatten einen anderen Rhythmus als der üppige Körper. Pendelte der Körper nach links bewegte sich der Kopf mit den Beinen nach rechts. Mir tat mein Hals nur vom Hinsehen weh. Aber auch sie lachte zufrieden, als wir grüßend an ihr vorbeiliefen. Vor uns pilgerte ein Paar, das überwiegend getrennt lief. Sie wanderte ein Stück voraus, setzte sich und machte eine Pause. Er schien bei jedem Schritt nachzudenken, ob und wie er ihn setzten sollte. Er lief ruhig, gelassen im immer gleichen Tempo. So schritt er an seiner Frau vorbei und beachtete sie nicht, er ging einfach weiter. Ob er ihr Gepäck nicht tragen wollte?
29.07.2011 Neues von Allitsche, nach einem Telefonat, in dem ich Home TV, also die Fernseh-Flatrate gekündigt hatte, erhielt ich eine E-Mail mit Anhang (vom 28.07.2011). Wunschgemäß werden wir den Zugang zu den privaten Free-TV Kanälen für ihre Fernseh-Flatrate am 27.07.2011 wieder deaktivieren.
Die Fernseh-Flatrate können Sie über den Receiver auch weiterhin nutzen. Kann ich nihicht!!! Der Receiver ist doch kapuhutt. Und zusätzliche Sender hatte ich auch nicht bestellt!! Dafür habe ich immer noch keinen Rücksendeschein für den defekten Receiver. Die Werbeaussage von Alice im Internet: Alle reden von Service. Wir handeln. Versprochen. Überzeugen Sie sich! Lach - ist vielleicht auch dort ein Fehler unterlaufen, müsste es nicht heißen: Wir handeln nicht. Zurück nach Spanien.
Nach 11 km pausierten wir in dem in einer Senke liegenden Ort Hontanas. Schon lange zierten unsere Jacken die Rucksäcke. Kein Wölkchen ließ sich blicken und die Sonne hatte wieder sämtliche Heizstäbe angeschaltet. Die üblichen Rastrituale, Café con leche, Bocadillo, wurden im Schatten einer Bar vollzogen. Wuschi trank durch den schlechten holländischen Einfluss immer noch Coca-Cola. Leider dauerte der Aufenthalt der orangenen Tücher in San Bol nicht lange, auch sie besuchten dieses Café. So sehr sie sich auch bemühten, hier war nichts mit Stühle rücken. Wir liefen lieber gestärkt weiter.
Am Ende des Ortes Hontanas stand ein Reisebus. Er war in eine fischig stinkende Urinadewolke eingehüllt. Damit die Fahrgäste während der Weiterfahrt für die Benutzung des WC abgestraft wurden, standen die Türen weit auf. Auch der restliche Businhalt war hier ausgekippt worden. Vor uns gingen zwei Frauen und einige Meter voraus zwei Männer. Die blonde Frau trug heute blassblau mit Glitzerglitzersteinchen und leichtes Schuhwerk an den Füßen. Die Dunkelhaarige trug nicht nur ein orangenes T-Shirt, sondern auch ihr Handy am Ohr. Aha, Österreicher oder wohl eher Wiener. Es wurde ins Handy gebrüllt, fast so als würde sie mit der S-Bahn durch Hamburg fahren. Bittgoarschee, Schorschi, mei der Max, mei woan der Max vor Tür ansitzt, ja eh, Schorschi. Schorschi mir laufe oan Stückl auf dem Jakobsweg. Bla-bla-bla, wir ziehen vorbei und hatten schnell die beiden Männer erreicht.
Der mit einem orangenen Achselshirt Bekleidete, aus dem spargelige Arme heraushingen, trug eine weiße schlabberige Badeshorts und eine silbern glänzende Badetasche über der Schulter. Seine Säbelbeine steckten in weißen Billigkunststoffschuhen und rundeten das Bild ab. Sein Begleiter trug auch ein orangenes T-Shirt, war aber sonst nicht augenauffällig. Wir Paarläufer gingen an ihnen vorbei. Die Wiener hängten sich an unser Tempo und quatschten. So als wenn wir sie an der Leine führten, folgten sie uns in einem sieben Meter Abstand. Der Weg verlief eben, man könnte zur Ruhe kommen und die Gegend genießen. Wenn, wenn man nicht von zwei Labertaschen verfolgt würde. Wiener Schmäh? Ich mag diesen Dialekt nicht. Prinzessin trat auf Erbse, oder auf zwei Erbsen, orangene Erbsen. Nach einer halben Stunde fühlte ich, wie mein ganzer Körper sich in eine Pershing Rakete verwandelte. Ich pustete an der glimmenden Zündschnur. Zwecklos, ich wurde gezündet und ging ab. Ich drehte mich wutentbrannt um und grölte: „Einfach mal die Fresse halten. Man, wir sind hier auf dem Jakobsweg, da kann man auch mal ruhig sein und sich auf die Natur einlassen.” Badetasche meinte nur: „Geht doch schneller.”
Die Wiener Würstchen lassen sich ein Stück zurückfallen und wisperten nur noch. Schon während der Explosion tat mir mein Ausbruch leid, da war es aber schon zu spät. Später im Bus werden die Beiden erzählt haben, dass pilgern wohl doch nichts mit Gelassenheit und Friedlichkeit zu tun hat. Pah!
Wir stiefelten an einer ca. 30-jährigen Frau vorbei, sie lief schwer atmend nach vorne gebeugt. Ich fragte, ob sie Hilfe brauche. Mit leidendem Blick antwortete sie, nein, alles wäre in Ordnung. Jeder presste hier auf dem Camino seine allerletzten Reserven aus dem Körper, sogenannte Grenzerfahrungen. Die Erbsenprinzessin hatte es nur mit den Ohren, die hörten zu gut. Ein Vogel saß auf dem Weg. Seine gelben Bauchfedern und seine grünen Flügel waren gesprenkelt. Einer erzählte später es wäre ein Bienenfresser gewesen, das stimmte aber nicht. Im Internet versuchte ich den Vogel zu finden. Es könnte eventuelle ein Girlitz gewesen sein. So plötzlich, wie er dort saß, war er auch schon wieder entflogen. Schade, dass Wolfgang den Fotoapparat nicht zur Hand hatte, er hatte den Vogel noch nicht mal gesehen. Oder hatte nur ich einen Vogel?
Auf dem Camino hatte ich schon meine Irritationen. Während ich lief, hörte ich aus dem Randstreifen des Feldes, ein glucksendes Piepen. Es blieb in der gleichen Lautstärke und begleitete mich. Blieb ich stehen, hörte es auf, ging ich weiter, begann auch wieder die Feldrandmelodie. Nein – nein, es waren nicht die Würstchen, das war während einer anderen Etappe. Ich weiß aber nicht mehr, wo das war.
Auf der rechten Seite des Weges war das Korn schon sehr hoch gewachsen. Ein leichter Wind bewegte das Getreide. Wie von einer Hand gestreichelt, bog sich das Korn leicht zur Seite und wurde zu silbrigen Wellen, die über ein grünes Meer rollten. Nun mussten wir leider diesen bezaubernden Weg verlassen. Es ging nun 1,7 km auf einer Landstraße entlang. Kurz nachdem wir auf die Allee gelangten, trafen wir die Pusteblume aus Isar wieder. Sie hatte hier auf einer Plastikplane, direkt an der stark befahrenen Straße, ihre Pilgerrast verbracht. Verstanden wir nicht, vielleicht brauchte sie das Brummen der vorbeidonnernden Motoren. Denn rücksichtsvoll fuhr hier keiner.
Wir schnackten mit der Frau noch ein paar Sätze, da kamen die Wiener vorbei. Die Badetasche entschuldigte sich bei mir. Hm – hätte ich mich nicht entschuldigen müssen? Aber sie stiegen ja gleich in ihren Miefbus und wir würden sie nicht mehr treffen. Die französische Pilgerin (Burgosbus) konnte ich von Weitem erkennen. Sie trug einen Stick, an den ausgestreckten Armen haltend hinter dem Körper und die helle um die Hüften geschlungene Jacke tanzte dazu von links nach rechts. Wir machten uns auf dem Seitenstreifen so schlank wie möglich, damit wir nicht eine unfreiwillige Autofahrt unter den entgegenkommenden Autos mitmachen mussten.
Wir hatten die Ruine des Klosters San Antón erreicht. Ein Teil der Ruine war ein ca. 30 Meter hohes Halbrund. In einer Vertiefung dieser Mauer stand eine vierzig cm kleine Jakobuspilgerfigur. Eine Steinplatte, auf einem Sockel liegend, wurde durch eine große Kerze und Öllämpchen verziert. Davor stand ein Ghettoblaster und spielte klassische Musik. Seltsamerweise wirkte die Szenerie, trotzt Ghettoblaster, auf mich sinnlich.
Die Ruinen des Klosters San Antón bestanden aus mehreren Teilen, sodass sie einen großen Platz einrahmten. Es gab Bänke, zwei Tische mit Plastikstühlen und der Boden war mit Heu und Kiesel abgestreut. Oh man, wer saß denn dort, unsere Chevalier´s. Sie machten uns mit Handzeichen klar, dass wir uns zu Ihnen an den Tisch setzen sollten. Der Weißhaarige hatte wie immer ein blütenweißes Halstuch umgelegt. Sie hatten ihre Leckereien ausgebreitet, Bananen, Käse, Nüsse und Brot. Ihre Füße hatten sie nicht von den Stiefeln befreit. Vielleicht war das Thema Blasen mittlerweile für sie erledigt. Dann holte der Weißhaarige Becher aus dem Rucksack und eine Wasserflasche. Im Gegensatz zu unserem durchsichtigen und klaren Wasser, war ihr Wasser in einer grünen Flasche und dunkel. Nun kannte ich auch das Geheimnis ihrer guten Laune. Man tausche Wasser mit Wein. Die französische Lust zu leben. Sie boten uns Wein an, aber wir lehnten lachend ab. Mensch, dann wäre ich ja gleich betüddelt gewesen. Wir blieben lieber bei Bananen und Wasser.