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»Wie sieht’s denn hier aus?«
Sie hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, schon hatte sie das Bild ihrer überstürzten Flucht zum Spiegel vor Augen.
»Toll.«
Katarina stellte den Stuhl auf und besah sich dann genervt die Sauerei auf und unter dem Tisch.
»Was soll’s. Der hat es eh mal wieder nötig.«
Sie holte Putzzeug, wienerte den Tisch und gleich dazu noch den kompletten Dielenboden. Anschließend holte sie etwas zu schreiben und setzte sich damit an den Küchentisch. Das Blatt vor sich teilte sie in zwei Spalten. Die linke bekam die Überschrift Kontra, die rechte Pro. Sie wollte eine Analyse über ihr Kopfproblem erstellen und dachte nun tiefgründig nach.
»Womit habe ich die letzten Jahre verbracht? Mit Arbeiten, was sonst. Und das täglich von morgens bis abends. Warum? Blöde Frage. Ganz einfach, mit meinem Alter von fünfunddreißig Jahren stehe ich voll in der Blüte des Berufslebens. Schließlich heißt es nicht alt und dynamisch, sondern jung und dynamisch.«
Das Dynamische würde sich mit dem Alter ändern, das hörte sie ständig und von allen Seiten. ›Wenn du kurz vor der Rente stehst‹, so wurde ihr versichert, ›sind für dich nur noch zwei Dinge wichtig, die Schere und dein Maßband, das du jeden Tag um einen Zentimeter kürzen darfst.‹
Katarina verstand dieses Ritual bis heute nicht. Das mit dem Maßband würde sie nie tun, auch nicht kurz vor der Rente. Sie war gar nicht der Typ für so etwas. Arbeiten war einfach toll. Sie freute sich jeden Tag darauf. Für ihren Verlag war sie wichtig. Vor allem in Stresssituationen, diese standen schon beinah an der Tagesordnung. Dabei waren Sekunden entscheidend, denn das Blatt musste pünktlich in den Druck gehen. Darin war Katarina eine wahre Meisterin, das sah zumindest ihr Chef so, und das zählte. Dumm nur, dass ausgerechnet jetzt der richtige und gleichzeitig auch letzte Zeitpunkt für ein Baby war. Und Zeit war genau das, was sie brauchte und viel zu wenig hatte.
Sie nahm den Stift zur Hand und schrieb in die linke Spalte auf dem Papier folgende Notiz:
– Sind Job und Kind zeitlich miteinander vereinbar?
Gegenwärtig war ihr nämlich gerade das ein absolutes Rätsel und möglicherweise einer der Gründe, die sie blockierten.
Sie notierte einen zweiten Punkt:
– Geld!!!
Mit drei Ausrufezeichen. Das spielte gleich neben der Zeit die zweite Hauptrolle.
»Mit Kind wird das auf jeden Fall ganz schön knapp.«
Sie schrieb weiter:
– Arbeit = Geld
– Baby = keine Arbeit
»Das erste Jahr bleibe ich auf jeden Fall mit dem kleinen Schatz zu Hause. Und daran gibt es nichts zu rütteln. Stellt sich allerdings die Frage, wer soll mich in dieser Zeit vertreten?«
Weiter zum Punkt Geld:
– keine Arbeit = kein Geld
– kein Geld = ?
»Prima. Kein Geld und wie weiter? Wovon leben wir, wenn ich nicht arbeiten gehe? Felix ist auch nicht gerade der Großverdiener. Und die paar Kröten vom Staat decken gerade mal so unsere Mietkosten. Na ja, wenigstens das, so ersparen wir uns zum Glück das Brückenleben.«
Immer wieder landete Katarina mit ihren Überlegungen in einer Sackgasse. Sie dachte an das Baby. Es würde wachsen und dabei unzählige Gläschen mit Brei verschlingen und tonnenweise Windeln verbrauchen.
»Meine Güte, Babys sind in Wirklichkeit gefräßige Raupen. Tja, nehmt euch vor den Kleinsten in Acht, das sind immer die Schlimmsten.«
Plötzlich hatte sie eine geniale Idee, von der sie sofort begeistert war.
»Jep, na wer sagt’s denn.«
Der erste Stichpunkt in der Pro-Spalte.
– Brei selber kochen
»Das spart definitiv jede Menge Geld, kostet zwar Zeit, aber schließlich bin ich auch den ganzen Tag zu Hause.«
Gleich darunter schrieb sie:
– Stoffwindeln
Eine weitere Möglichkeit, die sie in Erwägung zog. Diese müsste sie nur einmalig kaufen und konnte sie dann immer wiederverwenden.
»Guter Plan. Dafür sollte ich von den Grünen einen Orden einfordern. Wahrscheinlich halte ich damit sogar noch den Klimawandel auf, bei der Menge, die ich an Wegwerfwindeln einspare.«
Zugleich veranstalteten ihre Gedanken ein Szenario, in dem sie sich von riesigen Windelbergen umgeben sah. Auf kilometerlangen Leinen verteilte sie eine Stoffwindel nach der anderen. Die Sonne ging bereits unter, ehe sie bei der letzten angelangt war. Danach fing sie von vorn an und nahm die erste wieder ab, die inzwischen schon trocken war.
»Herrgott noch mal. Nein!«, rief sie und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Damit setzte sie dieser Horrorvision ein Ende. »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wozu sonst wurde dieser ganze moderne Kram erfunden, wenn ich mir diese Erleichterung dann nicht zunutze machen würde. Windeln waschen. Pah. Das ist ja so, als hätten wir gerade den Zweiten Weltkrieg hinter uns gebracht. Ich werde mich nicht zum Windelsklaven machen und jeden Tag Wäsche waschen. Ein bisschen Zeit für mein Baby will ich auch noch haben.«
Sie strich das letzte Wort und setzte es in die linke Spalte.
– Stoffwindeln – Stoffwindeln
Die Idee war dann wohl doch nicht so genial. Geld sparen würde an dieser Stelle ausfallen. Aber sie blieb zuversichtlich.
»Schnallen wir eben unseren Gürtel etwas enger. Es wird sich alles finden, wenn es so weit ist.«
Dieser Spruch war nicht auf ihrem Mist gewachsen, sondern nur einer der vielen guten Ratschläge, die sie sich ständig anhören durfte.
»Wenn alle das Gleiche sagen, muss doch was dran sein.«
Eine Weile starrte sie vor sich auf das Blatt Papier. Da standen sie ihre Probleme, fein säuberlich niedergeschrieben, Punkt für Punkt. Gelöst waren sie damit allerdings nicht. Im Gegenteil, Katarina hatte es bisher immer wieder geschafft, sie zu verdrängen. Doch nun schwirrten sie fragend in ihrem Kopf herum. Zum Beispiel hatte sie noch immer keine Antwort darauf, wer sie in ihrem Job vertreten sollte, wenn das Baby erst einmal da war.
»Das kann nicht funktionieren, dieser Aufgabe ist niemand sonst gewachsen.«
Ehrgeizig wie sie war, machte sie sich auch darüber Gedanken, bezweifelte aber stark, dass sich dafür jemand finden würde. Das redete sie sich nicht nur ein, sie glaubte auch daran.
Mehr und mehr wurde ihr bewusst, wie schwer diese Probleme bis heute ihren Kopf belastet hatten. Genau das war die Ursache, warum sie bisher überhaupt nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte, schwanger zu werden. Dessen war sie jetzt sicher.
Doch das sollten nicht die einzigen schwerwiegenden Probleme sein. Ein weiteres war ganz klar ihre Psyche. Seit ihrem letzten Geburtstag erinnerte sie ihre innere Stimme täglich daran, dass sie alt wurde, auf die Vierzig zuginge und noch immer kinderlos sei. Das tat nicht nur weh, Katarina war verdammt noch mal am Verzweifeln.
Sie dachte an ihre Freunde und die Kollegen. Was, wenn ihr Gerede nicht nur nervendes Blabla gewesen war, sondern Tatsache? Sie wagte kaum, diese Theorien näher in Erwägung zu ziehen. Fakt war, auch wenn sie es nicht darauf angelegt hatte: Nach dreizehn langen Jahren, ohne Verhütung, wäre jede Frau trotz aller Probleme schwanger geworden.
»Nicht ich, warum? Was stimmt nicht mit mir? Ganz sicher ist da etwas nicht in Ordnung, das liegt nicht nur an meinem Kopf.«
Jetzt hatte sie den Stein ins Rollen gebracht. Die Wahrheit lag auf dem Tisch. Aus dem winzigen Körnchen, dem sie bisher kaum Beachtung geschenkt hatte, war plötzlich ein großer, harter Klumpen geworden, der nun schwer auf ihre Seele drückte.
An Felix konnte es nicht liegen. Er hatte bereits bewiesen, dass er zeugungsfähig war. Und das nicht nur ein Mal. Das war, bevor sie sich kennenlernten.
»Demnach liegt es an mir. Irgendetwas stimmt mit mir nicht, dazu habe ich eine Menge Probleme und die Jüngste bin ich auch nicht mehr.« Zwangsläufig fragte sie sich: »Wie viele Frauen bekommen in meinem Alter überhaupt noch ein Kind?«
Natürlich gab es auch wesentlich ältere Mütter, das war selbst Katarina klar. Und laut Statistik waren die meisten Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes bereits über dreißig. Aber um Himmels willen, zu denen wollte sie nie zählen!
»Was soll ich nur tun?«, jammerte sie und mit jedem weiteren Tag stieg ihre Verzweiflung.
Sollte sie besser aufgeben und keine dieser alten Mütter werden? Dann wären ihre Probleme mit einem Schlag gelöst. Doch was würde aus ihrer Bilderbuchfamilie werden? Es würde genau das eintreten, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Ihr Traum würde zerplatzen wie eine Seifenblase.
»Nein! Ich werde nicht aufgeben. Träume sind dafür da, um sie wahr werden zu lassen.«
Katarina fasste neuen Mut und setzte das Wort Baby ganz oben auf ihre Liste, und zwar in die rechte Spalte direkt gegenüber ihren Ängsten.
»Scheiß auf Kontra. Ich lasse es jetzt einfach drauf ankommen und vertraue dem Rat, dass es sich schon irgendwie finden wird. Schließlich müssen diese Reden von irgendwo herrühren. Ich hoffe einfach mal, dass da etwas Wahres dran ist. Und sollte ich womöglich aus körperlichen Gründen nicht schwanger werden, ist die linke Spalte mein geringstes Problem.«

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