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„M-m!“ Diana nickte nachdenklich. „Und die können hier alle meine Gedanken lesen?“
„Sie könnten es schon, aber sie dürfen es nicht“, erklärte ihr Diane.
„Und du glaubst ernsthaft, dass sich alle daran halten. Dann bist du aber sehr naiv.“ Überlegen lächelte Diana die große Diane an.
„Nein, Diana. Du kannst eure Welt nicht mit unserer vergleichen. Hier gibt es keinen Betrug, weil jeder die Gedanken des anderen lesen kann und den Betrug sofort bemerken würde. Das Leseverbot gilt nur euch gegenüber, weil ihr sonst im Nachteil wärt.“
„Das klingt fair. Und die halten sich wirklich daran?“
„Ganz sicher. Teste es, wenn du möchtest.“
Inzwischen verließen sie den Transporter und Diana stellte fest: „Hier ist es ja richtig warm.“
„Ja. Bei uns ist immer die gleiche Temperatur. Anziehsachen als Kälteschutz brauchen wir nicht. Deshalb tragen hier alle nur eine Togadile. Doch diese Kleidung, wie ich sie jetzt im Moment trage, hatte dein Papa an, als er uns vor zwanzig Jahren besuchte. Ich habe sie gewählt, um bei euch nicht aufzufallen.“
Da kamen schon die ersten von Dianes Clan und begrüßten Wolfgang wie einen alten Bekannten. Ihm kam es plötzlich vor, als wäre er nur ein paar Wochen weggewesen. Sie begrüßten auch Marina und Diana.
Da stellte Diane ihnen Arebe vor. „Das ist die Frau, die mich geboren hat. Sie ist jetzt 146 Jahre alt. Ihr würdet sagen, sie ist meine Mutter.“
„Was? Du spinnst! So alt wird kein Mensch“, entgegnete Diana ihr entrüstet.
„Ich bin kein Mensch. Ich bin wie Diane Atlanter“, antwortete Arebe freundlich lächelnd.
„Ach so, ja. Und wie alt könnt ihr hier werden?“, fragte Diana jetzt neugierig.
„Bei uns gibt es keine bestimmte Lebenserwartung wie bei euch. Man lebt so lange, wie man will“, klärte Diane sie auf.
„Heißt das, ihr könnt mehrere hundert Jahre alt werden?“
„Ja. Oder tausend, je nach dem, wie lange man leben will.“
Überwältigt schüttelte Diana mit dem Kopf.
Da fragte Marina vorsichtig: „Könnt ihr auch Krankheiten heilen?“
„Nein. Dafür fehlt uns die Erfahrung. Bei uns wird niemand krank. Warum fragst du?“
„Nur so. Es wäre ja toll, wenn ihr es könntet.“
„Willst du deinen Gästen nicht einmal unser Zuhause zeigen?“, fragte Arebe jetzt Diane.
„Ja natürlich. Wollt ihr?“
Marina und ihre Tochter nickten und gingen neugierig Diane hinterher. Wolfgang folgte ihnen in kurzem Abstand mit Arebe.
„Du hast eine nette Familie“, meinte Dianes Mutter. „Deine Tochter ist nur etwas ungestüm. Sind bei euch alle Jugendlichen so?“
„Die meisten“, antwortete Wolfgang lächelnd.
Im Wohntrichter erklärte Diane die einzelnen Räume. Als sie vor der Tür von Wolfgangs ehemaligem Schlafraum ankamen, meinte Diane: „Und hier hat Wolfgang damals vor zwanzig Jahren geschlafen.“ Sie öffnete die Tür und er erstarrte, als er den Raum sah. Dort standen immer noch eine weiße und eine rote Rose am Kopfende des Bettes und die gelben Lilien am Fußende. Bei diesem Anblick verkrampfte sich sein Herz. Wolfgang gab sich alle Mühe, dass seine Augen tränenfrei blieben. Er versuchte mit aller Kraft zu verstecken, was ihn im Moment so sehr bewegte. Marina hingegen war angenehm überrascht, dass in dem kleinen Zimmer nur ein einzelnes Bett stand. Sie suchte Wolfgang mit ihren Augen, doch er merkte das gar nicht. Er blickte wie versteinert in das Zimmer. Das machte Marina erneut unsicher. Jetzt dachte sie auf einmal an die beiden gleichen Rosen unter ihrem Balkon, die Wolfgang so hingebungsvoll pflegte. Ob das auch etwas mit dieser Diane zu tun hat?
Verwirrt fragte er: „Ist das immer noch mein Zimmer?“
„Ja. Du gehörst immer noch zu unserem Clan“, antwortete Diane mit einem unergründlichen Lächeln im Gesicht.
„Aber wieso?“, entfuhr es ihm.
„Darüber können wir ein andermal sprechen, wenn wir mehr Zeit dazu haben.“
Nun gingen sie wieder nach draußen und Wolfgang zeigte ihnen, um die Situation aufzulockern, Arebes Obst- und Beerengarten und Mikahs Reich für Gemüse.
Jetzt schlug Dianas Herz höher. „Darf ich hier mal kosten? Ich esse so gern Himbeeren und bei uns gibt es jetzt keine.“
Da erklärte ihr Diane: „Du darfst von allem so viel essen, wie du willst. Diese Früchte sind für alle da, also auch für dich.“
„Papa, ist das wahr?“
„Du kannst Diane glauben. Sie lügt nie!“
Diana griff zu und die anderen von Dianes Clan, die sie begleiteten, freuten sich, wie sehr es ihr schmeckte.
Da fragte Wolfgang Diane leise: „Können wir auch noch einmal einen Abstecher zur Herbergsschule machen?“
„Abstecher? Was ist das?“, fragte Diane, die diesmal nicht seinen Gedanken gelauscht hatte.
„Ach so, ich bin ja wieder in Posid. Ein Abstecher ist ein kurzer Ausflug.“
„Das können wir, aber all zu lange darf es nicht dauern. Auch hier wird es bald dunkel und kurz danach schlafen alle, wie du ja weißt.“
„Dann fliegen wir am besten gleich. Marina und Diana, kommt. Wir wollen noch an den Ort, wo ich die Tiger behandelt habe.“ Und ganz aufgeregt fragte er: „Lebt eigentlich Toni noch?“
Diane schüttelte den Kopf. „Überleg mal, wie lange das her ist. Tiere haben bei uns die gleiche Lebenserwartung wie bei euch. Ein Tiger lebt etwa fünfzehn Jahre. Auch seine drei Tigerbabys von damals gibt es nicht mehr. Es ist zu lange her. Sei nicht traurig.“
„Ich habe oft daran gedacht und was aus ihnen geworden ist“, gestand Wolfgang traurig.
„Toni und besonders Sira haben am Anfang auch oft nach dir gefragt, wenn sie uns besucht hatten. Sie war dir unendlich dankbar für die Wundbehandlung und beide haben es nicht verstanden, dass du für immer fort warst. Sie haben uns noch eine ganze Zeit lang besucht. Als sie aber merkten, dass du nicht wieder kommst, wurden ihre Besuche immer seltener und hörten irgendwann ganz auf. Als die Kleinen groß waren, verließen sie bald das Revier. So traf ich dann nur noch Toni und Sira auf der Tigerwiese an den Wasserfällen. Ich besuchte sie auch immer mal, als ich die Schule schon verlassen hatte. Toni hatte irgendwann aufgehört nach dir zu fragen. Doch Sira hat bis zu ihrem Tod auf ein Wiedersehen mit dir gewartet.“
Wolfgang standen Tränen in den Augen. Wie gern hätte er sie jetzt noch einmal gestreichelt.
„Moment mal!“, rief da Diana. „Wovon redet ihr da eigentlich?“
„Toni und Sira waren ein Tigerpärchen, welchem dein Papa geholfen hatte, als sie verletzt waren.“
„Wie geholfen?“, fragte Diana jetzt ungläubig.
„Er hat sie mit Kräutern und Bienenhonig behandelt und sie verbunden“, erklärte Diane ihr.
„Wie jetzt? Du hast richtige Tiger verbunden?“, fragte sie ihren Vater erstaunt.
„Ja. Erst hatte ich natürlich auch Angst vor ihnen, aber hier in der inneren Erde leben auch die Tiere von Lichtnahrung. Sie fressen kein Fleisch. Deshalb waren sie genau so gefährlich, wie bei uns eine Hauskatze. Ich habe die beiden sehr geliebt.“
„He? Geliebt? Wie soll ich denn das versteh’n?“
„Nun, ich habe sie sehr gern gehabt. So wie Toni, unseren Kater, den wir vor Jahren hatten. Erinnerst du dich noch?“, fragte Wolfgang seine Tochter.
„Oh ja. Ich habe damals viel geweint, als er eines Tages von seinen Ausflügen in die Umgebung nicht wieder kam.“
„Siehst du, so habe ich die beiden Tiger auch geliebt.“
„Euer Kater hieß Toni?“, frage Diane gerührt.
„Ja, Papa hat ihn so … Hast du ihn wegen diesem Tiger so genannt?“, fragte nun Diana ihren Vater. Dieser nickte nur.
Weil sie noch zur Herbergsschule wollten, verabschiedeten sie sich von Dianes Clanmitgliedern und stiegen in den Transporter, der sie umgehend zur Wiese vor der Herbergsschule brachte.
Unterwegs fragte Diana erneut: „Wieso könnt ihr so alt werden und die Tiere leben bei euch auch nur so lange wie bei uns?“
„Das ist ganz einfach. Wir bestimmen mit unserem Verstand, wann wir aus diesem Leben gehen wollen. Damit es dadurch zu keiner Überbevölkerung kommt, gibt es bei uns eine strenge Geburtenkontrolle. Das heißt, es werden nur so viele Kinder geboren, wie Erwachsene gestorben sind. Da Tiere weder einen Verstand wie wir haben und dadurch auch keiner Geburtenkontrolle unterliegen können, muss ihr Leben genau so begrenzt sein wie bei euch, sonst würden sie sich doch explosionsartig vermehren und damit die gesamte Ökologie zerstören.“
„Hm, das leuchtet ein“, gab Diana zu.
Als sie landeten, sahen sie, wie eine Gruppe auf der Wiese saß und ihre Landung beobachtete. Nun stiegen sie aus und Wolfgang stutzte. War das nicht Sharula? Mit großen Schritten rannte er auf sie zu und umarmte sie begeistert. Ihre Schüler saßen im Kreis um sie herum und bestaunten inzwischen die Ankömmlinge von der äußeren Erde. Sie hatten noch nie Kontakt mit Menschen von außen.
Nach der stürmischen Begrüßung von Wolfgang begrüßte Sharula nun auch Marina und Diana. „Diane hat euch schon bei mir angemeldet und angefragt, ob ihr uns besuchen dürft.“
Nun fragte Diana ihren Vater vorwurfsvoll: „Begrüßt du denn hier alle Frauen so stürmisch. Kannst du dir nicht vorstellen, dass das Mama stört?“
Wolfgang stutzte kurz und erwiderte dann lachend: „Ich glaube nicht, dass Mama dadurch eifersüchtig wird. Sharula ist 494 Jahre alt.“
„Wie alt?“, rief Diana entsetzt.
„494 Jahre!“, wiederholte Sharula lächelnd. Sie wusste ja noch, wie diese Information auf Menschen der äußeren Erde wirkte.
„Ich brauche etwas zum setzen“, erklärte Diana, verdrehte dabei die Augen und setzte sich ins Gras.
Sofort kam ein Schüler von Sharulas Klasse und wollte ihr helfen. Erschrocken blickte sie nach oben, wo der freundliche Helfer endete. Erst jetzt merkte sie, dass auch hier alle viel größer waren als sie. Doch bei dem Anblick des jungen Mannes wurde sie wieder selbstbewusst und fragte Diane: „Wie konntest du uns eigentlich anmelden? Ich habe gar nicht gesehen, dass du mit deinem Handy telefoniert hast.“
„Wir brauchen keine Handys wie ihr. Wir machen das alles telepathisch.“
Betroffen sah Diana jetzt in die Runde der jungen Männer und Frauen, die alle verständnisvoll lächelten. Ihr dagegen war es peinlich, sich so zu blamieren.
Wolfgang fragte unterdessen Sharula erstaunt: „Sind das alle Schüler? Es sind aber diesmal viel weniger und vor allem wenig Mädchen.“
Sharula hob die Schultern, wie sie es bei Wolfgang damals oft gesehen hatte und sagte lachend: „Mehr als fünf Kinder im Schulalter gibt es zurzeit nicht in Posid.“
Da wandte sich Wolfgang wieder zu Diane. „Können wir noch einmal zum Wasserfall. Du würdest mir einen großen Wunsch erfüllen.“
Sie wiegte den Kopf und meinte: „Gut, aber danach müssen wir zurückfliegen.“
„Marina und Diana, kommt mit. Ich will euch etwas Schönes zeigen.“
Sie gingen mit schnellen Schritten den Waldweg von damals entlang und Diana war erstaunt, dass alle Tiere, die ihnen begegneten, gar nicht scheu waren. Zweimal konnte sie sogar ein Reh streicheln. Marina war ebenso begeistert. Jetzt verstand sie Wolfgang, dass er diese Zeit von damals nicht vergessen konnte. Hier war es wirklich sehr, sehr schön.
Als sie die Lichtung an den Wasserfällen erreicht hatten, blühte Marina vollends auf. Das hier war ein wunderschöner Platz. Hier wäre sie am liebsten für immer geblieben. Nach einer kurzen besinnlichen Pause drängte Wolfgang weiter. Er wollte zu der Stelle, wo er Tonis und Siras Tigerkinder zuerst gesehen hatte. Auf dem Weg dort hin warnte Diane: „Sei etwas vorsichtiger. Das ist immer noch ein Tigerrevier.“
„Ich denke, Tiger sind hier ungefährlich“, gab Diana zurück.
„Das sind sie so lange man ihnen nicht zu nah kommt, aber trotzdem sollte man sie nicht reizen.“
Inzwischen waren sie an dem Felsen angelangt und Wolfgang wollte gerade auf ihn zugehen, da kam schon ein Tiger um den Felsen. Marina und Diana schrien auf. Diane hielt ihnen sofort den Mund zu und sagte ihnen: „Der Tiger tut euch nichts, wenn ihr euch ruhig verhaltet. Aber Lärm mögen Tiger gar nicht.“
Ängstlich suchten die beiden hinter Diane Schutz. Nur Wolfgang ging ganz langsam auf den Tiger zu. Er spürte, dass dieser fremde Tiger keine Gefahr für ihn war. Auf halber Strecke zum Tiger blieb er aber stehen und wartete. Langsam kam der Tiger auf ihn zu. Ganz vorsichtig näherte er sich Wolfgang, bis er vor ihm stand. So verharrte er einige Minuten bewegungslos. Doch dann legte sich der Tiger zum Erstaunen der drei Frauen zu seinen Füßen. Wolfgang hockte sich hin und streichelte ihn vorsichtig. Der Tiger ließ sich das gefallen. Bald graulte Wolfgang ihn, wie er damals Toni und Sira gegrault hatte. Marina und Diana trauten ihren Augen nicht. Selbst Diane war verwundert. Das war keine typische Reaktion von einem Tiger. Das wusste sie. Tiger waren zwar nicht gefährlich, trotzdem sollte man ihnen nicht zu nah kommen. Aber für Wolfgang schien das nicht zu gelten.
Als der Tiger wieder aufstand, hörte Wolfgang auf, streichelte ihn kurz und ging langsam zurück zu den Frauen. Der Tiger blieb stehen und sah den Menschen nach, die sich nun entfernten.
Auf dem Rückweg sagte Wolfgang begeistert: „Ich weiß nicht wieso, aber der Tiger hat mich akzeptiert.“
Diane nickte. „Dieser Tiger ist eine Tochter von Siras letztem Wurf, aber nicht von Toni. Er ist wesentlich älter gewesen und daher viel eher gestorben. Siras Tochter wird übrigens bald Junge haben.“
„Woher weißt du das alles?“, fragte Diana skeptisch. „Ich denke, du kennst den Tiger gar nicht.“
„Sie hat es mir gesagt und auch, dass wir Abstand zu ihr halten sollen. Deinen Papa aber würde sie kennen.“
„Du kannst sogar mit Tieren sprechen?“, fragte Diana total erstaunt.
„Nein, nicht sprechen. Aber wir können unsere Gedanken austauschen. So kommunizieren wir alle untereinender“, klärte Diane ihre junge Freundin auf. Zu Wolfgang sagte sie dann: „Du hast vermutlich in der Gruppenseele der Tiger einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das hätte ich nie für möglich gehalten, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.“
„Jetzt wird mir auch klar, weshalb sogar die Tiger bei uns im Zoo in Leipzig auf mich reagieren. Natürlich nur auf Entfernung, denn diese Tiger sind immer noch Fleischfresser.“
„Sie reagieren auf dich?“, fragte jetzt Diane ganz erstaunt.
„Damals vor zwanzig Jahren, als ich wieder zurück war, bin ich oft im Zoo gewesen und habe die dortigen Tiger besucht. Sie haben immer auf mich reagiert.“ Und er erzählte, was er damals im Zoo erlebt hatte. „Später war ich dann nur noch sehr selten im Zoo. Ich wollte die Vergangenheit hinter mir lassen, denn ich hatte ja nun eine Familie und wollte mich nur noch auf sie konzentrieren.“
Marina hörte erstaunt zu. Von all dem wusste sie noch nichts. Diane hingegen nickte verständnisvoll und lächelte Wolfgangs Frau an. Sie verstand ihn. Weil die Zeit langsam drängte, liefen sie schnell zurück zur Herbergswiese, wo der Transporter auf sie wartete.
„Einen Abstecher zu Gunile, Gudane oder Atmos schaffen wir jetzt wohl nicht mehr?“, fragte Wolfgang bittend.
Diane schüttelte den Kopf. „Vielleicht beim nächsten Mal. Sie würden sich ganz bestimmt freuen.“
Als sie an der Wiese ankamen, war es schon merklich dunkler und von der Schulklasse nichts mehr zu sehen. Deshalb bat Wolfgang Diane, dass sie Sharula und der Klasse ihre Grüße übermitteln solle, da sie sich nicht mehr verabschieden konnten.
Kurz darauf antwortete Diane lächelnd: „Ist schon passiert. Sie grüßen zurück.“
Wieder riss Diana die Augen auf, aber sagte nichts. Wusste sie ja, wie man das hier ohne Handy macht. Trotzdem war es ihr etwas unheimlich, weil man so gar nichts davon mitbekam.
Beim Einsteigen sagte Diane: „Jetzt fliegen wir aber wieder zurück. Bei euch ist schon fast Mitternacht und ihr müsst doch auch schlafen.“
„Wie kannst du jetzt von schlafen reden? Ich bin innen in der Erde. Ich fasse es noch immer nicht. Ich sitze in einem UFO und bin in der inneren Erde. Da redest du von schlafen!“, antwortete die aufgedrehte Diana.
Der Transporter entfernte sich recht schnell von Posid und flog nun wieder zurück zur Polöffnung. Kurz davor wies Diane die beiden Frauen darauf hin, dass sie gerade die deutsche Kolonie Neuschwabenland überflogen.
„Neu-was?“, fragte Diana.
„Neuschwabenland! Hier leben seit über 85 Jahren Landsleute von euch. Von ihnen haben wir Atlanter eure Sprache gelernt.“
„Ist das wahr?“ Diana verzog ihr Gesicht in ein ablehnendes Aussehen. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
„Das glaube ich“, bestätigte Diane ihr. „Wenn das bekannt wäre, würden auch alle von der hohlen Erde und ihren Bewohnern wissen.“
„Deutsche? Es ist nicht zu fassen.“ Diana hatte immer noch Probleme, diese Tatsache zu verkraften. „Papa, hast du das gewusst?“
„Ja. Ich habe sie vor zwanzig Jahren mit Diane besucht. Sie haben sich sehr über meinen Besuch gefreut und sagten, sobald die Situation es erlaubt, werden sie sich wieder mit uns vereinigen.“
Diana schüttelte mit dem Kopf. Das alles stand im absoluten Gegensatz zu dem, was sie in der Schule gelernt hatte. „Da haben wir ja nur Blödsinn gelernt!“, rief sie jetzt aus.
„Nicht nur, aber vieles ist anders, als ihr es gelernt habt. Das ist richtig“, ergänzte ihr Papa.
Der Transporter war längst durch die Polöffnung wieder nach draußen geflogen und bewegte sich jetzt durch die Nacht. Es war nun nichts mehr zu sehen.
Da erinnerte sich Diana plötzlich und fragte: „Hast du vorhin nicht gesagt, dass die Tiger nach Papa gefragt haben? Können alle Tiere in der inneren Erde sprechen?“
Diane antwortete: „Alle Tiere können mental kommunizieren. Auch bei euch, nur ihr könnt sie nicht verstehen. Aber sie verstehen euch, wenn sie wollen. Wie du inzwischen weißt, können bei uns in Posid das nicht nur die Tiere. Deshalb konnte ich heute Nachmittag, als ich zu euch kam, deine Gedanken lesen.“
„Und jetzt kannst du es nicht mehr?“, fragte Diana erstaunt.
„Doch! Aber es ist ungehörig, wenn man die Gedanken eines anderen heimlich liest, der sich nicht dagegen wehren kann. Es gehört zum Anstand, dass man es nicht tut. Sollte es doch einmal passieren, dann weißt man den anderen darauf hin und bittet ihn um Verzeihung.“
Da sah Diana ihre neue Freundin mit großen Augen an. „Du könntest jetzt immer noch jeden Gedanken von mir verstehen?“
Diane nickte. „Aber nur die vordergründigen Gedanken. Das heißt, nur das, was du gerade denkst. An dein Gedächtnis kommt niemand heran und das ist auch gut so.“
„Na da bin ich ja beruhigt. Und was denke ich jetzt?“
„Mal sehen, ob sie das rauskriegt, hast du gerade gedacht. Stimmt’s?“
„Jaaa! Du kannst ja wirklich Gedanken lesen. Dich könnte ich in der Schule gebrauchen. Da hätte ich nur noch gute Zensuren. - Wie ist das eigentlich bei euch in der Schule? Da brauchen die Kinder doch nur die Gedanken vom Lehrer lesen und überhaupt nichts mehr lernen. Das wäre ja richtig bequem!“
Nun lächelte Diane wieder und meinte: „Wenn man selbst Gedanken lesen kann, dann kann man seine Gedanken auch vor dem Zugriff von anderen schützen. Die Kinder können nur die Gedanken lesen, die der Lehrer sie lesen lassen will. Aber das Schulsystem ist bei uns sowieso völlig anders. Bei uns gibt es keine Zensuren und auch keine Schulpflicht. Alles ist zwanglos und freiwillig.“
„Was? Dann möchte ich lieber zu euch kommen. Da ist es ja bei euch viel schöner. Gibt’s denn bei euch auch Jungs?“
„Diana!“, ermahnte sie jetzt ihre Mutter.
Doch Diane lächelte. „Frag deinen Papa. Er kennt die Antwort.“
„Papa. Gibt’s in Posid auch Jungs?“
„Oh ja, und was für welche. Keiner ist unter 2,10 Meter. Du hast sie doch vorhin auf der Wiese gesehen, als wir das zweite Mal landeten.“
„Was denn, das waren Schüler? Die waren doch schon erwachsen.“
„Bei uns gehen die Kinder bis zu ihrem 35. Lebensjahr zur Schule“, erklärte Diane ihr jetzt.
Und Wolfgang fügte lachend hinzu: „Und dann gibt es da noch ein paar andere Probleme. Aber über die reden wir später einmal.“
„Das würde ich auch sagen. Ihr könnt aussteigen.“
„Wie … Was … Wo sind wir denn?“, fragte Diana erschrocken. Sie hatte völlig vergessen, dass sie sich ja in dem Transporter befanden.
„Wieder in Leipzig an der Stelle, an der wir losgeflogen sind. Ihr müsst aber schnell und leise machen, damit es niemand bemerkt.“
Wolfgang drehte sich ruckartig um und sah Diane tief in die Augen.
Da antwortete sie laut und deutlich: „Nur wenn deine Frau es auch will. Ich möchte euren Hausfrieden auf keinen Fall stören.“
„Was soll ich?“, fragte Marina, die fast die ganz Zeit geschwiegen hatte.
Wolfgang erklärte ihr: „Diane kommt nur dann noch einmal mit, wenn du sie jetzt einlädst. Sie will unsere Beziehung auf keinen Fall stören.“
Marina sah Diane an, dann Wolfgang und anschließend wieder Diane. Dann sagte sie: „Bitte komm mit, wenn du Zeit hast. Ich habe viele Fragen an dich.“
Diane umarmte Marina spontan. Ihr standen Tränen in den Augen. Sie sagte leise: „Danke! Ich komme mit.“
Dann verließen sie schnell den Transporter und dieser stieg sofort wieder nach oben. Sie waren auf dem Industriegelände, auf dem sie gestartet waren.
Als sie dann zu Hause in ihrem Wohnzimmer waren, meinte Diana zu ihrer großen Freundin: „Diane, bitte verzeih mir, dass ich dir nicht geglaubt habe. Ich bin erschlagen. Wie lange bleibst du?“
„Das hängt nicht von mir ab. Du möchtest schlafen gehen. Richtig?“
„Hast du jetzt meine Gedanken gelesen?“
„Nein. Ich habe das nur vermutet“, gestand Diane.
„Ja, ich muss wirklich erst mal schlafen. Hoffentlich kann ich nach all dem überhaupt schlafen. Und was werden erst meine Freunde in der Schule sagen, wenn ich ihnen erzähle, wo ich war.“
Da gab ihr Wolfgang zu bedenken: „Sei damit nicht so schnell. Man wird dir vermutlich nicht glauben, so wie du es vor zwei Stunden ja auch nicht glauben konntest. Ich hatte meine Erlebnisse vor zwanzig Jahren auch meinen Kollegen auf Arbeit erzählen wollen. Aber schon bei den Begriffen innere Erde und Atlantis lachten sie mich aus. Das solltest du dir ersparen.“
„Hm! Schade! Vielleicht hast du recht. Aber vielleicht auch nicht.“
Diana zog sich in ihr Zimmer zurück.
Da fragte Marina jetzt wieder in den Raum: „Und wie geht es jetzt weiter? Diane, du liebst ihn doch. Auch wenn du es sehr gut verbergen kannst. Ich fühle es! Und du bist wesentlich jünger als ich.“
Diane nickte. „Ja, Marina. Ich liebe ihn. Ich weiß auch, dass du ihn sehr liebst. Aber für mich ist das kein Problem. Bitte verstehe mich jetzt nicht falsch! Dein gedanklicher Protest war nicht zu überhören. Wir in Posid leben anders als ihr. Deshalb stört es mich nicht. Aber ich will auf jeden Fall auch deine Gefühle respektieren.“
Dann halte dich von seinem Bett fern, dachte Marina spontan. Erschrak aber sofort und sah Diane schuldvoll an.
Diane lächelte verständnisvoll. „Das werde ich sowieso tun, Marina. Dieses Thema spielt bei uns eine sehr untergeordnete Rolle.“
„Klärt mich mal eine auf, worum es bei euerm Gespräch eigentlich geht?“, warf Wolfgang entrüstet ein.
„Um dich, Wolfgang“, antwortete Diane und sah ihn dabei zärtlich an.
Marina begann wieder: „Du meinst, bei euch … erzähl mir bitte, wie man bei euch lebt. Vor allem, wie ihr in Partnerschaft lebt.“
Wolfgang schüttelte den Kopf. „Gar nicht! Sie kennen gar keine Partnerschaft wie wir.“
„Ist das wahr, Diane?“
Die Angesprochene nickte. „So eine Zweierpartnerschaft wie bei euch gibt es bei uns nicht. Wir leben in Clans, wie du ja gesehen hast. Diese sind meistens so etwa zwischen dreißig bis vierzig Personen stark. Sie sind unsere Familien.“
Marina starrte sie jetzt mit großen Augen an.
Da lächelte Diane wieder und meinte: „Nein, Marina. Ich sagte ja schon, dass das bei uns eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Bitte verzeih mir, wenn ich schon wieder deinen Gedanken zugehört habe. Es ist für mich sehr schwer, euch zu verstehen, wenn ich eure Gedanken nicht kenne.“
„Aber ihr habt doch auch Kinder!“
„Ja, aber nur sehr selten. Wir haben eine strenge Geburtenkontrolle, weil bei uns auch selten jemand stirbt.“





