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Das Programm, mit dem man in der Schule schon so früh wie möglich anfangen will, heißt tatsächlich Für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt. Doch wie – bitte schön – können Kinder etwas akzeptieren, was sie nicht kennen und auch nicht kennen dürfen, weil sofort der Jugendschutz eingreifen würde, wenn es ihnen zum Beispiel ein Kinofilm zeigen wollte. Wenn Kinder wirklich etwas »selbst« bestimmen sollen, müsste man sie in Ruhe lassen. Gerade das tut man nicht. Der Jugendschutz müsste schon in dem Moment eingreifen, wenn solche Programme entwickelt werden. Gerade das tut er nicht.
In Erfurt wurde ein vierzehnjähriger Junge durch einen Knutschfleck überführt, den er einem dreizehnjährigen Mädchen beigebracht hatte (er hatte sie geküsst und außerdem durch die Kleidung im Genitalbereich berührt). Er wurde zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt und sollte zudem – später wurde allerdings, nachdem sich das Bundesverfassungsgericht (!) mit dem Fall beschäftigt hatte, anders entschieden – eine DNA-Probe für die Gendatei »Sexualstraftäter« hinterlassen, obwohl er beteuerte, dass das Mädchen einverstanden gewesen sei und das auch so gewollt habe.
Wie passt das zusammen?
Schon aus der erwähnten Broschüre von Philipps lässt sich herauslesen, dass hier eine Trennung vorgenommen wird: Frauen und Mädchen dürfen, Männer und Jungs nicht. Es wird nur indirekt, aber deutlich genug erklärt: Das Inzesttabu soll nicht für Mütter gelten; denn es ist eine »patriarchalische Erfindung«, mit der sich der Mann zwischen Mutter und Sohn stellt und so die »innige Verschränkung« von Mutter und Kind stört.
Wenn ein Junge etwa vier Jahre alt ist, »rivalisiert« er mit dem Vater; in der Situation soll die Mutter vorbeugend eingreifen und ihre Liebe »gerecht aufteilen«, um keinen zu »benachteiligen«. In diesen Broschüren wird über Liebe gesprochen, als ginge es um Nachtisch und als hätte eine Mutter noch nie die Erfahrung gemacht, dass der Appetit und die Geschmäcker verschieden sind. Der erotischen Liebe zwischen den Eltern wird, wenn auch noch die Kinder mitmachen, zwar die Exklusivität genommen, aber das ist, wenn wir den Ratschlägen folgen, nicht so wichtig; die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Generationen sollen sowieso eingeebnet werden. Spannungen, die sich daraus ergeben, sollen rechtzeitig abgebaut werden, das Kind soll von vornherein kein übermäßiges Interesse an der Sexualität entwickeln – nur ein mäßiges, es soll den Geschlechtsverkehr als etwas »Normales« empfinden. Eltern sollen ein Kind getrost mit ins Bett holen und erklären, dass das, was sie da machen, ein »Spiel« ist. Eines, bei dem das Kind mitspielen darf.
Mütter sind entschuldigt. Was als patriarchalische Erfindung erkannt und damit gebrandmarkt ist, gilt nicht mehr als Maßgabe für moderne Frauen. Die gelten als mutig, wenn sie sich von Zwängen, die Männer erschaffen haben, lossagen.
Als »kontroversestes« (aber auch als das »krankhafteste«) Buch des Jahres 2013 wurde der Überraschungserfolg Tampa von Alissa Nutting bezeichnet, ein pornographischer Roman aus der Sicht einer weiblichen Pädophilen – einer Lehrerin, die ihre Schüler verführt und schon in der Nacht vor ihrem ersten Unterrichtstag in einer »erregten Endlosschleife« von Selbstbefriedigungen keinen Schlaf findet. Der Autorin bescherte das Buch Erfolg und mediale Aufmerksamkeit; sie ist eine junge, attraktive Frau, sie darf so etwas schreiben, sie muss sich nicht vor Konsequenzen fürchten. Auch ihre Heldin wäre im richtigen Leben längst nicht so gefährdet, wie es ein Mann wäre. Sie hätte gute Chancen, dass man ihre Übergriffe stillschweigend durchgehen ließe und sie nicht weiter behelligte. Weibliche Pädophile haben ein berühmtes Vorbild: Simone de Beauvoir. Die wurde zwar aus dem Schuldienst entlassen, als aufflog, dass sie Schülerinnen zu Sexspielen verführt hatte, ihrer Bedeutung als Ikone der Frauenbewegung hat es aber nicht geschadet.
Die Freiheiten, die sich Frauen herausnehmen und ständig weiter ausbauen, finden ihr Gegenstück in der zunehmenden Unfreiheit der Männer, für die neue Straftatbestände geschaffen werden. Sie stehen unter verschärfter Beobachtung, sie sind nur noch geduldet, als wären sie in einer missgünstigen Frauenwelt auf Freigang, sie dürfen sich nicht die kleinsten Ausrutscher leisten und keinesfalls nachts an einer Bar einer neugierigen Journalistin gegenüber die Worte »Tanzkarte« oder »Dirndl« fallenlassen.
Ein Vater, der in Scheidung lebt, hat nur wenige Möglichkeiten, den Umgang mit seiner dreijährigen Tochter wahrzunehmen. Die nutzt er, so gut er kann. Das Mädchen hat gerade eine Pilzinfektion im Windelbereich; dem Vater wird eine Salbe mitgegeben, mit der er das Kind zweimal täglich einreiben soll. Kurz darauf folgt eine Vorladung beim Jugendamt, der Verein Wildwasser e. V. wirft ihm sexuellen Missbrauch vor.
Eine Beilegung erfolgt in solchen Fällen dann meist außergerichtlich, aber nur, wenn der Verein einen Rückzieher macht und feststellt, dass höchstwahrscheinlich doch kein Missbrauch vorgelegen hat. Das ist beileibe keine Ausnahme; so etwas kommt in Umgangs- und Unterhaltsverfahren derart häufig vor, dass man es den »Salben-Trick« nennt. Solche Tricks, Foulspiele und Verdächtigungen kennzeichnen das gegenwärtige Klima. Junge Männer werden zwar in Kindergärten händeringend als Erzieher gesucht, doch da stehen sie schon mit einem Bein im Gefängnis. Windeln wechseln dürfen sie nur unter Aufsicht.
Die Arbeitsgemeinschaft Wildwasser lehnte es – zumindest in der Anfangsphase – grundsätzlich ab, mit sexuell missbrauchten Jungen zu arbeiten, und verweigerte ihnen jegliche Hilfe. Zu öffentlichen Vorträgen wurde Männern kein Zutritt gewährt, es gab extra Rausschmeißerinnen, die entschlossen eingriffen, wenn sich einer vorgewagt hatte. Das Thema Missbrauch sollte ein Monopol der Frauen bleiben. Frauen beanspruchen, wie es heißt, die »Deutungshoheit«, Jungs sind grundsätzlich keine Opfer, Mütter sind keine Täter. In Werbeanzeigen von Wildwasser heißt es: »Sexueller Missbrauch schadet Mädchen immer.« Jungs kommen in so einer Sichtweise nicht vor.
So schadet man speziell Vätern und Jungs und macht allen Kindern Angst vor Männern. Damit rechtfertigen sich weitere Maßnahmen zur Förderung einer »angstfreien« Sexualität. Doch die Angst vor dem Mann ist maßlos, sie ist so überrissen, dass es keine Rettung mehr gibt. Die Kinder lernen früh, dass alle Männer als potentielle Vergewaltiger und als Verbrecher anzusehen sind.
Da darf ein vierjähriges Kind ausnahmsweise mit dem Scheidungsvater einen Jahrmarkt besuchen. Anschließend trifft beim Jugendamt ein Schreiben ein, das Kind sei verstört gewesen und hätte immer wieder etwas von einem »Würstchen« erzählt, was auf sexuellen Missbrauch schließen lasse. Ein Lehrer sollte eine Schülerin bei einem Wandertag lieber nicht mit Mückencreme einreiben, auch nicht vor Zeugen, es könnte ihn ruinieren. Die Gefahr besteht darin, dass allein die Anwendung der Creme – ohne dass daraus etwas folgt – als Missbrauch gelten kann. Ein Vater, der dabei »erwischt« wird, wie er auf dem Kinderspielplatz die Wollstrumpfhose seiner Tochter zurechtzieht, muss sich, wie Ralf Bönt in Das entehrte Geschlecht berichtet, vor der flugs herbeigerufenen Polizei ausweisen. Kinder – genauer gesagt Mädchen – lernen schon früh, dass die Berührung durch einen Mann traumatische Schäden hinterlassen kann, die sie ein Leben lang begleiten werden und ihnen ein späteres Glück unmöglich machen.
Katharina Rutschky, die zu den reflektierten Stimmen unter den Feministen gehört, hat es »den Missbrauch mit dem Missbrauch« genannt. In dem Körpersong hört sich das beispielsweise so an: »Mein Körper, der gehört mir allein, / Du bestimmst über dein’ und ich über mein’. / Wenn ich berührt werde, weiß ich, wie’s mir geht!/ Mein Gefühl, das ist echt!/ Mein Gefühl hat immer Recht.« Kinder sollen mit solchen Liedern spielerisch lernen, dass sie ein »Ja-Gefühl« und ein »Nein-Gefühl« haben. Sollten sie jemals ein Nein-Gefühl verspüren, dann, so erklären es die dem Song beigefügten Materialien des Donna-Vita-Verlages mit dem Titel Mein Körper gehört mir, liegt ein Fall von sexuellem Missbrauch vor. Das Gefühl des Kindes entscheidet.
Damit wird eine primitive Schwarz-Weiß-Sicht auf die hochkomplizierte, sich erst entwickelnde Gefühlswelt des Kindes übertragen, als gäbe es keine Ambivalenzen, kein Vorher und kein Nachher. Als gäbe es nicht etwas, was einem zuerst nicht schmeckt, was man aber nachher umso lieber mag, und als gäbe es nichts, was gut schmeckt, aber in Wirklichkeit giftig ist. Damit wird dem Kind eine eigene Entwicklung, eine allmähliche »Bildung« der Gefühle abgesprochen – früher sprach man sogar von »Herzensbildung«. Die Entwicklung der Sexualität eines Kindes, die noch nicht angefangen hat, wird behandelt, als wäre sie bereits abgeschlossen.
Woher kommen die Gefühle? Aus dem Inneren.
Und woher kommt die Bewertung der Gefühle?
»Mein Gefühl hat immer Recht!«, heißt es in dem Lied, doch auch Lustmörder haben Gefühle. Was Recht ist und was nicht, kann ein Kind nicht aus dem »Bauch heraus« entscheiden, wie es neuerdings die Fernsehkommissarinnen tun und Kandidaten bei Wer wird Millionär?.
Die Entscheidung ist sowieso schon gefallen. Das Kind hat gelernt, dass es ein Nein-Gefühl haben soll – ja, haben muss –, und unser Beispielkind mit der rutschenden Wollstrumpfhose wird demnächst auch eins haben, wenn es sich erinnert, dass nach der letzten Berührung durch den Vater die Polizei anrückte.
Aus der heilen Welt ist eine geile Welt geworden. Eine böse, geile Welt. Die vielfältigen Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt und gegen Missbrauch – wie die vom Donna-Vita-Verlag – haben ein Nein-Gefühl zunächst herausgekitzelt, dann aufgeblasen und in vielen Fällen überhaupt erst erschaffen. Nun herrscht der Horror einer ständigen Bedrohung durch männliche Sexualität. Das will die Mikado-Studie der Uni Regensburg genauer erforschen. Sie richtete an Acht- und Neuntklässler Fragen wie diese: »Hat dich jemals jemand dazu gedrängt, seinen Penis oder den einer anderen Person in den Mund zu nehmen?« »Wurdest du jemals von einer anderen Person zur Prostitution (Sex gegen Geld) gezwungen?« Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt für solche Erhebungen Millionenbeträge zur Verfügung und belohnt Mädchen, die mit ja antworten, mit Aufmerksamkeit; sich selbst belohnt es mit der Einbildung, dass seine Politik richtig sei.
Das Ja-Gefühl ist eine Falle. Das musste nicht nur der Junge aus Erfurt erleben. Ein Ja darf gar nicht sein, weil es ein Ja zum Missbrauch wäre. Auch Päderasten sollten sich nicht auf das Jawort eines Kindes berufen dürfen. Sie versuchen es nichtsdestoweniger. Vielleicht werden sie bald Erfolg damit haben, denn ein Kind soll neuerdings ein »Recht auf Sexualität« geltend machen dürfen, und wenn das Kind »selbst« bestimmt und die »Gefühle« immer »Recht« haben, dann ist die Tür zur Legalisierung von Sex mit Kindern geöffnet.
Kindern bleibt ein Ausweg aus der Zwickmühle: Das Ja zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Was sie an »Vielfalt« akzeptieren sollen, ist nicht viel, sondern wenig. Akzeptieren soll ein Kind nicht etwa eine verlockende Vielfalt, sondern die speziell empfohlene Homosexualität, die den Vorteil hat, dass sie frei ist vom Missbrauchsverdacht. Da lernt ein Junge in der siebenten Klasse, wie man ein Kondom benutzt, und der Lehrer sagt dazu – es folgt eine Szene aus dem richtigen Leben von heute mit echten Kindern –: »Und dann ab damit in den Popo!«
Für Mädchen lautet die Lösung: lesbisch werden. Die Vagina-Monologe der Theaterautorin Eve Ensler wurden am V-Day (V wie Vagina, wie Victory Over Violence und wie Valentinstag), dem Aktionstag gegen Gewalt, im Europaparlament vorgetragen – um Zeichen zu setzen. Eines der Zeichen, das in einer Szene aus den Monologen gesetzt wird, sieht so aus: Ein junges Mädchen wird von einer älteren Frau zum lesbischen Sex verführt. Anschließend wird ihm erklärt, dass es keine Vergewaltigung war.
So ist es korrekt. Aber es müssen alle mitmachen. Wenn Eltern nicht mitmachen wollen und ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht fernhalten, droht ihnen – zumindest in einigen Bundesländern – Erzwingungshaft. So wird die behauptete »Zwangsidentität«, der wir angeblich unterliegen, mit echtem Zwang abgeschafft. Dann haben wir tatsächlich eine Zwangsidentität.
Blutige Experten
Beim Thema Sex wird gelogen. Da fragt man Frauen und Männer, ob sie schon mal fremdgegangen sind, und stellt fest, dass es so viel mehr Männer als Frauen sind, die einen Seitensprung zugeben, dass da schon rein statistisch etwas nicht stimmen kann. Dann gibt es eine zweite Fragerunde, diesmal – so behauptet man jedenfalls – mit einem Lügendetektor. Schon tun es Frauen und Männer etwa gleich oft.
Auch im Krieg wird gelogen. Wir haben es heute mit einem besonderen Krieg zu tun – dem Geschlechterkrieg. Da wird gelogen wie in anderen Kriegen auch. Und wie in der Politik. Verdeckte Foulspiele, kleinere und größere Gesetzesübertretungen gehören schon beim normalen Politikbetrieb zum Tagesgeschäft. Für feministische Aktivisten, die außerhalb der »männlichen Logik« unterwegs sind, ist es ein selbstverständlicher Teil ihres Tuns, mit Übertreibungen, Halbwahrheiten und mit künstlichen Aufgeregtheiten zu operieren, die sie für zutiefst berechtigt halten, solange alles dem »guten Zweck« dient.
Was als guter Zweck gilt, geht aus den fünf Punkten hervor, in denen Dale O’Leary die Forderungen der Pekinger Weltfrauenkonferenz zusammengefasst hat. Wir sollten uns nicht täuschen und in dieser Frage etwa einen Streit zwischen konservativen und fortschrittlichen Kräften erwarten. Sie streiten nicht, sie sind sich einig. Der Konsens umfasst alle, er geht über Partei- und Landesgrenzen hinweg. Es ist eines der Kennzeichen totalitärer Regime, dass sie, wie uns Hannah Arendt erklärt, die Frage, ob sie links oder rechts sind, unbedeutend machen.
Für die Konservativen ist das Mitschwimmen mit der Gender-Agenda eine Frage des Machterhalts, für alte Linke und neue Grüne Voraussetzung für die Erfüllung eines Traums aus einer ganz frühen Phase der russischen Revolution – des Traums von Wilhelm Reich, dem »Vater der sexuellen Revolution«. Er war nicht der einzige Träumer. Auch Georg Lukács, ein Vordenker der Frankfurter Schule, der vor allem als Literaturkritiker bekannt wurde, hatte, als er stellvertretender Volkskommissar für Unterrichtswesen der ungarischen Räterepublik war, ein Programm der freien Liebe eingeführt.
Das ist wenig bekannt.
Umso bekannter ist das Schlagwort von der »antiautoritären Erziehung«, das zum Grundbestand der 68er Ideale gehört und schon deshalb großen Widerhall fand, weil man in dem »autoritären Charakter«, wie ihn Erich Fromm beschrieb, genau den Typus erkannte, der für Fremdenhass, Kadavergehorsam und letztlich für den Krieg verantwortlich war. Wenn man der Entstehung so eines »Charakters« entgegentrete, so die Folgerung, wehre man den Anfängen und leiste damit einen Beitrag zum Frieden. Diesen Eindruck vermittelte das 1960 erschienene Buch Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing. Der britische Pädagoge Alexander S. Neill berichtet darin von Erfahrungen, die er schon in den zwanziger Jahren in der von ihm gegründeten Privatschule Summerhill gemacht hatte – einer Schule, die auf Kinder mit Verhaltensproblemen spezialisiert war.
Neill war ein Freund von Wilhelm Reich, der wiederum seinen Sohn Peter zu ihm auf die Schule schickte. Obwohl Neill mit dem Ausdruck »antiautoritär« nicht in Verbindung gebracht werden wollte, veröffentlichte der Rowohlt Verlag die deutsche Taschenbuchausgabe 1969 unter dem Titel Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. So neu und provokant sie wirken mochten, die Methoden der sogenannten antiautoritären Erziehung waren alt und schon fast wieder in Vergessenheit geraten.
Unter »antiautoritär« wurde nicht zuletzt »sexuell freizügig« verstanden. Die Sexwelle, die in den sechziger Jahren heranrollte, erfasste nun auch Kinder, und das galt als – politisch gesehen – gut so. Das berühmte Foto aus der Kommune 1 zeigt nackte Männer und Frauen neben nackten Kindern. In Universitätsstädten wurden »Kinderläden« gegründet, die sich – wie Buchläden von Buchhandlungen – vom Kindergarten dadurch unterschieden, dass sie »fortschrittlich« und mehr oder weniger antiautoritär waren. Auch in jungen Familien setzte sich ein »antiautoritärer« Erziehungsstil durch, der den Eltern das Gefühl gab, auf der Höhe der Zeit zu sein, aber eigentlich nur darin bestand, dass man die Kinder machen ließ, was sie wollten.
In manchen der Kinderläden konnten die Kleinen schon bis vier zählen und lernten die Parole: »Eins, zwei, drei, vier. Kommunisten sind wir!« Eine politische Identität wurde ihnen so früh wie möglich eingetrichtert. Eine sexuelle auch. Theorien, die die Themen Sexualität und Marxismus verbanden, wurden abgestaubt und wiederaufgelegt; Hans-Peter Gente gab die Taschenbücher Marxismus Psychoanalyse Sexpol Band 1 und 2 heraus – das Kurzwort Sexpol steht für den von Wilhelm Reich begründeten Reichsverband für proletarische Sexualpolitik, eine Unterorganisation der damaligen KPD. Im Jahre 1970 schrieb Hans-Jochen Gamm, der bekannt war für eine radikal verstandene pädagogische Parteilichkeit, die sich am Marxismus orientiert: »Wir brauchen die sexuelle Stimulierung der Schüler, um die sozialistische Umstrukturierung der Gesellschaft durchzuführen und den Autoritätsgehorsam einschließlich der Kinderliebe zu den Eltern gründlich zu beseitigen.«
Was ist die Grundidee – damals wie heute? Zuerst wird ein Keil zwischen die Generationen getrieben. Die Kinder werden den Eltern entfremdet, um sie dem Staat zu überlassen, dem sie dann schutzlos ausgeliefert sind.
Können wir das hinnehmen?
Wenn wir jemanden an unsere Kinder heranlassen, der sie für »Vielfalt öffnen« will, können wir dann nicht auch erwarten, dass er seinerseits offenlegt, was für Interessen er hat und wie vielfältig diese sind? Wir sollten Aufklärung über die Aufklärer verlangen. Was wollen sie? Wollen sie die Gesellschaft umstürzen? Bisher verbotene Gelüste legalisieren? Wollen sie bei einer Mode mitmachen, weil sie gewohnheitsmäßig allem nachlaufen, was von oben kommt? Oder wollen sie einfach nur die Chance auf mediale Aufmerksamkeit nutzen und sich in Szene setzen?
Dass es nicht um das Wohl der Kinder geht, ist offensichtlich. Johann Friedrich Herbart, Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Immanuel Kant, gilt als ein Klassiker der Pädagogik. Er gab zu bedenken, dass wir alles, was wir Kindern antun, erst in deren späterem Alter bemerken werden. Ein kluger Gedanke, der nur auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als bringe die Erziehungswissenschaft lediglich Banalitäten hervor – weil es doch jeder sowieso wisse. Inzwischen sollte es tatsächlich jeder wissen: Schäden, die in früher Kindheit entstehen, zeigen sich erst später und können sich ein Leben lang auswirken. Auch dass die Kindheit »irreversibel« ist, wie Herbart betont, sollte hinreichend bekannt sein. Wir können bei Kindern nicht wie bei einem Computer auf »Neustart« gehen, noch mal von vorn anfangen und kurzerhand alle Dateien, die wir nicht mehr wollen, löschen.
Das heißt in unserem Fall, dass wir das Kindeswohl nicht losgelöst von der späteren Entwicklung beurteilen können. Wer es trotzdem tut, erweist sich als Scharlatan. Studien, die belegen wollen, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist, sind wertlos. Sie können die Problematik überhaupt nicht erfassen, es sei denn, die Forscher wären – wie bei einem Sciencefiction-Film – in eine Zeitmaschine gestiegen und wohlbehalten mit guten Nachrichten zurückgekehrt.
Wir haben es mit »Experten« vom Schlage einer Bettina Wulff zu tun, einer Anna-Maria Philipps oder einer pädagogischen Blindgängerin wie Prof. Dr. Luise F. Pusch, nach deren Vorgaben sich die Anhänger der »geschlechtergerechten« Sprache richten. Sie machte 1991 anlässlich einer Kindergärtnerinnensynode, bei der ausgerechnet sie als »Expertin« geladen war, den Vorschlag, den »Buben« – wie man in Winterthur sagt, wo das Treffen stattfand –, »Wunden« zuzufügen, falls sie sich »frauenfeindlich« zeigen; denn diese »Verletzungen heilen sowieso wieder zu schnell.«
Wir sprechen von einem »blutigen Laien«, wenn jemand keine Ahnung hat. Günther Anders hat vorgeschlagen, lieber von »blutigen Experten« zu sprechen, weil es gerade die Fachidioten seien, an deren Fingern Blut klebe. Nicht alle Experten sind Fachidioten, aber viele sind nützliche Idioten.
Die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung – Pro Familia bildet neuerdings Teenager zu sogenannten »Sexperten« aus. Das sind Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, die vor Gleichaltrigen über verschiedene Sexualpraktiken referieren und durch ihre jugendlich unbefangene Art dazu beitragen sollen, Hemmungen zu überwinden.
Ein Experte ist heute nicht etwa jemand, der wissenschaftlich arbeitet und sich auf seinem Fachgebiet besondere Qualifikationen erworben hat, er muss vielmehr in der Lage sein, genau den Moment abzupassen, wenn die Politik dabei ist, ein neues Terrain abzustecken, auf dem sie sich ausbreiten will. Der Experte von heute meldet sich immer dann zur Stelle, wenn neue Opfergruppen erfunden werden und nach neuen Maßnahmen gerufen wird. Er gilt als besonders kritisch – und damit als mutig und glaubwürdig –, wenn er im großen Stil Vorwürfe gegen die gesamte Gesellschaft erhebt und ihr ein schändliches Versagen vorhält, das nicht länger zu ertragen sei. Zum »Beweis« werden dann Betroffene präsentiert, die sich aber oft nicht gut genug darstellen und ihre Nöte nicht richtig formulieren können. Dafür gibt es dann die Experten, die sich dadurch ausweisen, dass sie mit Begriffen, die wir noch nie gehört haben, auftrumpfen und neue Abkürzungen in die Welt setzen – wie LSBTTIQ.
Was ist das?
Es ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuellen und »queeren« Gruppen, Vereinen und Initiativen, LSBTTIQ also. Die Buchstabenkombination erinnert an Zungenbrecher, wie sie Kinder mögen; der Volksmund spricht sie »Lesbo-Titti-Kuh« aus. Um diese Kuh wird bei der Durchführung der »Bildungsplanreform 2015« in Baden-Württemberg ein Tanz veranstaltet, als wäre es der Tanz um das Goldene Kalb: Alles dreht sich um die Lesbo-Titti-Kuh, deren Interessen fächerübergreifend berücksichtigt werden sollen. In Zukunft sollen Lehrkräfte die Schüler an eine neue Sexualethik heranführen, in der sämtliche LSBTTIQ-Lebensstile ohne ethische Beurteilung als gleichermaßen erstrebenswert hingestellt werden. Alle Varianten der Sexualität werden dadurch als neue Norm angesehen und der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt.
Solche Initiativen sollte man nicht leichtfertig als »Lobby-Gruppen« bezeichnen. Sie halten sich nämlich gar nicht erst in der Lobby – also im Vorraum – auf, wo sie darauf warten müssten, irgendwann vorgelassen zu werden. Sie haben längst in der guten Stube der Politik Platz genommen. Sie sind die neuen Günstlinge, die es geschafft haben, die Gunst der Stunde zu nutzen.
Es hat sich in zweierlei Hinsicht eine »Verantwortungslücke« aufgetan. Zum einen gibt es keine Personen, die Verantwortung übernehmen könnten. Zum anderen erlaubt der Faktor Zeit, auf den Herbart hingewiesen hat, unverantwortliches Handeln. Man kann also in unserem Fall nicht sagen, dass irgendjemandem »die Zeit davonläuft«, vielmehr erlaubt die Zeit allen Tätern und Mittätern davonzulaufen. Erst mitlaufen, dann weglaufen – so machen es die, die es nachher nicht gewesen sein wollen. Wann sollte denn auch der richtige Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung der Maßnahmen zur sexuellen Verfügbarmachung der Kinder sein? Wen sollte man dann für die seelischen Verwundungen verantwortlich machen?
Verantwortungslücken sind brandgefährlich; denn sie erlauben, wie es Günther Anders nennt, die »Möglichkeit zur unbestraften Unmenschlichkeit«, sie locken speziell Leute an, die so eine Chance nutzen wollen, um das auszuleben, was ihnen sonst untersagt wäre. »Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!«, sagt Goethe in einer Zeile aus den Xenien.