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Marina ruckte mit einem Male zurück. „Wie meinst du das, dass kaum jemand stirbt? Wenn man alt ist, muss man doch auch sterben!“ Sie hatte das Gespräch über das Altwerden beim Clan nicht mitbekommen.
„Was glaubst du, wie alt ich bin, Marina?“
„Vielleicht dreißig?“
„Du kannst ruhig Mitte dreißig sagen. Das hast du doch gedacht.“
Marina nickte schüchtern.
„Bitte verzeih mir, wenn ich immer mal deinen Gedanken lausche. Ich tue es nur um dich zu verstehen. Ihr sprecht oft nicht aus, was ihr denkt. Aber mit dem Alter liegst du nicht richtig. Ich bin 49 Jahre alt.“
„Waas? So alt wie ich? Wie ist das möglich?“
Da erklärte ihr Wolfgang: „Doch ist es so, Marina. Als ich sie kennen lernte, war sie 29 und das ist jetzt zwanzig Jahre her.“
„Aber sieh sie dir doch an“, rief Marina ungestüm. „Sie ist doch allerhöchstens 35!“
„Marina. Ich habe dir doch von der Klasse erzählt, in der ich mit Diane gesessen habe.“
Wolfgangs Frau nickte. Sie hatte sich beim Besuch auf der Schulwiese zurückgehalten und daher das Gespräch mit Diana und Sharula nicht mitbekommen.
„Ihre Lehrerin war damals 474 Jahre alt und sah altersmäßig so aus, wie Diane heute. Du hast sie heute gesehen, als ich sie auf der Wiese begrüßte. Inzwischen müsste sie 494 Jahre alt sein.“
Diane nickte.
„Vier … Vierhundertvierundneunzig?“ Marina starrte Wolfgang an, als wäre er ein Gespenst. „Und das glaubst du?“
„Diane ist der beste Beweis dafür. Ich weiß doch, wie sie vor 20 Jahren aussah. Wenn du recht hättest, dann wäre sie ja damals höchstens fünfzehn gewesen. Glaubst du, dass ich eine Fünfzehnjährige geliebt hätte. Ich war damals immerhin 35!“
„Hm. Das geht auch nicht. Du bist wirklich schon 49 Jahre alt?“
Diane nickte. „Wir haben 12 arbeitende DNS und damit können wir unseren Körper regenerieren. Deshalb altern wir ab dem 35. Lebensjahr nicht mehr und werden auch nicht krank.“
„Da möchte ich auch für immer bei euch leben. Glaubst du, dass das geht, Diane.“
Nun lachte diese wieder. „Natürlich! Wir waren doch heute schon einmal dort. Aber für immer geht das noch nicht. Vielleicht aber schon nächstes oder übernächstes Jahr. Ich werde auf euch warten.“
„Und wenn es nicht geht?“, fragte Marina wieder ängstlich.
„Wolfgang wird wieder kommen. Das steht so in seinem Lebensplan. Dann wirst du doch und Diana auch mitkommen?“
„Ja, wenn wir dürfen?“
„Natürlich dürft ihr dann genau so. Ihr müsst nur noch die nötige Eigenschwingung erreichen. Das wird aber sehr bald sein.“
„Ach, wenn du nur recht hättest“, seufzte Marina.
Plötzlich sah Diane sie ganz intensiv an, riss die Augen auf und starrte Marina an. Diese nickte nur unmerklich. Da setzte sich Diane direkt neben Marina und umarmte sie wortlos.
„Was ist denn plötzlich in euch gefahren?“, fragte Wolfgang lachend.
Diane sah ihn an und sagte: „Ich verstehe Marina.“ Dann nahm sie ihre Hand und hielt sie ganz fest.
„Danke, Diane. Du bist eine wirkliche Freundin.“ Tränen liefen über ihr Gesicht. „Ich nehme alles zurück, was ich Schlechtes von dir gedacht habe. Du bist sehr lieb.“
Wolfgang verstand nun gar nichts mehr. Aber da die beiden schwiegen, gab er sich damit zufrieden, dass sie sich vertrugen. Wenn auch diese Einigung etwas Merkwürdiges an sich hatte.
Sie besprachen, dass Diane noch einen Tag blieb. Marina machte ihr die Couch im Wohnzimmer zum Schlafen fertig. Dann zogen sie sich zurück. Als er schon im Bett lag, fragte Wolfgang seine Frau: „Irgendetwas verschweigt ihr mir doch? Was ist es?“
„Frauensache!“, war die ganze Antwort von Marina. Mehr war aus ihr nicht herauszuholen. Also gab Wolfgang auf. Dann war es sicher auch nicht so wichtig.
Am nächsten Morgen gab es schon das erste Problem. Diana wollte ins Bad, aber dort war schon Diane. „Papa, ich will mich fertig machen. Kannst du Diane nicht sagen, dass sie das Bad räumen soll.“
„Was macht sie?“
„Sie steht unter der Dusche. Das kann dauern.“
„Dann geh einfach rein. Sie stört das ganz gewiss nicht“, riet ihr Wolfgang.
„Aber das geht doch nicht! Sie hat ja nichts an“, entgegnete Diana entrüstet.
„Es geht! Sie ist das so gewohnt. Die Menschen in Posid schämen sich nicht. Sie kennen dieses Gefühl nicht einmal“, klärte Wolfgang seine Tochter auf.
„Waaas? Hast du da etwa auch mit ihr zusammen … Na du weißt schon“, fragte sie erschrocken.
„Geduscht?“ Er nickte. „Früh stand die ganze Klasse in der Herberge im Gemeinschaftsduschraum. Das waren damals drei Jungs, sieben Mädchen und ich.“
„Was? Und das war dort normal?“, rief Wolfgangs Tochter entrüstet.
Da kam Diane in ein Handtuch gewickelt aus dem Bad und sagte zu der jugendlichen Diana: „Ja, das ist bei uns normal. So viel ich weiß, geht ihr doch hier auch nackt baden und findet das normal.“
„Na ich nicht!“, stellte Diana energisch fest.
„Wenn du zu uns kommen willst, musst du das aber noch lernen.“
„Ist das wahr, Papa?“, fragte sie jetzt erschrocken.
Er nickte. „Dort geht man nur so ins Wasser. Aber jetzt ist das Bad frei. Beeil dich!“
Diana verschwand im Bad.
„Wolfgang. Denkst du inzwischen auch so, wie deine Tochter?“, fragte Diane besorgt.
Er schüttelte den Kopf. „Sie wurde durch die Schule und die Medien so. Als Kind war sie anders. Bitte hab Verständnis für sie.“
„Was stört dich daran, dass sie ein natürliches Schamgefühl hat?“, fragte Marina ihre Tochter verteidigend.
„Nein, Marina. Natürlich ist dieses Gefühl nicht. Dann hätten es ja alle Menschen. Denk mal an Naturvölker oder an die Menschen, die in Asien leben. Besonders von Indien oder Japan ist bekannt, dass sie dieses Schamgefühl nicht haben. Also kann es nichts Natürliches sein. Trotzdem respektiere ich es“, erklärte Diane.
Am Frühstück beteiligte sich Diane nicht. Sie saß nur mit am Tisch und trank einen Tee.
„Esst ihr früh nichts?“, fragte Diana neugierig.
„Wir essen nur Früchte, wenn wir etwas essen wollen. Wir leben von Lichtnahrung und müssen nicht ständig essen wie ihr.“
Da verzog Wolfgangs Tochter das Gesicht und sah Diane befremdend an. „Ganz ohne Essen? Das geht?“
Diane nickte nur und das jugendliche Mädchen schüttelte mit dem Kopf.
Nun fragte Wolfgang: „Was willst du tun, wenn ich mit Diana unterwegs bin? Ich habe ihr versprochen, sie zu ihrem Handballspiel gegen die Parallelklasse zu begleiten.“
„Ich werde mir mit Marina wieder eure Stadt ansehen. Das ist sehr interessant.“
„Dann sehen wir uns heute Mittag wieder?“
„Ja.“
Als Wolfgang und Diana das Haus verlassen hatten, fragte Marina ihren atlantischen Gast: „Du weißt von meiner Krankheit?“
Diane nickte. „Deine Gedanken haben es mir gestern verraten.“
„Meine Familie weiß nichts davon. Ich möchte, dass sie es nicht erfahren. Könnt ihr mir helfen?“
Da schüttelte Diane den Kopf. „Wir haben keine Erfahrungen mit Krankheiten. Bei uns wird niemand krank, wie du ja weißt. Ich würde dir sehr gern helfen. Wolfgang liebt dich sehr. Er wird leiden, wenn er dich verliert.“
Marina nickte und brach in Tränen aus. Da umarmte Diane ihre Gastgeberin um sie zu trösten.
Am Nachmittag saßen sie wieder alle zusammen und Diane erzählte vom Leben in Posid. Besonders Marina und ihre Tochter lauschten ihren Worten. Für sie war es völlig unverständlich, wie man so leben kann.
Zu fortgeschrittener Stunde verabschiedete sich Diane.
„Du willst zurück?“, fragte Wolfgang traurig.
„Ja, aber ich komme wieder. Ich habe es Marina versprochen.“
Wolfgang drehte sich ruckartig zu seiner Frau um und starrte sie an. Was für eine Frau habe ich, dachte er. Sie hat sogar für Diane Verständnis. Er umarmte sie und drückte sie ganz fest an sich. „Du bist eine wundervolle Frau, Marina.“
Wolfgangs Familie begleiteten Diane noch zum Industriegelände und warteten, bis Dianes Transporter mit ihr in der Dunkelheit verschwand. Dann gingen sie nach Hause zurück. Wolfgang nahm jetzt seine beiden Frauen in den Arm und seufzte.
„Liebst du sie?“, fragte jetzt seine Tochter plötzlich besorgt.
„Ja, Diana. Etwa so wie dich.“
„Wirst du uns jetzt verlassen?“
Mit einem Ruck blieb Wolfgang stehen und starrte seine Tochter an. Dann beruhigte er sich wieder, schüttelte den Kopf und meinte: „Nein! Dafür gibt es keinen Grund. Vielleicht kannst du das noch nicht verstehen, aber meine Liebe zu ihr ist anders als zu Mama. Sie ist mir eher wie eine Schwester.“
„Na, ich dachte nur“, erwiderte Diana und schmiegte sich nun an ihren Vater. Sie liebte ihn, auch wenn sie ihn nicht immer verstand.
Drei Wochen nach Silvester stand Diane plötzlich Dienstagfrüh vor ihrer Tür. Wolfgang war genau so überrascht, wie beim ersten Mal.
„Diane! Ich freue mich sehr, aber du kommst sehr ungünstig. Ich muss auf Arbeit.“
„Ich weiß. Deine Frau hat mich gerufen.“
„Ist das wahr?“ Verwundert sah er, wie Marina nickte und sagte: „Schön, dass du gekommen bist. Ich hätte nie geglaubt, dass das funktioniert. Aber jetzt bist du da.“
„Wenn ich alles verstehe, aber das nicht“, gestand Wolfgang.
Diana verstand noch weniger. „Mama, du hast sie wirklich angerufen? Wie denn?“
Da lächelte Diane und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Wir brauchen keine Handys wie ihr. Das weißt du doch. Wir schicken einfach unsere Gedanken auf Reise und der andere versteht uns. So hat es deine Mama auch gemacht. Sie hat sehr stark an mich gedacht und ich habe es verstanden.“
Nun schüttelte Diana den Kopf. „Was bei euch alles möglich ist?“
Nach dem Frühstück verließ Wolfgang mit seiner Tochter die Wohnung. Er ging seiner Arbeit nach und auf Diana wartete das Gymnasium. Als Marina mit ihrem Gast allein war, fragte sie: „Willst du mich begleiten? Ich muss zum Arzt und … Ich habe Angst. Wolfgang und Diana wissen immer noch nichts, aber ich werde es ihnen heute sagen müssen.“
Diane nickte. „Das ist besser so. Du kannst es nicht mehr verschweigen. Ich begleite dich. Aber Angst musst du keine haben. Die Angst macht es nur noch schlimmer.“
„Ja, ich weiß. Aber ich komme nicht dagegen an.“
Beim Arzt erfuhr Marina, dass ihr Körper voller Metastasen ist und es für sie keine Rettung gibt. Sie fiel Diane um den Hals und weinte bitterlich.
„Ich verstehe dich gut, auch wenn uns Krankheiten fremd sind. Wie gern würde ich dir helfen, wenn ich könnte. Deshalb habe ich dir etwas mitgebracht. Vielleicht bringt dir das etwas Trost.“ Und sie gab ihr ein kleines Kästchen.
Marina öffnete es und strahlte Diane an. „Eine Sonne von Atlantis! Sie ist für mich? Das ist nicht Wolfgangs Amulett?“
„Nein. Es ist für dich. Man sagte mir, dass es dir die Schmerzen lindern kann. Trage es einfach immer. Damit ihr es unterscheiden könnt, habe ich es an eine goldene Kette gehangen. Wolfgangs Amulett hängt an einem Permaditband, wenn er es nicht geändert hat.“
„Das hat er nicht. Es liegt so lange wir uns kennen, in seinem Nachttisch.“
Nun rollten auch von Marina unbemerkt ein paar Tränen über Dianes Gesicht. Er hat mich die ganze Zeit nicht vergessen, dachte sie. Marina war viel zu sehr mit sich und ihrer Krankheit beschäftigt, so dass sie Dianes Gefühlsausbruch gar nicht bemerkte.
Am Abend weihte Marina ihre Familie ein, dass sie unheilbar krank sei. Wolfgang war furchtbar erschrocken und Diana umklammerte weinend ihre Mutter.
„Du wusstest es?“, fragte Wolfgang Diane.
Sie nickte.
„Das war also euer Geheimnis vor zwei Monaten?“
„Marina wollte nicht, dass ihr es schon erfahrt. Sie wollte euch und das anstehende Weihnachtsfest nicht damit belasten.“
„Was für eine starke Frau habe ich?“ Nun verließen auch Wolfgangs Augen ein paar Tränen. „Und es gibt keine Rettung? Ihr könnt ihr auch nicht helfen?“
Diane schüttelte den Kopf. „Wenn ich das könnte, hätte ich es längst getan. Ich liebe Marina auch, genau wie du.“
Um die Stimmung zu ändern, zeigte Marina jetzt ihr Geschenk von Diane. Wolfgang starrte auf das Amulett und dann auf die Atlanterin.
Seine Tochter fragte: „Was ist das? Es ist wunderschön!“ Sie betrachtete es von allen Seiten.
„Das ist die Sonne von Atlantis. Ein Symbol, welches …“ Wolfgang kam nicht weiter. Er schluchzte und nahm seine Frau jetzt fest in den Arm.
Diana sah nun ihren Gast fragend an und so erklärte ihr Diane: „Dieses Symbol ist sehr kraftvoll. Es kann deine Mama nicht gesund machen, aber es kann helfen die Schmerzen zu lindern. Es hilft ihr Lichtnahrung und Lebensenergie aufzunehmen.“
„Das kann dieses Amulett? Davon hast du mir damals aber nichts gesagt“, bemerkte Wolfgang erstaunt.
„Warum trägst du es nicht?“, fragte Diane zurück.
„Ich hatte es immer getragen und erst abgelegt, als ich Marina kennen gelernt hatte. Wie hätte ich ihr erklären sollen, dass ich eine Erinnerung an eine andere Frau ständig trage?“
Marina sah Diane liebevoll an. „Weißt du, was dieses Amulett bei uns für einen Wert hat?“
Ihr Gast aus Posid schüttelte den Kopf.
„Als wir es vor vielen Jahren bei einem Juwelier schätzen lassen haben, hat dieser uns jede beliebige Summe geboten.“
„Und Wolfgang hat es nicht verkauft?“
Marina schüttelte den Kopf. „Er hat auch mir zu verstehen gegeben, dass ich ihn verliere, wenn ich es heimlich verkaufen würde. Damals habe ich schwer damit gekämpft, aber heute verstehe ich ihn und bin froh, dass ich sein Amulett nicht angerührt habe.“
Und wieder rollten Tränen über Dianes Gesicht. Diesmal bemerkte es Marina und dachte, du liebst ihn sehr. Diane sah plötzlich zu ihr hin und nickte leicht. Dann umarmte sie Marina und fragte: „Kannst du mir verzeihen?“
Gerührt antwortete Marina: „Ja. Ich verstehe dich und bin dir auch nicht böse. Du bist mir eine liebe Freundin geworden.“ Dann lachte sie auf einmal und meinte kopfschüttelnd: „Das ist schon eine merkwürdige Situation.“
Spät abends brachten Marina und Wolfgang Diane wieder zu ihren Transporter. Diana war schon im Bett. Auf dem Rückweg erklärte Marina: „Sie ist mir eine gute Freundin geworden. Schade, dass ich ihre Welt nie richtig kennen lernen werde. Aber ich habe sie wenigstens schon einmal gesehen.“
„Du wirst sie richtig kennen lernen. Bald bist du wieder gesund und dann werden wir sie uns länger ansehen“, versuchte Wolfgang sie zu trösten.
Marina schüttelte nur mit dem Kopf. „Ich werde nicht wieder gesund. Diane weiß es.“
„Marina!“, rief Wolfgang und umklammerte weinend seine Frau. Es war ja dunkel und niemand konnte sie sehen. So standen sie lange an einem Fleck, bis sie den restlichen kurzen Weg nach Hause gingen.
Anfang März lag Marina im Krankenhaus. Wolfgang und ihre Tochter besuchten sie täglich. Sie mussten zusehen, wie Marina ganz langsam dieses Leben verließ. Das war eine bittere Zeit für die zwei. Diana weinte oft zu Hause und Wolfgang schaffte es nur schwer seine Tochter zu trösten.
Eines Tages trafen sie beim Krankenbesuch Diane an Marinas Bett. Nicht nur Wolfgang war völlig überrascht, seine Tochter auch.
„Wie kommst du denn hierher?“
„Deine Mama hat mich wieder gerufen. Wir haben lange miteinander gesprochen.“ Marina klärte jetzt ihre Familie auf. „Es war mir wichtig, solange ich das noch kann. - Bitte Diane und Diana, lasst uns einen Moment allein.“
Die beiden verließen wortlos das Krankenzimmer.
Da nahm Marina Wolfgangs Hand und sagte zu ihm: „Geh mit ihr, wenn ich nicht mehr da bin. Und behüte unser Kind. Du musst bald allein für sie sorgen. Es dauert nicht mehr lange.“
„Marina!“, rief Wolfgang schmerzvoll und umarmte sie so gut es ging.
„Gib unserem Kind meine Sonne von Atlantis, damit sie etwas hat, was sie an mich erinnert und werde mit Diane glücklich. Mehr Wünsche habe ich nicht.“
Als Diana und ihre große Begleiterin das Krankenzimmer wieder betraten, sahen sie, wie Wolfgang mit dem Kopf auf Marinas Bett lag und hemmungslos weinte.
„Papa!“, rief Diana und rannte zu ihren Eltern.
„Du musst bald sehr stark sein, Diana“, sagte ihre große Freundin. „Deine Mama wird diese Welt bald verlassen.“
„Nein! Bitte nicht.“ Nun lag sie auch halb mit auf dem Bett und weinte.
Marina nahm beide in ihre Arme und sagte: „Doch, meine Tochter, es ist so. Diane hat recht. Ich weiß es.“
Drei Wochen später konnte Marina nicht mehr sprechen. Nur noch ihre Augen strahlten, wenn Wolfgang und Diana sie besuchten.
Eines Tages hatte Marina ihre Sonne von Atlantis in der Hand, als sie von ihrer Familie besucht wurde. Sie legte sie in die Hand ihrer Tochter und nickte leicht. Mehr konnte sie nicht.
„Mama! Meine liebe Mama!“ Diana umarmte ihre Mutter und weinte bitterlich. Ihr wurde es in diesem Moment deutlich bewusst, dass sie ihre geliebte Mama nicht mehr lange haben würde.
Zwei Tage darauf verstarb Marina. Für Wolfgang und auch für Diana brach eine Welt zusammen. Beiden fehlte sie sehr. Da halfen auch die tröstenden Worte von ihren wenigen Bekannten nichts. Marina hinterließ bei Wolfgang und ihrer Tochter eine nicht zu schließende Lücke.
Siebzehn Tage später zur Beisetzung auf dem Friedhof stand plötzlich Diane mit unter den Trauernden.
„Wieso … Woher wusstest du …?“, fragte Wolfgang verwundert, als sie das Grab verließen.
„Marina hat mich gerufen.“
„Aber … wie …?“
„Sie ist doch noch da! Nur ihre sterbliche Hülle habt ihr heute der Erde übergeben.“
Verständnislos sah Wolfgang sie an.
„Sie wird auch weiterhin bei euch sein. Auch wenn ihr sie nicht mehr wahrnehmen könnt. Aber in euern Herzen wird ihre Liebe ewig bestehen.“
Diana klammerte sich zum Unverständnis der wenigen anderen Trauernden jetzt an ihre große Freundin. „Bitte bleib bei uns und verlass du uns nicht auch noch.“
Sanft streichelte Diane Marinas Tochter übers Haar. „Ich werde euch nicht verlassen. Das war der Wunsch deiner Mama und ich habe es ihr versprochen.“
„Du willst jetzt immer hier bleiben?“, fragte Wolfgang herausgerissen aus seinem Kummer.
„Wir reden heute Nachmittag darüber.“
Nach der Trauerfeier saßen Wolfgang und seine Tochter mit Diane im Wohnzimmer. Es lag bodenlose Traurigkeit in der Luft. Das letzte Mal, als sie so zusammen saßen, weilte Marina noch unter ihnen. Alle drei erinnerten sich wortlos daran.
Da begann Diane: „Sie hat mir gesagt, dass ich euch nicht verlassen soll. Marina war eine sehr wertvolle Frau.“
Wolfgang nickte in Gedanken versunken. Doch dann erinnerte er sich und fragte noch einmal: „Du willst jetzt immer hier bleiben?“
„Nein, das ist nicht möglich. Aber ich kann euch mitnehmen, wenn ihr wollt. Seit diesem Jahr ist das in Ausnahmefällen möglich. Ihr seid so eine Ausnahme, weil … es die Verbindung zu mir gibt.“
„Wie mitnehmen? Für immer nach Posid?“, fragte Wolfgang ungläubig und Diana horchte auf.
„Ja. Ich habe eine Genehmigung für euch, aber nur, wenn ihr es auch wollt. Es werden bald viele Menschen in die innere Erde umziehen. Ihr würdet die ersten sein.“
„Aber wir können doch Mamas Grab nicht einfach im Stich lassen“, gab Diana zu bedenken. Der Wunsch in Posid zu leben gefiel ihr aber auch.
„Diana. Es ist ganz anders. Deine Mama liegt nicht in dem Grab, sondern nur ihre sterbliche Hülle. Sie selbst wird mit uns kommen. Du weißt nicht viel über den Tod und das Leben danach. All das kannst du bei uns lernen. Wir wissen sehr viel darüber. Und wenn du später mit deiner Mama sprechen willst, dann kann ich dir helfen. Wir können das und du wirst es bei uns auch lernen.“
Diana war überrascht. „Wenn das so ist, dann komme ich mit. Im Gymnasium verpasse ich sowieso nichts. Dort lernen wir nur Dinge, die kein Mensch braucht. Und seit ich von unserem Ausflug in die innere Erde erzählt habe, will keiner mehr aus der Klasse etwas mit mir zu tun haben. Sie lachen mich alle nur noch aus. Hier hält mich nichts mehr.“
„Mich auch nicht!“, fügte Wolfgang schweren Herzens hinzu.
„Dann nehmt mit, was euch wichtig ist und lasst uns nach Posid gehen. Sie warten schon auf euch“, berichtete ihnen Diane.
„Wer?“, fragte Diana skeptisch.
Diane lächelte nun sehr hintergründig und machte eine Pause. Doch dann sagte sie: „Deine Brüder.“
Nun lachte Diana mit. „Ich habe doch bei euch keine richtigen Brüder.“
Da nickte Diane und sagte lächelnd: „Doch!“
Mit einem Mal riss es Wolfgang herum. Er stierte Diane an und diese nickte leicht und lächelte immer noch.
Diana aber zog die Stirn in Falten und fragte: „Das sind doch nicht meine Brüder!“
Ihre große Freundin aber erwiderte lächelnd: „Bei euch sagt man, Falten machen alt und hässlich. Ich zähle jetzt mindestens sieben davon auf deiner Stirn.“
Sofort war Dianas Stirn wieder glatt, doch ihr skeptischer Blick blieb.
Nun wurde Diane etwas ernster und Wolfgang hörte stumm und völlig überrascht zu. „Du hast in Posid zwei Brüder. Sie sind Zwillinge und reichlich zwei Jahre älter als du.“
„Was? Ich habe wirklich zwei große Brüder?“, rief Diana begeistert.
Diane nickte. „Du erkennst sie an den etwas dunkleren Haaren. Die haben sie von deinem Papa geerbt. Die Größe haben sie von mir. So gesehen sind sie wirklich deine großen Brüder. Sie sind übrigens die ersten Zwillinge, die in Posid geboren wurden.“
„Ist das wahr?“, fragte Wolfgang immer noch nicht sicher, ob er ihr glauben soll.
Nickend klärte Diane ihn auf. „Es ist wahr. Du weißt, dass es bei uns unehrenhaft ist zu lügen.“
„Aber wieso hast du nie etwas gesagt?“
„Ich wollte Marina nicht noch mehr Kummer bereiten. Sie hätte sich darüber vermutlich nicht gefreut, obwohl es mit ihr ja nichts zu tun hatte.“
Nun nickte auch er. „Ja, das war sehr lieb von dir.“ Und plötzlich kam in ihm wieder diese Herzenswärme hoch, die er damals vor zwanzig Jahren so oft verspürt hatte. Doch dann stutzte er. „Ich denke, bei euch wird keine Frau unter achtzig schwanger?“
Diana riss Mund und Augen auf und fragte erstaunt: „Ist das wahr?“
„Das ist richtig. Ich bin in Posid eine Ausnahme. Bei uns wird gelehrt, dass Sexualität nur wichtig ist, wenn man Kinder zeugen will. Eine Frau kann bei uns ihren Körper so steuern, dass es dann auch dazu kommt. Ich weiß, dass das bei euch anders ist.“
Diana schüttelte den Kopf. „Was denn, ihr könnt nur mit euerm Bewusstsein steuern, ob ihr schwanger werdet oder nicht?“
„Ja! Das wirst du auch lernen. Es ist gar nicht so schwer, wenn alle DNS arbeiten. Eure werden in Posid in den Kristall-LICHT-Kammern repariert.“
Plötzlich sah Wolfgang Diane mit großen Augen an. „Du wolltest schwanger werden?“
Sie nickte und ihr Blick war der gleiche wie damals, als Sharula und ihre Schüler ihn in der Runde zurück teleportierten. „Es hat einige Wochen gedauert, bis ich meinen Clan und die Schulklasse überzeugt hatte, dass für mich dieser Weg richtig ist. Unterstützung bekam ich am Anfang nur von Arebe, Sirai und Mikah.“
„Von Mikah auch?“, fragte Wolfgang überrascht.
„Ja. Bei ihm hast du eine sehr große Sympathie hinterlassen, weil du sein Gemüse so gern gegessen hast. Er liebt dich seit dem genau so wie ich.“
Wieder betrachtete Diana ihre große Freundin sehr merkwürdig. Nun klärte ihr Papa sie auf. „Liebe ist in Posid nicht das, was du darunter verstehst. Mit Liebe ist nur die geistige Zuneigung gemeint, die vom Herzen kommt. Mikah ist nicht schwul.“ Dabei lachte Wolfgang. Dieses Problem hatte er ja damals auch. Deshalb verstand er seine Tochter jetzt so gut. „Und in der Schule hattest du auch Probleme?“
Diane nickte. „Atmos warf mir Undiszipliniertheit vor. Auch Gunile und Ehrube fanden meinen Entschluss anfänglich falsch. Sharula hingegen sagte lange gar nichts dazu. Aber Inarde und Gudane haben von Anfang an zu mir gestanden. Es war nicht immer leicht, doch irgendwann hat auch die restliche Klasse meinen Entschluss akzeptiert. Als ich dann Herbert und Hermann entbunden hatte, waren alle begeistert.“
„Herbert und Hermann? Wie bist du gerade auf diese Namen gekommen?“, fragte Wolfgang.




