- -
- 100%
- +
„Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist Pfarrer Fraas auf Ihr Werben nicht eingegangen. Hatten Sie das Gefühl, er hätte mal an anderen Frauen Interesse gehabt?“
„Na, goanz g’wiss net. Nur an der Heilig’n Jungfrau. Des wär mir aufg’foin. Des können’s mir glau’m.“
„Wäre es auch möglich“, Hetzer zögerte bei dieser Frage etwas, „dass Pfarrer Fraas mehr dem eigenen Geschlecht zugeneigt war?“
Heide Brüderl zuckte zusammen. „Wia moanen’s na des?“
„Wie ich es gesagt habe. Ich wollte wissen, ob der Herr Pfarrer homosexuelle Neigungen hatte.“
Sie schüttelte sich, als hätte sie in Hetzers Madentopf geschaut. „Net, des i wüst. So an Schweinkram. Naa, des hätt der Pfarrer seelig nia dua. Pfui Spinne.“
„Es hat auch niemals ein Gerücht oder etwas dergleichen gegeben? Vielleicht aus der Gemeinde? Ungereimtheiten oder Gespräche, die Sie sich nicht erklären konnten?“
Heide Brüderl zitterte leicht. „I woas von nix und über an Tod’n sollt ma a net schlecht red’n, selbst wenn doa woas g’wen wär.“
Wolf Hetzer hatte das Gefühl, dass sie nicht die Wahrheit sagte, wollte es aber jetzt auf sich beruhen lassen. Die Seniorin hätte nichts Schlechtes über ihren Pfarrer gesagt, mit dem sie – wie auch immer – so viele Jahre unter einem Dach gelebt hatte. Hetzer würde bei seinem Nachfolger in der Gemeinde weiterbohren. Vielleicht wusste der etwas oder es stand irgendetwas Verwertbares in den kirchlichen Aufzeichnungen.
„Das erwarten wir auch gar nicht von Ihnen“, sagte er zu Fraas‘ Haushälterin. „Sagen Sie, wie war denn der Pfarrer so als Mensch? War er streng oder eher weich? Hatte er Verständnis für die Sünden seiner Schäfchen?“
„Des is schwer zum soag’n. Er woar fei a sehr guader Mensch, oaber er hoat die schwarzen Schafer’l scho a ins G’wissen g’red. Grad recht is er g’wen. Net zu hart und net zu weich. In die letzten Joahr is er a weng milder woarn. Un ruhiger a. Es woar a schene Zeit und jetzad muss i mir a neue Bleibe suachen, auf meine oiden Doag.“
„Ach, das tut uns aber leid. Wir dachten nicht, dass sich etwas für Sie verändern würde. Sagen Sie, hatte Pfarrer Fraas einen Computer?“
„An richtig großen net, nur so a kloan’s Ding zum Auf- und Zuaklapp’n.“
„Ah, ein Laptop also. Dürften wir das mal sehen?“
„Jo mei, warum net. Bitte kommen’s mit nunter in sei Wohnung. Er hoat des Ding imma am Schreibtisch liagn.“
Frau Brüderl hielt sich gut am Handlauf der Treppe fest. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, wenn sie woanders hinzog, dachte Wolf bei sich. Das Treppensteigen machte ihr sichtlich Mühe. Peter, der sich nur ungern aus dem Sessel gequält hatte, weil er die Kekse verlassen musste, hatte sich während der Befragung Stichpunkte notiert. Er ging jetzt hinter der alten Dame die Treppe hinab, während Hetzer fragte, ob der Pfarrer denn auch Kinder und Jugendliche betreut hätte. Er sah eben noch, wie sie ins Wanken geriet, konnte aber nicht eingreifen. Im letzten Moment bemerkte Wolf, vor allem durch Peters Aufschrei, dass etwas nicht in Ordnung war, und drehte sich um. Nur mit großer Mühe konnte er Heides Sturz abfangen. Mit dem einen Arm packte er sie. Leider etwas unsanft, sodass sie stöhnte. Mit der anderen Hand hielt er sich am Geländer fest, sonst wären sie beide zu Fall gekommen. Heide Brüderl war noch nicht wieder ganz bei sich. Inzwischen hatte ihr Peter jedoch von hinten unter die Arme gegriffen. Gemeinsam trugen sie die alte Dame nach unten, nahmen Fraas’ Schlüssel aus der Tasche ihres Kittels und legten sie auf dessen Sofa. Wolf Hetzer rief Notarzt und Krankenwagen, während Peter ihr die Beine erhöht bettete und sie langsam wieder zu sich kam.
„Jo mei, wo bin denn i? Beim Herrn Pfarrer selig? Ach, meine Herrn, mir is a bisserl schwindelig worn. Jetzad hoab i Eahna a noch Scherereien g’moacht.“
„Das ist nicht so schlimm, Frau Brüderl, der Arzt wird gleich hier sein. Ich glaube, wir haben Sie zu sehr beansprucht.“
„Seit dem Herrn Pfarrer sein Tod bin i net mehr die Oide. Des hoat mit Eahna nix zum dua.“
„Frau Brüderl, Sie sind doch sicher einverstanden, wenn wir den Laptop von Pfarrer Fraas mitnehmen. Vielleicht finden sich dort Hinweise auf das Verbrechen, das an ihm verübt worden ist. Wir würden uns auch gerne noch ein wenig in der Wohnung umschauen.“
„Machens nur, woas sie moana. Und nehmens des Ding nur, meine Herrn Inspektoren. Er koa eh nix mehr damit oafoanga.“
Es dauerte nicht lange, bis Notarzt und Rettungswagen in der Fontanestraße hielten und sich um Heide Brüderl kümmerten. Sie rief ihnen noch ein „Vergelt’s Gott!“ nach, bevor sich die Türen des Krankenwagens schlossen. Immerhin regnete es jetzt nicht mehr. Hetzer dachte, dass er etwas gesagt haben musste, das sie umgehauen hatte.
„Du, Peter, vielleicht ist da was dran, an der Homosexualität. Wenn so gar keine Frauengeschichten bekannt sind.“
„Ich glaube ja eher, dass wir uns auch auf seine Kontakte zu minderjährigen Schutzbefohlenen konzentrieren sollten. Immerhin leitete er in der Gemeinde St. Elisabeth in der Arndtstraße die Verwaltungsstelle für die katholische Jugend.“
„Denkst du an Missbrauch, Peter? Das müsste dann ja wahrscheinlich etliche Jahre zurückliegen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in der nahen Vergangenheit für ihn möglich war, sich Kindern oder Jugendlichen so einfach zu nähern.“
„Das vermutlich nicht. Er müsste ungefähr zehn bis fünfzehn Jahre außer Dienst sein. Mögliche Opfer wären dann jetzt zwischen zwanzig und – je nach Zeitraum – vierzig oder mehr Jahre alt.“
„Wie willst du das jetzt noch herausfinden? Du glaubst doch nicht, dass die Kirche brisante Dokumente oder Protokolle aufbewahrt hat?“
„Wer weiß, es ist in letzter Zeit so vieles ans Licht gekommen. Lass uns aber erst mal seinen Rechner und die Wohnung kontrollieren. Pädophile können von ihren Vorlieben meist nicht lassen. Es wäre möglich, dass wir irgendetwas, irgendeinen Hinweis finden. Fotos, Dokumente, Briefe.“
Kruse und Hetzer überlegten, wie sie am besten vorgehen sollten.
„Nimm du das Wohnzimmer, ich fange im Arbeitszimmer an“, schlug Peter vor.
„Du, da habe ich eine andere Idee. Wir haben offiziell die Erlaubnis von Heide Brüderl, dass wir uns hier umschauen und den Laptop mitnehmen dürfen. Lass uns die Kollegen von der KTU anrufen. Wenn es irgendwelche Dinge gibt, die in diese Richtung weisen, werden es die Kollegen finden. Wir fahren zu Pfarrer Martin und klopfen einfach mal so auf den Busch. Ich habe da so ein Gefühl.“
„Du immer mit deiner weiblichen Intuition!“, lachte Peter. „An dir ist eine wunderbare Frau verloren gegangen. Du kochst gerne, bist häuslich, hast dein Leben im Griff. Also, ich würde dich glatt heiraten.“ Peter musste lachen, weil Hetzer so vollkommen doof aus der Wäsche guckte, dass er den anderen damit ansteckte. Sie hielten sich am Sofa fest vor Lachen. Die Kekse in Peter hüpften förmlich.
Die Täuschung
Sabine Schreiber, Leiterin der Bückeburger Außenstelle in der Schwenstraße, wollte soeben die Tür des Schaumburger Jugendamtes abschließen. Es war bereits weit nach 18 Uhr und schon dunkel. Als sie die Treppen hinabging, kam wie aus dem Nichts ein Mann auf sie zugelaufen. Er trug einen Trenchcoat und einen Hut und war sichtlich aufgeregt.
„Bitte kommen Sie schnell, Sie müssen mir helfen. Das Mädchen wird sonst totgeschlagen.“
Sabine geriet in Panik.
„Was sagen Sie da? Wo ist das? Wie alt ist das Kind?“
„Schnell, wir müssen nach Obernkirchen fahren, in den Weheweg. Es handelt sich um meine Nachbarn. Sie schlagen ihr Kind. Ich kann diese schrecklichen Schreie nicht mehr ertragen.“
Sabine Schreiber eilte mit dem Mann zu seinem Auto. Er hatte den Wagen vor dem Nachbarhaus geparkt.
„Ich rufe jetzt parallel die Polizei an. Wo ist das genau im Weheweg? Ich kenne mich nicht so genau in Obernkirchen aus.“
„Weheweg 47 bei Schröder. Mein Name ist Hildebrandt. Ich wohne in 49. Das Mädchen ist höchstens acht Jahre alt. Ich hatte neulich schon den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Aber jetzt diese Schreie aus dem Keller.“
Sabine Schreiber zögerte keine Sekunde. Sie rief 110 an und schilderte den Fall. Gab die Adresse durch. Dass sie vor Ort warten sollten, war ihr sowieso klar gewesen. Sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ohne Polizei in das Haus zu gehen.
Sie bat Herrn Hildebrandt, nach Obernkirchen in den Weheweg zu fahren und dort in einigem Abstand mit ihr zusammen auf die Beamten zu warten.
Hildebrandt fuhr sofort los.
Im Keller
Es tropfte. Susi stand im Heizungskeller. Gleich würde er kommen.
Die Heizung sprang an und ging wieder aus. Estropfte. Und es stank entsetzlich nach Öl. Die Tanks hinter der Mauer waren schon Jahre alt.
Susi wartete. Auf ihn. Sie kannte das. Er schickte sie immer hier herunter, wenn sie Mist gemacht hatte. Angst. Die Angst lähmte sie. Nicht einmal im Traum wäre sie auf die Idee gekommen, davonzulaufen. Die Tür war nicht verschlossen. Oder aus dem Fenster nach Hilfe zu rufen. Sie hätte es einfach öffnen können. Aber sie war hier, weil er es gesagt hatte. Dagegen gab es keinen Widerspruch. Das hätte alles noch schlimmer gemacht.
Es tropfte, wieder sprang die Heizung an. Susi zählte die Sekunden, bis sie wieder ausging. 22 und dann wieder 148, bis sie erneut in Betrieb ging. An und aus und an und aus. Sie malte mit der Schuhspitze Muster auf den Boden, die man nicht sah. Er würde sie vielleicht auch nicht so schnell sehen, wenn er kam. Sie stand ganz hinten in der Ecke. Noch hinter der Heizung im Dunklen. Da fühlte sie sich sicherer.
Früher war er immer lieb gewesen. Oft hatte er mit ihr Indianer gespielt oder sie waren angeln gegangen. Am Mittellandkanal oder am Steinhuder Meer. Einmal hatten sie der Großmutter einen Aal ins Bett gelegt. Das war vorbei. Sie war kein Kind mehr. Erwachsen auch nicht. Aber auch er war anders geworden.
Die Heizung sprang wieder an. Es tropfte monoton. Sie wusste nicht, wie lange sie hier schon stand. Vielleicht hatte er sie vergessen. Der Hoffnungsschimmer war klein, denn er hatte sie noch nie vergessen. Es dauerte immer eine Ewigkeit, bis er endlich kam.
Dann war sie fast erleichtert, wenn sie ihre Strafe bekam. Hinterher konnte wieder alles gut werden. Wenigstens mit Vater. Mutter würde bestimmt wieder eine Woche nicht mit ihr sprechen. Das kam, weil sie faul gewesen war. In der Schule. Und weil sie die schlechte Note auch noch verheimlicht hatte. Ein paar Tage länger Ruhe vor dem Sturm, ein paar Tage länger mit Mutter sprechen. Ihr eisiges Schweigen war nicht zu ertragen. Für jemanden, der zwölf war und der so viel im Kopf hatte, der so viel denken musste. Doch das verstand keiner. Einmal hatte sich Mutter sogar eingeschlossen. Damit Susi nicht zu ihr ins Wohnzimmer konnte.
Das war der Tag gewesen, an dem sie überlegt hatte, ob eine Nagelschere lang genug war, um das Herz zu treffen. Sie hatte es nicht versucht. Das Leben war irgendwie weitergegangen.
Mittlerweile hatte es zu dämmern begonnen. Bloß kein Licht machen. Auch wenn ihr das Tropfen jetzt lauter vorkam und die Heizung bereits zum vierundfünfzigsten Mal ansprang.
Plötzlich hörte sie sie. Die Schritte auf der Kellertreppe. Er kam. Sie drückte sich noch tiefer in die Ecke. Wusste, dass er nun die Weidenrute von der Wand nahm. Die Tür ging auf.
„Susi, komm her. Du weißt, dass du faul warst und gelogen hast. Jetzt musst du auch die Folgen ertragen. Mutter möchte, dass dir das eine Lehre ist.“
Mit diesen Worten zog er sie aus der Ecke. Sie sträubte sich nicht. Wusste, dass es sowieso keinen Sinn hatte. Er schob ihr den Nickipullover hoch. Sie duckte sich, als der erste Hieb ihren Rücken traf.
Der Schmerz, vor dem sie solche Angst gehabt hatte, war nun da. Das Warten hatte endlich ein Ende. Wie eine Erlösung war das. Tapfer hielt sie aus. Kein Ton kam aus ihrem Mund. Irgendwann ließ er von ihr ab und ging wortlos aus dem Heizungskeller.
Da stand sie. Zog den Pulli wieder herunter und schlich aus der Tür. Damit niemand sie sah. Vorsichtig die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Erst dort kamen die Tränen. Als sie auf ihrem Bett lag. Die Eltern hatten ja recht. Das wusste sie.
Sabines Verhängnis
Im Weheweg hielt Hildebrandt an. Die Beamten waren noch nicht da. Er bückte sich in den Fußraum hinunter und noch ehe Sabine Schreiber überhaupt begriff, was los war, raubte ihr das Chloroform ihre Willenskraft.
Sofort gab der Unbekannte Gas und verließ über den Jägerweg den Bereich, in dem gleich die Polizei auftauchen würde.
Er fuhr direkt mit ihr zur Kellertür an die Rückseite seines Hauses. Zum Glück war sie nicht so schwer wie Benno. Und noch bevor sie wieder erwachte, legte er ihr eine Infusion und versetzte sie in Narkose. Jetzt musste es schnell gehen. Er legte ihr noch die Platte des Elektrokauters unter das Gesäß und setzte zum Bauchschnitt an. Vorsichtig präparierte er sich durch die einzelnen Hautschichten und das Bauchfell, an Muskeln und Gefäßen vorbei, bis zur Gebärmutter und den Eierstöcken. Wiederholt musste er Blutungen mit dem Elektrokauter stoppen und die Gefäße mit Hitze verschweißen. Das stank, wie neulich, als er Bennos Haare vom Körper gebrannt hatte. Bei Sabine hatte er sich kurzerhand zum Rasieren entschlossen. Erst mal das Nötigste. Nach mehreren Nähten im Bauchraum gab es keine Blutungen mehr. Er konnte Sabine wieder zumachen. Es wurde auch Zeit, denn ihr Blutdruck fiel etwas ab.
Da lagen sie nun vor ihm. Sabines Organe, ihr Frausein in einer Nierenschale.
Ursprünglich wollte er ihr noch die Brüste entfernen. Das musste später passieren, wenn sie wieder stabiler war. Kurz bevor sie aufwachte, rasierte er sie noch gründlich – auch unter den Armen – und deckte sie zu.
Mit einem Hustenanfall wachte Sabine Schreiber auf und schaute verwundert in die OP-Lampe.
„Sie hatten einen Unfall“, sagte der Arzt leise mit verstellter Stimme. Sie konnte ihn kaum erkennen, da er Mundschutz und Haube trug.
„Um Himmels willen, was ist passiert?“, rief Sabine erschrocken. Sie konnte sich an nichts erinnern.
„Keine Angst, Sie werden es überleben. Wir haben Sie mit einer Notoperation gerettet. Und nun schlafen Sie erst mal ein bisschen.“
Über den venösen Zugang spritzte er ihr Fortral und Sabine schlief wieder ein.
Pfarrer Martins Vermutung
Kruse und Hetzer mussten warten, bis Pfarrer Martin endlich Zeit für sie hatte. Sie hätten auch nicht gewollt, dass er seine Bibellesestunde unterbrach. Nach und nach verabschiedeten sich die Frauen von ihm und wünschten ihm einen schönen Abend.
„Bitte kommen Sie in mein Büro, meine Herren“, sagte er und bot ihnen einen Platz in der Sitzecke an.
„Wir kommen heute mit einer etwas delikaten Frage zu Ihnen.“
„Nur raus damit, mir ist nichts Menschliches fremd, glauben Sie mir. Ich denke, es gibt fast nichts, was ich noch nicht gehört habe, beziehungsweise nichts, mit dem ich mich noch nicht auseinandersetzen musste, ob ich wollte oder nicht.“
„Dann wird das, was wir fragen wollen, vermutlich demnächst dazugehören. Was wissen Sie über das private Leben von Josef Fraas? Vor allem in Hinblick auf die Beziehungen zu den Menschen, von denen er umgeben war.“
„Darüber weiß ich wenig. Da ist mir wenig bekannt. Vermuten Sie, dass der Täter ein Bekannter von Josef war?“
„Nicht unbedingt. Uns interessieren viel mehr eventuelle Beziehungen, gefühlsmäßig oder sexuell.“
„Ah, daher weht der Wind. Da brauchen Sie sich doch für Ihre Fragen nicht zu schämen. Es ist doch klar, dass – besonders in diesem Fall – eine solche Frage kommen muss, wenn jemand im Zölibat lebt. Aber ich kann Sie beruhigen. Es ist niemals auch nur der Verdacht aufgekommen, dass Pfarrer Fraas ein Verhältnis hat. Nicht einmal mit seiner Haushälterin. Oder er muss es besonders geschickt angestellt haben. Aber das wäre auch kein Grund, ihn zu ermorden, oder?“
„Haben Sie jemals davon gehört, dass er eventuell auch Männern zugeneigt gewesen sein könnte?“
„Niemals“, antwortete der Geistliche. Hetzer hatte den Eindruck, als ob er auf der Hut war.
„Hat es jemals – auch nur als Verdacht – Übergriffe auf Jugendliche oder Kinder gegeben? Ich meine, die Möglichkeiten sind hier ja groß.“
„Nein, nie. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss zur Chorprobe.“
Mit diesen Worten öffnete er die Tür und verabschiedete sich.
„Das war jetzt aber plötzlich, Wolf.“
„Da haben wir wohl doch eine empfindliche Stelle berührt. Was meinst du? Ich bin gespannt, ob die KTU was findet.“
„Ich nicht“, Hetzer sah Peter verständnislos an, „ich habe jetzt Feierabend. Mich interessiert das erst morgen wieder. Hast du mal auf die Uhr gesehen?“
„Oh je, schon so spät. Ich glaube, ich muss Moni jetzt mal zum Essen einladen. Wenn ich sie nicht hätte.“
„Tja, dann müsstest du etwas strukturierter leben. Würde dir auch nicht schaden.“
Peter brummelte vor sich hin und sagte kein Wort mehr, bis sie sich auf dem Hof der Wache am Hasphurtweg verabschiedeten.
Ja, die Tage sind zu lang, dachte Hetzer. Aber eins ergibt sich aus dem anderen. Es werden auch wieder ruhigere Zeiten kommen.
Moni
Als Hetzer an diesem Abend nach Hause kam, lag ein Zettel auf dem Tisch.
Darauf stand: Alle sind gefüttert, Emil ist schon im Stall, die Katerbrüder gestreichelt und mit Gaga bin ich eine Stunde im Wald gewesen. Arbeite nicht so viel. Gönn dir auch mal eine ruhige Stunde. Der Eintopf steht im Kühlschrank. Liebe Grüße, Moni
Ja, sie war wirklich ein Schatz. Er hatte nämlich heute wirklich überhaupt keine Lust, zu gar nix mehr. Kein wirkliches Wochenende, lange Abende – das forderte seinen Tribut. Nicht einmal ein Feuer wollte er noch anzünden. Einfach noch essen und dann ab ins Bett. Mehr oder weniger vorsichtig näherte er sich dem Topf im Kühlschrank. Als er das letzte Mal einen Deckel hochgehoben hatte, war ihm der Appetit vergangen. Jetzt duftete ihm ein Kohleintopf entgegen. Auf einem Teller neben dem Topf lagen vier Kohlwürstchen. Er holte sich einen Suppenteller, legte zwei von den Würstchen hinein und schöpfte den Eintopf darüber, der völlig fleischlos war. Ein Glück. Nach drei Minuten in der Mikrowelle stand der dampfende Teller vor ihm. Der Rest würde für morgen reichen. Mit dem Sattsein kam die Müdigkeit. Doch er wollte noch schnell Moni anrufen und sich bei ihr bedanken.
„Kahlert, guten Abend.“
„Hallo Moni, ich bin’s, Wolf. Ich wollte mich ganz herzlich bei dir bedanken, dass du dich so um uns alle kümmerst. Dein Eintopf war wirklich superlecker.“
„Dann bin ich ja beruhigt, du Rumtreiber. Habt ihr viel zu tun? Ich habe das mit den Morden in der Zeitung gelesen. Da dachte ich mir, du könntest ein bisschen Unterstützung gebrauchen.“
„In der Tat. Im Augenblick ist es ein bisschen viel. Aber es kommen auch wieder andere Zeiten. Ich würde dich gerne am Samstag zum Essen einladen.“
„Nun hals dir mal nicht noch zusätzliche Arbeit auf. Das ist schon alles in Ordnung so. Ich liebe doch Tiere und kochen muss ich sowieso. Du weißt doch, dass sich ein Eintopf nicht für eine Person lohnt.“ Sie lachte.
„Nein, im Ernst, Moni, ich würde mich wirklich freuen. Wir haben doch sonst kaum Zeit, uns mal in Ruhe zu unterhalten. Ich werde sonst ein Dienstkrüppel. Mir fehlt der zwischenmenschliche Austausch mit ganz normalen Leuten.“
„Also gut. Aber dann hätte ich eine Bitte.“
„Und die wäre?“
„Könntest du bitte etwas ohne Fleisch kochen? Ich bin überzeugte Vegetarierin. Ich esse sonst wirklich alles, auch Fisch, nur bitte kein Fleisch von Zwei- oder Vierbeinern.“
„Zweibeiner? Du bist lustig. Ein Kannibale bin ich sowieso nicht.“
„Nimmst du mich auf den Arm? Ich meine Geflügel.“ Moni klang etwas beleidigt.
„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur einen Witz machen. Ok, der war blöd. Siehst du, ich sage doch, ich werde ein Krüppel. Meine Gedanken sind schon ganz versehrt. Ich kann kaum noch normal denken. Nur Ermittlungen um mich herum.“
„Armer Wolf, übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?“
„Vielleicht, ich will ja nur, dass du mir nicht mehr böse bist.“
„War ich doch gar nicht. Ich möchte nur ernst genommen werden. Viele Menschen haben kein Verständnis für Vegetarier. Sie betrachten uns mit einem abschätzigen Lächeln.“
„Das würde ich nie tun. Ich habe großes Verständnis dafür. Jetzt weiß ich auch, warum du mir die Würstchen auf den Teller daneben gelegt hast. Vor einiger Zeit habe ich selbst schon darüber nachgedacht, aber ich esse einfach zu gerne Fleisch. Nicht jeden Tag. Aber ab und zu. Wenn ich das aufgäbe, würde mich das in meinen Möglichkeiten einschränken. Ich koche doch so gerne mediterran.“
„Hm, glaub mir, das ist alles nur eine Frage der Gewohnheit. Du würdest dich umstellen und dir würde sich ein neues Spektrum von Möglichkeiten auftun. Man muss sich nur damit beschäftigen. Ich will hier aber kein Apostel sein. Jeder muss so leben können wie er möchte. Dazu gehört auch das Verständnis für den anderen.“
Wolf Hetzer schmunzelte. „Das hast du ja mit den Würstchen bewiesen. Vielen Dank. Ich werde mir etwas Tolles für dich einfallen lassen. Sei gespannt, Moni! Wir werden uns einen schönen Abend machen. So, und jetzt muss ich ins Bett. Mir fallen schon die Augen zu.“
„Na, dann gute Nacht, Wolf. Schlaf schön. Und mach dir keine Sorgen um deine Liebsten. Ich kümmere mich schon um sie. Mir macht das Spaß.“
„Danke, Moni. Wenn ich dich nicht hätte. Gute Nacht.“
Erleichtert legte er auf. Da hatte er gerade noch die Kurve gekriegt. Moni war so ziemlich der letzte Mensch, mit dem er es sich verscherzen wollte. Und er hatte es wirklich nicht so gemeint. Manchmal schossen diese dummen Sprüche einfach so aus ihm heraus. Er musste besonnener werden. Müde spülte er die Zahnpasta aus dem Mund, löschte das Licht und kroch unter seine Decke. Puh, es war kalt geworden. Als sich die Bettwärme ausbreitete, schlief Hetzer ein.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.






