Herzensöffnung (2): Versöhnung

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„Ja, aber wieso? Wir sind doch erst ein paar Tage in Ihrer Firma.“
„Vielleicht ist das hier anders. In Deutschland ist es bei großen Firmen nichts Ungewöhnliches, einen Firmenwagen zu bekommen, wenn man dienstlich unterwegs sein muss. Bei uns ist das jedenfalls so geregelt. Deshalb müsst ihr so schnell wie möglich den Führerschein machen.“
„Wolfram, wie kann ich Ihnen nur danken?“
„Nicht mir! Ich bin doch nur der Vermittler. Außerdem müssen wir Ihnen danken wegen der Kinder. So, jetzt müssen wir aber los, wenn wir pünktlich in der Dorfschenke sein wollen.“
Ivonne blieb bei den Kindern und war überglücklich. Ihr Olaf würde den Führerschein machen. Sie wusste, dass er sich das schon so lange gewünscht hatte. Vielleicht würden sie es dann irgendwann zu einem kleinen Auto schaffen. Damit würde sich für Olaf ein unendlich großer Traum erfüllen. Ivonne wusste das und sie wollte alles dafür tun, dass er wahr würde.
Währenddessen besuchten die anderen den Wirt in seinen Räumlichkeiten. Es war noch nicht 10.00 Uhr und so waren auch die meisten noch nicht da. Wolfram suchte sich einen Platz mit dem Rücken zur Wand, damit er immer nach vorn sprechen konnte. Beim Wirt bestellte er ein Mineralwasser.
Pünktlich 10.00 Uhr begann Wolfram mit der nächsten Informationsveranstaltung. Außer dem Bürgermeister waren alle da. Einige hatten ihre Frauen mitgebracht, andere kamen allein. Andrea flüsterte Wolfram zu, dass diese Frauen auf die Kinder aufpassten, wie auch Ivonne. Wolfram nickte und begann.
„Liebe Freunde. Wir sind heute nochmals hier zusammengekommen, um Genaueres über unser Projekt zu besprechen. Ich werde Ihnen erst einmal beschreiben, was man Ihnen da aufs Grundstück setzen wird. Das Ferienhaus wird ein Holzhaus mit zwei Etagen werden. Unten wird es einen großen Wohnraum mit einer kleinen Kochmöglichkeit und einem ebenfalls kleinen Kühlschrank geben. Bei uns nennt man das Miniküche. Ansonsten wird es dort einen Esstisch mit vier Stühlen geben und eine Sitzecke mit Couch, Tisch, zwei Polsterhockern und zwei Stühlen. Ein Fernseher wird auch in diesem Raum sein. Ebenfalls wird es im Untergeschoss ein Bad mit Wanne, Dusche, Waschbecken und Toilette geben. Das Obergeschoss wird zusätzlich mit einer kleinen Toilette und einem Waschbecken ausgestattet. Das erste Zimmer wird ein Schlafzimmer mit Ehebett, zwei Schränken, zwei Nachttischen, drei Hockern und einem flachen Schränkchen sein. Das zweite Zimmer oben wird das Kinderzimmer sein. Darin werden zwei Doppelstockbetten stehen, bei denen man die unteren Betten hochklappen kann, um Platz zum Spielen zu gewinnen. So werden nur so viele Betten genutzt, wie Kinder angemeldet sind. Die unteren Betten werden nur heruntergeklappt, wenn es mehr als zwei Kinder sind. Es wird auch eine Möglichkeit geben, dieses Kinderzimmer auf bis zu sechs Betten zu erweitern. Wie das geht, wird man Ihnen zeigen, wenn alles fertig ist. Zum Ferienhaus gehört immer eine Garage. Es wird Urlauber geben, die mit dem Schiff kommen und ihre Autos mitbringen.
Da das Ferienhaus fast das ganze Jahr über geheizt werden muss, empfehle ich Ihnen, in Ihr Haus eine Ölheizung einbauen zu lassen. Ebenso sollten Sie das Angebot einer zuverlässigen Waschmaschine aus unserer Produktion annehmen. Sie werden durch die Urlauber viel Bettwäsche und Handtücher zu waschen haben. Das sollten Sie nicht unterschätzen.“
Inzwischen kam auch der Bürgermeister und setzte sich.
„Bürgermeister Björn Nansen, ich begrüße Sie. Es ist gut, dass Sie gekommen sind, denn jetzt wird es auch für Sie interessant. Wir suchen weiterhin Fischer hier im Dorf. Ich habe gehört, dass es noch einige gibt. Denen möchte ich empfehlen, Fjord-Rundfahrten anzubieten oder auch Hochseeangeln. Ebenso könnten Sie jeweils vier Personen mit zum Fischfang nehmen. Bei einem Preis von 250,- Kronen pro Person können sie damit ein gutes zusätzliches Einkommen haben.“
„So viel bezahlt doch niemand“, rief einer der Bewohner.
„Sie irren sich. Das ist ein Preis, den sicher viele bezahlen werden. Urlaub kostet immer Geld. Die Urlauber, die hierherkommen, wissen das.
Auch wäre es vorteilhaft, wenn es bei Ihnen hier im Dorf einen Bäcker gäbe. Der könnte das Dorf und das Hotel mit frischen Backwaren beliefern. Davon kann man bestimmt gut leben. Die Finanzierung wäre dann allerdings anders. Eine Bäckerei und ein kleiner Laden, der vielleicht früh drei Stunden und nachmittags zwei Stunden offen hat. Das würde sicher reichen. Außerdem könnte ich mir eine Fahrrad-Ausleihstation vorstellen. Wer sich dazu entschließt, sollte aber Schlosserfähigkeiten haben, damit er auch eine kleine Fahrradwerkstatt betreiben kann. Die Finanzierung könnte man auch über das Ferienhaus abwickeln. Sehr empfehlenswert wäre auch ein Souvenirladen, der gestrickte Mützen und Pullover mit Norwegermuster anbietet, ebenso Sweatshirts und T-Shirts, Postkarten und Briefmarken. Sicher gibt es auch noch andere interessante Souvenirs, die man da anbieten kann. Der Laden sollte immer am oder im Haus des Betreibers sein.
Für all diese Dinge müssten Sie in Deutschland ein Gewerbe anmelden. Ich weiß nicht, wie hier die gesetzlichen Bestimmungen sind. Aber Ihr Bürgermeister kann Ihnen da sicher helfen. Auch sollte er einen Fotografen engagieren, der Postkarten kreieren kann. Sie brauchen unbedingt Postkarten vom Dorf und vom Hotel. Auch sollten Ansichten vom Fjord, vom Wald mit einem Elch und von einem Ferienhaus angeboten werden. Den Fotografen wird das Hotel bezahlen.“
Wolfram wandte sich Sven zu: „Bitte kläre das mit der Hotelleitung. Sie müsste wissen, dass sie auf diese Art Werbung nicht verzichten kann. Ihr habt an der Rezeption nicht eine Postkarte vom Hotel noch von der Umgebung.“
Sven nickte.
„Dem Wirt habe ich den Vorschlag gemacht, dass er statt eines Ferienhauses seine Gästezimmer modernisiert. Dazu habe ich ihm empfohlen, einen Saal für etwa hundert Leute anzubauen und dort Tanzveranstaltungen für das Dorf und die Urlauber anzubieten. Ebenso könnte er hier Kinovorstellungen geben. Wenn er dafür eine Genehmigung benötigt, wird ihm der Bürgermeister sicher weiterhelfen.
Sie sehen, ich habe mir viele Gedanken gemacht, damit Ihr Dorf aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Es sind aber alles nur Vorschläge und Ideen. Verwirklichen müssen Sie diese Ideen selbst. Ich kann Ihnen nur bei der Finanzierung helfen. Das war es, was ich Ihnen noch mitteilen wollte, eh Sie den Vertrag unterschreiben. Ich habe für alle, die sich bei Olaf gemeldet haben, einen Vertrag mit.“
Damit setzte sich Wolfram und wartete auf die Reaktionen der Zuhörer. Erst herrschte ein paar Minuten Stille. Dann kamen die ersten Fragen.
„Wer garantiert uns denn, dass das alles funktioniert? Nicht, dass wir auf den Ferienhäusern sitzen und dann kommt keiner.“
„Solange die Finanzierung läuft, wird Ihr Kredit automatisch Monat für Monat abgeschrieben, auch wenn keine Urlauber kommen. Das ist das Risiko unserer Firma. So steht es übrigens im Vertrag.“
„Und warum setzen Sie sich so dafür ein? Was verdienen Sie dabei?“
„Ich? Sie werden es nicht glauben. Ich verdiene nichts dabei. Aber das ist für mich nicht so wichtig. Ich habe in Deutschland eine gute Arbeit und verdiene dort ausreichend. Als ich vor fast einem Jahr das erste Mal in Håp Land war, habe ich gesehen, dass es hier viele Menschen schwer haben, weil es zu wenig Arbeit gibt. Deshalb habe ich monatelang überlegt, wie ich Ihnen helfen kann. Ich glaube einfach, dass Sie viel Potenzial haben, wenn man Sie unterstützt. Tun müssen Sie es selbst. Aber ohne Hilfe ist das eben fast nicht möglich.“
„Werden Sie die Arbeiten selbst überwachen?“
„Nein. Ich muss morgen wieder zurück nach Deutschland. Dort wartet meine Arbeit. Aber es wird ein Bauingenieur aus Deutschland kommen. Ansonsten ist Olaf für die Organisation zuständig und Ihr direkter Ansprechpartner. Baubeginn wird voraussichtlich im März sein. Der Bau für ein Ferienhaus sollte nicht länger als acht Wochen dauern. Wenn sich nach dem heutigen Tag weitere entschließen, dieses Angebot anzunehmen, dann wäre eine zweite Bauphase im September möglich. Im Sommer ist Saison und da sollte kein Baulärm sein.“
Wolfram erklärte anschließend Einzelheiten, die den Bau betrafen.
„Gibt es weitere Fragen? Nein? Dann können wir mit dem Unterschreiben beginnen. Olaf hat für jede angemeldete Familie den Vertrag. Lesen Sie ihn sich gründlich durch und geben Sie ihn unterschrieben zurück, wenn Sie einverstanden sind. Er wird am Montag in der Firma gegengezeichnet und Sie bekommen dann Ihr Exemplar per Post zugeschickt. Sollten Sie in zwei Wochen noch keinen Vertrag zugeschickt bekommen haben, melden Sie sich bei Andrea. Sie wird dann alles Nötige klären.“
Die Dorfbewohner holten sich ihre Verträge und begannen zu lesen. Wolfram rief den Bürgermeister zu sich und fragte nach dem Haus der Sörensens.
Björn Nansen lachte: „Wollen Sie das auch kaufen?“
„Nein. Ich nicht. Aber Sven Aglund interessiert sich dafür. Er sucht etwas für seine neue Familie.“
„Das ist etwas anderes. An Ausländer wäre das Haus nicht zu verkaufen.“
„Glauben Sie mir, ich habe ein schönes Haus in Deutschland. Das reicht mir vollkommen. Es ist wirklich für die beiden. Ich bin hier nur der Vermittler. Sven! Jetzt bist du dran.“
Sven verhandelte eine Weile mit Björn Nansen. Dann waren sie sich einig. Der Bürgermeister würde mit den Erben Kontakt aufnehmen und den Kauf vermitteln. Schließlich war er ja auch daran interessiert, dass dieses Haus wieder bewohnt wurde. So unterschrieb Sven auch seinen Ferienhausvertrag mit dem Vorbehalt, dass er ungültig wird, wenn es nicht zu dem Hauskauf kommen sollte. Wolfram akzeptierte diesen Vorbehalt.
Zum Schluss sammelte Olaf die Verträge wieder ein. Alle hatten unterschrieben. So konnten sie die Schenke verlassen und nach Hause gehen. Mamma wartete bestimmt schon mit dem Essen.
Natürlich war die Sache mit dem Haus für Sven und Andrea Thema beim Essen. Sven hätte nicht gedacht, dass der Bürgermeister sich so dafür einsetzte.
„Er wäre ein schlechter Bürgermeister, wenn er sich nicht um sein Dorf kümmern würde“, warf Wolfram ein. „Deshalb habe ich ihn auch immer eingeladen. Er sollte sich nicht übergangen fühlen.“
„Danke!“, sagte Andrea. „Ich kann es noch gar nicht glauben. Wir werden ein eigenes Haus haben und du musst nicht mehr jeden Tag diese Strecke fahren.“
„Es sieht so aus, als ob dieses Jahr ein Jahr der Überraschungen wird“, bemerkte Wolfram. „Das Haus, das Baby und wer weiß, was noch alles Neues auf uns einstürmt. An dieser Stelle möchten wir euch für den Juni dieses Jahres einladen. Ich meine euch, Pappa und Mamma, und auch euch, Sven und Andrea. Bis es so weit ist, werden wir auch geklärt haben, wie die Reise mit eurem Sohn am besten zu bewältigen ist.“
„Sohn?“, fragte Sven und schaute Andrea fragend an.
„Nein, Sven. Von mir hat er das nicht. Ich würde selbst gern wissen, was es wird.“
Wolfram schüttelte lachend den Kopf. „Es ist mehr so ein Gefühl. Ich habe mal gehört, dass kleine Jungs ihre werdende Mutter hübscher aussehen lassen. Hingegen machen kleine Mädchen die werdende Mutter nicht hässlich, aber sie sehen abgespannt und müde aus.“
Annefried nickte zustimmend und Wolfram sprach weiter: „Nun seht euch mal Andrea an. Sieht sie nicht aus wie das blühende Leben? Die Schwangerschaft bekommt ihr doch hervorragend. Von abgespannt und müde kann bei ihrem Aussehen weiß Gott keine Rede sein. Aber was soll’s. Im April zu Marias Geburtstag werden wir vermutlich mehr wissen.“
„Du weißt viel über Frauen. Das ist hier nicht üblich“, meinte Marias Mutter verwundert.
„Wie will man eine Frau verstehen“, sagte Wolfram, „wenn man über Frauen nur das weiß, was sich Männer am Stammtisch erzählen. Nur wenn man das Wesen einer Frau versteht, kann man auch sie selbst verstehen. Das wiederum, so meine ich, ist die gesunde Basis für eine Beziehung.“
„Aha“, sagte Kjeld. „Und jetzt verstehst du die Frauen?“
„Schön wäre es“, meinte Wolfram darauf lachend. „Ich bin immer noch beim Lernen.“
„Du willst uns auch einladen?“, fragte Kjeld jetzt etwas vorsichtig.
„Ja. So können wir alle zusammen Evas, Svens, meinen, Lauras und Andreas Geburtstag feiern. Das sind fünf Geburtstage, die ich gern mit euch zusammen feiern würde. Bitte macht es möglich. Ihr bereut es ganz sicher nicht. Oder hast du Angst vor den Deutschen?“
„Ich? Angst? Das Wort kenne ich gar nicht!“, entgegnete Kjeld entrüstet.
„Dann ist ja alles in Ordnung!“, konterte Wolfram.
„Habt ihr denn so viel Platz in eurem Haus oder müssten wir wie ihr jetzt im Hotel schlafen?“, fragte Marias Mutter.
Da meinte Andrea: „Sie haben zwei Gästezimmer im Haus. Ich glaube, das reicht für uns alle.“
Maria sah Wolfram gespannt an. Doch dieser sagte: „Ihr werdet auf jeden Fall bei uns zu Hause schlafen. So ist es doch viel schöner, oder nicht?“
Man konnte Maria ansehen, wie sie langsam die Luft herausließ. Wolfram hatte wieder mal die Kurve gekriegt, ohne alles sagen zu müssen. Annefried hingegen nickte erleichtert. Sie wollte so nah wie möglich bei ihren Kindern und Enkeln sein.
Am Nachmittag besuchten Wolfram und Maria ein letztes Mal Olaf und Ivonne im Nachbarhaus. Sie bedauerten, dass sie sich nun längere Zeit nicht sehen würden.
„Vielleicht klappt es, dass Olaf von der Firma eingeladen wird. Dann sehen wir uns in Deutschland wieder“, sagte Maria. „Wir bleiben über Andreas Telefon auf jeden Fall in Verbindung.“
Olaf antwortete: „Ja, das werden wir. Wenn es mit Deutschland nicht klappt, dann werdet ihr sicher wieder einmal nach Håp Land kommen. Ihr seid bei uns immer gern gesehen.“
„Danke, Olaf!“, sagte jetzt Wolfram. „Auch ich werde die Zeit hier bei euch nicht vergessen. Ihr seid mir zu wirklichen Freunden geworden und ich hoffe, dass wir uns in Deutschland wiedersehen. Aber das hängt eben nicht nur von mir ab. Warten wir es einfach ab. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass der Bau nach dem Winter ohne Verzögerung abläuft. Ich glaube, dass Sie, Olaf, genau der Richtige sind, der diesen Bau beaufsichtigt. Sie haben jetzt schon mehr geleistet, als ich mir vorgestellt hatte. Vielleicht kann ich mal mit der deutschen Bauaufsicht mitkommen, wenn die ersten Ferienhäuser fertig sind. Noch ein Tipp: Versuchen Sie den Kontakt zu Sven zu halten. Ich denke, es kann nicht schaden, wenn Sie mit dem Hotel im ständigen Kontakt sind. Wenn das Dorf das Hotel in das Dorfleben integriert, ist es allen zum Vorteil. Sie sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander leben.“
„Ich werde Ihren Rat beherzigen“, sagte Olaf, „da ich sowieso öfter mit Andrea zu tun haben werde.“
„Sven organisiert fast alles im Hotel drüben und Sie tun Ähnliches hier. Das sollte für eine Zusammenarbeit eine gute Basis sein. Und wenn der Bau losgeht und Sven das Sörensen-Haus bekommen hat, dann beginnen Sie bitte dort zuerst. Dieses Haus muss schnell fertig werden, schon wegen des Kindes, das Ende März zur Welt kommen will. Als Zweites sollte Ihr Ferienhaus fertig werden, damit wir etwas vorzeigen können. Wenn sich bis März noch welche entschließen, sollten sie auch gleich mit berücksichtigt werden. Wer sich erst entscheidet, wenn die Baggerarbeiten abgeschlossen sind, der muss bis September warten. Auch dann geht der Bau nur weiter, wenn es mindestens fünf Interessenten sind. Wegen ein oder zwei Ferienhäusern lohnt sich der Aufwand nicht.“
Olaf nickte. „Ich werde alles so machen, wie Sie es sagen.“ Dann fragte er: „Wann werde ich das erste Mal Geld bekommen?“
„Gehaltszahlung ist in unserer Firma immer am Monatsende. Ich denke, dass es in der letzten Woche im Januar sein wird. Kommen Sie bis dahin aus?“ Wolfram fühlte plötzlich wieder, wie wenig Geld sie zur Verfügung hatten.
Olaf aber meinte: „Wir werden bis dahin auskommen müssen. Das wird schon irgendwie gehen.“ Dabei versuchte er so locker wie möglich zu sein.
Wolframs Blick zu Ivonne sagte ihm, dass diese Lockerheit nur gespielt war und Jansens wirklich am Existenzminimum lebten. Deshalb sagte er: „Vielleicht kann ich erreichen, dass man Ihnen einen Vorschuss zahlt, da Sie in der kurzen Zeit schon einiges geleistet haben. Dann brauchen Sie auch Geld, wenn Sie zu persönlichen Absprachen nach Bergen müssen. Heben Sie auf jeden Fall alle Quittungen und Belege auf, wenn Sie für die Firma Geld ausgeben. Ich denke da an Busfahrten und Ähnliches. Diese Ausgaben bekommen Sie von der Firma natürlich zurück, wenn Sie sie mit Belegen nachweisen können.“
Kurz darauf verabschiedeten sie sich. Wolfram umarmte Ivonne und danach auch Olaf. Der Abschied fiel allen nicht leicht.
Als sie alle wieder am Tisch in Kjelds Wohnzimmer saßen, meinte Wolfram: „Sven, ich könnte mir vorstellen, dass ein engerer Kontakt mit Olaf Jansen günstig für euer Vorhaben mit dem Haus sein könnte. Jansens sind sehr einfache, aber von Grund auf ehrliche Leute. Dann könntest du auch manches im Hotel besser organisieren, wenn du diesen Kontakt pflegst. Olaf wird hier im Dorf der Organisator des Baus und auch manch anderer Dinge sein. Ich glaube, dass eine Zusammenarbeit mit ihm auch dem Hotel nützen könnte. Nimm einfach mal an, hier im Dorf findet sich jemand für diese Bäckerei-Idee oder für den Souvenirladen. Beides würde auch das Hotel attraktiver machen. Ihr solltet überhaupt mehr zusammenarbeiten. Bis jetzt habt ihr eher in Konkurrenz gestanden. Tauscht euch aus und bietet nie das Gleiche an. Sprecht euch ab. Teilt euch so den Service für die Urlauber. Ich denke, dass es eine gute Idee ist, wenn Dorf und Hotel zusammenwachsen. Einigkeit macht stark! Das ist ein altes deutsches Sprichwort.“
„Vielleicht hast du recht“, meinte Sven. „Jetzt, da wir einen neuen Betreiber haben, der offensichtlich mehr Wert darauf legt, dass die Angestellten im Interesse des Hotels denken und handeln, kann so eine Zusammenarbeit doppelt gut sein. Man erwartet jetzt auch von mir Ideen zur Verbesserung der Auslastung des Hotels. Nur habe ich absolut keine Ahnung, wie man diese Auslastung verbessern kann.“
„So schwer ist das gar nicht. Du musst nur großflächiger denken. Wer kennt denn schon euer Hotel? Kaum jemand, außer ein paar Reisebüros. Und was kann euer Hotel bieten? Außer Landschaft, Ruhe und Langeweile kaum etwas. Hier solltest du ansetzen. Das Hotel muss attraktiver werden. Mach einen Vertrag mit dem Blumenladen, dass sie täglich Tischschmuck und einige Sträuße für den Verkauf liefern. Bei Bedarf kann man das erhöhen. Hängt euch an den Fotografen für die Postkartenherstellung. Das Hotel braucht dringend eigene Postkarten, ebenso vom Dorf und von Bergen. Bietet Briefmarken mit an. Das alles sollte es auch an der Rezeption zu kaufen geben. Außerdem solltet ihr einen Flyer vom Hotel erstellen lassen. Der müsste dann in jedem Zimmer ausliegen, damit jeder Urlauber ihn mitnehmen und bei sich zu Hause Werbung für euer Hotel machen kann. Auch ist das Internet im Kommen. Ihr solltet über einen Internetauftritt nachdenken. Besprich diese Ideen mit deiner Chefin. Sie wird dir sicher zuhören, denn sie ist ja auch im Zugzwang.“
„Bei dir klingt das alles so einfach. Wo nimmst du nur all diese Ideen her?“, fragte Sven.
„Na ja, euer Hotel ist nicht das erste, in dem ich gewohnt habe. Ich habe schon oft Urlaub in Hotels gemacht und im Süden ist die Konkurrenz zwischen den Hotels viel größer als hier. Das, was ich dir gerade erzählt habe, ist das, was ich dort kennengelernt habe. Das sind nicht meine Ideen. Und wenn du mal ein Problem bezüglich des Hotels hast, dann frag mich. Vielleicht kann ich dir dabei mit meinen Hotelerfahrungen nützen.“
„Danke! Das würde mir bestimmt helfen“, antwortete Sven.
Sie besprachen noch viel, denn es war ja Wolframs und Marias letzter Tag in Håp Land. Am Abend verabschiedeten sie sich, denn sie wollten früh vom Hotel aus zum Flughafen fahren.
Annefried Lizell umarmte noch einmal alle ganz herzlich, besonders Wolfram. „Du hast so viel Freude in unsere Familie gebracht. Dafür danke ich dir! Werde ganz, ganz glücklich mit Maria.“ Weiter kam sie nicht, denn dicke Tränen liefen über ihr Gesicht.
Kjeld Lizell umarmte seine Tochter und auch seinen Schwiegersohn. „Du hast Wort gehalten. Das finde ich sehr anständig von dir. Das hätte mir mal einer sagen müssen, dass ich freiwillig einen Deutschen umarme.“
„Und bitte vergesst nicht, dass ihr im Juni bei uns eingeladen seid“, wiederholte Wolfram.
Da meinte Sven: „Ich kann nicht versprechen, dass ich im Juni Urlaub bekomme. Unsere Chefin bekommt vermutlich Druck vom neuen Eigentümer des Hotels. Da könnte sie in der Saison eventuell Urlaubssperre aussprechen.“
„Dann fordern wir dich eben wieder als Dolmetscher an. Das hat voriges Jahr auch geklappt.“
Sven war sich da nicht so sicher. „Voriges Jahr durfte sie noch alles selbst entscheiden. Für dieses Jahr habe ich echte Bedenken. Aber wenn ich nicht mitkommen kann, dann fährt Andrea eben allein.“
„Allein sicher nicht!“, sagte Maria lachend. „Oder willst du dann euer Kind stillen?“ Alles lachte bei dieser Bemerkung.
Nachdem sie sich auch von Andrea und Sven verabschiedet hatten, fuhren sie zurück ins Hotel. Am Abend, als die Kinder schon im Bett lagen, statten Maria und Wolfram noch einmal ihrer Brücke einen Besuch ab. Sie standen lange versonnen auf das Geländer gestützt da. Ihre Vergangenheit lief wie im Zeitraffer an ihnen vorüber. Obwohl alles erst etwas über zehn Monate her war, kam es ihnen vor, als wäre es vor Jahren gewesen. Sie umarmten sich wie damals und küssten sich. Hier war ihre Insel, die das Fundament ihres Glücks war. Hier war der Anfang von allem. Hier war der Anker ihrer Liebe. Hier war aber auch die Zufluchtsstätte für ihre Sorgen von damals. Hier war der Ort, der alles von ihnen wusste. Sie versprachen sich, diesen Ort immer wieder zu besuchen, so lange sie lebten.
2. Sonnenberg – Leben in der Villa
Der nächste Tag begann wie immer mit dem Frühstück. Dann räumten sie ihre Zimmer und meldeten sich an der Rezeption ab. Wolfram bezahlte und gab ein Kuvert für Sven ab mit der Bemerkung, dass er es bitte zustellen solle. Auf dem Kuvert stand „Olaf und Ivonne“. Darin befand sich ein Brief mit folgenden Worten:
Liebe Familie Jansen,
alles, was sich in diesem Kuvert befindet, überlassen wir euch. Es soll ein Dankeschön für die schönen Tage bei euch sein. Es ist das Restgeld, welches wir nicht mit nach Deutschland nehmen wollen. Das Zurücktauschen kostet aber auch wieder Geld und wir wollen die Banken nicht noch reicher machen. Nehmt es und denkt an uns.
Es grüßen euch aus dem deutschen Sonnenberg
Wolfram und Maria
Maria hatte diesen Brief geschrieben, da Wolfram zwar einigermaßen Norwegisch sprechen konnte, aber zwischen Sprechen und Schreiben liegen Welten, betonte er.
Auf der Fahrt nach Bergen waren alle recht ruhig. Jeder ging seinen Gedanken an die vergangenen Tage nach. Dagmar hatte wieder Laura auf dem Schoß, weil sie hinten zu fünft saßen. Am Flughafen gab Wolfram das Auto zurück und sie gingen zum Firmenjet, der sie zurück nach Uelzen brachte. Dort wartete schon die große Limousine auf sie, die sie zur Villa brachte.
Als sie die Villa betraten, fragten Eva und Laura: „Wir gehen wohl nicht nach Hause?“
„Doch!“, antwortete ihr Vati. „Wir sind zu Hause. Ab sofort wohnen wir hier.“
„Stimmt das?“, fragte Eva ihre Mutter.
„Ja, Eva. Das ist jetzt unser Zuhause. Wir müssen uns aber noch richtig einrichten.“
„Und was wird aus unserem Haus unten?“, fragte jetzt Laura.
„Das gehört in Wirklichkeit Onkel Manfred und Tante Dagmar. Sie haben uns dort nur bis zur Hochzeit wohnen lassen. Jetzt sind Mutti und ich verheiratet und wir wohnen nun hier oben. Tante Dagmar und Onkel Manfred werden ab heute wieder unten im Häuschen wohnen“, erklärte ihr Wolfram.
„Dann werden wir ja unsere Beete gar nicht mehr haben“, sagte Eva traurig.
Darauf antwortete ihr Dagmar: „Die werden wir für euch so lassen, wie sie sind. Ihr könnt uns doch immer besuchen, wenn ihr möchtet.“ Dabei sah Eva Wolfram fragend an.





